VwGH 2003/11/0078

VwGH2003/11/007820.4.2004

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Gall, Dr. Pallitsch, Dr. Schick und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des H in S, vertreten durch Dr. Edwin Demoser, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Mohrstraße 10, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Salzburg vom 25. Oktober 2002, Zl. 3/05- B/3295/4-2002, betreffend zusätzliche Eintragung in den Behindertenpass, zu Recht erkannt:

Normen

BBG 1990 §40 Abs1;
BBG 1990 §42 Abs1;
BBG 1990 §45 Abs1;
BBG 1990 §45 Abs2;
BEinstG §14 Abs2;
BEinstG §14 Abs5;
BGBlG 1996 §2 Abs2 Z2;
BStFG 1996 §7 Abs7;
KfzStG 1992 §2 Abs1 Z12 litb;
VersStG 1953 §4 Abs3 Z9 litb;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
BBG 1990 §40 Abs1;
BBG 1990 §42 Abs1;
BBG 1990 §45 Abs1;
BBG 1990 §45 Abs2;
BEinstG §14 Abs2;
BEinstG §14 Abs5;
BGBlG 1996 §2 Abs2 Z2;
BStFG 1996 §7 Abs7;
KfzStG 1992 §2 Abs1 Z12 litb;
VersStG 1953 §4 Abs3 Z9 litb;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit formularmäßigem Antrag vom 1. Juli 2002 beantragte der Beschwerdeführer die Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40 des Bundesbehindertengesetzes (BBG) sowie im Hinblick auf eine allfällige Befreiung von der KFZ-Steuer die Aufnahme des Vermerks der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung in den Behindertenpass.

Mit Bescheid vom 25. Juli 2002 stellte das Bundessozialamt auf Antrag des Beschwerdeführers vom 8. Mai 2002 gemäß § 14 Abs. 2 des Behinderteneinstellungsgesetzes (BEinstG) fest, dass der Beschwerdeführer ab 10. Mai 2002 dem Kreis der begünstigten Behinderten angehöre, wobei der Grad der Behinderung 50 v.H. betrage. Aus dem diesem Bescheid beigefügten Beiblatt ergibt sich, dass folgende Gesundheitsschädigungen für die Gesamteinschätzung des Grades der Behinderung berücksichtigt wurden:

"Lfd.

Nr.

Art der Gesundheitsschädigung

Position in den Richtsätzen

Grad der Behinderung

1

Homonyme linke Hemianopsie

VI/c/631

40 %

2

Hypertoniebedingtes intercerebrales Hämatom im Stammganglienbereich mit Ventrikeleinbruch. Ausgedehnte intracerebrale narbige Veränderung.

vgl. IV/g/435

20 %

3

Postoperatives mildes hirnorganisches Psychosyndrom.

vgl. V/a/578

30 % "

Als Gesundheitsschädigungen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 20 v.H., die auch im Zusammenwirken mit anderen Gesundheitsschädigungen keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursachten, wurden im erwähnten Beiblatt festgestellt:

"Lfd.

Nr.

Art der Gesundheitsschädigung

Position in den Richtsätzen

Grad der Behinderung

1

Geringgradige lumbale Discopathie ohne raumformende Bandscheibenveränderungen, Myalgia parästhetica.

vgl. IV/n/532

10 % "

Das Bundessozialamt Salzburg stellte am 29. Juli 2002 dem Beschwerdeführer einen Behindertenpass aus. Sein Antrag vom 1. Juli 2002 auf Eintragung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung in den Behindertenpass wurde hingegen mit Bescheid vom 29. Juli 2002 gemäß § 42 Abs. 1 BBG iVm § 7 Abs. 10a Bundesstraßenfinanzierungsgesetz (BStFG) abgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, in der Stellungnahme des leitenden Arztes des Bundessozialamtes Salzburg vom 21. Juni 2002 (eine derartige Stellungnahme ist dem vorgelegten Verwaltungsakt nicht zu entnehmen) sei festgestellt worden, dass dem Beschwerdeführer auf Grund seiner Gesundheitsschädigungen die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zugemutet werden könne. Da die ärztliche Stellungnahme für das Bundessozialamt schlüssig sei, lägen die Voraussetzungen für die beantragte Zusatzeintragung nicht vor.

In seiner dagegen erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, nach seiner neurologischen Rehabilitation und seit "der fachärztlichen Begutachtung" träten vermehrte Probleme beim Treppensteigen, vornehmlich treppabwärts, auf. Bei der Benützung der städtischen Busse sei dies besonders gefährlich, der Beschwerdeführer sei bei regennassen Einstiegen bereits zweimal gestürzt, andere Busbenützer hätten jedoch verhindern können, dass er mit dem Kopf auf der Treppe bzw. dem Boden aufgeschlagen hätte. Meistens müsse der Beschwerdeführer in den Bussen stehen, wobei Passagiere, die Halteschlaufen benutzten, mit ihren Ellenbogen gegen seinen Kopf stießen. Dies verursache nicht nur Kopfschmerzen sondern auch Ängste vor hirnorganischen Folgeschäden. Auch seine Standfestigkeit sei nicht mehr besonderst gut, sondern "eher unsicher".

Über Ersuchen des Bundessozialamtes Salzburg vom 6. August 2002 gab der leitende Arzt (Dr. K.) dieser Behörde folgende Stellungnahme ab:

"Die gewünschte Zusatzeintragung ist nicht möglich, da die vorliegenden Gesundheitsschädigungen im entsprechenden Richtlinienkatalog nicht enthalten sind."

Nachdem dem Beschwerdeführer vom Landeshauptmann von Salzburg zu dieser Stellungnahme Dris. K. Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden war, brachte der Beschwerdeführer in einem Schreiben vom 25. September 2002 vor, der leitende Arzt des Bundessozialamtes habe ihn nicht persönlich untersucht, er habe daher keine Gelegenheit gehabt, in einem ärztlichen Gespräch die Problematik ausführlich "abzuklären und zu bewerten". Zweifellos sei die Entscheidung auf Grund der bei ihm aus den vorher vorliegenden gutachterlichen Attesten erfolgt. Da der Beschwerdeführer während seiner tagesklinischen Rehabilitation von der Wohnung und zurück in die Klinik gefahren worden sei und zum Zeitpunkt der gutachterlichen Untersuchungen von einem Kollegen mit dessen PWK zu diesen Untersuchungen gebracht worden sei, sei nicht absehbar gewesen, mit welchen Erschwernissen bzw. Folgen er bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel zu rechnen habe. Er wiederhole daher, die Tatsache, dass er bereits zweimal "beim Aussteigen aus dem Bus (vmtl. wegen teils zustandsbedingter fehlender statokinetischer Reflexe gestützte Motorik) gestürzt" sei, mache ihm Angst. Das permanente Gedränge in den Bussen mit dem ständigen Gestoße und Geschiebe sowie dem oft unerträglichen Lärmpegel der Unterhaltung mancher Passagiere rufe bei ihm Beklemmung und Kopfschmerz hervor. Dass diese Gegebenheiten nicht in einem Richtsatzkatalog angeführt seien, sei ihm klar.

Der Landeshauptmann von Salzburg wies die Berufung mit Bescheid vom 25. Oktober 2002 gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 42 Abs. 1 BBG und iVm § 7 Abs. 10a BStFG ab. In der Begründung führte der Landeshauptmann von Salzburg nach Wiedergabe des Ganges des Verwaltungsverfahrens und der Stellungnahme des leitenden Arztes Dr. K. vom 30. August 2002 aus, die erkennende Behörde habe die im Akt befindlichen Stellungnahmen des leitenden Arztes des Bundessozialamtes Salzburg auf deren Nachvollziehbarkeit und Schlüssigkeit überprüft und es sei diese Prüfung ohne Anstand geblieben. Der Vergleich der beim Beschwerdeführer vorliegenden Leiden "mit dem Katalog des Bundesministeriums für soziale Sicherheit und Generationen vom 31.01.2000, GZ: 44.301/11-7/00, betreffend die Feststellung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel" lasse die erkennende Behörde zu dem selben Ergebnis wie die beigezogenen ärztlichen Sachverständigen kommen, nämlich, dass beim Beschwerdeführer kein in dem genannten Katalog angeführter Leidenszustand vorliege.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

1.1. Für das vorliegende Beschwerdeverfahren sind folgende Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes - BBG (in der Fassung vor dem Bundessozialämterreformgesetz - BSRG) maßgebend:

"ABSCHNITT VI

BEHINDERTENPASS

§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50 % ist auf Antrag vom zuständigen Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn

...

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

...

§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vor- und Familiennamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom zuständigen Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

...

§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen, in dessen Sprengel der behinderte Mensch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben oder der Pass eingezogen wird.

(3) Über Berufungen gegen Bescheide des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen gemäß Abs. 2 entscheidet der Landeshauptmann. Gegen seine Entscheidung ist eine weitere Berufung unzulässig.

§ 46. Auf das Verfahren zur Ausstellung und Einziehung eines Behindertenpasses finden, soweit dieses Bundesgesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991, BGBl. Nr. 51, und des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes 1991, BGBl. Nr. 53, Anwendung."

1.2. Im Zusammenhang mit der vom Beschwerdeführer begehrten Eintragung ist zu beachten, dass diese einen der Nachweise der für die Befreiung von der Kraftfahrzeugsteuer maßgebenden Körperbehinderung gemäß § 2 Abs. 1 Z. 12 lit. b Kraftfahrzeugsteuergesetz 1992 darstellt. Dies gilt in gleicher Weise für die Befreiung von der motorbezogenen Versicherungssteuer gemäß § 4 Abs. 3 Z. 9 lit. b Versicherungssteuergesetz 1953. Weiters begründet eine derartige Eintragung den Anspruch auf eine Jahresvignette gemäß § 7 Abs. 7 des Bundesstraßenfinanzierungsgesetzes 1996 (Strukturanpassungsgesetz 1996).

2. Die Beschwerde ist begründet.

In den zuvor genannten Rechtsvorschriften, in denen an die in Rede stehende Eintragung Rechtsfolgen geknüpft werden, wird - wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom 22. Oktober 2002, Zl. 2001/11/0242, ausgeführt hat - jeweils auf die Eintragung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung abgestellt, ohne dass nähere gesetzliche Regelungen getroffen werden, in welchen Fällen die Zumutbarkeit gegeben sein soll und in welchen nicht. Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Dieses Beweisthema ist somit nicht ident mit der im Rahmen eines Verfahrens nach § 14 Abs. 2 oder 5 BEinstG vorzunehmenden Einschätzung des Grades der Behinderung, bei der die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen auf die Erwerbsfähigkeit im Vordergrund stehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. März 2001, Zl. 2000/11/0321, sowie das bereits erwähnte hg. Erkenntnis vom 22. Oktober 2002). Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist.

Derartige Ermittlungen hat die belangte Behörde im Beschwerdefall unterlassen, und zwar, wie sich aus der Begründung des angefochtenen Bescheides ergibt, auf Grund der (erkennbaren) Rechtsauffassung, wonach die vom Beschwerdeführer beantragte Zusatzeintragung schon deshalb scheitere, weil das bei ihm vorliegende Leiden nicht im Katalog des Bundesministers für soziale Sicherheit und Generationen vom 31. Jänner 2000 aufscheine. Damit hat die belangte Behörde übersehen, dass weder dem BBG noch den oben erwähnten Gesetzen zu entnehmen ist, dass nur bestimmte Leiden, die in einem vom Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen erstellten Katalog aufscheinen, die Vornahme des gewünschten Zusatzeintrages rechtfertigten. Der erwähnte Katalog des Bundesministers für soziale Sicherheit und Generationen, der jedenfalls nicht als Verordnung des Bundesministers im Bundesgesetzblatt gehörig kundgemacht worden ist (für eine von § 2 Abs. 2 Z. 2 BGBlG abweichende Kundmachung fehlt es an einer gesetzlichen Ermächtigung), ist vom Verwaltungsgerichtshof im Übrigen für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides auch nicht heranzuziehen.

Da die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage die nach der bisherigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes erforderlichen Ermittlungsschritte unterlassen hat, hat sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet.

Der angefochtene Bescheid war aus diesen Erwägungen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

3. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 20. April 2004

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte