Normen
AVG §66 Abs2;
AVG §66 Abs4;
VwGG §42 Abs2 lita;
VwGG §42 Abs2 litb;
VwGG §42 Abs2 Z1 impl;
VwGG §42 Abs2 Z2 impl;
AVG §66 Abs2;
AVG §66 Abs4;
VwGG §42 Abs2 lita;
VwGG §42 Abs2 litb;
VwGG §42 Abs2 Z1 impl;
VwGG §42 Abs2 Z2 impl;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Aus der Aktenlage ergibt sich Folgendes:
Mit einem am 15. März 2004 ausgegebenen und am 29. März 2004 von der zuständigen Mitarbeiterin des Arbeitsmarktservice Wien Redergasse abgezeichneten Formular beantragte der Beschwerdeführer die Gewährung von Notstandshilfe.
In einer mit dem Beschwerdeführer beim Arbeitsmarktservice Wien Redergasse am 29. März 2004 aufgenommenen Niederschrift heißt es wörtlich:
"Ich beantrage hiermit einen Einstellungsbescheid warum ich 2001 eingestellt wurde".
Mit Bescheid des Arbeitsmarktservice Wien Redergasse vom selben Tag wurde festgestellt, dass dem Beschwerdeführer die Notstandshilfe ab 10. Mai 2001 gebühre. In der Begründung wurde nach der Wiedergabe einschlägiger Gesetzesbestimmungen wörtlich festgehalten:
"Sie haben sich am 10.05.01 wegen Krankenstand abgemeldet und sich erst am 15.03.04 wieder bei der regionalen Geschäftsstelle gemeldet."
Der Beschwerde zufolge wurde der Bescheid vom 29. März 2004 dem Beschwerdeführer am 2. April 2004 zugestellt, was in der Gegenschrift nicht bestritten wird. Aus dem Verwaltungsakt ergibt sich kein Hinweis auf ein anderes Zustelldatum.
In einem als Berufung bezeichneten handschriftlich verfassten Schriftsatz, der vom Beschwerdeführer unterzeichnet wurde, gibt dieser
"bekannt, dass ich am 31.01.2001 den Antrag abgegeben habe. Danach habe ich meinen Bescheid bekommen, dass ich einen Anspruch auf Notstandshilfe habe, vom 12.02.2001 bis 10.02.2002. Ich habe alle meine Termine eingehalten, laut Terminkarte/Beweiß/ war der letzte Termin am 05.04.2001. Der Betreuer verlangte eine Lohnbestätigung vom Hausbesorger und diese wurde am 23.04.2001 ausgestellt und abgegeben. Der Betreuer sagte mir, das ich abgelehnt wurde und das ich keinen Anspruch auf Notstandshilfe habe. /Beweiß/laut Stempel 04.05.2001. Mir wurde vom Betreuer gesagt, das ich mich nicht mehr bei AMS melden soll und habe keine weiteren Termine gehabt. Von dem 10.05.2001 bis zum 27.05.2001 war ich im Krankenstand. Nach dem Krankenstand war ich noch einmal beim Betreuer und er sagte mir, dass AMS nicht mehr für mich zuständig ist, sondern die WGKK. Zuletzt war ich am 31.01.2001 im AMS, beim gleichen Betreuer, wegen einer Bezugsbestätigungen und habe ihn nochmals, wegen meiner Leistungen angesprochen. Bis heute, habe ich noch keinen schriftlichen Bescheid bekommen, das ich keinen Anspruch habe."
Diesem Schriftsatz ist der Überschrift "Berufung" in einer Handschrift, die sich von jener des wiedergegebenen Textes unterscheidet, hinzugefügt "gg TAB 272 v. 29.3.04"; er enthält einen Eingangsvermerk der Poststelle des AMS Redergasse vom 21. April 2004. Die "Berufung" ist dem Eingangsvermerk zufolge, der offensichtlich in derselben Handschrift wie der eben erwähnte Zusatz geschrieben wurde, vom Beschwerdeführer am 21. April 2004 persönlich beim Arbeitsmarktservice abgegeben worden.
Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde "über die Berufung vom 21.4.2004 gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice Redergasse vom 29. 3. 2004" dahin entschieden, dass sie den Bescheid des Arbeitsmarktservice Redergasse vom 29. März 2004 "behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde erster Instanz zurückverwiesen" hat.
In der Begründung führte die belangte Behörde wörtlich aus:
"Mit den eingangs angeführten Bescheid wurde über den Anfallstag Ihrer Notstandshilfe abgesprochen. Begründet wurde die Entscheidung damit, dass Sie sich erst am 15.4.2004 wieder bei der regionalen Geschäftsstelle gemeldet haben.
Dagegen haben Sie berufen und ua. eingewendet, dass Sie alle ihre Termine eingehalten haben. Seitens des Betreuers wurde Ihnen im Jahre 2001 mitgeteilt, dass Sie keinen Anspruch auf Notstandshilfe haben und Sie sich daher auch nicht mehr beim Arbeitsmarktservice melden müssen.
Im Rahmen des Berufungsverfahrens wurde Ihr Leistungsakt einer nochmaligen eingehenden Überprüfung unterzogen und folgender Sachverhalt festgestellt:
Anlässlich Ihrer Vorsprache am 29.3.2004 beim Arbeitsmarktservice Redergasse ersuchten Sie niederschriftlich um einen Bescheid, warum Ihre Leistung im Jahre 2001 eingestellt wurde.
Da mit dem oa. Bescheid nicht über die Einstellung der Notstandshilfe sondern über den Anfallstag abgesprochen wurde, war dieser zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuerlichen Bescheides an das Arbeitsmarktservice Redergasse zurückzuverweisen."
Mit Bescheid vom 24. Mai 2004 hat das Arbeitsmarktservice Wien Redergasse ausgesprochen, dass der Beschwerdeführer für den Zeitraum vom 10. Mai 2001 bis zum 14. März 2004 keine Notstandshilfe erhalte. In der Begründung heißt es:
"Sie haben sich per 10.05.2001 wegen Krankenstand vom Leistungsbezug abgemeldet und sich erst am 15.03.2004 wieder bei der regionalen Geschäftsstelle gemeldet."
Gegen diesen Bescheid hat der Beschwerdeführer Berufung erhoben, über die nach der Aktenlage noch nicht entschieden worden ist.
Die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde richtet sich gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 10. Mai 2004.
Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die belangte Behörde hat in Stattgebung der Berufung des Beschwerdeführers den von diesem bekämpften Bescheid behoben. Der Beschwerdeführer bekämpft diesen Berufungsbescheid mit der Begründung, seine Berufung hätte als verspätet zurückgewiesen werden müssen. In einer solchen Konstellation stellt sich die Frage, ob der Beschwerdeführer durch die - anscheinend begünstigende - Sachentscheidung in Rechten verletzt sein kann, wenn diese Rechtsverletzung nur darin erblickt wird, dass die Berufung nicht als verspätet zurückgewiesen wurde.
Ob der angefochtene Bescheid den Beschwerdeführer begünstigt oder ob er nachteilig in seine Rechte eingreift, ist nicht nach dem Berufungsvorbringen oder gar aus dem Blickwinkel einer nicht rechtsanwaltlich vertretenen Partei zu beurteilen, sondern nach objektiven Kriterien. Legt man diese an, so besteht kein Zweifel daran, dass der erstinstanzliche Bescheid, welcher antragsgemäß feststellte, dass dem Beschwerdeführer ab dem 10. Mai 2001 Notstandshilfe gebührt, den Beschwerdeführer objektiv begünstigt hat, wenngleich er auf Grund des oben wiedergegebenen Begründungselements der irrigen Meinung war (oder mit einer solchen Meinung konfrontiert worden ist), dass die regionale Geschäftsstelle das Nichtgebühren der Notstandshilfe ab diesem Zeitpunkt aussprechen wollte und er nur aus diesem Irrtum Berufung erhoben hat. Wenn bei dieser Sachlage in Erledigung der Berufung des Beschwerdeführers der begünstigende Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG ersatzlos behoben wird, dann greift dieser Berufungsbescheid objektiv in Rechte des Beschwerdeführers ein. In diesem Fall kann die Rechtsverletzung ausnahmsweise auch darin liegen, dass die Behörde in der Sache entschieden hat, obgleich sie verpflichtet gewesen wäre, das Rechtsmittel zurückzuweisen.
Die Beschwerde ist daher zulässig.
Der Beschwerdeführer macht weiters geltend, dass er die
Berufung verspätet eingebracht habe.
Gemäß § 56 AlVG ist gegen Bescheide der regionalen
Geschäftsstelle die Berufung an die Landesgeschäftsstelle zulässig.
Nach Art II. Abs. 2 lit. D. Z 41 EGVG ist das AVG, dessen
§ 64 jedoch nur, wenn nicht anderes ausdrücklich bestimmt ist, auf das behördliche Verfahren der Landesgeschäftsstellen und der regionalen Geschäftsstellen des Arbeitsmarktservice anzuwenden.
Gemäß § 63 Abs. 5 AVG ist die Berufung von der Partei binnen zwei Wochen bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat. Die Frist beginnt für jede Partei mit der an sie erfolgten Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des Bescheides, im Fall bloß mündlicher Verkündung mit dieser.
Nach § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen, wenn der der Berufungsbehörde vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.
Nach Abs. 4 leg. cit. hat die Berufungsbehörde außer dem in Abs. 2 erwähnten Fall, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60) ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.
Eine Entscheidung nach § 66 Abs. 2 AVG hat eine zulässige und rechtzeitige Berufung zur Voraussetzung. Eine solche Entscheidung ist inhaltlich rechtswidrig, wenn die Berufung als verspätet zurückzuweisen gewesen wäre (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren I2, E 343f ff zu § 66 AVG wiedergegebene Rechtsprechung).
Der Bescheid vom 29. März 2004 wurde dem Beschwerdeführer am 2. April 2004 zugestellt. Die Berufung, über die die belangte Behörde gemäß § 66 Abs. 2 AVG entschieden hat, wurde vom Beschwerdeführer am 21. April 2004 der Behörde übergeben. In diesem Zeitpunkt war die zweiwöchige Berufungsfrist bereits abgelaufen, die Berufung somit verspätet eingebracht. Nach der wiedergegebenen Rechtsprechung hätte die belangte Behörde die Berufung als verspätet zurückweisen müssen. Insofern hat sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet. Dieser war gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Zur Vermeidung von Missverständnissen weist der Verwaltungsgerichtshof darauf hin, dass er sich auf die Erörterung und Beurteilung der objektiven Wirkungen des angefochtenen Bescheides bei Beurteilung der Zulässigkeit der Beschwerde unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Rechtsverletzung, bei Beurteilung ihrer Begründetheit auf den einer tatsächlich geschehenen Rechtsverletzung zu beschränken hat. Wie aber der erstinstanzliche Bescheid, der damit als in Rechtskraft erwachsen beurteilt werden muss, angesichts des Widerspruchs von Spruch und Begründung auszulegen ist, ist mit diesem Erkenntnis ebenso wenig beantwortet, wie die Frage, ob die Voraussetzungen für eine Berichtigung gemäß § 64 Abs. 2 AVG oder jene für eine amtswegige Behebung dieses Bescheides gemäß § 57 AlVG iVm § 68 Abs. 4 Z 4 AVG vorliegen, da die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid auf diese Bestimmungen weder ausdrücklich gestützt noch (zumindest) erkennbare Erwägungen zum Vorliegen der Voraussetzungen für eine der genannten Vorgangsweisen angestellt hat.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl II Nr. 333. Nach der genannten Verordnung steht dem Beschwerdeführer Ersatz für den Schriftsatzaufwand in der Höhe von EUR 991,20 zu, in welchem Betrag auch die Mehrwertsteuer enthalten ist. Das Mehrbegehren war daher abzuweisen.
Wien, am 16. November 2005
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