VwGH 2002/08/0281

VwGH2002/08/028121.12.2005

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Köller und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des W in W, vertreten durch Dr. Roland Neuhauser, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Brahmsplatz 7/7, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 31. Oktober 2002, Zl. MA 15-II-P 48/2002, betreffend Herstellung des gesetzlichen Zustandes gemäß § 101 ASVG (mitbeteiligte Partei: Pensionsversicherungsanstalt, vertreten durch Dr. Anton Paul Schaffer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 17/16), zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §101;
ASVG §101;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundesministerin für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz) Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 und der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1. Mit Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten vom 14. Jänner 1985 wurde u.a. für die Zeiten vom 1. Juli 1941 bis 30. September 1942 und vom 1. Oktober 1942 bis 17. Mai 1943 die Feststellung der Nachversicherung des Beschwerdeführers nicht durchgeführt. In der Begründung wurde hiezu ausgeführt, dass die vom Beschwerdeführer im erstgenannten Zeitraum durchgeführte Tätigkeit als "Jungmann" kein Dienstverhältnis dargestellt habe, aus dem ihm ein Anspruch auf Ruhegenuss gewährleistet gewesen sei. Zum zweitgenannten Zeitraum wurde ausgeführt, die Gewährung von Unterhaltszuschüssen stelle kein Entgelt im Sinne des § 160 RVO dar.

In dem dagegen erhobenen Einspruch führte der Beschwerdeführer aus, er habe als "Jungmann" gegen Entgelt eine Bürotätigkeit und "eine Lerntätigkeit" ausgeübt. Er vermute, dass diese Tätigkeit wie bei anderen Berufssparten als "Ersatzzeit" gelte. Nach den Grundsätzen des ASVG sollten Zeiten, die nach Einführung dieses Gesetzes der Pensionsversicherung unterliegen und vorher aus irgendwelchen Gründen keiner Pensionsversicherungspflicht unterlegen seien, als Pensionszeiten gelten. Er beantrage, die Beschäftigungszeiten als "Jungmann" als Ersatzzeiten anzurechnen.

Im Vorlagebericht an den Landeshauptmann von Wien führte die Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten aus, der Beschwerdeführer sei am 1. Juli 1941 als "Jungmann" außerhalb des Beamtenverhältnisses in die gehobene Laufbahn der Reichsfinanzverwaltung einberufen worden. Da die Tätigkeit als "Jungmann" kein Dienstverhältnis darstelle, aus dem ein Anspruch auf Ruhegenuss gewährleistet worden sei, habe die Feststellung der Nachversicherung für die Zeit vom 1. Juli 1941 bis 30. September 1942 nicht erfolgen können. Hinsichtlich des Zeitraumes 1. Oktober 1942 bis 17. Mai 1943 sei auszuführen, dass der Beschwerdeführer laut Note der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 2. Juni 1953 in der gegenständlichen Zeit einen monatlichen Unterhaltszuschuss in der Höhe von 140 Reichsmark bezogen habe. Es fehle eine der Grundvoraussetzungen für die Feststellung der Nachversicherung, nämlich eine Dienstleistung gegen Entgelt. Die geleisteten Unterhaltsbeihilfen stellten kein Entgelt im Sinne der Bestimmungen des § 160 RVO dar.

Mit dem unangefochten gebliebenen Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 18. April 1985 wurde festgestellt, dass u.a. die Zeiten vom 1. Juli 1941 bis 30. September 1942 und vom 1. Oktober 1942 bis 17. Mai 1943 gemäß § 531 ASVG nicht nachzuversichern seien.

In der Begründung wurde ausgeführt, § 531 ASVG bringe klar zum Ausdruck, dass der Antragsteller in einem Dienstverhältnis gestanden sein müsse, für dessen Entstehen die Entlohnung in Form eines Entgelts wesentlich sei. Hierbei komme es nicht darauf an, dass der Betroffene für Tätigkeiten irgendwelcher Art Geldbeträge bekommen habe. Die erhaltenen Geldbeträge müssten auf Grund eines Dienstverhältnisses besonderer Art, nämlich eines pensionsversicherungsfreien Dienstverhältnisses gebührt haben. Der Beschwerdeführer habe lediglich vorgebracht, in den von ihm beanspruchten Zeiten als "Jungmann" Büro- und Lerntätigkeiten ausgeübt zu haben. Er habe ein pensionsversicherungsfreies Dienstverhältnis während dieser Zeiträume weder behauptet noch nachgewiesen. Durch die dem Beschwerdeführer erstatteten Unterhaltsbeiträge, die nach der Aktenlage außerhalb eines Beamtenverhältnisses gewährt worden seien, sei die erforderliche Entgeltlichkeit nicht erfüllt. Das gelte auch für faktisch freiwillig geleistete Unterhaltsbeträge für nicht verwendete Beamte.

2. Am 21. Juni 1985 stellte der Beschwerdeführer den Antrag auf Gewährung einer vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer. Diesem gab die Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten Folge und sprach mit Bescheid vom 3. April 1986 aus, der Anspruch des Beschwerdeführers auf vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer gemäß § 270 i.V.m.

§ 253b ASVG beginne mit 1. August 1985. Nach der diesem Bescheid angeschlossenen Beilage zur Pensionsberechnung wurden 514 Versicherungsmonate nach dem ASVG und ein Versicherungsmonat nach dem GSVG berücksichtigt.

3. Mit Schreiben vom 10. Juli 1990 stellte der Beschwerdeführer den Antrag auf Neuberechnung seiner Pension zum 1. August 1990 (Vollendung des 65. Lebensjahres am 26. Juli 1990) und ersuchte, hierbei die Zeiten von 1. Juli 1941 bis 30. September 1942, von 1. Oktober 1942 bis 17. Mai 1943, von 12. August 1943 bis 23. August 1943 und vom 4. März 1946 bis 31. März 1946 zu berücksichtigen.

Die Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten antwortete mit Schreiben vom 8. August 1990. Demnach gelte die ursprünglich gewährte vorzeitige Alterspension auf Grund der Vollendung des 65. Lebensjahres des Beschwerdeführers als Alterspension. Die Pensionshöhe bleibe jedoch unverändert, weil der Beschwerdeführer seit dem seinerzeitigen Stichtag keine Beitragsmonate der Pflichtversicherung erworben habe. Damit werde das Schreiben des Beschwerdeführers als erledigt betrachtet. Falls er dennoch eine bescheidmäßige Erledigung wünsche, müsste ihm ein Ablehnungsbescheid erteilt werden.

4. Mit Schreiben vom 9. März 2001 beantragte der Beschwerdeführer die Überprüfung seiner Versicherungszeiten sowie die Anrechnung der Zeit als "Jungmann" als Ersatzzeit.

Mit Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten vom 31. Juli 2001 wurde der Bescheid vom 3. April 1986 über die Gewährung einer vorzeitigen Alterspension gemäß § 101 ASVG berichtigt. Nach der im Akt erliegenden Pensionsberechnung und dem "Ermittlungsblatt-Versicherungsverlauf PVANG" wurden dem Beschwerdeführer für den Zeitraum von Juli 1941 bis September 1942, in welchem er als "Jungmann" in der Finanzverwaltung tätig war, weitere 15 Versicherungsmonate gemäß § 228 Abs. 1 Z. 9 ASVG angerechnet und auf Grund dessen die Alterspension des Beschwerdeführers rückwirkend ab Pensionsbeginn neu berechnet. (Die Zeit seiner Tätigkeit als "Finanzanwärter" wurde jedoch auch im Berichtigungsbescheid vom 31. Juli 2001 nicht berücksichtigt.)

5. Mit Schreiben vom 10. Oktober 2001 stellte der Beschwerdeführer den "Antrag auf Ergänzung meines Antrages vom 1. August 1985 (auf vorzeitige Alterspension) um die Versicherungszeiten als Finanzanwärter in der Reichsfinanzverwaltung vom 1. Oktober 1942 bis 17. Mai 1943". Die Bezüge seien den damaligen Bestimmungen entsprechend sozialrechtlich behandelt worden. Trotz der Bezeichnung "Unterhaltszuschuss" seien die Bezüge Entgelt für eine Dienstleistung gewesen.

Mit Bescheid vom 27. März 2002 wies die Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten den Antrag des Beschwerdeführers auf rückwirkende Richtigstellung des Richtigstellungsbescheides vom 31. Juli 2001 gemäß § 101 ASVG mit der Begründung ab, dass sich die Anstalt bei der Feststellung des Ausmaßes der vorzeitigen Alterspension in keinem wesentlichen Irrtum über den Sachverhalt befunden habe und ihr auch kein offenkundiges Versehen unterlaufen sei.

In seinem Einspruch vom 25. April 2002 gegen diesen Bescheid führte der Beschwerdeführer aus, seine Beschäftigung im öffentlichen Dienst als Finanzanwärter sei "als nachversichert, geltende Pensionszeit anzuerkennen". Gemäß § 531 ASVG sei "die Zeit als Finanzanwärter ein Dienstverhältnis". Weiters führte der Beschwerdeführer aus, die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt habe die Zeit als Finanzanwärter bei Walter G., der zur selben Zeit wie er im öffentlichen Dienst als Finanzanwärter beschäftigt gewesen sei, mit Bescheid vom 5. März 1979 gemäß § 531 ASVG bei der Pensionsbemessung anerkannt.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wurde der Einspruch des Beschwerdeführers abgewiesen und der erstinstanzliche Bescheid bestätigt. Die rückwirkende Herstellung des gesetzlichen Zustandes bei Geldleistungen gemäß § 101 ASVG setze einen wesentlichen Irrtum über den Sachverhalt oder ein offenkundiges Versehen bei der Bescheiderstellung voraus. Im Falle des Beschwerdeführers liege jedoch weder ein wesentlicher Irrtum über die Sachlage noch ein offenkundiges Versehen vor. Vielmehr sei die strittige Vorfrage der Anerkennung von Zeiten als Finanzanwärter gemäß § 531 ASVG in einem ordnungsgemäßen Verwaltungsverfahren letztlich mit rechtskräftigem Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 18. April 1985 dahingehend entschieden worden, dass die Zeit als Finanzanwärter nicht gemäß § 531 ASVG nachzuversichern sei. Der Bescheid des Landeshauptmannes von Wien sei der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt bekannt gewesen, ein Sachverhaltsirrtum sei daher nicht vorgelegen. Die nach Meinung des Beschwerdeführers vermeintlich unrichtige Lösung einer strittigen Rechtsfrage bei unverändert gebliebenen Sachverhalt stelle auch kein offenkundiges Versehen im Sinne des § 101 ASVG dar.

6. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und - ebenso wie die mitbeteiligte Partei - eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt wird.

7. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Ergibt sich nachträglich, dass eine Geldleistung bescheidmäßig infolge eines wesentlichen Irrtums über den Sachverhalt oder eines offenkundigen Versehens zu Unrecht abgelehnt, entzogen, eingestellt, zu niedrig bemessen oder zum Ruhen gebracht wurde, so ist mit Wirkung vom Tage der Auswirkung des Irrtums oder Versehens der gesetzliche Zustand herzustellen (§ 101 ASVG). Die Entscheidung, dass gemäß § 101 ASVG der gesetzliche Zustand wegen eines wesentlichen Irrtums über den Sachverhalt oder eines offenkundigen Versehens herzustellen ist, ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine Verwaltungssache, die Herstellung dieses Zustandes selbst hingegen eine Leistungssache (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 23. April 2003, 2002/08/0270). Es ist Zweck des § 101 ASVG, dass mit Rücksicht auf den öffentlich-rechtlichen Charakter der Versicherungsleistung der den wirklichen Verhältnissen entsprechende Zustand hergestellt werden soll. Damit wollte der Gesetzgeber erreichen, dass die Herstellung des gesetzlichen Zustandes jederzeit - ungehemmt durch formelle Bedenken, daher auch ohne die strengen Voraussetzungen des Wiederaufnahmeverfahrens nach § 69 AVG - möglich sein soll (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Juli 2001, 95/08/0034).

Ein Irrtum über den Sachverhalt liegt vor, wenn der Sozialversicherungsträger Sachverhaltselemente angenommen hat, die mit der Wirklichkeit im Zeitpunkt der Bescheiderlassung nicht übereinstimmten. Die Voraussetzungen des § 101 ASVG sind aber auch dann erfüllt, wenn der für die rechtliche Beurteilung maßgebliche Sachverhalt im seinerzeitigen Verfahren nicht ermittelt worden ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. Februar 1999, 97/08/0542). Der Irrtum ist dann als wesentlich im Sinne des § 101 ASVG anzusehen, wenn er für die rechtliche Beurteilung des den Gegenstand des Verwaltungsverfahrens bildenden Leistungsanspruches Bedeutung erlangt (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 29. Juni 1999, 97/08/0588, und vom 23. April 2003, 98/08/0391).

Der Beschwerdeführer begehrte mit seinem Schreiben vom 10. Oktober 2001 die Ergänzung seines Antrages vom 1. August 1985 auf vorzeitige Alterspension um die Versicherungszeit als Finanzanwärter in der Reichsfinanzverwaltung vom 1. Oktober 1942 bis 17. Mai 1943. Zur Begründung führte er aus, die ihm für diese Tätigkeit gezahlten Bezüge seien den damaligen Bestimmungen entsprechend "sozialrechtlich behandelt" worden. Trotz der Bezeichnung "Unterhaltszuschuss" seien diese Bezüge Entgelt für eine Dienstleistung gewesen.

Die belangte Behörde wies in der Begründung des angefochtenen Bescheides zutreffend darauf hin, dass die in Rede stehende Zeit, während der der Beschwerdeführer als Finanzanwärter tätig war, bereits im - rechtskräftig abgeschlossenen - Verfahren nach § 531 ASVG als nicht nachversicherbar beurteilt worden ist.

Der noch strittige Zeitraum (1. Oktober 1942 bis 17. Mai 1943) war nämlich bereits Gegenstand des Nachversicherungsverfahrens. Die Nachversicherung für diesen Zeitraum wurde abgelehnt, weil der Beschwerdeführer in diesem Zeitraum kein Entgelt im Sinne des § 160 RVO erhalten habe. Bei der Entscheidung über den Antrag des Beschwerdeführers vom 1. August 1985 auf Gewährung einer vorzeitigen Alterspension war die Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten an diesen rechtskräftigen Ausspruch über die Nichtnachversicherung gebunden. Sie hat daher diesen Zeitraum in ihrem Bescheid über die Gewährung der vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer vom 3. April 1986 nicht berücksichtigt. Der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten ist daher bei Erlassung des Pensionsbescheides vom 3. April 1986 hinsichtlich der Berücksichtigung des Bescheides der belangten Behörde vom 18. April 1985 im Nachversicherungsverfahren gemäß § 531 ASVG weder ein Irrtum noch ein Versehen unterlaufen. Der Antrag auf rückwirkende Herstellung des gesetzlichen Zustandes wurde daher zutreffend abgewiesen.

Mit seinem Vorbringen im Schreiben vom 10. Oktober 2001, welches in der Beschwerde im Wesentlichen wiederholt wird, wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Beurteilung der von ihm ausgeübten Tätigkeit als Finanzanwärter im Nachversicherungsverfahren. Ob diese Beurteilung im Bescheid der belangten Behörde vom 18. April 1985 dem Gesetz entsprach, ist zufolge der Rechtskraft dieses Bescheides einer Prüfung entzogen.

Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet und war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 21. Dezember 2005

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