VwGH 2002/08/0259

VwGH2002/08/025922.1.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über den in der Beschwerdesache des G in L, vertreten durch Dr. Karl Puchmayr, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Friedhofstraße 6, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 28. Juni 2002, Zl. SV(SanR)-410438/2-2002- Bb/May, betreffend Haftung für Beitragsschuldigkeiten gem. § 67 Abs. 10 ASVG (mitbeteiligte Partei: Oberösterreichische Gebietskrankenkasse, 4021 Linz, Gruberstraße 77), gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist, den Beschluss gefasst:

Normen

VwGG §46 Abs1;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

  1. 1. Dem Antrag wird keine Folge gegeben.
  2. 2. Die Beschwerde wird als verspätet zurückgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 28. Juni 2002, dem Beschwerdevertreter zugestellt am 5. Juli 2002, wurde - in Bestätigung des erstinstanzlichen Bescheides der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse - der nunmehrige Beschwerdeführer als Geschäftsführer einer näher bezeichneten GesmbH gem. § 67 Abs. 10 ASVG zur Zahlung von bei der Gesellschaft uneinbringlichen Sozialversicherungsbeiträgen in der Höhe von rd 5,1 Mio S an die Gebietskrankenkasse verpflichtet.

Gegen diesen Bescheid erhob zunächst die genannte Gesellschaft Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, der diese zu Zl. 2002/08/0210 protokollierte Beschwerde mit Beschluss vom 3. Oktober 2002 mangels Berechtigung der beschwerdeführenden Gesellschaft zu ihrer Erhebung gem. § 34 Abs. 1 VwGG zurückwies. Dieser Beschluss wurde dem Beschwerdevertreter am 25. Oktober 2002 zugestellt. Mit am 8. November 2002 zur Post gegebenem Schriftsatz beantragt der Beschwerdeführer - und Verpflichteter des angefochtenen Bescheides - die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist, erhebt gleichzeitig gegen den eingangs erwähnten Bescheid Beschwerde und beantragt, dieser Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Der Wiedereinsetzungsantrag wird der Sache nach - zusammengefasst - damit begründet, dass der Beschwerdevertreter im Hinblick auf einen geplanten Urlaubsantritt am 9. August 2002 beabsichtigt habe, die Beschwerde zwei Tage vorher zu verfassen, dass dieses Vorhaben aber daran gescheitert sei, dass der Beschwerdeführer von einem Wassereintritt in sein Haus verständigt worden, dorthin mit dem Auto aufgebrochen sei und auf Grund der schweren Regenfälle und der hochwasserbedingten Strassensperren nicht mehr in die Kanzlei habe zurückkehren können. Er habe deshalb einen in Linz wohnhaften emeritierten Kollegen und ehemaligen verlässlichen Kanzleimitarbeiter mit der Verfassung der Beschwerde beauftragt und diesem am 8. August ein von ihm selbst verfasstes "Gerüst einer Verwaltungsgerichtshofbeschwerde" auf Diskette zur Verfügung gestellt. Die Bezeichnung des Beschwerdeführers habe in diesem "Gerüst" noch richtig auf den nunmehrigen Beschwerdeführer (und Geschäftsführer der Gesellschaft) gelautet. Der beauftragte emeritierte Rechtsanwalt habe aber zwei Änderungen an diesem "Gerüst" vorgenommen, und zwar die Abänderung der Bezeichnung des Beschwerdeführers auf die Gesellschaft (entsprechend dem Betreff des angefochtenen Bescheides) und das Datum (Abänderung auf den letzten Tag der Frist). Von diesen Abänderungen habe er den Beschwerdevertreter "nicht in Kenntnis gesetzt". Die "Beschwerdekorrektur" (gemeint: die schließlich verfasste Beschwerde) habe der Beschwerdevertreter "etwa eine Stunde vor seinem Abflug ... gelesen und sodann die gesamte Post unterfertigt", sich beim Durchlesen jedoch "naturgemäß auf die vom (beauftragten emeritierten Rechtsanwalt) verfassten Ausführungen beschränkt, zumal er jenen Teil, den er selbst verfasst hatte, ohnedies kannte." Auf den Gedanken, dass Änderungen an seinem "Gerüst" vorgenommen worden seien, sei er nicht gekommen. Die Änderung der Bezeichnung des Beschwerdeführers sei ihm infolge der großen Hektik in der Kanzlei nicht aufgefallen.

Ausgehend von dem im Wiedereinsetzungsantrag behaupteten Sachverhalt erweist sich der (rechtzeitig gestellte) Antrag auf Wiedereinsetzung als nicht begründet:

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Der Beschwerdeführer macht der Sache nach geltend, dass die Beschwerdefrist deshalb versäumt worden sei, weil die gegen den angefochtenen Bescheid an sich fristgerecht erhobene Beschwerde nicht in seinem Namen, sondern - versehentlich - im Namen der Gesellschaft eingebracht (und diese mangels Beschwerdelegitimation daher vom Verwaltungsgerichtshof zurückgewiesen) worden und dies dem Beschwerdevertreter bei der Unterfertigung der Beschwerde nicht aufgefallen sei. Als "unvorhersehbares und unabwendbares Ereignis", welches der Einhaltung der Frist entgegengestanden sei, wird eine Sachverhaltskette dargelegt, von der offenbleiben kann, ob sie durchwegs unvorhergesehene und unabwendbare Ereignisse beinhaltet (insbesondere was den Zeitpunkt des Urlaubsantrittes des Beschwerdevertreters und die dadurch ausgelöste "Hektik" im Büro betrifft), weil aus folgenden Gründen nicht gesagt werden kann, dass den Beschwerdevertreter kein grobes Verschulden daran trifft, dass der Beschwerdeschriftsatz namens der unrichtigen beschwerdeführende Partei eingebracht wurde:

Ein Verschulden des Parteienvertreters ist nach ständiger Rechtsprechung einem Verschulden der Partei selbst gleichzusetzen. Ein Versehen eines Angestellten eines Rechtsanwaltes ist diesem nur dann als Verschulden anzulasten, wenn der Rechtsanwalt die gebotene und ihm zumutbare Kontrolle gegenüber dem Angestellten unterlassen hat. Dieser Maßstab gilt sinngemäß auch gegenüber sonstigen Hilfspersonen, derer sich der Rechtsanwalt bei der Verfassung fristgebundener Schriftsätze bedient.

Ungeachtet dessen, ob in der Kanzlei des Beschwerdevertreters auf Grund seines bevorstehenden Urlaubsantrittes einerseits und auf Grund der - wie er behauptet: hochwasserbedingt - knappen Vorlage des von einem emeritierten Rechtsanwalt verfassten Schriftsatzes zur Unterschrift ("etwa eine Stunde vor dem Abflug") "große Hektik herrschte", hat dies keine Auswirkungen auf den an das Verhalten des Rechtsanwaltes anzulegenden Sorgfaltsmaßstab. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bedeutet es in Falle fristgebundener Schriftsätze ein grobes Verschulden des Rechtsanwaltes, wenn er einen Schriftsatz vor Unterfertigung nicht durchliest (und diese Unterlassung für Inhaltsmängel und damit für die Fristversäumung kausal ist - vgl. zB zur erforderlichen Kontrolle der Daten des angefochtenen Bescheides die Beschlüsse vom 18. Jänner 1989, 88/13/0231, 0232, und vom 24. September 1990, Zl. 90/19/0437; zur ständigen Rechtsprechung betreffend die Anforderungen an die Kontrolle von Mängelbehebungsschriftsätzen zB den Beschluss vom 20. August 1996, Zl. 96/16/0124, mit zahlreichen Hinweisen auf die Vorjudikatur und - aus jüngerer Zeit - jenen vom 23. April 2002, Zl. 2002/14/0041).

Wenn es der Beschwerdevertreter verabsäumt hat, zumindest die für die Zulässigkeit und damit für die Fristwahrung unerlässlichen Bestandteile einer Verwaltungsgerichtshofbeschwerde (nämlich die an den Verwaltungsgerichtshof gerichtete Erklärung, namens welcher Partei gegen welchen Bescheid Beschwerde erhoben werden soll) zu kontrollieren, diese vielmehr insoweit ungelesen unterfertigt hat, so ist ihm auch dann grobes Verschulden anzulasten, wenn er ins Treffen führt, dem von ihm mit der Verfassung der Beschwerde Beauftragten ein mit der richtigen Bezeichnung der beschwerdeführenden Partei versehenes "grobes Gerüst" der Beschwerde auf Diskette zur Verfügung gestellt zu haben. Dieser Umstand vermag am gebotenen Standard der Kontrolle einer Beschwerde durch den unterfertigenden Rechtsanwalt schon deshalb nichts zu ändern, weil eine Veränderung einer ungeschützten Textdatei durch den über den Text Verfügungsberechtigten nicht nur jederzeit möglich ist, sondern auch durch jede unbemerkt gebliebene Fehlbedienung der Tastatur bewirkt werden kann. Der Beschwerdeführer durfte sich daher - nicht anders als bei von ihm selbst verfassten Schriftsätzen - nicht von vornherein darauf verlassen, dass das ursprüngliche (Text-) "Gerüst" durch die nachfolgende Bearbeitung und Ergänzung in jeder Hinsicht unbeschadet und unverändert geblieben sei. Selbst wenn daher die Änderung des Textes durch den Schriftsatzverfasser für den Beschwerdevertreter unerwartet gewesen sein sollte, liegt darin kein Hindernis für die Einbringung einer formgerechten Beschwerde:

eine Kontrolle von nach Fristablauf nicht mehr einer Verbesserung zugänglichen Inhaltserfordernisse eines (schließlich ausgedruckten) Schriftsatzes durch den Rechtsanwalt vor Unterfertigung ist diesem nämlich nicht nur jederzeit zuzumuten, sie ist auch geboten.

Der Beschwerdeführer vermag letztlich aber auch nicht darzutun, dass der Beschwerdevertreter an der nach dem Vorgesagten gebotenen Kontrolle des Schriftsatzes auf Richtigkeit und Vollständigkeit, insbesondere der unweit der Stelle seiner Unterschriftsleistung befindlichen Bezeichnung der beschwerdeführenden Partei, durch ein unabwendbares und unvorhersehbares Ereignis gehindert worden wäre (vgl. u.a. das Erkenntnis vom 8. Oktober 1990, Zl. 90/15/0134, und den Beschluss vom 24. September 1990, Zl. 90/19/0437). Mit dem Hinweis auf den Zeitdruck infolge eines bevorstehenden - schon länger geplanten - Urlaubsantritts des Beschwerdevertreters übersieht der Beschwerdeführer einerseits, dass der Urlaubsantritt weder ein unvorhergesehenes noch ein unabwendbares Ereignis darstellt: ein Rechtsanwalt hat im Falle eines bevorstehenden Urlaubsantritts dafür vorzusorgen, dass fristgebundene Schriftsätze so rechtzeitig fertiggestellt werden können, dass eine Kontrolle zumindest in dem zur Fristwahrung unbedingt unerlässlichen Ausmaß auch noch vor Urlaubsantritt ermöglicht wird. Andererseits wird mit diesen Ausführungen im vorliegenden Antrag (unter argumentativer Einbeziehung des vom Beschwerdevertreter zur Verfügung gestellten "Gerüstes") zwar das Motiv, aus welchem der Beschwerdevertreter von der gebotenen Kontrolle des Beschwerdeschriftsatzes Abstand genommen hat, dargetan, nicht aber ein unüberwindliches Hindernis für eine solche Kontrolle.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist erweist sich daher in jeder Hinsicht als unbegründet; er war daher gem. § 46 VwGG abzuweisen.

Danach erweist sich aber die mit dem Wiedereinsetzungsantrag unter einem nachgeholte Rechtshandlung der Einbringung einer Beschwerde als verspätet; die Beschwerde war daher ohne weiteres Verfahren gem. § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 22. Jänner 2003

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