VwGH 2001/21/0035

VwGH2001/21/003526.2.2004

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Wechner, über die Beschwerde des D, vertreten durch Dr. Rudolf Breuer, Rechtsanwalt in 2700 Wiener Neustadt, Hauptplatz 28, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 6. Februar 2001, Zl. Fr 4018/00, betreffend ein befristetes Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrG 1997 §36 Abs2;
FrG 1997 §37;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrG 1997 §36 Abs2;
FrG 1997 §37;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.172,88 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina, gemäß § 36 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.

Zur Begründung dieser Maßnahme verwies sie auf die rechtskräftige Verurteilung des Beschwerdeführers vom 25. April 2000 wegen des Verbrechens nach § 28 Abs. 2 Suchtmittelgesetz sowie des Vergehens nach § 27 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 SMG zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten, davon acht Monate bedingt nachgesehen. Dieser Verurteilung sei zu Grunde gelegen, dass der Beschwerdeführer im Zeitraum von Juli 1999 bis Jänner 2000 durch die überwiegend gewinnbringende Weitergabe von insgesamt ca. 100 g Amphetamin, ca. 735 Stück Ecstasy-Tabletten sowie ca. 40 g MDMA an verschiedene Personen Suchtmittel in einer großen Menge in Verkehr gesetzt habe und weiters in der Zeit von 1998 bis Anfang 2000 ca. 2 g Cannabisharz einem Minderjährigen überlassen und diesem dadurch den Gebrauch des Suchtgifts ermöglicht habe. Da die in Verkehr gesetzten Mengen die "festgelegten Untergrenzen" übersteigen würden, liege eine große Menge im Sinn des § 28 Abs. 6 SMG vor. Bei der Strafzumessung habe das Gericht das volle und reumütige Geständnis sowie den bisher ordentlichen Lebenswandel als mildernd, als erschwerend das Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen gewertet. Es sei davon ausgegangen, dass die Androhung des Vollzuges des bedingt nachgesehenen Teiles der verhängten Freiheitsstrafe iVm der bereits erlittenen Haft ausreiche, um den Beschwerdeführer von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen abzuhalten; da auch generalpräventive Erwägungen nicht entgegenstünden, hätte ein Teil der Freiheitsstrafe im Ausmaß von acht Monaten bedingt nachgesehen werden können.

Aus diesem Fehlverhalten des Beschwerdeführers schloss die belangte Behörde, dass sein Verhalten eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstelle. Es könne dem Vorbringen, dass es sich bei der Tat lediglich um eine in der österreichischen Rechtsordnung privilegierte Form der Versorgungs- oder Beschaffungskriminalität handle, nicht gefolgt werden. Auch könne der Deliktszeitraum nicht als kurz bezeichnet werden. Die Handlung des Beschwerdeführers sei als besonders verwerfliche Form der organisierten Kriminalität zu bezeichnen. Aus der teilweisen bedingten Strafnachsicht könne nicht automatisch davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer keine Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstelle. Das Verhalten des Beschwerdeführers in der Vergangenheit lasse den Schluss auf eine besonders sozialschädliche Neigung zur Missachtung österreichischer Rechtsvorschriften zu, die zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und zum Schutz der Rechte und Freiheiten Anderer sowie zur Verhinderung von strafbaren Handlungen im Interesse eines geordneten Zusammenlebens dienten. Weiters sei der Beschwerdeführer bereits im Jahr 1996 wegen Körperverletzung und im August 1999 wegen Raufhandels angezeigt worden. Diese Verfahren seien gemäß § 90 Abs. 1 StPO eingestellt worden. Am 2. März 2000 sei der Beschwerdeführer wegen des Verdachts des gewerbsmäßigen Betruges angezeigt worden, weil er im Dezember 1999 versucht hätte, gefälschte Autobahnvignetten zu verkaufen. In diesem Verfahren sei die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung unter Bestimmung einer Probezeit vorläufig zurückgetreten.

Eine Ermessensübung zu Gunsten des Beschwerdeführers lehnte die belangte Behörde unter Hinweis darauf ab, dass die Suchtgiftkriminalität wegen der daraus resultierenden negativen Folgen für den österreichischen Staat eine als besonders gefährlich zu beurteilende Kriminalitätsform darstelle.

Letztlich erachtete die belangte Behörde das Aufenthaltsverbot im öffentlichen Interesse als gemäß § 37 FrG zulässig, obwohl der Beschwerdeführer seit Juli 1992 in Österreich aufhältig sei, seit 1. Oktober 1992 über Aufenthaltsberechtigungen verfüge, seine Eltern und weitere Verwandten aus der Heimatstadt Tuzla nach Österreich geflohen seien und er in Österreich eine Lebensgemeinschaft führe.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Voraussetzung für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 36 Abs. 1 FrG ist die auf bestimmte Tatsachen gegründete Prognose, dass der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit oder andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen (die nationale Sicherheit, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung, die Verhinderung von strafbaren Handlungen, den Schutz der Gesundheit und der Moral und den Schutz der Rechte und Freiheiten Anderer) erheblich gefährdet. Daraus folgt, dass die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nach § 36 Abs. 1 FrG nur dann in Betracht kommt, wenn ein solches erforderlich ist, um die festgestellte, vom Fremden ausgehende Gefahr im Bundesgebiet abzuwenden. In § 36 Abs. 2 FrG sind demonstrativ Sachverhalte angeführt, die als bestimmte Tatsachen im Sinn des § 36 Abs. 1 leg. cit. gelten, bei deren Verwirklichung die dort genannte Annahme gerechtfertigt sein kann. Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahingehend vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist. Bei der Entscheidung, ein Aufenthaltsverbot zu erlassen, ist Ermessen zu üben, wobei die Behörde vor dem Hintergrund der gesamten Rechtsordnung auf alle für und gegen das Aufenthaltsverbot sprechenden Umstände Bedacht zu nehmen hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. Dezember 2001, Zl. 99/21/0349).

Der Beschwerdeführer bekämpft nicht die Feststellungen der belangten Behörde über seine rechtskräftige Verurteilung. Aus diesem Grund bestehen keine Bedenken gegen die Ansicht der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 (zweiter Fall) FrG verwirklicht wurde.

Der Beschwerdeführer hat schon in seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Aufenthaltsverbotsbescheid behauptet, dass er bereits mehrere Wochen vor seiner Verhaftung aus eigenem Antrieb die Suchtmittelszene verlassen und sodann durch sein reumütiges und umfassendes Geständnis an der Wahrheitsfindung mitgewirkt habe. Aus diesem Grund habe auch das Strafgericht einen Teil der Freiheitsstrafe bedingt nachgesehen und ausdrücklich ausgeführt, dass die bloße Androhung des Vollzuges des bedingt nachgesehenen Teiles der verhängten Freiheitsstrafe in Verbindung mit der bereits erlittenen Haft ausreiche, um den Beschwerdeführer von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen abzuhalten. Des Weiteren erliegen im Verwaltungsakt der zweite, dritte und vierte Therapiezwischenbericht vom 1. September, 3. November und 29. Dezember 2000, jeweils des Inhalts, dass die beim Beschwerdeführer durchgeführten Harntests Drogenfreiheit ergeben hätten und der Beschwerdeführer einer regelmäßigen Beschäftigung nachgehe. Ungeachtet dessen hat die belangte Behörde die Prognose aufgestellt, dass der Beschwerdeführer die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit im Sinn des § 36 Abs. 1 FrG gefährde. Der belangten Behörde ist zwar zuzustimmen, dass gerade an der Bekämpfung der Suchtgiftkriminalität ein beträchtliches öffentliches Interesse besteht und bei solchen Delikten grundsätzlich eine große Rückfallgefahr angenommen werden müsse. Indem sie aber in generalisierender Weise ungeachtet der aufgezeigten Umstände, die hier einzelfallbezogen einen Wegfall der gerade auf den Suchtmittelbereich abgestellten Gefahr der Begehung weiterer strafbarer Handlungen durch den Beschwerdeführer nicht ausschließen, ohne weitere Ermittlungen dennoch eine Gefährlichkeitsprognose zu seinen Lasten getroffen hat, hat sie den angefochtenen Bescheid mit einem Begründungsmangel belastet.

Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 26. Februar 2004

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