VwGH 2003/11/0032

VwGH2003/11/003224.9.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Graf, Dr. Gall, Dr. Pallitsch und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des K in W, vertreten durch Dr. Walter Riedl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz Josefs-Kai 5, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 17. Oktober 2002, Zl. MA 15-II-BEG 30/2002, betreffend Feststellung der Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §58 Abs2;
AVG §60;
BEinstG §14 Abs3;
BEinstG §2 Abs1;
KOVG 1957 §4;
KOVG RichtsatzV 1965 §3;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
BEinstG §14 Abs3;
BEinstG §2 Abs1;
KOVG 1957 §4;
KOVG RichtsatzV 1965 §3;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der 1961 geborene Beschwerdeführer ist am 25. November 1994 in Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit von einem Glasdach ca. 5 m tief abgestürzt und zog sich dabei folgende Verletzungen (Feststellungen im Bescheid der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt Landesstelle Wien vom 29. August 1995, Unfall-Nr. W 082852/94) zu: Kopfverletzung, Bruch der rechten I. Rippe mit Prellungen der Lunge und beidseitigem Bluterguss und Luftansammlung in der Brustfellhöhle, Bruch des linken Ellenschaftes, Bruch des I. und II. Lendenwirbelkörpers, Bruch beider Darmschaufeln, Nierenprellung.

Am 6. August 2001 stellte der Beschwerdeführer einen (formularmäßigen) Antrag auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigen Behinderten gemäß § 2 und § 14 des Behinderteneinstellungsgesetzes (BEinstG), weil bei ihm folgende Gesundheitsschädigungen vorlägen: "Bandscheiben, Lendenwirbel, Rippen, Knie nach einen Arbeitsunfall von Nov. 94".

Das Bundessozialamt Wien Niederösterreich Burgenland wies mit Bescheid vom 8. Jänner 2002 diesen Antrag des Beschwerdeführers ab, weil nach dem Ergebnis der Ermittlungsverfahrens der Grad der Behinderung nur 30 v. H. betrage.

In der dagegen erhobenen Berufung warf der Beschwerdeführer der Erstbehörde vor, ihre Entscheidung auf ein Sachverständigengutachten gestützt zu haben, in dem seine Gesundheitsschädigungen "unrichtig und unvollständig angeführt" seien, weshalb der Grad seiner Behinderung viel zu gering eingeschätzt worden sei.

Die belangte Behörde ergänzte das Ermittlungsverfahren und holte zur Feststellung des Grades der Behinderung ein amtsärztliches Sachverständigengutachten ein.

Im nervenfachärztlichen Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie vom 8. April 2002, welches dem abschließenden amtsärztlichen Gutachten als Grundlage diente, wird (zusammenfassend) festgehalten:

"…Im neuropsychologischen Status sind keine Defizite zu eruieren, im psychiatrischen Status findet sich ein wacher, allseits ausreichend orientierter, im Ductus kohärenter, im Affekt und Antrieb ausgeglichener Klient. Unter Berücksichtigung sämtlicher eingesehener Befunde sowie dem klinischen Status folgend bestehen bei dem Antragsteller derzeit aus organneurologisch psychiatrisch fachärztlicher Sicht keine Gesundheitsschädigungen, die für die Gesamteinschätzung des Grades der Behinderung zu berücksichtigen sind."

Im Gutachten der Fachärztin für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie vom 3. Mai 2002 wird der Status des Beschwerdeführers wie folgt beschrieben:

"Guter Allgemeinzustand und Ernährungszustand.

Gangbild in Konfektionsschuhen ohne Gehbehelf sicher und flüssig, der Barfußgang, Zehenballen- und Fersengang gut vorzeigbar, die tiefe Hocke kann komplett eingenommen werden.

WS:

Flachrundrücken, Beckenschiefstand nach rechts, Finger-Boden-Abstand 10 cm, Aufrichten frei, Rückwärtsneigen endlagig eingeschränkt, Seitwärtsneigen frei.

HWS:

Frei beweglich, kein Achsenstauchungsschmerz, mäßig

verspannte Nacken- und Schultermuskulatur.

BWS:

Ott 30-32, Rotation und Seitwärtsneigen frei. Es wird ein Druckschmerz spinös im thorakolumbalen Übergang angegeben.

LWS:

Gibbusbildung in Höhe L1/2, dort auch Druckschmerzen, weiters Druckschmerzen paravertebral bei mäßig verspannter Muskulatur, Druckschmerz über dem linken ISG-Gelenk. Schober 10-15.

OE:

Nacken- und Kreuzgriff frei.

Schulter-, Ellenbogen-, Hand- und Fingergelenke frei beweglich, blande Narbe über dem linken Unterarm streckseitig, die Narbe nicht druckempfindlich. Kein Hinweis auf sensomotorische Ausfälle.

UE:

Rechtes Hüftgelenk schmerzfrei beweglich, Extension 0-0-130, Abduktion 40-0-30, Außenrotation 30-0-20, kein Druckschmerz über der Lei(s)te.

Linkes Hüftgelenk: Beweglichkeit Extension 0-0-130, Abduktion 30-0-30, Außenrotation 30-0-20, endlagiger Abduktionsschmerz und geringfügiger endlagiger Innenrotationsschmerz, kein Druckschmerz über der Leiste.

Linkes Kniegelenk: Blande Narben nach Arthroskopie, kein Erguss, nicht überwärmt, frei beweglich, geringfügige mediale Aufklappbarkeit des Seitenbandes, leichte vordere Schublade.

Rechtes Kniegelenk frei beweglich, kein Erguss, nicht überwärmt, bandstabil.

Sprung- und Zehengelenke frei beweglich."

Als Diagnose wurde angeführt: Zustand nach Polytrauma 1994, knöchern geheilte Rippenfraktur rechts, knöchern geheilte Ulnarisfraktur links (Plattenentfernung 1995), knöchern geheilte Wirbelkörperfraktur L1/2, posttraumatisch bedingte Keilwirbelbildung L1/2 mit Kyphosierung, knöchern geheilte Acetabulumfraktur sin. mit geringfügiger Bewegungseinschränkung, knöchern geheilte Sacrumfraktur, Zustand nach Arthroskopie und Meniskusteilresektion linkes Kniegelenk.

Als "Gesundheitsschädigungen, die für die Gesamteinschätzung des Grades der Behinderung berücksichtigt werden", wurde in diesem Gutachten abschließend festgehalten:

"1.

In Keilform geheilter Bruch des 1. und 2. Lendenwirbelkörpers

I/f/185

30%

2.

St.p. Hüftpfannenfraktur links mit inzipienter CoxarthroseURS unter Berücksichtigung des Schmerzerlebens bei geringgradiger Bewegungseinschränkung

I/d/96

10%

3.

St.p. KreuzbeinbruchURS da ohne Funktionsstörung geheilt

I/d/01

10%

4.

St.p. Rippenbruch rechts, da folgenlos abgeheilt

I/b/7

0%

5.

St.p. Ellenbruch linksURS da in anatomisch gerechter PositionFolgenlos abgeheilt

I/c/54

0%

6.

St.p. Meniscektomie linkes KniegelenkORS unter Berücksichtigung des Schmerzerlebens bei freier Beweglichkeit"

III/j/417

10%

Ausgehend von diesen fachärztlichen Gutachten bewertete die Amtsärztin in ihrem abschließenden Gutachten vom 14. Mai 2002 den Grad der Behinderung des Beschwerdeführers gemäß § 7 KOVG wie die Fachärztin für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie in ihrem Gutachten vom 3. Mai 2002 und beurteilte "die Gesamt-MdE" mit 30 v. H. mit der Begründung:

"Der führende Wert der Pos. 1 (in Keilform geheilter Bruch des 1. und 2. LWK) mit 30 v. H. wird durch das Zusammenwirken der anderen Leidenskomponenten von 3 x 10 v. H. und 2 x 0 v. H. um keine Stufe erhöht.

Pos. 2 bis 6 führen aufgrund der fehlenden Wechselwirkung und Geringfügigkeit zu keiner zusätzlichen Funktionsbeeinträchtigung."

Die festgestellte Behinderung sei ab Antragstellung anzunehmen.

In seiner Stellungnahme zu diesem Gutachten vom 20. Juni 2002 führte der Beschwerdeführer aus, der "Status post Hüftpfannenbruch (Position 4 bzw. 3)" sowie die Gesundheitsstörungen zu Position 1 seien nicht (ausreichend) berücksichtigt worden. Es sei nicht nachvollziehbar, warum der "Status post Pneumothorax nicht mehr als Gesundheitsschädigung" aufscheine. Warum die in den Positionen 2 bis 6 angeführten Gesundheitsstörungen keine Wechselwirkung zu der führenden Gesundheitsstörung haben sollen, werde nicht ausreichend begründet.

Die Amtsärztin ergänzte hierauf ihr Gutachten am 8. Juli 2002 wie folgt:

"Der in Keilform geheilte Bruch des 1. und 2. LWK wurde unter Pos. 1 berücksichtigt und somit wurde auch das Vorbringen in der Berufung unter Punkt 1 berücksichtigt, ebenso wurde der Zustand nach Hüftpfannenfraktur entsprechend der geringfügigen Bewegungseinschränkung unter Punkt 2 berücksichtigt.

Pos. 2-6 führen aufgrund der minimalen bzw. nicht bestehenden Funktionseinschränkung zu keiner wechselseitigen Verschlechterung des Grundleidens (Pos. 1).

Ein Zustand nach Pneumothorax beschreibt ein abgeschlossenes Ereignis und ist eine vorübergehende Folge einer Rippenfraktur. Der Endzustand und somit auch der Zustand nach Pneumothorax wurde unter Punkt 4 berücksichtigt.

Das Gutachten vom 05. 03. 2002 bleibt somit vollinhaltlich aufrecht."

In seiner hiezu abgegebenen ergänzenden Stellungnahme vom 8. August 2002 bemängelte der Beschwerdeführer, dass die Gutachten seine Schmerzempfindungen unberücksichtigt gelassen hätten. Auch die "Sekundärauswirkungen" seien ebenso wie eine "geheilte" Beckenbruch-Arthrose nicht befundet worden. Der Beckenbruch sei mit einer "Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 bis 60 %" zu bewerten. In den Gutachten fehle eine Gesamtbeurteilung des Gesundheitszustandes. Das Gutachten vom 8. Juli 2002 befunde nicht die "Beeinträchtigung durch Unfallsfolgen, Folgekrankheiten und sonstigen Beeinträchtigungen".

Hiezu führte die Amtsärztin in Stellungnahme vom 3. September 2002 aus:

"1) Die Schmerzsymptomatik wurde insofern berücksichtigt, als dass die dadurch bedingten Funktionsbehinderungen berücksichtigt wurden.

2) Der im Schreiben als ‚geheilter' Beckenbruch-Arthrose bezeichnete Zustand wurde berücksichtigt, zumal im Bereich des Becken zum ersten ein Zustand nach Hüftpfannenbruch links mit beginnender Arthrose (Abnützung des Hüftgelenkes) vorlag (siehe Pos. 2) als auch ein Zustand nach Kreuzbeinbruch (siehe Pos. 3).

3) Eine Gesamtbeurteilung des Gesundheitszustandes erfolgte, da ein Zusammenwirken der einzelnen Leidenskomponenten bzw. deren fehlende Wechselwirkung beurteilt wurde."

Der Beschwerdeführer machte neuerlich von der ihm gebotenen Möglichkeit zur Stellungnahme mit Schriftsatz vom 30. September 2002 Gebrauch. Er bezeichnete das Gutachten der Amtsärztin für unvollständig und nicht nachvollziehbar. Im Gutachten fehle nach wie vor eine Darstellung von unmittelbaren und mittelbaren Unfallsfolgen und die in jedem Gutachten erforderliche Prognose.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde die Berufung des Beschwerdeführers als unbegründet abgewiesen und ausgesprochen, dass der Beschwerdeführer "auf Grund seines Grades der Behinderung (GdB) von 30 v.H. den in § 2 Abs. 1 Behinderteneinstellungsgesetz (BEinstG) genannten begünstigten Behinderten nicht zuzuzählen" ist. In der Begründung führte die belangte Behörde aus, dass bei der Einschätzung des GdB die Vorschriften des § 7 Kriegsopferversorgungsgesetz (KOVG) zu berücksichtigen gewesen seien. Ihre Bewertung stützte die belangte Behörde auf das Gutachten der Amtsärztin vom 14. Mai 2002, welches als 1. Beiblatt mit der Einschätzung des Grades der Behinderung ausdrücklich zum Bestandteil der Begründung des angefochtenen Bescheides erklärt worden ist. Im Übrigen folgte die belangte Behörde den wiedergegebenen Gutachtensergänzungen der Amtsärztin mit der Begründung, die Schmerzsymptomatik sei nach der Stellungnahme des Gesundheitsamtes vom 3. September 2000 bei der Einschätzung des Grades der Behinderung berücksichtigt worden. Zum Vorbringen, wonach vorhersehbare Folgeerkrankungen nicht bewertet worden seien und eine Prognose fehle, sei festzuhalten, dass gemäß § 3 BEinstG bei der Einschätzung des Grades der Behinderung nur seit mindestens sechs Monaten schon bestehende Behinderungen und nicht auch allenfalls erst in der Zukunft auftretende Erkrankungen zu berücksichtigen seien.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die im Beschwerdefall wesentlichen Bestimmungen des BEinstG (in der von der belangten Behörde anzuwendenden Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 60/2001) lauten wie folgt:

"Personenkreis

§ 2. (1) Begünstigte Behinderte im Sinne dieses Bundesgesetzes sind österreichische Staatsbürger mit einem Grad der Behinderung von mindestens 50 v.H. ...

...

Behinderung

§ 3. Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung, die auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen oder psychischen Zustand beruht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

...

Feststellung der Begünstigung

§ 14 ...

(2) Liegt ein Nachweis im Sinne des Abs. 1 nicht vor, hat auf Antrag des Behinderten das örtlich zuständige Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen den Grad der Behinderung einzuschätzen und bei Zutreffen der im § 2 Abs. 1 angeführten sonstigen Voraussetzungen die Zugehörigkeit zum Kreis der nach diesem Bundesgesetz begünstigten Behinderten (§ 2) sowie den Grad der Behinderung (Abs. 3) festzustellen. Hinsichtlich der ärztlichen Sachverständigen ist § 90 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957, BGBl. Nr. 152, anzuwenden . Die Begünstigungen nach diesem Bundesgesetz werden mit dem Zutreffen der Voraussetzungen, frühestens mit dem Tag des Einlangens des Antrages beim örtlich zuständigen Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen wirksam. Sie werden jedoch mit dem Ersten des Monates wirksam, in dem der Antrag eingelangt ist, wenn dieser unverzüglich nach dem Eintritt der Behinderung (Abs. 3) gestellt wird. Die Begünstigungen erlöschen mit Ablauf des Monates, der auf die Zustellung des Bescheides folgt, mit dem der Wegfall der Voraussetzungen für die Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten rechtskräftig ausgesprochen wird.

...

"Übergangsbestimmungen

§ 27. (1) Bis zum Inkrafttreten der Verordnung gemäß § 14 Abs. 3 sind für die Einschätzung des Grades der Behinderung die Vorschriften der §§ 7 und 9 Abs. 1 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957, BGBl. Nr. 152, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 v.H. außer Betracht zu lassen sind, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.

..."

Der Beschwerdeführer hält den angefochtenen Bescheid deshalb für rechtswidrig, weil dessen Begründung mangelhaft sei. Die Art der Bescheidbegründung durch Verweis auf Schriftstücke entspräche nicht dem Gesetz.

Diesen Ausführungen ist zunächst entgegenzuhalten, dass für das Ausmaß der im § 60 AVG der Behörde auferlegten Begründungspflicht die vollständige Wiedergabe eines Sachverständigengutachtens, auf welchem die rechtliche Beurteilung eines Bescheides aufbaut, im Begründungsteil nicht unbedingt erforderlich ist, weil für die gesetzmäßige Begründung eines Bescheides (nur) maßgeblich ist, welchen Sachverhalt die Behörde ihrer Entscheidung zu Grunde gelegt hat, aus welchen Erwägungen sie zur Ansicht gelangt ist, dass der festgestellte Sachverhalt vorliegt und aus welchen Gründen die Behörde die Subsumption des Sachverhalts unter eine bestimmten Tatbestand für zutreffend erachtet (siehe die Walter-Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 (1998) zu § 60 AVG, Seiten 1044 ff, referierte hg. Rechtsprechung). Mit ihrer Vorgangsweise - Verweis auf ein zum Bestandteil der Sachverhaltsfeststellungen erklärtes, dem Bescheid angeschlossenes Sachverständigengutachten -

hat die belangte Behörde ihre Begründungspflicht nicht verletzt, weil auch durch diese Vorgangsweise mit der erforderlichen Klarheit zum Ausdruck kommt, dass die Behörde den von der Sachverständigen in ihrem Gutachten auf fachkundiger Basis erhobenen Befund und die daraus in ihrem Gutachten (im engeren Sinn) gezogenen Schlussfolgerungen ihrer Entscheidung zu Grunde gelegt hat.

Die Begründung des angefochtenen Bescheides soll nach Ansicht des Beschwerdeführers aber auch unter Einbeziehung der zum integrierenden Bestandteil desselben erklärten Beiblätter nicht schlüssig sein, weil darin nur kurze apodiktische Behauptungen enthalten seien, die in keiner Weise aus dem Befund und den fachkundigen Überlegungen abgeleitet werden könnten. Auch unter Einbeziehung der Volltexte der Gutachten könne nicht nachvollzogen werden, ob der für die Folgen der Lendenwirbelbrüche (für sich allein) ermittelte Behinderungsgrad von 30% unmittelbar aus dem Grad des Beckenschiefstandes folge oder ob noch andere individuelle Faktoren als Auswirkungen in die Beurteilung eingeflossen seien. Im ersten Fall sei offen, ob der Prozentsatz einer normartigen Grundlage entnommen worden sei, auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhe oder einfach nur auf einer nicht näher ergründbaren Meinung des (der) Sachverständigen aufbaue. Im zweiten Fall wäre nicht erkennbar, welche Gesichtspunkte in die Beurteilung eingeflossen seien. Sinngemäß gelte dies auch für alle anderen Beeinträchtigungen, für welche Behinderungsgrade verneint oder mit 10% angesetzt worden seien.

Diesem Vorbringen ist entgegenzuhalten, dass im angefochtenen Bescheid der Grad der Behinderung der im Sachverständigengutachten festgestellten Gesundheitsschädigungen des Beschwerdeführers ausdrücklich unter Hinweis auf die Richtsätze für die Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) gemäß § 7 KOVG bewertet worden ist. Gemäß § 2 Abs. 1 der Verordnung des Bundesministeriums für soziale Verwaltung über die Richtsätze für die Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit nach den Vorschriften des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 dürfen bei der Minderung der Erwerbsfähigkeit weder die festen Sätze noch die Rahmensätze unter- oder überschritten werden. Dass auf Grund der festgestellten Gesundheitsschädigungen nicht die in der genannten Verordnung hiefür vorgesehenen Richtsätze herangezogen worden wären, wird in der Beschwerde (nachvollziehbar) nicht behauptet. Für den Verwaltungsgerichtshof ist eine verfehlte Anwendung der in dieser Verordnung für die hier maßgeblichen Gesundheitsschädigungen vorgesehenen Richtsätze nicht erkennbar. Mangels Konkretisierung des Beschwerdevorbringens dahin, auf Grund welcher weiterer (in den der belangten Behörde vorliegenden Gutachten nicht genannter) Gesundheitsschädigungen eine Erhöhung des Grades der Behinderung auf mindestens 50 v.H. verbunden wäre, bestehen gegen die Schlüssigkeit der von der Behörde ihrer Entscheidung zu Grunde gelegten Sachverständigengutachten keine Bedenken. Es trifft daher auch der unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes vorgetragene Vorwurf des Beschwerdeführers nicht zu, die belangte Behörde habe keine eigenen Überlegungen angestellt und "alles den Sachverständigen überlassen".

Die Gesamtbeurteilung mehrerer Leidenszustände hat nicht im Wege einer Addition der aus den Richtsatzpositionen sich ergebenden Hundertsätze der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu erfolgen, sondern nach den Grundsätzen des § 3 der genannten Richtsatzverordnung. Nach dieser Bestimmung ist dann, wenn mehrere Leiden zusammentreffen, bei der Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit zunächst von der Gesundheitsschädigung auszugehen, die die höchste Minderung der Erwerbsfähigkeit verursacht. Sodann ist zu prüfen, ob und inwieweit der durch die Gesamteinschätzung zu erfassende Leidenszustand infolge des Zusammenwirkens aller gemäß § 4 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 zu berücksichtigenden Gesundheitsschädigungen eine höhere Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit rechtfertigt, wobei im Falle der Beurteilung nach dem BEinstG gemäß § 27 Abs. 1 dieses Gesetzes Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 v. H. außer Betracht zu lassen sind, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. Jänner 2001, Zl. 2000/11/0191). Die Vorgangsweise der ärztlichen Amtssachverständigen, auf deren zusammenfassende Beurteilung die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid stützt, entspricht dieser Rechtslage.

Der Beschwerdeführer rügt weiters, dass die anerkannten Behinderungsgrade nicht zusammengerechnet worden seien. Ob eine Addition vorzunehmen sei, hänge davon ab, welche Auswirkungen die einzelnen Beeinträchtigungen auf die Leistungsfähigkeit bzw. die verschiedenen körperlichen Betätigungsformen hätten, die im Berufsleben relevant seien. Hiezu gäbe es im Beschwerdefall nur die amtsärztliche Äußerung über eine "fehlende Wechselwirkung". Hierbei handle es sich jedoch um eine Schlussfolgerung, für welche die Feststellungen fehlten, welche Auswirkungen die einzelnen Beeinträchtigungen haben.

Aus den erhobenen und von den zuständigen Fachärzten begutachteten Gesundheitsschädigungen hat die Amtsärztin auf Grund ihres Fachwissens (mit dem Hinweis auf die minimale Funktionseinschränkung bei den erwähnten Positionen 2 bis 6) eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung infolge eines Zusammenwirkens dieser Gesundheitsschädigungen verneint. Der Beschwerdeführer hatte Gelegenheit, diese begründeten Ausführungen der Sachverständigen in geeigneter Weise, etwa mit einem Privatgutachten zu widerlegen, dies jedoch unterlassen. Auf Grund der Beschwerdeausführungen ist für den Verwaltungsgerichtshof eine Unschlüssigkeit des amtsärztlichen Sachverständigengutachtens nicht erkennbar.

Ein Verfahrens- und Begründungsmangel liegt nach Ansicht des Beschwerdeführers auch deshalb vor, weil die Auswirkung der Schmerzen nicht hinreichend berücksichtigt worden sei. Es fehlten Angaben dahingehend, welche Bewegungen oder Betätigungen überhaupt oder nach welcher Zeit dadurch nicht oder nur unter unzumutbaren Schmerzen möglich sein sollen.

Mit diesem Vorbringen übersieht der Beschwerdeführer, dass die Amtssachverständige in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 3. September 2002 ausgeführt hat, dass und in welchem Umfang die aus den festgestellten Gesundheitsschädigungen resultierenden Schmerzen bei Erstellung des Gutachtens berücksichtigt worden sind. Im oben wiedergegebenen Gutachten der Fachärztin für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie vom 3. Mai 2002, welches dem Gutachten der Amtsärztin als Grundlage diente, wurden die Bewegungseinschränkungen des Beschwerdeführers ausführlich beschrieben. Dem Beschwerdeführer ist es somit nicht gelungen, relevante Verfahrensmängel aufzuzeigen.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 24. September 2003

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