Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der (seinen Angaben zufolge damals 15-jährige) Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Nigeria, reiste am 8. März 2002 in das Bundesgebiet ein und beantragte am selben Tag Asyl. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 22. Mai 2002 gab er in Wesentlichen an, er und seine Familie hätten der christlichen Glaubensgemeinschaft angehört und bis Februar 2000 in Kaduna gelebt. Eines Abends habe er vom Direktor seiner Schule erfahren, dass es - aufgrund von gewalttätigen Ausschreitungen von Moslems gegenüber Christen - in der Stadt Probleme gebe; es seien Häuser und Kirchen niedergebrannt worden. Über Ratschlag des Schuldirektors sei er über Nacht in der Schule geblieben. Am nächsten Tag habe ihn eine Nachbarin namens "Josephine" abgeholt und er sei mit dieser zu deren Freunden nach Jos geflohen, weil er seine Eltern nicht "gesehen" und das Wohnhaus zerstört vorgefunden habe. Josephine habe ihn in den folgenden Tagen darüber informiert, dass seine Eltern und Geschwister bei den Ausschreitungen getötet worden seien. Als auch Josephine einige Zeit danach bei weiteren Unruhen ums Leben gekommen sei, habe er bei ihren Freunden nicht mehr bleiben dürfen und sei zu einer anderen Bekannten nach Lagos übersiedelt. Am 27. Jänner 2002 sei dort eine Bombe explodiert, die viele Menschen - darunter auch jene Leute, bei denen er gewohnt habe - getötet habe. Da er niemanden mehr gehabt habe, der sich um ihn gekümmert hätte, habe er im Februar 2002 Nigeria verlassen. Im Falle einer Rückkehr nach Kaduna fürchte er, von den Leuten, die seinen Vater getötet haben, umgebracht zu werden; an anderen Orten in Nigeria kenne er niemanden.
Das Bundesasylamt wies den Asylantrag mit Bescheid vom 12. Juni 2002 gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria zulässig sei.
Aufgrund der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung des Beschwerdeführers richtete die belangte Behörde am 8. Juli 2002 eine Anfrage an die österreichische Botschaft in Lagos, um die vom Beschwerdeführer im erstinstanzlichen Verfahren gemachten Ortsangaben (betreffend Kaduna und Jos) einer Überprüfung zu unterziehen. Nach Einlangen eines entsprechenden Erhebungsberichtes eines Vertrauensanwaltes der österreichischen Botschaft vom 19. Juli 2002 fanden am 18. Februar und 12. November 2004 Berufungsverhandlungen vor der belangten Behörde statt, im Zuge derer der Beschwerdeführer - auch unter Vorhalt der Ermittlungsergebnisse der österreichischen Botschaft - neuerlich zu den behaupteten Aufenthaltsorten in Nigeria und seinen Fluchtgründen befragt wurde.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den erstinstanzlichen Bescheid gemäß §§ 7, 8 AsylG ab.
In der Begründung dieser Entscheidung sprach sie dem Beschwerdeführer und seinem Fluchtvorbringen - aus näher dargestellten beweiswürdigenden Überlegungen - jegliche Glaubwürdigkeit ab, weshalb ihm weder Asyl noch Refoulementschutz zu gewähren sei. Wörtlich führte sie dazu aus, dass "weder die Tatsache des ausgesprochen mangelhaften Wissens über die zentralen lokalen Gegebenheiten, noch das auffallende Unvermögen des Asylwerbers, detailliert einen gleich bleibenden Handlungshergang zu seiner Fluchtgeschichte zu präsentieren ... von selbigem plausibel widerlegt werden" habe können. Insgesamt sei der Vortrag des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen "als unzusammenhängend, wenig detailreich sowie gänzlich oberflächlich zu erkennen" gewesen und stelle die "äußerste knappe Ausführung weniger konfuser unzusammenhängender Eckpunkte einer Geschichte ... sich als Erzählung aus der Sicht eines nicht persönlich beteiligten Dritten ohne persönliche Anknüpfungspunkte oder Momente dar."
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die Beschwerde wendet sich - wenn auch sehr allgemein - im Ergebnis zu Recht gegen die Beweiswürdigung der belangten Behörde, die einer Schlüssigkeitsprüfung nicht Stand hält.
Die belangte Behörde zeigt in ihrer Beweiswürdigung zwar einzelne Ungereimtheiten in den Ortsangaben des Beschwerdeführers auf, blendet dabei aber alle jene Antworten des Beschwerdeführers zu den örtlichen Verhältnissen in Kaduna und Jos aus, die im Rahmen der Überprüfung durch die österreichische Botschaft vor Ort verifiziert werden konnten. So lässt sich dem Bericht des Vertrauensanwaltes vom 19. Juli 2002 entnehmen, dass die vom Beschwerdeführer angegebene Adresse in Kaduna tatsächlich existiert, er etwa auch über die in Kaduna gebräuchlichen Sprachen Bescheid wusste und insbesondere seine Ortsangaben zu Jos (Wohnadresse, weitere Straßennamen, Bezeichnung einer christlichen Kirche und der größten Moschee der Stadt) Bestätigung fanden. Es lässt sich deshalb nicht nachvollziehen, wenn die belangte Behörde dem Beschwerdeführer - wörtlich - "nicht einmal rudimentärste Kenntnisse bezüglich den örtlichen Gegebenheiten in Jos" zugesteht und insgesamt in ihrer Beweiswürdigung den Eindruck erweckt, der Beschwerdeführer habe über "ausgesprochen mangelhafte" Ortskenntnisse verfügt.
Auch der Vorwurf der belangten Behörde an den Beschwerdeführer, er habe im Laufe des Verfahrens keinen (im Wesentlichen) "gleichbleibenden Handlungshergang" zu seinen Fluchtgründen erstattet und lediglich "unzusammenhängende Eckpunkte einer Geschichte" erzählt, erweist sich bei näherer Überprüfung seines Vorbringens als unzutreffend. Sowohl im erstinstanzlichen als auch im Berufungsverfahren hat der Beschwerdeführer als fluchtauslösendes Ereignis die Ermordung seiner Eltern und Geschwister im Februar 2000 durch moslemische Fanatiker angegeben, hat überdies gleichbleibend ausgeführt, aus welchen Gründen er diesen Gewalttaten nicht zum Opfer gefallen ist und den weiteren Verlauf seiner Flucht nach Jos bzw. Lagos (jedenfalls in den Grundzügen) homogen geschildert. Dass er über die ausdrückliche Aufforderung des Verhandlungsleiters im Rahmen seiner zweiten Einvernahme vor der belangten Behörde, die Ereignisse noch einmal "ganz detailliert" und "genau" zu erzählen, erstmals zusätzlich erwähnte, er sei bereits vor den fluchtauslösenden Vorfällen einmal von Moslems gekidnappt und erst einige Tage später wieder freigelassen worden, lässt nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes den daraus gezogenen Schluss der belangten Behörde, der Beschwerdeführer modifiziere seine Fluchtgeschichte "nach Belieben", nicht ohne weiters zu. Auch die weiteren von der belangten Behörde gegen die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers ins Treffen geführten Widersprüche seiner Erzählung im Detail, etwa den Umstand, dass er seinen Vater ursprünglich als "christlichen Führer", später aber als "Sekretär der christlichen Gemeinde" bezeichnet hatte, haben kein solches Gewicht, dass sie für sich genommen geeignet wären, dem Beschwerdeführer - so die belangte Behörde - "jegliche persönliche Glaubwürdigkeit" abzuerkennen.
Vor allem hat es die belangte Behörde jedoch unterlassen, den realen Hintergrund der vom Beschwerdeführer vorgetragenen Fluchtgeschichte (religiöse Unruhen in Kaduna im Februar 2000; Bombenanschlag auf eine Kaserne in Lagos am 27. Jänner 2002, bei der seine letzte Gastfamilie ums Leben gekommen sei) in ihre Überlegungen einzubeziehen und die Glaubwürdigkeit seiner Behauptungen auch im Vergleich zu den diese Ereignisse betreffenden Berichten zu messen (vgl. zu diesem Erfordernis etwa das hg. Erkenntnis vom 30. September 2004, Zl. 2001/20/0135, mwN).
Da die belangte Behörde Asyl- und Refoulementschutz zugunsten des Beschwerdeführers ausschließlich wegen der von ihr angenommenen, jedoch nicht schlüssig begründeten Unglaubwürdigkeit seines Vorbringens verneint hat, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333. Das Kostenmehrbegehren war abzuweisen, weil ein EUR 991,20 übersteigender Betrag für Schriftsatzaufwand in der erwähnten Verordnung keine Deckung findet.
Wien, am 31. Mai 2005
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)