VwGH 2003/11/0111

VwGH2003/11/011124.2.2005

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Gall, Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über den Antrag des L in B, vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh, Rechtsanwalt in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, auf Wiederaufnahme der mit Erkenntnis vom 20. Jänner 1998, Zlen. 96/11/0104, 97/11/0154 und 97/11/0372, abgeschlossenen verwaltungsgerichtlichen Verfahren, den Beschluss gefasst:

Normen

B-VGNov betreffend Staatsverträge 1964;
MRK Art41 idF 1998/III/030;
MRK Art46 Abs1 idF 1998/III/030;
EMRK Art53;
MRK Art6 Abs1 idF 1998/III/030;
MRKZP 11te;
StPO 1975 §363a idF 1996/762;
VwGG §45 Abs1 Z4;
VwGG §45 Abs1;
B-VGNov betreffend Staatsverträge 1964;
MRK Art41 idF 1998/III/030;
MRK Art46 Abs1 idF 1998/III/030;
EMRK Art53;
MRK Art6 Abs1 idF 1998/III/030;
MRKZP 11te;
StPO 1975 §363a idF 1996/762;
VwGG §45 Abs1 Z4;
VwGG §45 Abs1;

 

Spruch:

Dem Antrag wird nicht stattgegeben.

Begründung

Mit dem genannten Erkenntnis vom 20. Jänner 1998 wies der Verwaltungsgerichtshof einerseits die Beschwerden des nunmehrigen Antragstellers betreffend Versagung der Bewilligung der freiberuflichen Ausübung des physiotherapeutischen Dienstes und betreffend Zurückweisung eines neuerlichen Antrages auf eine diesbezügliche Bewilligung sowie andererseits einen Antrag des Landesgerichtes Feldkirch betreffend Feststellung nach § 11 Abs. 1 AHG ab.

Mit Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) vom 10. April 2003, Beschwerde Nr. 43454/98, Bakker gg. Österreich (= ÖJZ 2003, 30 MRK 659), wurde eine Verletzung des Art. 6 Abs. 1 EMRK durch das zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Jänner 1998 festgestellt, weil die vom damaligen Beschwerdeführer beantragte mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht stattgefunden hat. Gleichzeitig entschied der EGMR, dass die Feststellung einer Konventionsverletzung eine ausreichende Entschädigung in Bezug auf immateriellen Schaden darstelle und dass die Republik Österreich dem Beschwerdeführer EUR 4.500,-- für Kosten und Auslagen zu bezahlen habe. Den Rest des Begehrens des Beschwerdeführers auf gerechte Entschädigung wies der EGMR ab.

Mit dem vorliegenden Antrag vom 24. April 2003 wird die Wiederaufnahme der zu den hg. Zlen. 96/11/0104, 97/11/0154 und 97/11/0372 abgeschlossenen Beschwerdeverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z. 4 VwGG begehrt. Gemäß der letztgenannten Bestimmung sei die Wiederaufnahme eines mit Erkenntnis abgeschlossenen Verfahrens zu bewilligen, wenn im Verfahren vor dem Gerichtshof den Vorschriften über das Parteiengehör nicht entsprochen wurde und anzunehmen ist, dass sonst das Erkenntnis anders gelautet hätte. Dem Parteiengehör diene auch eine mündliche Verhandlung, sodass nach Rechtsansicht des Antragstellers die entgegen den Vorschriften der EMRK unterlassene mündliche Verhandlung einen "Anwendungsfall des § 45 Abs. 1 Z. 4 VwGG oder einen analog zu behandelnden Fall" darstelle.

Der die "Wiederaufnahme des Verfahrens" regelnde § 45 VwGG lautet auszugsweise:

"§ 45. (1) Die Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis oder Beschluss abgeschlossenen Verfahrens ist auf Antrag einer Partei zu bewilligen, wenn

1. das Erkenntnis oder der Beschluss durch eine gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden ist oder

2. das Erkenntnis oder der Beschluss auf einer nicht von der Partei verschuldeten irrigen Annahme der Versäumung einer in diesem Bundesgesetz vorgesehenen Frist beruht oder

3. nachträglich eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung bekannt wird, die in einem Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof die Einwendung der entschiedenen Sache begründet hätte oder

4. im Verfahren vor dem Gerichtshof den Vorschriften über das Parteiengehör nicht entsprochen wurde und anzunehmen ist, dass sonst das Erkenntnis oder der Beschluss anders gelautet hätte oder

5. das Verfahren vor dem Gerichtshof wegen Klaglosstellung oder wegen einer durch Klaglosstellung veranlassten Zurückziehung der Beschwerde eingestellt, die behördliche Maßnahme, die die Klaglosstellung bewirkt hatte, jedoch nachträglich behoben wurde.

(2) Der Antrag ist beim Verwaltungsgerichtshof binnen zwei Wochen von dem Tag, an dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, jedoch spätestens binnen drei Jahren nach der Zustellung des Erkenntnisses oder Beschlusses zu stellen.

(3) Über den Antrag ist in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zu entscheiden.

(4) ..."

Die Feststellung einer Verletzung der EMRK ist im § 45 VwGG nicht als Grund für eine Wiederaufnahme des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof angeführt (vgl. den hg. Beschluss vom 22. November 2004, Zl. 2004/10/0032). Die Berufung auf die Z. 4 des § 45 Abs. 1 VwGG verhilft dem Beschwerdeführer schon deshalb nicht zum Erfolg, weil die Wiederaufnahme nach dieser Bestimmung voraussetzt, dass das Erkenntnis bei Gewährung des Parteiengehörs anders gelautet hätte, was gegenständlich aber nicht der Fall ist (vgl. zur Rechtsprechung des EuGH, auf die sich der vorliegende Wiederaufnahmeantrag stützt, bereits die Ausführungen im genannten Erkenntnis, Zlen. 96/11/0104, 97/11/0154 und 97/11/0372). Die Frage, ob eine Wiederaufnahme für den Fall der Feststellung einer Konventionsverletzung durch den EGMR im Lichte der EMRK für geboten erachtet wird, hat der Verwaltungsgerichtshof im zitierten Beschluss, Zl. 2004/10/0032, mit folgender Begründung verneint:

"Soweit mit einem Urteil des EGMR eine Konventionsverletzung festgestellt wird, handelt es sich - abgesehen von einem Ausspruch nach Art. 41 MRK - um ein Feststellungsurteil. Offen ist dabei die Frage der Tragweite der aus Art. 46 Abs. 1 MRK erwachsenden Verpflichtungen (vgl. zum Folgenden Okresek, Art. 46 MRK in: Korinek/Holoubek (Hrsg), Bundesverfassungsrecht, Rz 6 f).

Art. 46 Abs. 1 MRK (vormals: Art. 53) in der Fassung des

11. ZP MRK hat folgenden Inhalt:

'Die Hohen Vertragsschließenden Teile verpflichten sich, in allen Rechtssachen, in denen sie Partei sind, das endgültige Urteil des Gerichtshofes zu befolgen.'

Nach herrschender Lehre beinhaltet diese Bestimmung eine völkerrechtliche Verpflichtung, verleiht den Urteilen des EGMR jedoch keine unmittelbare innerstaatliche Wirkung; dies selbst dann nicht, wenn die Europäische Menschenrechtskonvention - wie in Österreich - unmittelbar anwendbares Verfassungsrecht ist (vgl. Mayer, Zivilrechtsbegriff und Gerichtszuständigkeit, ZfV 1988, 473 ff, (482)). Ein Urteil des EGMR kann den betreffenden konventionswidrigen Akt daher weder abändern noch aufheben (vgl. etwa Frowein/Peukert, MRK-Kommentar 2, 1996, 725 Rz 3; ferner Villiger, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention2, 1999, Rz 225).

Der EGMR betont in ständiger Rechtsprechung, dass es dem betroffenen Staat obliege, die Mittel zu wählen, die in seiner innerstaatlichen Rechtsordnung heranzuziehen sind, um seinen Verpflichtungen gemäß Art. 46 MRK nachzukommen (vgl. z.B. EGMR 13.6.1979, Marckx gg. Belgien, EuGRZ 1979, 454 ff (460); EGMR 26.10.1988, Norris gg. Irland, ÖJZ 1989, 628 ff (631); EGMR 25.2.1997, Z gg. Finnland, ÖJZ 1998, 152 ff (155)); ferner Ress, Wirkung und Beachtung der Urteile und Entscheidungen der Straßburger Konventionsorgane, EuGRZ 1996, 350 ff). Er hat auch entschieden, dass sich aus der Konvention nicht eine Pflicht des betroffenen Staates zur Wiederaufnahme des Verfahrens oder zur Durchführung irgendwelcher Verwaltungsmaßnahmen ableiten lasse (EGMR 20.9.1993, Saidi gg. Frankreich, ÖJZ 1994, 322 ff (323); bestätigt in der Entscheidung der EKMR 18.10.1995, Kremzow gg. Österreich, ÖJZ 1996, 114 f (115)).

Seit dem Strafrechtsänderungsgesetz 1996, BGBl. Nr. 762, besteht zwar bei Konventionsverletzungen im Rahmen eines Strafverfahrens die Möglichkeit einer Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 363a StPO. Diese Regelung wurde aber nicht in dem Verständnis getroffen, dass sie auf Grund der MRK geboten sei. Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage betonen vielmehr, es sei anerkannt, dass Art. 6 Abs. 1 MRK die Mitgliedstaaten nicht verpflichte, in ihrem innerstaatlichen Recht in jedem Fall eine Aufhebung jener Entscheidung vorzusehen, in Bezug auf welche eine Verletzung der Konvention festgestellt wurde; sie räumen lediglich ein, dass eine Verpflichtung zur 'restitutio in integrum' jedenfalls insoweit anzunehmen sei, als das der innerstaatlichen Entscheidung zugrunde liegende innerstaatliche Recht einer konventionskonformen Auslegung zugänglich sei (vgl. AB BlgNR XX. GP, 64 f).

Auch der Verfassungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang die Auffassung vertreten, aus der MRK könne ein verfassungsrechtliches Gebot, wonach in jedem Fall einer vom EGMR festgestellten Konventionsverletzung das Verfahren innerstaatlich wieder aufzunehmen ist, nicht abgeleitet werden (vgl. das Erkenntnis vom 2. Dezember 2002, VfSlg. 16.747)."

Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage lässt sich angesichts der Art der hier festgestellten Konventionsverletzung unter den Umständen des vorliegenden Falles aus Art. 46 MRK keine Verpflichtung ableiten, die abgeschlossenen Verfahren wieder aufzunehmen.

Dem vorliegenden Antrag auf Wiederaufnahme war daher nicht stattzugeben.

Wien, am 24. Februar 2005

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