VwGH 2002/20/0055

VwGH2002/20/005530.3.2006

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl sowie die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher und Dr. Berger und die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Trefil, über die Beschwerde des M, vertreten durch Dr. Daniele Witt-Dörring, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Rathausplatz 4, gegen den ersten Spruchpunkt des am 18. April 2000 verkündeten und am 10. Oktober 2001 schriftlich ausgefertigten Bescheides des unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 208.241/0-II/06/99, betreffend § 7 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
FrG 1997 §57 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
FrG 1997 §57 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Spruchpunkt wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, reiste am 8. Jänner 1999 in das Bundesgebiet ein und beantragte am selben Tag Asyl. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 13. Jänner 1999 gab er zusammengefasst an, er sei ein aus Kandahar stammender Schiite und von den Taliban bedroht worden, die ihn zum Fronteinsatz hätten zwingen wollen. Er habe erfahren, dass die Taliban annehmen würden, er halte Waffen versteckt. Die Taliban hätten im Monat Assad 1377 (Juli/August 1998) dreimal versucht, den Beschwerdeführer festzunehmen. Im Falle seiner Rückkehr fürchte der Beschwerdeführer, zu einer hohen Gefängnisstrafe oder zum Tod verurteilt zu werden. Sein Bruder (dessen Wohnort der Beschwerdeführer ebenfalls mit Kandahar angegeben hatte), sei keiner Gefährdung ausgesetzt gewesen. Kandahar sei eine vorwiegend paschtunische Stadt, der Beschwerdeführer spreche aber "nur sehr wenig Paschtu".

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag mit Bescheid vom 10. Februar 1999 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (in der Folge: AsylG) ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan zulässig sei.

In der gegen diese Entscheidung erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer ergänzend vor, er gehöre der Volksgruppe der Hazara an, welche in Afghanistan grausam verfolgt werde. Auf Grund seiner bei der erstinstanzlichen Einvernahme gemachten Aussage, wonach er nur sehr wenig Paschtu spreche, hätte er bezüglich seiner Volksgruppenzugehörigkeit genauer befragt werden müssen. Dies umso mehr, als er auch angegeben habe, Schiite zu sein. Schiiten, die nur wenig Paschtu sprächen, würden offensichtlich einer unterdrückten Minderheit angehören. Schon als Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und als Schiite habe er von den Taliban asylrelevante Verfolgung zu befürchten. Zur Entscheidung gemäß § 8 AsylG brachte der Beschwerdeführer vor, es sei notorisch, dass in Afghanistan eine ständige Praxis grober, offenkundiger und massenhafter Menschenrechtsverletzungen herrsche.

Am 18. April 2000 führte die belangte Behörde eine mündliche Berufungsverhandlung durch, in der der Beschwerdeführer unter anderem klarstellte, dass seine Mutter Hazara sei, er sich aber seinem tadschikischstämmigen Vater zugehörig, also als Tadschike, fühle und nicht als Hazara, auch spreche er nicht Hazaragi, sondern einen Kandahar-Dari-Dialekt.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 7 AsylG ab, stellte gemäß § 8 AsylG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan nicht zulässig sei, und erteilte dem Beschwerdeführer gemäß § 15 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung.

Die belangte Behörde stellte im angefochtenen Bescheid fest, dass der Beschwerdeführer ein aus Kandahar stammender Schiite sei. Die Angaben des Beschwerdeführers seien widersprüchlich und sehr vage und allgemein gehalten gewesen und hätten keine nachvollziehbaren und schlüssigen Details enthalten. Die vom Beschwerdeführer angegebenen Daten seien "mangelhaft" gewesen und es hätten zeitliche und politische Angaben über die Taliban und deren Einmarsch in Kandahar gefehlt. Dem Beschwerdeführer, der angegeben hatte, sich bis zu seiner Flucht in Kandahar aufgehalten zu haben, habe daher "in weiten Teilen" die Glaubwürdigkeit abgesprochen werden müssen. Eine individuelle asylrelevante Verfolgung des Beschwerdeführers durch die Taliban sei auch von dem in der Berufungsverhandlung anwesenden Sachverständigen nicht festgestellt worden. Nicht nachvollziehbar seien auch die Angaben des Beschwerdeführers, dass sein Bruder in Kandahar mit den Taliban keine Probleme habe, der Beschwerdeführer hingegen, der ebenso Paschtu sprechen könne, in Kandahar Verfolgungshandlungen durch die Taliban ausgesetzt gewesen sei. Warum die behauptete Gefährdung ausschließlich auf den Beschwerdeführer zutreffe und nicht auch auf seinen Bruder, sei vom Beschwerdeführer trotz mehrmaliger konkreter Befragung nicht erklärt worden. Der Sachverständige habe zum Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach Schiiten von den Taliban verfolgt würden, festgestellt, dass grundsätzlich davon auszugehen sei, dass Schiiten und Hazara in der afghanischen Gesellschaft diskriminierte Gruppen seien und in äußersten Krisenzeiten auch willkürlich verfolgt würden. Von einer "immer währenden allgemeinen Verfolgung dieser Gruppen in Afghanistan" könne aber zum Entscheidungszeitpunkt nicht ausgegangen werden. Eine "allgemeine Verfolgung von Tadschiken durch die Taliban (wie auch generell in Afghanistan)" habe nicht festgestellt werden können.

Die Feststellung der Unzulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß § 8 AsylG begründete die belangte Behörde wie folgt:

"Schlussfolgernd gab der in diesem Verfahren in der mündlichen Verhandlung eingesetzte Sachverständige an, dass von einer notorisch allgemein bekannten Gruppenverfolgung, wie z.B. gegen die Tadschiken, auf Grund der jüngeren Entwicklungen, die auch in einem schriftlichen Gutachten des Gutachters bereits ausführlich dargelegt wurden, nicht mehr ausgegangen werden kann. Auch wenn die Hazaras und Tadschiken im Falle einer Abschiebung direkt nach Afghanistan, wenn dieser den Taliban-Behörden dort im Falle einer zwangsweisen Abschiebung - eine freiwillige Rückkehr konnte zum Entscheidungszeitpunkt ausgeschlossen werden - übergeben werden würde, einer peinlichen Untersuchung bzw. entsprechende Einvernahme unterliegen könnte, ist aber im gegenständlichen Fall eine weitere Verfolgungsgefahr für den Berufungswerber seitens der Taliban in der Folge auf Grund einer etwaig zu erwartenden Einvernahme mit großer Wahrscheinlichkeit nicht auszuschließen, weil der Berufungswerber gerade dadurch als Nicht-Paschtune in das Blickfeld der Taliban geraten würde, insbesondere der Verdacht durch die Taliban nahe liegt, dass dieser an dem bewaffneten Widerstand bei der Opposition gegen die Taliban tätig gewesen sein könnte und daher eine unmenschliche Behandlung bzw. eine der in Art. 3 EMRK genannten Gründe unterworfen werden würde. Das gegenständliche reale Risiko bei einer zwangsweisen Rückführung des Berufungswerbers, einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt zu werden, ist im Hinblick auf die amtsdokumentierte ständige Praxis der Taliban, grobe, offenkundige Verletzungen der Menschenrechte zu begehen, eindeutig gegeben. Die Taliban würden anderen Volksgruppenangehörigen, die an der Grenze übernommen werden würden, diesen unterstellen, dass diese gegen die Taliban kämpfen würden oder als Feinde der Taliban angesehen werden etc. Auf die Ausführungen des Sachverständigen zum Zeitpunkt der Entscheidung hinsichtlich der Grenzsituation als auch betreffend das Vorliegen von Refoulementgründen, wird verwiesen.

Die Glaubhaftmachung des Vorliegens von Gründen gemäß § 57 Abs. 1 FrG ist dem Berufungswerber iVm den Aussagen des Gutachters als auch den eingeführten Beweismitteln somit gelungen."

Gegen den (ersten) Spruchpunkt dieses Bescheides, mit dem die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG abgewiesen wurde, richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Vorweg ist festzuhalten, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid anhand der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat (vgl. etwa das Erkenntnis vom 26. November 2003, Zl. 2002/20/0090). Im vorliegenden Fall ist der maßgebliche Zeitpunkt die Verkündung des angefochtenen Spruchpunktes am 18. April 2000.

Gemäß §§ 58 Abs. 2 AVG sind Bescheide zu begründen. In der Begründung sind gemäß § 60 AVG die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Demnach muss in der Bescheidbegründung in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugänglichen Weise dargetan werden, welcher Sachverhalt der Entscheidung zu Grund gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zu der Ansicht gelangte, dass gerade dieser Sachverhalt vorliege und weshalb sie die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete (vgl. etwa das Erkenntnis vom 30. Juni 2005, Zl. 2002/20/0596).

Der angefochtene Bescheid wird diesen Anforderungen nicht gerecht:

Die belangte Behörde traf im angefochtenen Bescheid die Feststellung, dass der Beschwerdeführer ein aus Kandahar stammender Schiite sei, und kam in ihrer Entscheidung gemäß § 7 AsylG zum Schluss, er habe keine asylrelevante Verfolgungsgefahr glaubhaft machen können. In der Begründung ihrer Entscheidung gemäß § 8 AsylG hält die belangte Behörde zunächst fest, dass "das Vorliegen der Voraussetzungen des § 57 Abs. 2 FrG bereits unter Spruchteil I." - in dem der Asylantrag des Beschwerdeführers abgewiesen wurde - "geprüft und verneint wurde". In weiterer Folge führt sie aber aus, dass "eine weitere Verfolgungsgefahr für den (Beschwerdeführer) seitens der Taliban in der Folge auf Grund einer etwaig zu erwartenden Einvernahme" - durch die Taliban im Falle seiner Abschiebung - "mit großer Wahrscheinlichkeit nicht auszuschließen" sei, "weil der (Beschwerdeführer) gerade dadurch als Nicht-Paschtune in das Blickfeld der Taliban geraten würde, insbesondere der Verdacht durch die Taliban nahe liegt, dass dieser an dem bewaffneten Widerstand bei der Opposition gegen die Taliban tätig gewesen sein könnte". Weiters würden die Taliban "anderen Volksgruppenangehörigen, die an der Grenze übernommen werden würden, unterstellen, dass diese gegen die Taliban kämpfen würden oder als Feinde der Taliban angesehen werden etc." Damit hält die Begründung des angefochtenen Bescheides insofern der Schlüssigkeitskontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof nicht Stand, als die belangte Behörde in ihrer Refoulemententscheidung ausdrücklich auf das asylrelevante Merkmal der Volksgruppe des Beschwerdeführers Bezug nimmt und eine darauf gegründete Verfolgungsgefahr als bescheinigt angesehen hat, während sie bei der Abweisung der Berufung gemäß § 7 AsylG eine asylrelevante Verfolgungsgefahr verneint hat.

Davon ausgehend ist auch nicht schlüssig begründet, warum die belangte Behörde dem Beschwerdeführer "in weiten Teilen" die Glaubwürdigkeit seines asylrelevanten Vorbringens abgesprochen hat. Dabei hat die belangte Behörde etwa nicht entsprechend berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer bereits in der erstinstanzlichen Einvernahme angegeben hatte, "nur sehr wenig Paschtu" zu sprechen, und in der Berufungsverhandlung vorbrachte, dass sein Bruder im Gegensatz zu ihm perfekt Paschtu spreche. Die Beschwerde weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Taliban gerade auf Grund akzentbehafteter Aussprache und grammatikalischer Mängel auf eine andere Religions- bzw. Volksgruppenzugehörigkeit des Beschwerdeführers schließen könnten (vgl. etwa zur Erkennbarkeit der Abstammung eines Angehörigen der tadschikischen Volksgruppe anhand seiner Aussprache das Erkenntnis vom 22. Oktober 2003, Zl. 2000/20/0428).

Ausgehend davon, dass die belangte Behörde ihre Entscheidung somit nicht schlüssig und nachvollziehbar begründet hat, war der angefochtene Bescheid in seinem angefochtenen Spruchpunkt wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 30. März 2006

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