VwGH AW 2005/17/0060

VwGHAW 2005/17/00602.12.2005

Der Verwaltungsgerichtshof hat über den Antrag der A AG, vertreten durch CMS R-R H, Rechtsanwälte, der gegen den Bescheid der Finanzmarktaufsicht (Versicherungsaufsicht und Pensionskassenaufsicht) vom 1. August 2005, Zl. 9 021 071/5-FMA-II/2/05, betreffend Auftrag zur Verbesserung von Pensionskassenverträgen, erhobenen Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, den Beschluss gefasst:

Normen

BPG 1990 §3;
PKG 1990 §15 Abs4;
PKG 1990 §33 Abs2;
PKG 1990;
VwGG §30 Abs2;
BPG 1990 §3;
PKG 1990 §15 Abs4;
PKG 1990 §33 Abs2;
PKG 1990;
VwGG §30 Abs2;

 

Spruch:

Gemäß § 30 Abs. 2 VwGG wird dem Antrag stattgegeben.

Begründung

Die beschwerdeführende Partei bekämpft mit ihrer zur hg. Zl. 2005/17/0239 protokollierten Beschwerde den mit dem angefochtenen Bescheid erteilten Auftrag, näher bezeichnete Pensionskassenverträge dahingehend zu verbessern, dass maximal die Hälfte der vom Arbeitgeber zu entrichtenden Beträge variabel wie auf der Grundlage eines näher bezeichneten Gewinnbeteiligungssystems und mindestens die Hälfte der Beiträge betragsmäßig oder in fester Relation zu laufenden Entgelten oder Entgeltbestandteilen festgelegt sei.

Mit der Beschwerde ist der Antrag verbunden, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Begründet wird dieser Antrag damit, dass zwingende öffentliche Interessen der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung "offensichtlich" nicht entgegenstünden. Der Bescheid sei einem Vollzug zugänglich. Nach Ablauf der Frist des § 15 Abs. 4 Pensionskassengesetz (PKG), BGBl. Nr. 281/1990 in der Fassung durch die Novelle BGBl. I Nr. 97/2001, wäre der vorliegende Pensionskassenvertrag, dessen Änderung aufgetragen worden sei, nichtig und es müsste seine Rückabwicklung vorgenommen werden. In diesem Falle müsste - bei Nichtzuerkennung der aufschiebenden Wirkung - davon ausgegangen werden, dass die Verfolgung der "berechtigten Interessen der Beschwerdeführerin und der Anwartschafts- und Leistungsberechtigten, nämlich die Etablierung einer beitragsorientierten Pensionskassenzusage für die gesamten Dienstnehmer" vereitelt würde. Da es dem Dienstgeber "aus steuerlichen und betriebswirtschaftlichen Gründen" nicht möglich sei, das vorliegende Betriebspensionsmodell in kurzer Zeit dem Bescheid der belangten Behörde entsprechend umzustellen, würde bei Nichtzuerkennung der aufschiebenden Wirkung die Pensionskassenzusage vom Dienstgeber widerrufen werden. Damit wäre aber die Etablierung der betrieblichen Altersvorsorge für sämtliche Dienstnehmer gescheitert; es müssten von der beschwerdeführenden Partei die gesamten Pensionskassenzusagen unter einem "enormen Verwaltungs- und Kostenaufwand rückabgewickelt werden".

Die belangte Behörde hat in ihrer Stellungnahme zum Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung darauf hingewiesen, dass nach ihrer Ansicht das vorliegende Beitragsmodell nicht die erforderliche stabile Beitragsleistung gewähre. Es liege daher ein konkreter Missstand vor, der durch den angefochtenen Bescheid beseitigt werden solle. Auf Grund des öffentlichen Interesses am "Funktionieren der zweiten Säule der Altersvorsorge" und der Bedeutung des Vertrauens in dieses System sei davon auszugehen, dass im gegenständlichen Fall zwingende öffentliche Interesse der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung entgegenstünden. Es sei aber jedenfalls davon auszugehen, dass bei Abwägung aller berührten Interessen dem Interesse der Anwartschafts- und Leistungsberechtigten an der Leistung stabiler Beiträge der Vorzug gegenüber dem Interesse der beschwerdeführenden Partei einzuräumen sei.

Gemäß § 30 Abs. 1 erster Satz VwGG kommt den Beschwerden vor dem Verwaltungsgerichtshof eine aufschiebende Wirkung Kraft Gesetzes nicht zu. Gemäß § 30 Abs. 2 leg. cit. hat der Verwaltungsgerichtshof jedoch auf Antrag des Beschwerdeführers die aufschiebende Wirkung mit Beschluss zuzuerkennen, insoweit dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung aller berührten Interessen mit dem Vollzug oder mit der Ausübung der mit Bescheid eingeräumten Berechtigung durch einen Dritten für den Beschwerdeführer ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre.

Die belangte Behörde hält zwingende öffentliche Interessen für gegeben, die ihrer Auffassung nach den sofortigen Vollzug des angefochtenen aufsichtsbehördlichen Bescheides gebieten.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung dargetan hat, kann von zwingenden öffentlichen Interessen im Sinne des § 30 Abs. 2 VwGG nur gesprochen werden, wenn die konkrete Interessenlage öffentliche Rücksichten berührt, die einen umgehenden Vollzug des angefochtenen Bescheides gebieten. Der Umstand, dass öffentliche Interessen am Vollzug einer behördlichen Maßnahme bestehen, berechtigt nicht ohne Weiteres schon zur Annahme, dass eben diese Interessen auch eine sofortige Verwirklichung der getroffenen Maßnahmen zwingend gebieten. Hiezu bedarf es noch des Hinzutretens weiterer Umstände, um die öffentlichen Interessen als "zwingend" ansehen zu können (vgl. etwa den gleichfalls eine aufsichtsbehördliche Maßnahme nach dem Pensionskassengesetz betreffenden hg. Beschluss vom 20. Mai 1996, Zl. AW 96/17/0030, und die dort angeführte Rechtsprechung).

Dem Aufschub entgegenstehende zwingende öffentliche Interessen wurden in der Rechtsprechung im Wesentlichen stets dann angenommen, wenn mit dem Aufschub eine Gefahr für die Gesundheit und das Leben von Menschen (und zum Teil auch deren Eigentum) verbunden wäre; daneben lassen sich als relevante Gesichtspunkte die Gefährdung der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruches und des Abgabenanspruches als solchen sowie die Gefährdung der Versorgungslage breiterer Bevölkerungsteile (mit Wasser und Energie) erkennen (vgl. den bereits angeführten hg. Beschluss vom 20. Mai 1996, mwN).

Auch im Tätigkeitsbereich von Pensionskassen sind gewisse Gefährdungssituationen für die Anwartschafts- und Leistungsberechtigten und/oder Beitragspflichtigen denkbar, denen wirksam nur durch aufsichtsbehördliche Maßnahmen begegnet werden kann, wenn diese sofort - also noch während des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens - vollzogen werden. Ein solches qualifiziertes öffentliches Interesse am sofortigen Vollzug der bekämpften aufsichtsbehördlichen Anordnungen vermag der Verwaltungsgerichtshof im vorliegenden Fall allerdings weder aus dem angefochtenen Bescheid noch aus der Stellungnahme der belangten Behörde zum Aufschiebungsantrag der antragstellenden und beschwerdeführenden Partei zu entnehmen.

In der genannten Stellungnahme geht die belangte Behörde davon aus, dass durch den angefochtenen Bescheid ein konkreter Missstand, der die erforderliche stabile Beitragsleistung im vorliegenden Pensionskassensystem gefährde, beseitigt werden solle. Daraus lässt sich jedoch nicht entnehmen, dass die behaupteten Missstände schon während des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens das Funktionieren des Pensionskassensystems in der vorliegenden Form ohne spätere Korrekturmöglichkeit ernsthaft gefährden würde. Die Notwendigkeit einer sofortigen Umsetzung des angefochtenen Bescheides in die Wirklichkeit schon während des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist daher nicht erkennbar.

Ein zwingendes öffentliches Interesse im Sinne des § 30 Abs. 2 VwGG, welches die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde von vornherein entgegenstünde, liegt daher nicht vor.

Es ist daher in die Abwägung der Interessen im Sinn des § 30 Abs. 2 VwGG einzutreten.

Das volkswirtschaftliche Interesse an der Funktionsfähigkeit der Pensionskassen und die Interessen der Anwartschafts- und Leistungsberechtigten, denen die aufsichtsbehördlichen Befugnisse der belangten Behörde dienen, sind (öffentliche) Interessen im Sinne des § 30 Abs. 2 VwGG, die mit den Interessen der Pensionskasse, gegen die sich die aufsichtsbehördliche Maßnahme richtet, abzuwägen sind.

Was die erstgenannten Interessen anlangt, so hat der Verwaltungsgerichtshof dann, wenn das in der Beschwerde erstattete Vorbringen des Beschwerdeführers und Antragstellers nicht nach der Aktenlage von vornherein als unzutreffend zu erkennen ist, bei der Entscheidung über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung jedenfalls zunächst von den Sachverhaltsannahmen der belangten Behörde auszugehen. Unter den "Annahmen der belangten Behörde" sind dabei die Sachverhaltsfeststellungen im angefochtenen Bescheid zu verstehen, die nicht von vornherein als unschlüssig zu erkennen sind bzw. die ins Auge springende Mängel nicht erkennen lassen (vgl. den bereits zitierten hg. Beschluss vom 20. Mai 1996, mwN).

Auf Grund des angefochtenen Bescheides ist somit davon auszugehen, dass die vorliegenden Pensionskassenverträge und somit die dabei geübten Vorgangsweisen der antragstellenden und beschwerdeführenden Partei - nach Auffassung der belangten Behörde und entgegen der Meinung der genannten Partei - Anwartschafts- und Leistungsansprüche von Anwartschafts- und Leistungsberechtigten infolge einer nicht stabilen Beitragsleistung berühren (können). Die belangte Behörde führt damit ein öffentliches Interesse am Vollzug ihres Auftrages zur Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes ins Treffen.

Diesen Interessen an der Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes sind die Interessen der antragstellenden und beschwerdeführenden Partei gegenüberzustellen. Hiebei ist auch die Bestimmung des § 15 Abs. 4 PKG zu beachten: Danach hat die belangte Behörde die Pensionskasse mit der Verbesserung des Vertrages zu beauftragen, wenn dieser nicht den Vorschriften des Pensionskassengesetzes oder den Vorschriften des § 3 des Betriebspensionsgesetzes entspricht; kommt die Pensionskasse diesem Auftrag binnen längstens sechs Monaten nicht nach, so ist der Pensionskassenvertrag nichtig. Die antragstellende und beschwerdeführende Partei hat in diesem Zusammenhang nicht unschlüssig auf die Möglichkeit der Nichtigkeit der vorliegenden Pensionskassenverträge und die damit verbundenen Nachteile infolge der Rückabwicklung der Ansprüche sowie des Fehlens einer entsprechenden Regelung für die bisher Anspruchs- und Leistungsberechtigten hingewiesen.

Aber selbst dann, wenn man die Möglichkeit der Anpassung der bestehenden Pensionskassenverträge in dem durch den angefochtenen Bescheid vorgegebenen Sinn innerhalb der gesetzlichen Frist als möglich und durchführbar betrachten wollte, so wäre - im Falle des Obsiegens der beschwerdeführenden Partei vor dem Verwaltungsgerichtshof - damit ein beträchtlicher, durch die Anpassung betreffend die einzelnen Anspruchs- und Leistungsberechtigten entstehender Verwaltungsaufwand verbunden, welcher bei der vorzunehmenden Interessenabwägung entscheidend mit zu berücksichtigen wäre. Dieser zuletzt genannte beträchtliche Aufwand ist für den Fall eines späteren Obsiegens der Antragstellerin im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nämlich ein nicht wiederbringlicher Nachteil für sie. Er ist - ebenso wie das Interesse der Anspruchs- und Leistungsberechtigten am Fortbestehen der bisherigen (wenn auch nach Ansicht der belangten Behörde teilweise zu verbessernden) Regelung - dem Interesse an der Herstellung des gesetzmäßigen Vorgehens gegenüberzustellen, einem Interesse, von dem nicht hervorgekommen ist, dass ihm nicht auch noch nach Beendigung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens Rechnung getragen werden könnte, sondern dass es einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Bescheides geböte. Die von der beschwerdeführenden und antragstellenden Partei ins Treffen geführten Nachteile erweisen sich daher als unverhältnismäßig im Sinne des § 30 Abs. 2 VwGG.

Dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung war somit stattzugeben.

Wien, am 2. Dezember 2005

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