VwGH 2003/08/0065

VwGH2003/08/00654.8.2004

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Strohmayer, Dr. Köller und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der E in A, vertreten durch Dr. Reinhard Tögl, Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in 8010 Graz, Schmiedgasse 31, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Steiermark vom 12. Februar 2003, Zl. LGS600/ALV/1218/2003-Mag. Enn/Kö, betreffend Abweisung eines Antrages auf Gewährung von Notstandshilfe, zu Recht erkannt:

Normen

AlVG 1977 §1 Abs2 lite;
AlVG 1977 §14 Abs2;
AlVG 1977 §14 Abs4 lita;
AlVG 1977 §15 Abs8;
AlVG 1977 §1 Abs2 lite;
AlVG 1977 §14 Abs2;
AlVG 1977 §14 Abs4 lita;
AlVG 1977 §15 Abs8;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin war nach einem im Verwaltungsakt dokumentierten Versicherungsverlauf vom 25. Jänner 2000 bis zum 3. September 2000 als Arbeiterin beschäftigt und hat vom 6. September 2000 bis zum 23. Jänner 2001 Arbeitslosengeld bezogen. Nach einer der Arbeitslosenversicherungspflicht unterliegenden Beschäftigung vom 1. Juni bis zum 31. Dezember 2001 nahm die Beschwerdeführerin auf Grund eines Antrages vom 4. Jänner 2002 bis zum 23. Mai 2002 weiter Arbeitslosengeld in Anspruch. Vom 25. Mai bis zum 30. November 2002 ging die Beschwerdeführerin wieder einer Arbeit nach, die vom 1. Juli 2002 bis zum 30. November 2002 nicht der Arbeitslosenversicherungspflicht unterlag, weil die am 13. März 1940 geborene Beschwerdeführerin das für die vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer maßgebliche Mindestalter von 56,5 Jahren (§ 253b ASVG) überschritten hatte (§ 1 Abs. 2 lit. e AlVG idF des Konjunkturbelebungsgesetzes 2002, BGBl. I Nr. 68). Am 4. Dezember 2002 stellte die Beschwerdeführerin mit dem bundeseinheitlich aufgelegten Antragsformular den gegenständlichen Antrag auf Zuerkennung der Notstandshilfe. Sie gab an, verheiratet zu sein, aber getrennt zu leben. Ihr Ehemann bezahle ihr einen monatlichen Unterhalt in der Höhe von EUR 363,36.

Mit Bescheid vom 2. Jänner 2003 sprach die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice aus, dass dem Antrag auf Gewährung von Notstandshilfe mangels Notlage keine Folge gegeben werde. Der vom Ehemann der Beschwerdeführerin geleistete Unterhalt übersteige die der Beschwerdeführerin zustehende Notstandshilfe. Ein Anspruch auf Arbeitslosengeld bestehe mangels Erfüllung der Anwartschaft ebenfalls nicht, da die Beschwerdeführerin ab 1. Juli 2002 nicht mehr der Arbeitslosenversicherungspflicht unterliege.

Die Beschwerdeführerin erhob Berufung. Durch die Nichtgewährung der Notstandshilfe liege bei ihr weiterhin eine Notlage vor, zumal ihr dadurch auch Versicherungszeiten in der Pensionsversicherung fehlen würden. (Aus dem Verwaltungsakt ergibt sich, dass die Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter mit Bescheid vom 20. April 2000 den Antrag der Beschwerdeführerin auf Zuerkennung der Alterspension abgelehnt hat, weil die Wartezeit nicht erfüllt war.) Die Höhe ihrer Pension werde dadurch beeinflusst. Es sei nicht zu verstehen, weshalb sie ab dem 1. Juli 2002 nicht mehr der Arbeitslosenversicherungspflicht unterliege. Sie erfülle zwar das maßgebliche Mindestalter für eine vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer, müsse aber noch Versicherungszeiten erwerben, um diese Pension zu erhalten. Sie beantrage daher, ihr Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren.

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die Berufung abgewiesen und den erstinstanzlichen Bescheid bestätigt. Der Unterhalt, den die Beschwerdeführerin von ihrem getrennt lebenden Ehemann beziehe, sei als eigenes Einkommen der Beschwerdeführerin anzusehen und bei der Berechnung ihrer Notstandshilfe anzurechnen. Der tägliche Anrechnungsbetrag übersteige die tägliche Notstandshilfe, sodass Notlage nicht vorliege. Seit dem 1. Juli 2002 sei die Beschwerdeführerin von der Arbeitslosenversicherungspflicht ausgenommen, weil sie das für die vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer maßgebliche Mindestalter vollendet habe. Das bedeute, dass bei neuerlicher Antragstellung kein Anspruch auf Arbeitslosengeld bestehe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Antrag, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 33 Abs. 1 iVm Abs. 4 AlVG kann Arbeitslosen, die den Anspruch auf Arbeitslosengeld erschöpft haben, auf Antrag Notstandshilfe gewährt werden, wenn sich der Arbeitslose innerhalb dreier Jahre darum bewirbt. Gemäß § 33 Abs. 2 AlVG ist Notstandshilfe nur zu gewähren, wenn der Arbeitslose der Vermittlung zur Verfügung steht und sich in Notlage befindet. Notlage liegt gemäß § 33 Abs. 3 AlVG vor, wenn dem Arbeitslosen die Befriedigung der notwendigen Lebensbedürfnisse unmöglich ist. Bei der Beurteilung der Notlage sind gemäß § 36 Abs. 2 AlVG ua. die gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse des Arbeitslosen selbst sowie des mit dem Arbeitslosen im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehepartners zu berücksichtigen. Gemäß § 5 Abs. 1 der auf Grund des § 36 AlVG ergangenen Notstandshilfeverordnung ist das Einkommen des Arbeitslosen, das er innerhalb eines Monats erzielt, nach Abzug der Steuern und sozialen Abgaben sowie des zur Erwerbung dieser Einkommen notwendigen Aufwandes auf die Notstandshilfe, die im Folgemonat gebührt, anzurechnen. Gemäß § 5 Abs. 3 Notstandshilfeverordnung ist bei der Ermittlung des Einkommens aus Einkünften im Sinne des § 2 Abs. 3 Z. 1 bis 3 und 5 bis 7 EStG 1988 vom Gesamtbetrag der Einkünfte die darauf entfallende Einkommensteuer abzuziehen. Gemäß § 2 Abs. 3 Z. 7 EStG 1988 unterliegen sonstige Einkünfte im Sinne des § 29 EStG 1988 der Einkommensteuer. Gemäß § 29 Z. 1 zweiter Satz EStG 1988 sind Bezüge, die freiwillig oder an eine gesetzlich unterhaltsberechtigte Person gewährt werden, nicht steuerpflichtig. Da der nach dem Gesagten als Einkommen der Beschwerdeführerin anzurechnende Unterhaltsbetrag von täglich EUR 11,93 die von der belangten Behörde ermittelte und von der Beschwerdeführerin insoweit nicht bestrittene Höhe der Notstandshilfe von täglich EUR 11,44 übersteigt, gebührt der Beschwerdeführerin mangels Notlage keine Notstandshilfe. Anders als die Beschwerdeführerin meint, handelt es sich dabei nicht um die Anrechnung des Einkommens eines im gemeinsamen Haushalt lebenden Partners im Sinne des § 36 Abs. 3 lit. B AlVG bzw. des § 6 Notstandshilfeverordnung. Daher konnten Freigrenzen im Sinne der zuletzt genannten Gesetzesstelle keine Berücksichtigung finden. Da eine Erhöhung von Freibeträgen in den in § 36 Abs. 5 AlVG beispielsweise genannten berücksichtigungswürdigen Fällen ebenfalls die Anrechnung von Einkommen eines im gemeinsamen Haushalt lebenden Partners voraussetzt, geht auch der Vorwurf der Beschwerdeführerin fehl, die belangte Behörde habe nicht geprüft, "ob allenfalls ein berücksichtigungswürdiger Fall vorliegt".

2. Der angefochtene Bescheid weist hingegen eine vom Verwaltungsgerichtshof von Amts wegen aufzugreifende (vgl. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 19. September 1984, Zl. 82/03/0112, Slg. Nr. 11.525/A) inhaltliche Rechtswidrigkeit auf, weil die belangte Behörde - lediglich gestützt auf den Wegfall der Arbeitslosenversicherungspflicht ab 1. Juli 2002 - die Ansicht vertreten hat, die Beschwerdeführerin habe keinen (weiteren) Anspruch auf Arbeitslosengeld. Die belangte Behörde unterließ es jedoch, entsprechende Feststellungen zu treffen und zu prüfen, ob die Beschwerdeführerin bei einer weiteren Inanspruchnahme von Arbeitslosengeld am 4. Dezember 2002 tatsächlich die Anwartschaft auf Grund von 28 Wochen arbeitslosenversicherungspflichtiger Beschäftigung innerhalb eines (allenfalls gemäß § 15 AlVG verlängerten) Rahmenzeitraumes von zwölf Monaten vor Geltendmachung des Anspruches (§ 14 Abs. 2 AlVG) nicht zu erfüllen vermag. Vorauszuschicken ist, dass trotz des auf Gewährung von Notstandshilfe gerichteten Antrags der Beschwerdeführerin vom 4. Dezember 2002 auch ein allfälliger Anspruch auf (weitere) Gewährung von Arbeitslosengeld zu prüfen war (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 20. Dezember 2000, Zl. 2000/08/0090, und vom 19. März 2003, Zl. 98/08/0174).

Nun trifft es zu, dass gemäß § 1 Abs. 2 lit. e AlVG in der hier zeitraumbezogen anzuwendenden Fassung des Konjunkturbelebungsgesetzes 2002, BGBl. I Nr. 68, Personen von der Arbeitslosenversicherungspflicht ausgenommen wurden, die - wie die Beschwerdeführerin - das für die vorzeitige Alterspension bei langer Versicherungsdauer maßgebliche Mindestalter vollendet haben. Dies hat zur Folge, dass nach der im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides anzuwendenden Rechtslage die Zeit vom 1. Juli 2002 bis zum 30. November 2002 nicht als Anwartschaftszeit iS des § 14 Abs. 4 lit. a AlVG berücksichtigt werden konnte. Der Gesetzgeber hat aber mit dem Konjunkturbelebungsgesetz 2002 dem § 15 AlVG einen Absatz 8 hinzugefügt, wonach sich die Rahmenfrist (ua. iS des § 14 Abs. 2 AlVG) für gemäß § 1 Abs. 2 lit. e AlVG von der Arbeitslosenversicherungspflicht ausgenommene Personen um Zeiträume einer krankenversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit verlängert. Eine solche dürfte nach Inhalt der Verwaltungsakten - wie bereits erwähnt - in der Zeit vom 1. Juli bis zum 30. November 2002 vorgelegen sein. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass in den um diesen Zeitraum verlängerten Rahmenzeitraum weitere Zeiten arbeitslosenpflichtiger Beschäftigung der Beschwerdeführerin fallen, die die in § 14 Abs. 2 AlVG für die weitere Inanspruchnahme des Arbeitslosengeldes normierte Erfüllung der Anwartschaft bewirken können. Da die belangte Behörde dies auf Grund ihrer unrichtigen Rechtsansicht nicht geprüft hat, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

Für das fortgesetzte Verfahren ist anzumerken, dass der Gesetzgeber mit dem Budgetbegleitgesetz 2003, BGBl. I Nr. 71, die Rechtslage - rückwirkend ab dem 1. Juli 2002 - dahin geändert hat, dass § 15 Abs. 8 AlVG in der zitierten Fassung aufgehoben und statt dessen angeordnet wurde, dass auf die Anwartschaft gemäß § 14 Abs. 4 lit. g AlVG ua. Zeiten einer gemäß § 1 Abs. 2 lit. e AlVG von der Arbeitslosenversicherungspflicht ausgenommenen krankenversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit anzurechnen sind. Auf diese geänderte Rechtslage konnte der Verwaltungsgerichtshof im vorliegenden Erkenntnis noch keine Rücksicht nehmen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. April 1991, Zl. 90/18/0189).

Der angefochtene Bescheid war aus dem oben genannten Grund wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Wien, am 4. August 2004

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