VwGH 2002/11/0223

VwGH2002/11/022325.11.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Graf und Dr. Gall als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des PS in H, vertreten durch Winkler - Heinzle, Rechtsanwaltspartnerschaft in 6900 Bregenz, Gerberstraße 4, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 10. Oktober 2002, Zl. Ib-277-148/2002, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung, zu Recht erkannt:

Normen

FSG 1997 §24;
FSG 1997 §7 Abs2;
MRK Art6 Abs1;
MRKZP 07te Art4 Abs1;
FSG 1997 §24;
FSG 1997 §7 Abs2;
MRK Art6 Abs1;
MRKZP 07te Art4 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 24 Abs. 1 Z. 1 FSG die Lenkberechtigung für die Klassen A1, A, B, C1, C, E (D), E (C1), E (C), F und G für die Dauer von sechs Monaten ab der (am 5. September 2002 erfolgten) Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides vom 4. September 2002 entzogen. In der Begründung führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe in der Zeit von November 2000 bis Juni 2001 Suchtgift in einer großen Menge, nämlich 800 bis 1000 g Marihuana, durch Übergabe an verschiedene Drogenkonsumenten in Verkehr gesetzt und im Zeitraum April 1999 bis September 2001 Suchtgift erworben und besessen, und zwar Marihuana in einer nicht erhobenen Menge konsumiert. Er sei deshalb wegen des Verbrechens nach § 28 Abs. 2 Suchtmittelgesetz - SMG und wegen des Vergehens nach § 27 Abs. 1 leg. cit. in Anwendung der §§ 28 und 37 StGB zu einer Geldstrafe von 240 Tagessätzen verurteilt worden. Die Höhe des einzelnen Tagessatzes sei mit EUR 2,-- bestimmt worden. Das Verbrechen nach § 28 Abs. 2 SMG stelle eine bestimmte Tatsache dar und habe zweifellos die Verkehrsunzuverlässigkeit des Beschwerdeführers zur Folge gehabt. Die Weitergabe von Suchtgift in einer Menge von 800 bis 1000 g sei besonders verwerflich, weil damit ein größerer Personenkreis einer nachhaltigen gesundheitlichen Schädigung ausgesetzt worden sei. Da seit der Beendigung des strafbaren Verhaltens bis zur Erlassung des erstinstanzlichen Entziehungsbescheides rund ein Jahr verstrichen sei, sei die Dauer der Verkehrsunzuverlässigkeit mit sechs Monaten anzunehmen gewesen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof und an den Verwaltungsgerichtshof. Der Verfassungsgerichtshof lehnte mit Beschluss vom 11. Oktober 2003, B 1606/02, die Behandlung der an ihn gerichteten Beschwerde ab. In der Begründung verwies er auf sein Erkenntnis vom selben Tag, B 1031/02, in dem er die behauptete Verletzung in dem aus Art. 4 Abs. 1 des 7. ZPEMRK sich ergebenden Rechtes durch eine auf § 7 Abs. 2 FSG (in der Fassung vor der 5. FSG-Novelle) gestützte Entziehung der Lenkberechtigung deshalb für nicht gegeben erachtet hat, weil es sich (auch) bei der auf § 7 Abs. 2 FSG gestützten Entziehung der Lenkberechtigung um eine administrative Sicherungsmaßnahme und nicht um eine Strafe handle.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

Für den Beschwerdefall sind folgende Bestimmungen des Führerscheingesetzes - FSG, in der von der belangten Behörde anzuwendenden Fassung der 5. FSG-Novelle, BGBl. I Nr. 81/2002, maßgebend:

"Allgemeine Voraussetzungen für die Erteilung einer Lenkberechtigung

§ 3. (1) Eine Lenkberechtigung darf nur Personen erteilt werden, die:

...

2. verkehrszuverlässig sind (§ 7),

...

Verkehrszuverlässigkeit

§ 7 (1) Als verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn nicht auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs. 3) und ihrer Wertung (Abs. 4) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen

1. die Verkehrssicherheit insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr oder durch Trunkenheit oder einen durch Suchtmittel oder durch Medikamente beeinträchtigten Zustand gefährden wird, oder

2. sich wegen der erleichternden Umstände, die beim Lenken von Kraftfahrzeugen gegeben sind, sonstiger schwerer strafbarer Handlungen schuldig machen wird.

...

...

(3) Als bestimmte Tatsache im Sinne des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn jemand:

...

12. eine strafbare Handlung gemäß §§ 28 Abs. 2 bis 5 oder 31 Abs. 2 Suchtmittelgesetz - SMG, BGBl. I Nr. 112/1997, begangen hat;

...

(4) Für die Wertung der in Abs. 3 beispielsweise angeführten Tatsachen sind deren Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend.

...

Entziehung, Einschränkung und Erlöschen der Lenkberechtigung Allgemeines

§ 24. (1) Besitzern einer Lenkberechtigung, bei denen die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkberechtigung (§ 3 Abs. 1 Z 2 bis 4) nicht mehr gegeben sind, ist von der Behörde entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit

1. die Lenkberechtigung zu entziehen oder

...

Dauer der Entziehung

§ 25. (1) Bei der Entziehung ist auch auszusprechen, für welchen Zeitraum die Lenkberechtigung entzogen wird. Dieser ist auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens festzusetzen....

...

(3) Bei einer Entziehung wegen mangelnder Verkehrszuverlässigkeit (§ 7) ist eine Entziehungsdauer von mindestens drei Monaten festzusetzen."

Soweit der Beschwerdeführer auch in der vorliegenden Beschwerde einen Verstoß gegen Art. 4 Abs. 1 des 7. ZPEMRK geltend macht, ist er auf das im Ablehnungsbeschluss des Verfassungsgerichtshofes zitierte Erkenntnis dieses Gerichtshofes vom 11. Oktober 2003, B 1031/02, hinzuweisen. In Ansehung der behaupteten Verletzung dieses verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes ist der Verwaltungsgerichtshof zufolge Art. 133 Z. 1 B-VG unzuständig. Zu einer Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof gemäß Art. 140 Abs. 1 B-VG sieht sich der Verwaltungsgerichtshof im Hinblick auf die Begründung des genannten Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes nicht veranlasst. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass sich die vor der 5. FSG-Novelle in § 7 Abs. 2 FSG umschriebene Verkehrsunzuverlässigkeit nun in § 7 Abs. 1 Z. 2 FSG findet. Eine erhebliche inhaltliche Änderung war damit nicht verbunden, weshalb das zu § 7 Abs. 2 FSG in der Fassung vor der 5. FSG-Novelle ergangene oben genannte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes auch für die Rechtslage nach der 5. FSG-Novelle von Bedeutung ist. Soweit die belangte Behörde in der Begründung ihres Bescheides Bestimmungen des FSG in der Fassung vor der 5. FSG-Novelle zitiert, ist dies zwar verfehlt, doch ergibt sich daraus mangels inhaltlicher Änderung der anzuwendenden Vorschriften keine Verletzung von Rechten des Beschwerdeführers.

Ist für eine Tat keine strengere Strafe als Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren, sei es auch in Verbindung mit einer Geldstrafe, angedroht, so ist gemäß § 37 Abs. 1 StGB statt auf eine Freiheitsstrafe von nicht mehr als sechs Monaten gleichwohl auf eine Geldstrafe von nicht mehr als 360 Tagessätzen zu erkennen, wenn es nicht der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe bedarf, um den Täter von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten oder der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegen zu wirken. Dem Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 11. März 2002, mit dem über den Beschwerdeführer eine Geldstrafe von 240 Tagessätzen verhängt wurde, liegt die Auffassung zugrunde, dass die Verhängung der Geldstrafe genügt, um den Beschwerdeführer von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten, und dass es dazu nicht der Verurteilung zu einer - allenfalls auch bedingt nachzusehenden - Freiheitsstrafe bedarf. Die mit dieser Prognose in Widerspruch stehende Ansicht der belangten Behörde, beim Beschwerdeführer müsse für die Dauer von sechs Monaten ab Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides angenommen werden, dass er sich weiterer schwerer strafbarer Handlungen schuldig machen werde, die durch das Lenken von Kraftfahrzeugen erleichtert werden, ist nach dem festgestellten Sachverhalt, insbesondere unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Beschwerdeführer bis zu seiner Verurteilung am 11. März 2002 unbescholten gewesen ist, und das eine bestimmte Tatsache gemäß § 7 Abs. 3 Z. 12 FSG darstellende strafbare Verhalten im Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides bereits mehr als 15 Monate zurücklag, nicht begründet. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass es für die Annahme der Verkehrsunzuverlässigkeit nach § 7 Abs. 1 Z. 2 FSG nicht genügt, dass die Begehung sonstiger schwerer strafbarer Handlungen bloß nicht ausgeschlossen werden kann. Es muss vielmehr die Annahme begründet sein, der Betreffende werde sich wegen der erleichternden Umstände, die beim Lenken von Kraftfahrzeugen gegeben sind, "sonstiger schwerer strafbarer Handlungen schuldig machen" (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom 23. April 2002, Zl. 2002/11/0019, und vom 25. Februar 2003, Zl. 2002/11/0114). Das Erfordernis einer Prognose künftigen strafbaren Verhaltens war nach der Begründung des zuvor genannten Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 11. Oktober 2003 entscheidend dafür, die Entziehung der Lenkberechtigung wegen Verkehrsunzuverlässigkeit gemäß § 7 Abs. 2 FSG - dieser Bestimmung entspricht nunmehr § 7 Abs. 1 Z. 2 leg. cit. - als administrative Sicherungsmaßnahme und nicht als Strafe zu qualifizieren.

Aus den dargelegten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Von der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung war gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abzusehen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 25. November 2003

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