Normen
AlVG 1977 §38;
AlVG 1977 §8 Abs2 erster Satz;
AlVG 1977 §8 Abs2 letzter Satz;
AlVG 1977 §8 Abs2;
AlVG 1977 §9 Abs1;
AVG §37;
AVG §45 Abs3;
MRK Art8 Abs2;
MRK Art8;
AlVG 1977 §38;
AlVG 1977 §8 Abs2 erster Satz;
AlVG 1977 §8 Abs2 letzter Satz;
AlVG 1977 §8 Abs2;
AlVG 1977 §9 Abs1;
AVG §37;
AVG §45 Abs3;
MRK Art8 Abs2;
MRK Art8;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Bezug der Notstandshilfe der Beschwerdeführerin gemäß §§ 7 und 8 AlVG ab 4. Juni 2003 eingestellt. Begründend führte die belangte Behörde aus, dass der Beschwerdeführerin ein amtsärztlicher Termin für den 4. Juni 2003 vorgeschrieben worden war, weil sie immer dann gesundheitliche Probleme angegeben und ärztliche Atteste vorgelegt hätte, wenn es zu konkreten Angeboten von Beschäftigungsmöglichkeiten oder Wiedereingliederungsmaßnahmen gekommen sei. Ebenso hätte es die Beschwerdeführerin unterlassen, der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Innsbruck ihre geringfügige Beschäftigung als Taxilenkerin ab 1. April 2003 entsprechend zu melden. Eine derartige Tätigkeit als Vollzeitbeschäftigung hätte sie auf Grund ihres Knie- und Bandscheibenleidens immer abgelehnt. Weiters seien laufend mit ihr geschlossene Vereinbarungen trotz entsprechender Rechtsbelehrungen nicht eingehalten, Termine nicht oder zu spät wahrgenommen bzw. Gespräche seitens der Beschwerdeführerin durch Aufstehen und Verlassen des Büroraumes abgebrochen worden. Nachdem konstruktive Gespräche seitens der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Innsbruck mit der Beschwerdeführerin nicht möglich gewesen seien und ihr Verhalten "nicht einordenbar" gewesen sei, sei ein Termin zwecks amtsärztlicher Untersuchung vereinbart und der Beschwerdeführerin der Termin mitgeteilt worden. Die Beschwerdeführerin sei auch über die Gründe der Untersuchung unterrichtet gewesen. In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, dass im Hinblick auf den oben wiedergegebenen Sachverhalt, welcher "als gegeben erachtet" werde, die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Innsbruck zu Recht in Zweifel bezüglich der Arbeitsfähigkeit der Beschwerdeführerin gemäß § 8 AlVG war und die Beschwerdeführerin daher verpflichtet gewesen sei, sich einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, den angefochtenen Bescheid kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen. Die Beschwerdeführerin legte mit Schriftsatz vom 8. April 2004 eine ärztliche Stellungnahme vom 15. März 2002 vor und erstattete mit einem weiteren Schriftsatz vom 30. Juni 2004 nach Akteneinsicht ein weiteres ergänzendes Vorbringen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 8 Abs. 2 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 (AlVG) in der Fassung BGBl. Nr. 314/1994 ist der Arbeitslose, wenn sich Zweifel über die Arbeitsfähigkeit ergeben, verpflichtet, sich auf Anordnung der regionalen Geschäftsstelle ärztlich untersuchen zu lassen. Weigert er sich, dieser Anordnung Folge zu leisten, so erhält er für die Dauer der Weigerung kein Arbeitslosengeld.
Diese Bestimmung ist gemäß § 38 AlVG sinngemäß auf die Notstandshilfe anzuwenden.
Wie sich aus dem diesbezüglich auch von der Beschwerdeführerin nicht bestrittenen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten ergibt, wurde der Beschwerdeführerin am 20. Mai 2003 eine amtsärztliche Untersuchung vorgeschrieben, für welche ein Termin am 4. Juni 2003 in der Praxis Dr. Z., einem Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, festgelegt wurde. Die Beschwerdeführerin ist zu dieser Untersuchung am 4. Juni 2003 nicht erschienen. In ihrer Berufung führte die Beschwerdeführerin aus, dass sie sowohl arbeitswillig als auch arbeitsfähig sei und nie behauptet habe, aus gesundheitlichen Gründen nicht arbeitsfähig zu sein. Sie habe "richtigerweise, da sie ja ein orthopädisches Problem im Bereich des Knies hat, die völlig unverständliche psychiatrische Untersuchung" abgelehnt.
Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 21. November 2001, Zl. 98/08/0357, ausgesprochen hat, stellt es § 8 AlVG nicht in das freie Belieben des Arbeitsmarktservice, Arbeitslose ärztlichen Untersuchungen zuzuführen. Der Arbeitslose ist gemäß § 8 Abs. 2 AlVG vielmehr nur dann verpflichtet, sich einer Untersuchung zu unterziehen, wenn sich Zweifel an seiner Arbeitsfähigkeit ergeben. Es versteht sich von selbst, dass es sich dabei um objektiv begründete Zweifel handeln muss, aber auch, dass diese Zweifel der Partei gegenüber konkretisiert werden müssen, einerseits damit auch ihr gegenüber klar gestellt ist, dass ein Fall des § 8 Abs. 2 AlVG eingetreten ist und daher nunmehr die Verpflichtung zur Vornahme der Untersuchung besteht, ihr andererseits im Sinne des § 37 in Verbindung mit § 45 Abs. 3 AVG allenfalls Gelegenheit gegeben wird, diese Zweifel durch Vorlage bereits vorhandener geeigneter Befunde zu zerstreuen.
Im vorliegenden Fall wurde die Beschwerdeführerin zwar über die Rechtsfolgen einer Verweigerung der amtsärztlichen Untersuchung belehrt, weder aus dem Bescheid der Erstbehörde oder dem angefochtenen Bescheid noch aus dem Verwaltungsakt ist jedoch zu erkennen, dass der Beschwerdeführerin auch die Gründe für die vorzunehmende Untersuchung dargelegt wurden. Auf das diesbezügliche Berufungsvorbringen der Beschwerdeführerin ist die belangte Behörde nicht näher eingegangen, sondern sie stützt ihre Sachverhaltsfeststellungen ausschließlich auf eine Stellungnahme der Erstbehörde, in welcher lediglich festgehalten wird, dass der Beschwerdeführerin mitgeteilt worden wäre, aus welchen Gründen ein Termin bei Dr. Z. vereinbart worden sei.
Diese im Zuge des Berufungsverfahrens abgegebene Stellungnahme der Erstbehörde, auf welcher die Sachverhaltsfeststellungen im angefochtenen Bescheid im Wesentlichen beruhen, wurde der Beschwerdeführerin, soweit dies aus dem vorgelegten Verwaltungsakt nachvollzogen werden kann, nicht zur Kenntnis gebracht, und diese hatte daher keine Möglichkeit, zu diesen Ausführungen Stellung zu nehmen, sodass das Verfahren schon aus diesem Grunde wegen Verletzung des Parteiengehörs mangelhaft ist. Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid auch nicht dargelegt, weshalb sie in ihren Feststellungen dieser Stellungnahme der Erstbehörde uneingeschränkt gefolgt ist, dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass in dieser Stellungnahme nur sehr pauschal und ohne dass dies in den vorgelegten Verwaltungsakten nachvollziehbar wäre ausgeführt wird, dass es "immer wieder zur Angabe von gesundheitlichen Einschränkungen und Vorlage von ärztlichen Attesten" gekommen sei, wenn es sich um ein konkretes Stellenangebot oder eine Wiedereingliederungsmaßnahme gehandelt habe.
Darüber hinaus erweist sich aber auch die Vorgangsweise der regionalen Geschäftsstelle, die Beschwerdeführerin auf Grund eines Verhaltens, das "nicht einordenbar" gewesen ist, zu einer Untersuchung durch einen Facharzt für Psychiatrie zu verpflichten, aus nachstehenden Gründen als rechtswidrig:
Art. 8 EMRK schützt u.a. den Grundrechtsträger in seinem Recht, selbst über den eigenen Körper zu bestimmen. Schutzgut ist die physische und psychische Integrität des Einzelnen (vgl. Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, 205 RNr 7 mwH). In dieses Recht wird eingegriffen, wenn der Gesetzgeber ärztliche Untersuchungen mit Zwang anordnet und durchführen lässt, auch wenn die körperliche Beeinträchtigung im Einzelfall gering sein mag (Grabenwarter, aaO, 217, RNr. 22 mwH; vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 2001, Zl. 98/12/0139, Pkt. 3.2.5. zu den Grundrechtsschranken der Erteilung einer Weisung an einen Beamten, sich gemäß § 51 Abs. 2 Satz 2 iVm § 52 Abs. 2 BDG 1979 einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen).
Die unter die Sanktion des Verlustes des Leistungsanspruches gestellte Verpflichtung von Arbeitslosen, sich gegebenenfalls zur Feststellung ihrer Arbeitsfähigkeit einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen, muss daher den Eingriffskriterien des Art. 8 Abs. 2 EMRK entsprechen, dh. einem in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziel dienen, zur Erreichung dieses Ziels geeignet und verhältnismäßig sein.
Der Verwaltungsgerichtshof geht davon aus, dass die Feststellung des Vorliegens von Arbeitsfähigkeit im Zusammenhang mit den Voraussetzungen für die Gewährung von Geldleistungen aus der Arbeitslosenversicherung ein unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 Abs. 2 EMRK zulässiges Ziel ist, welches mit der im Gesetz normierten Verpflichtung des Leistungsbeziehers, sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen, verfolgt werden darf. Die Anordnung einer medizinischen Untersuchung darf hingegen - worauf mit Blick auf den hier zu beurteilenden Sachverhalt aufmerksam gemacht sei - nicht als Mittel zur Disziplinierung arbeitsunwilliger, unangenehmer oder aufsässiger Leistungsbezieher eingesetzt werden.
Zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit der auf § 8 Abs. 2 AlVG gestützten Anordnung einer medizinischen Untersuchung gegen den Willen der betroffenen Partei darf allerdings die Prüfung, ob überhaupt und bejahendenfalls welche medizinischen Untersuchungen erforderlich sind, grundsätzlich nicht von betreuenden Bediensteten des AMS vorgenommen werden, da diese medizinisch nicht fachkundig sind und daher die Gefahr besteht, dass Untersuchungen angeordnet werden, die entweder überflüssig oder angesichts der zu beantwortenden medizinischen Fachfrage unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Untersuchungs- und Diagnosemethoden unverhältnismäßig sind. Dies gilt im Besonderen für die hier zu beurteilende Zuweisung einer Leistungsbezieherin zu einem Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, zumal es sich im Falle der Anordnung einer solchen Untersuchung um eine Maßnahme handelt, die von den Betroffenen mit Grund durchaus auch als erniedrigend oder als schockierend empfunden werden kann.
Die Anordnung einer medizinischen Untersuchung durch Bedienstete des AMS im Sinne des § 8 Abs. 2 erster Satz AlVG (mit der Sanktion des zweiten Satzes) gegen den Willen der Partei ist daher nur insoweit rechtmäßig, als (erstens) auf Grund von bestimmten Tatsachen der begründete Verdacht besteht, dass Arbeitsfähigkeit nicht (mehr) vorliegt oder dies die Partei selbst behauptet oder als möglich darstellt. Zweitens hat eine Zuweisung zur Untersuchung (vorerst) nur an einen Arzt für Allgemeinmedizin zu erfolgen. Soweit dieser die Frage der Arbeitsfähigkeit nicht abschließend zu beurteilen vermag, wäre es seine Sache darzutun, dass und welche weiteren Untersuchungen durch Fachärzte oder - gegebenenfalls - welche die Partei in höherem Maß belastenden Untersuchungen, wie z.B. bildgebende Verfahren oder invasive Maßnahmen, zur Abklärung des Leidenszustandes aus medizinischer Sicht erforderlich sind. Dies gilt auch für die Zuweisung zu einem Facharzt aus dem Fachgebiet der Psychiatrie und Neurologie (mit der Sanktion des § 8 Abs. 2 letzter Satz AlVG): eine solche Zuweisung ist nach dem Gesagten nur zulässig, wenn sie entweder der zunächst heranzuziehende Gutachter auf Grund des von ihm erhobenen Befundes für erforderlich erachtet oder die Partei ihr nachweislich zustimmt. Die Partei ist aber in jedem Fall über die Gründe für eine Zuweisung zu einer Untersuchung zu unterrichten, dazu zu hören und über die Sanktion für den Fall der Verweigerung der Untersuchung zu belehren.
Da die belangte Behörde nicht erkannt hat, dass die regionale Geschäftsstelle des AMS ohne Einhaltung der aus den dargelegten Gründen gebotenen Vorgangsweise eine Untersuchung der Beschwerdeführerin durch einen Facharzt für Psychiatrie angeordnet hat und daher die Einstellung der Leistung gemäß § 8 Abs. 2 AlVG nicht hätte verfügen dürfen, hat sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben. Von der beantragten Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich im Rahmen des gestellten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am 20. Oktober 2004
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