VwGH 2002/11/0071

VwGH2002/11/007113.8.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Graf, Dr. Gall, Dr. Pallitsch und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des F in W, vertreten durch Dr. Franz Guggenberger, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Börsegasse 12, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 6. November 2001, Zl. MA 15-II-BEG 59/2001, betreffend Feststellung der Zugehörigkeit zum Kreis der nach dem Behinderteneinstellungsgesetz begünstigten Behinderten, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §45 Abs2;
AVG §52;
BEinstG §14 Abs3 idF 2001/I/060;
BEinstG §2 Abs1 idF 2001/I/060;
BEinstG §3 Abs2 idF 2001/I/060;
KOVG 1957 §4;
KOVG 1957 §7 Abs2;
KOVG RichtsatzV 1965 §3;
AVG §45 Abs2;
AVG §52;
BEinstG §14 Abs3 idF 2001/I/060;
BEinstG §2 Abs1 idF 2001/I/060;
BEinstG §3 Abs2 idF 2001/I/060;
KOVG 1957 §4;
KOVG 1957 §7 Abs2;
KOVG RichtsatzV 1965 §3;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers vom 1. November 2000 auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten nach den §§ 2 und 14 Behinderteneinstellungsgesetz (BEinstG) ab. In der Begründung führte sie aus, das amtsärztliche Gutachten vom 31. Juli 2001 habe folgenden wesentlichen Inhalt:

" Einstufung gemäß § 7:

1.

Degenerative Wirbelsäulen-veränderungen im Sinne eines Cervikolumbalsyndroms (oberer Rahmensatz, da mittelgradige Bewegungseinschränkung cervikal und endlagige Bewegungseinschränkung lumbal)

I/f/190

30 v.H.

2.

Knieschmerz beidseits bei degenerativen Veränderungen an den Kniegelenken. Zustand nach Ossikelentfernung beidseits und anhaltender Schmerz mit Bewegungseinschränkung am rechten Kniegelenk (eine Stufe über dem unteren Rahmensatz wegen zunehmender Schmerzen und zunehmender Bewegungseinschränkung)

III/j/418

30 v.H.

3.

Hypertonie (unterer Rahmensatz, da medikamentös behandelbar)

III/c/323

20 v.H.

4.

Sensomotorisches S1-Syndrom g.Z. rechts

IV/i/495

20 v.H.

5.

Tinnitus rechts bei geringgradiger Innenohrstörung beidseits (oberer Rahmensatz, da Tinnitus sehr belastend)

VII/a/643 Tbl. 1/2

20 v.H.

6.

Episodenhafte Cephalea (unterer Rahmensatz da lediglich episodenhaftes Auftreten)

IV/n/531

10 v.H.

Begründung

Der führende Wert der Position 1 mit einem Grad der Behinderung von 30 v.H. wird durch das Hinzukommen der übrigen Positionen mit einem G.d.B. von 1 x 30 v.H. und 3 x 20 v.H. und 1 x 10 v.H. um eine Stufe erhöht.

Aus fachärztlich orthopädischer Sicht ergeben die Positionen 1, 2 und 4 einen Gesamt-GdB von 30 v.H. Der Bluthochdruck und der Tinnitus beeinflussen die degenerativen Wirbelsäulenbeschwerden nicht negativ. Bei der Position 6 handelt es sich um eine Gesundheitsschädigung mit einem G.d.B. von weniger als 20 v.H.; die auch im Zusammenwirken mit anderen Gesundheitsschädigungen keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.

Somit beträgt der Gesamt-GdB 40 v.H. und ist ab Antragstellung anzuerkennen."

Weiters führte die belangte Behörde begründend aus, dieses Gutachten sei dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebracht worden. Er habe dagegen keinen Einwand erhoben. Nach dem schlüssigen Gutachten, das dem Bescheid zugrunde gelegt werde, betrage der Gesamtgrad der Behinderung 40 v.H. Da somit die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 BEinstG nicht erfüllt seien, sei der Antrag abzuweisen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Für den Beschwerdefall sind folgende Bestimmungen des BEinstG (in der von der belangten Behörde anzuwendenden Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 60/2001) von Bedeutung:

"Personenkreis

§ 2. (1) Begünstigte Behinderte im Sinne dieses Bundesgesetzes sind österreichische Staatsbürger mit einem Grad der Behinderung von mindestens 50 v.H. ...

(2) Nicht als begünstigte Behinderte im Sinne des Abs. 1 gelten behinderte Personen, die

...

c) nach bundes- oder landesgesetzlichen Vorschriften Geldleistungen wegen dauernder Erwerbsunfähigkeit (dauernder Berufsunfähigkeit) bzw. Ruhegenüsse oder Pensionen aus dem Versicherungsfall des Alters beziehen und nicht in Beschäftigung stehen oder

...

Behinderung

§ 3. Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung, die auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen oder psychischen Zustand beruht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

...

Feststellung der Begünstigung

§ 14 ...

(2) Liegt ein Nachweis im Sinne des Abs. 1 nicht vor, hat auf Antrag des Behinderten das örtlich zuständige Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen den Grad der Behinderung einzuschätzen und bei Zutreffen der im § 2 Abs. 1 angeführten sonstigen Voraussetzungen die Zugehörigkeit zum Kreis der nach diesem Bundesgesetz begünstigten Behinderten (§ 2) sowie den Grad der Behinderung (Abs. 3) festzustellen. Hinsichtlich der ärztlichen Sachverständigen ist § 90 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957, BGBl. Nr. 152, anzuwenden . Die Begünstigungen nach diesem Bundesgesetz werden mit dem Zutreffen der Voraussetzungen, frühestens mit dem Tag des Einlangens des Antrages beim örtlich zuständigen Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen wirksam. Sie werden jedoch mit dem Ersten des Monates wirksam, in dem der Antrag eingelangt ist, wenn dieser unverzüglich nach dem Eintritt der Behinderung (Abs. 3) gestellt wird. Die Begünstigungen erlöschen mit Ablauf des Monates, der auf die Zustellung des Bescheides folgt, mit dem der Wegfall der Voraussetzungen für die Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten rechtskräftig ausgesprochen wird.

...

"Übergangsbestimmungen

§ 27. (1) Bis zum Inkrafttreten der Verordnung gemäß § 14 Abs. 3 sind für die Einschätzung des Grades der Behinderung die Vorschriften der §§ 7 und 9 Abs. 1 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957, BGBl. Nr. 152, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 v.H. außer Betracht zu lassen sind, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.

..."

Da eine Verordnung gemäß § 14 Abs. 3 BEinstG noch nicht erlassen wurde, hat die von der Beschwerdeführerin beantragte Feststellung der Zugehörigkeit zum Personenkreis der begünstigten Behinderten gemäß den Bestimmungen der §§ 2 und 14 auf Grund der gemäß § 7 Abs. 2 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 ergangenen Verordnung des Bundesministers für soziale Verwaltung vom 9. Juni 1965, BGBl. Nr. 150, über die Richtsätze für die Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit nach den Vorschriften des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 und die in der Anlage zu dieser Verordnung genannten Richtsätze zu erfolgen.

In dieser Verordnung wird u. a. angeordnet:

"§ 1. (1) Die Minderung der Erwerbsfähigkeit im Sinne des § 7 Abs. 1 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 ist nach den Richtsätzen einzuschätzen, die nach Art und Schwere des Leidenszustandes in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage festgelegt sind. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.

(2) Bei Leiden, für die Richtsätze nicht festgesetzt sind, ist die Minderung der Erwerbsfähigkeit unter Bedachtnahme auf die Richtsätze für solche Leiden einzuschätzen, die in ihrer Art und Intensität eine zumindest annähernd gleiche körperliche Beeinträchtigung in Hinsicht auf das allgemeine Erwerbsleben bewirken.

§ 3. Treffen mehrere Leiden zusammen, dann ist bei der Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit zunächst von der Gesundheitsschädigung auszugehen, die die höchste Minderung der Erwerbsfähigkeit verursacht. Sodann ist zu prüfen, ob und inwieweit der durch die Gesamteinschätzung zu erfassende Gesamtleidenszustand infolge des Zusammenwirkens aller gemäß § 4 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 zu berücksichtigenden Gesundheitsschädigungen eine höhere Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit rechtfertigt. Fällt die Einschätzung der durch ein Leiden bewirkten Minderung der Erwerbsfähigkeit in mehrere Fachgebiete der ärztlichen Wissenschaft, ist sinngemäß in gleicher Weise zu verfahren.

…"

Nach der zuletzt zitierten Verordnungsstelle hat die Gesamteinschätzung mehrerer Leidenszustände nicht im Wege einer Addition der aus den Richtsatzpositionen sich ergebenden Hundertsätze der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu erfolgen, sondern es ist bei Zusammentreffen mehrerer Leiden zunächst von der Gesundheitsschädigung auszugehen, die die höchste Minderung der Erwerbsfähigkeit verursacht. Sodann ist zu prüfen, ob und inwieweit der durch die Gesamteinschätzung zu erfassende Gesamtleidenszustand infolge des Zusammenwirkens aller gemäß § 4 Kriegsopferversorgungsgesetz 1957 zu berücksichtigenden Gesundheitsschädigungen eine höhere Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit rechtfertigt (siehe dazu u.a. die hg. Erkenntnisse vom 23. Jänner 2001, Zl. 2000/11/0191, und vom 26. November 2002, Zl. 2001/11/0404). Diese Frage hat zunächst das ärztliche Sachverständigengutachten zu beurteilen und ausreichend zu begründen. Die Gesamteinschätzung nimmt dann die Behörde unter Bedachtnahme auf den durchgeführten Sachverständigenbeweis vor, den sie im Rahmen der Beweiswürdigung zu beurteilen hat (siehe dazu u.a. die hg. Erkenntnisse vom 14. März 2001, Zl. 95/08/0103, und vom 27. Juli 2001, Zl. 97/08/0162).

Das von der belangten Behörde ihren Sachverhaltsfeststellungen zugrunde gelegte Sachverständigengutachten vom 31. Juli 2001 ist in Ansehung der Beurteilung des Gesamtgrades der Behinderung nicht schlüssig. Warum die Positionen 1 (Minderung der Erwerbsfähigkeit 30 v.H.), 2 (Minderung der Erwerbsfähigkeit 30 v.H.) und 4 (Minderung der Erwerbsfähigkeit 20 v.H.) nur einen Gesamtgrad der Behinderung von 30 v.H. ergeben, wird nicht näher ausgeführt und ist für den Verwaltungsgerichtshof auf Grund des Akteninhaltes nicht nachvollziehbar, betreffen doch diese Leiden durchwegs den Bewegungsapparat. Dazu kommt, dass nach der Äußerung der Fachärztin für Orthopädie und orthopädische Chirurgie Dr. U. vom 26. Juli 2001 der Gesamtgrad der Behinderung durch diese Positionen 40 v.H. beträgt. Dem amtsärztlichen Gutachten vom 31. Juli 2001 und damit der Begründung des angefochtenen Bescheides ist sohin nicht in nachvollziehbarer Weise zu entnehmen, aus welchem Grund ein Gesamtgrad der Behinderung von 40 v.H. angenommen wird. Die mangelnde Schlüssigkeit des Gutachtens wurde auch nicht dadurch saniert, dass der Beschwerdeführer es im Verwaltungsverfahren verabsäumt hat, im Rahmen des ihm gewährten Parteiengehörs auf die Unschlüssigkeit hinzuweisen. Aus dem dargelegten Grund war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Im fortzusetzenden Verfahren wird die belangte Behörde im Hinblick auf die in der Berufung enthaltene Behauptung des Beschwerdeführers, seit 1. April 2001 Pension zu beziehen, zu prüfen haben, ob allenfalls der Tatbestand des § 2 Abs. 2 lit. c BEinstG erfüllt ist.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 13. August 2003

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