VwGH 2002/15/0181

VwGH2002/15/018122.12.2005

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Fuchs, Dr. Zorn und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Twardosz, LL.M., über die Beschwerde des E in S, vertreten durch Dr. Franz Hofbauer, Rechtsanwalt in 3370 Ybbs, Hauptplatz 6, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 31. Juli 2002, Zl. RV/704-16/2001, betreffend (erhöhte) Familienbeihilfe, zu Recht erkannt:

Normen

FamLAG 1967 §6 Abs2 litd;
FamLAG 1967 §6 Abs5;
FamLAG 1967 §6 Abs2 litd;
FamLAG 1967 §6 Abs5;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der am 1. September 1956 geborene Beschwerdeführer stellte im Mai 2001 durch seinen Sachwalter einen Antrag auf Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe ab Einstellung des Bezuges dieser Beihilfe durch seinen Vater (Dezember 2000).

Das Finanzamt wies mit Bescheid vom 9. Juli 2001 den Antrag ab. Aus den Unterlagen gehe hervor, dass sich der Beschwerdeführer im "Haus der Geborgenheit" in stationärer Pflege befinde. Er sei den Sorgen um seine Lebensführung weitgehend enthoben, seine geistige Behinderung finde eine den Umständen erforderliche "Pflegebetreuung" und auch die ärztliche Betreuung sei durch die Institution gegeben. Seine Unterbringung sei daher als Anstaltspflege zu betrachten. Die erhöhte Familienbeihilfe stehe daher nicht zu, weil er nur einen Teil der Unterbringungs- und Pflegekosten trage.

In der Berufung vom 16. Juli 2001 beantragte der Beschwerdeführer die Abänderung des Bescheides im Sinne der Berufung bereits durch das Finanzamt, andernfalls die unmittelbare Vorlage an die Oberbehörde. Bei der Unterbringung des Beschwerdeführers im genannten Haus handle es sich um eine Heimunterbringung.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. In der Begründung wurde nach einer Darstellung des Verwaltungsgeschehens und Gesetzeszitaten ausgeführt, neben der Frage, ob eine Heim- oder Anstaltspflege vorliege, sei in erster Linie von Bedeutung, ob der Beschwerdeführer vor der Vollendung seines 21. Lebensjahres zufolge seines Leidens dauernd außer Stande gewesen sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Im ärztlichen Zeugnis einer Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie vom 15. November 1979 werde im Hinblick auf die schwere Soziopathie des Beschwerdeführers seine voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, bescheinigt. Der Amtsarzt der Bezirkshauptmannschaft habe im Schreiben vom 16. November 1979 dazu ausgeführt, dass augenblicklich nicht abgeschätzt werden könne, ob dieser Umstand dauernd sein werde oder nicht.

Erhebungen des Finanzamtes beim Sozialversicherungsträger hätten ergeben, dass der Beschwerdeführer in den Jahren 1986 bis 1993 bei einer Marktgemeinde beschäftigt gewesen sei. Er habe in den Jahren 1987 und 1989 bis 1991 einen Lohn erzielt, der über dem Richtsatz des § 293 ASVG (für die Gewährung der Ausgleichszulage) gelegen sei. Er habe sich daher zumindest in diesen Jahren - weit nach der Vollendung seines 21. Lebensjahres - den notwendigen Unterhalt verschaffen können. Die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 lit. d FLAG seien daher nicht gegeben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 6 Abs. 5 FLAG (in der Fassung BGBl. Nr. 311/1992) haben Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und die sich nicht auf Kosten der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe in Heimerziehung befinden, unter den selben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3).

§ 6 Abs. 5 FLAG bezweckt - bei Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 bis 3 leg. cit. - die Gleichstellung von Kindern, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten, mit Vollwaisen, für die niemand unterhaltspflichtig ist und die deshalb einen eigenen Anspruch auf Familienbeihilfe haben. Der Gesetzgeber will mit dieser Bestimmung in jenen Fällen Härten vermeiden, in denen Kinder sich weitgehend selbst erhalten müssen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 12. Dezember 1995, 95/14/0066). Die Bestimmung vermittelt somit grundsätzlich nur solange einen Eigenanspruch des Kindes auf Familienbeihilfe, als von einer aufrechten Unterhaltspflicht der Eltern auszugehen ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. September 1995, 95/13/0007).

Nach der Absicht des Gesetzgebers soll in Fällen, in denen der Unterhalt einer Person durch die Unterbringung in Anstaltspflege oder einem Heim durch die öffentliche Hand sichergestellt ist, kein Anspruch auf Familienbeihilfe nach § 6 Abs. 5 FLAG bestehen. Dabei kommt es nicht auf die Art der Unterbringung (Bezeichnung als Anstalt oder Heim), sondern ausschließlich auf die gänzliche Kostentragung durch die öffentliche Hand an (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. April 2002, 99/15/0210).

Von den im § 6 Abs. 5 FLAG verwiesenen allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen nach Abs. 1 bis 3 kommt im Beschwerdefall jene des § 6 Abs. 2 lit. d FLAG in Betracht. § 6 Abs. 2 lit. d FLAG räumt volljährigen Vollwaisen Anspruch auf Familienbeihilfe ein, wenn sie wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausübung, jedoch spätestens vor Vollendung des 27. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außer Stande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, und sich in keiner Anstaltspflege befinden.

Die belangte Behörde hat sich mit dem Bestehen einer Unterhaltspflicht der Eltern des Beschwerdeführers (vgl. zum Unterhaltsanspruch eines eine Eigenpension beziehenden Kindes gegenüber den Eltern das Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 17. September 2002, 10 Ob S 37/02 t) ebenso wenig beschäftigt wie mit der Frage der Kostentragung der Unterbringung des Beschwerdeführers im genannten Haus. Die belangte Behörde hat vielmehr die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 lit. d FLAG verneint. Hiebei ist sie davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer nach den Ermittlungen beim Sozialversicherungsträger bei einer Marktgemeinde beschäftigt gewesen ist und davon in vier Jahren einen den Richtsatz des § 293 ASVG übersteigenden Lohn erzielt hat. Nach den von der belangten Behörde angesprochenen Versicherungsdatenauszug des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger ging der Beschwerdeführer von 1972 bis 1984 zeitweise und ab Oktober 1986 bis April 1993 einer Beschäftigung nach. Seit 1. August 1993 steht er im Bezug einer Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit von der (damaligen) Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter.

Der Beschwerdeführer wendet dagegen ein, er habe seine Tätigkeit für die Gemeinde auf einem "geschützten Arbeitsplatz" ausgeübt. Dieser Arbeitsplatz sei auch für Behinderte mit einem Grad von mehr als 50 % Behinderung vorgesehen. Dieser Grad der Behinderung sei auch eine Anspruchsvoraussetzung für die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe. Seine Tätigkeit für die Gemeinde sei dem Finanzamt bekannt gewesen und sei trotzdem bis ins Jahr 2000 Familienbeihilfe (an seinen Vater) gewährt worden.

Die Beschwerde ist nicht begründet. Der Tatbestand des § 6 Abs. 2 lit. d FLAG stellt nicht auf eine konkrete Höhe des Grades der Behinderung ab, sondern auf das Fehlen der Fähigkeit, sich den Unterhalt zu verschaffen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. November 2004, 2002/15/0134). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes widerlegt eine mehrjährige berufliche Tätigkeit die Annahme, das Kind sei infolge seiner Behinderung außer Stande gewesen, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 21. Februar 2001, 96/14/0159). Im Beschwerdefall kann in Anbetracht der aufgezeigten Beschäftigungsverhältnisse nicht die Rede davon sein, dass der Beschwerdeführer dauernd außer Stande war, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Nach dem - bereits dem Finanzamt - vorliegenden Ermittlungsergebnis hat der Beschwerdeführer einen Anspruch auf eine eigene Pension erworben und wurde ihm eine solche auch wegen geminderter Arbeitsfähigkeit zuerkannt.

Da die von der belangten Behörde festgestellten Beschäftigungsverhältnisse des Beschwerdeführers die für seinen Anspruch auf Familienbeihilfe notwendige Annahme widerlegen, er wäre infolge seiner Behinderung dauernd außer Stande gewesen, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, hat die belangte Behörde den geltend gemachten Anspruch zu Recht abgewiesen, ohne dass sie auf die weiteren - kumulativ geforderten - Voraussetzungen des § 6 Abs. 5 FLAG hat eingehen müssen.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 22. Dezember 2005

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