VwGH 2002/08/0088

VwGH2002/08/008813.8.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Köller und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des J in S, vertreten durch Dr. Beate Köll-Kirchmeyr, Rechtsanwalt in 6130 Schwaz, Kohlgasse 2a, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 7. Jänner 2002, Zl. Vd-SV-1001-2- 53/5/Br, betreffend Haftung für Beitragsschulden gemäß § 67 Abs. 10 ASVG (mitbeteiligte Partei: Tiroler Gebietskrankenkasse, Klara-Pölt-Weg 2, 6020 Innsbruck), zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §111;
ASVG §114 Abs2;
ASVG §67 Abs10;
ASVG §83;
VStG §9;
ASVG §111;
ASVG §114 Abs2;
ASVG §67 Abs10;
ASVG §83;
VStG §9;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid der Tiroler Gebietskrankenkasse vom 17. Mai 2001 wurde der Beschwerdeführer verpflichtet, einen Betrag von S 430.043,58 (EUR 31.252,49) zuzüglich Verzugszinsen in der sich nach § 59 Abs. 1 ASVG jeweils ergebenden Höhe, das seien derzeit 8,40 %, berechnet von S 407.860,19, unverzüglich nach Zustellung des Bescheides bei sonstigen Zwangsfolgen zu bezahlen. Dieser Betrag verringere sich jedenfalls noch um eine allfällige, derzeit noch nicht bekannte Konkursquote.

Begründend wurde ausgeführt, die J. GmbH & Co KG schulde der Tiroler Gebietskrankenkasse die Dienstnehmerbeiträge für die Zeit von August 2000 bis Februar 2001 in der Höhe von S 430.043,58 samt Nebengebühren. Die Einbringlichmachung dieser Forderung sei nicht möglich, weil über das Vermögen der genannten Gesellschaft am 11. April 2001 der Konkurs eröffnet worden sei. Der Beschwerdeführer sei im fraglichen Zeitraum Geschäftsführer der genannten Gesellschaft gewesen. Er hätte daher die Sozialversicherungsbeiträge bei Fälligkeit zu entrichten gehabt. Da die Beiträge für sieben Monate nicht termingerecht bezahlt worden seien, liege eine fahrlässige Verletzung der Sorgfaltspflicht des Beschwerdeführers vor. Die Einbringlichmachung der Beiträge sei durch die Verletzung der dem Geschäftsführer auferlegten Pflichten nicht möglich gewesen.

In seinem Einspruch gegen diesen Bescheid führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, mangels Pflichtverletzung bestehe nach der derzeitigen Rechtslage keine Haftung der Vertreter von Beitragsschuldnern für uneinbringliche Sozialversicherungsbeiträge. Im Übrigen habe der Beschwerdeführer keinesfalls schuldhaft gehandelt. Nachdem im Jahr 2000 erste Zahlungsschwierigkeiten der J. GmbH & Co KG aufgetreten seien, habe sich der Beschwerdeführer zwecks Sanierung des Unternehmens um Hereinnahme eines Partners bzw. um eine Übernahme durch ein anderes Unternehmen bemüht. Zu diesem Zweck seien konkrete Verhandlungsgespräche mit vier potenziellen Beteiligungspartnern geführt worden. Da eine Beteiligung bzw. Übernahme ohne Mitarbeiter nicht denkbar gewesen wäre, seien in den Monaten August, September und Oktober die sogenannten "Nettolöhne" ausbezahlt worden, obwohl sich das Unternehmen bereits zu diesem Zeitpunkt in ernsthaften Zahlungsschwierigkeiten befunden habe. Für weitere Zahlungen, insbesondere auch der Dienstnehmerbeiträge, seien ab Anfang August 2000 keinerlei Mittel vorhanden gewesen. Ab diesem Zeitpunkt seien auch keine weiteren Forderungen befriedigt worden. Im November 2000 hätten nur mehr die "Nettolöhne" der Arbeitnehmer O. und G. ausbezahlt werden können, ab Dezember 2000 nur mehr der "Nettolohn" des Arbeitnehmers G. Nachdem die Verhandlungen gescheitert seien, habe der Beschwerdeführer umgehend einen Antrag auf Konkurseröffnung gestellt. Da der Beschwerdeführer über keinerlei entsprechende Mittel verfügt habe, könne von einem "Vorenthalten" der Dienstnehmerbeiträge nicht gesprochen werden.

In einer Stellungnahme vom 4. September 2001 führte die Tiroler Gebietskrankenkasse aus, sie habe Einschau in den Konkursakt beim Landesgericht Innsbruck genommen. Die Angaben im Einspruch hinsichtlich der gewährten Löhne hätten sich teilweise als richtig erwiesen. Seitens der Tiroler Gebietskrankenkasse sei daher der Haftungszeitraum von August 2000 bis November 2000 einzuschränken. Dies deshalb, weil im Dezember 2000 von sämtlichen Dienstnehmern mit Ausnahme des Dienstnehmers G. die Löhne zum Konkurs als Forderungen angemeldet worden seien. Der nunmehr verbleibende Haftungsbetrag errechne sich wie folgt:

Beiträge

8/00

ATS

46.628,62

 

9/00

ATS

39.917,79

 

10/00

ATS

51.899,87

 

11/00

ATS

83.713,48

Kosten

 

ATS

6.029,36

Haftungsbetrag gesamt

ATS

228.188,92

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid wurde dem Einspruch des Beschwerdeführers teilweise Folge gegeben und der Haftungsbetrag auf EUR 16.583,14 (das entspricht S 228.188,92) herabgesetzt. Begründend wurde nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens und von Rechtsvorschriften im Wesentlichen ausgeführt, "einbehalten" würden nicht nur jene Dienstnehmeranteile, die beim Dienstgeber bar verblieben, sondern es genüge auch die rechnungsmäßige Kürzung der Löhne und Gehälter um den vom Dienstnehmer zu tragenden Sozialversicherungsbeitrag. Die Absicht, die einbehaltenen Dienstnehmeranteile überhaupt nie an den Sozialversicherungsträger abzuführen, sei nicht erforderlich. Es reiche aus, wenn die Abführung nicht erfolge, obwohl der Beschwerdeführer über die Mittel hiezu verfüge, diese aber bewusst zu anderen Zwecken verwende, mag es sich dabei auch um bevorrechtete Forderungen handeln. Im Übrigen genüge bedingter Vorsatz. Der Tatbestand sei bereits erfüllt, wenn der Dienstgeber die gesamten Barmittel zur Bezahlung der Löhne verwende und sich dadurch bewusst unfähig mache, Beiträge an die Sozialversicherung abzuführen. Diese Vorgangsweise sei dem Beschwerdeführer vorzuwerfen und werde von ihm auch nicht bestritten. Irgendwelche Umstände, die die nunmehr noch in Haftung gezogene Summe (weiter) vermindern würden, habe der Beschwerdeführer trotz Gelegenheit dazu im Verfahren nicht geltend gemacht.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen. Die mitbeteiligte Partei hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 67 Abs. 10 ASVG haften die zur Vertretung juristischer Personen oder Personenhandelsgesellschaften (offene Handelsgesellschaft, offene Erwerbsgesellschaft, Kommanditgesellschaft, Kommandit-Erwerbsgesellschaft) berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können. Vermögensverwalter haften, soweit ihre Verwaltung reicht, entsprechend.

Seit dem Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 12. Dezember 2000, Zlen. 98/08/0191, 0192, (Slg.Nr. 15528/A) vertritt der Verwaltungsgerichtshof in Abkehr von seiner früheren ständigen Rechtsprechung nunmehr die Auffassung, dass unter den "den Vertretern auferlegten Pflichten" im Sinne dieser Gesetzesstelle in Ermangelung weiterer in den gesetzlichen Vorschriften ausdrücklich normierter Pflichten des Geschäftsführers im Wesentlichen die Melde- und Auskunftspflichten, soweit diese in § 111 ASVG iVm § 9 VStG auch gesetzlichen Vertretern gegenüber sanktioniert sind, sowie die in § 114 Abs. 2 ASVG umschriebene Verpflichtung zur Abfuhr einbehaltener Dienstnehmerbeiträge zu verstehen sind. Auf die nähere Begründung dieses Erkenntnisses wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen.

Die Haftung für die von der Tiroler Gebietskrankenkasse geltend gemachten Zinsen und Verwaltungskosten im Sinne des § 83 ASVG trifft den Beschwerdeführer daher nur im Rahmen des § 67 Abs. 10 ASVG. Für die Entrichtung dieser Nebengebühren fehlt es aber an einer spezifischen sozialversicherungsrechtlichen Verpflichtung des Geschäftsführers im Sinne des genannten hg. Erkenntnisses (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Juli 2001, Zl. 2001/08/0061). Soweit in der im angefochtenen Bescheid festgesetzten Haftungssumme Kosten enthalten sind, erweist sich der angefochtene Bescheid schon deshalb als inhaltlich rechtswidrig.

Indem die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid abgesehen von der Herabsetzung des Haftungsbetrages den erstinstanzlichen Bescheid bestätigt hat, hat sie auch den Spruchteil übernommen, dass sich der Haftungsbetrag jedenfalls noch um eine allfällige, derzeit noch nicht bekannte Konkursquote verringere.

Ein Tatbestandsmerkmal des § 67 Abs. 10 ASVG und primäre Haftungsvoraussetzung ist die Uneinbringlichkeit der Forderung beim Primärschuldner (vgl. dazu z.B. die hg. Erkenntnisse vom 20. Dezember 2000, Zl. 97/08/0568, und vom 14. März 2001, Zl. 98/08/0332, mwN). Für die Bejahung der Uneinbringlichkeit reicht die Konkurseröffnung als solche noch nicht aus. Die belangte Behörde hat es unterlassen, die erforderlichen Feststellungen über die primäre Haftungsvoraussetzung der Uneinbringlichkeit im Sinne der soeben genannten hg. Rechtsprechung zu treffen. Dieser Verpflichtung konnte sie sich auch nicht durch den Hinweis auf eine noch vorzunehmende Reduktion im Spruch des angefochtenen Bescheides entziehen. Sie hat dadurch nämlich einen Leistungsbescheid betreffend eine Geldleistung erlassen, die dem Spruch nach "unverzüglich nach Zustellung des Bescheides bei sonstigen Zwangsfolgen" zu erbringen ist, deren Höhe jedoch nicht feststeht.

Der vorliegende Sachverhalt unterscheidet sich daher wesentlich von jenem, der dem hg. Erkenntnis vom 4. September 1995, Zl. 95/10/0061, zu Grunde gelegen ist, denn damals stand der dem Grunde und der Höhe nach (zunächst) bescheidmäßig festgesetzte Teilbetrag außer Streit (vgl. dazu, dass im AVG für die Feststellung einer Zahlungspflicht lediglich dem Grunde nach keine gesetzliche Grundlage vorhanden ist, auch das hg. Erkenntnis vom 22. Mai 2001, Zl. 2000/05/0034). Der vorliegende Bescheidspruch, der mangels ausreichender Konkretisierung im Übrigen auch nicht vollstreckt werden könnte, wird daher dem Gebot der "deutlichen Fassung" des § 59 Abs. 1 AVG nicht gerecht.

Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Das auf den Ersatz von Stempelgebühren gerichtete Mehrbegehren war im Hinblick auf die auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren bestehende sachliche Gebührenbefreiung gemäß § 110 ASVG abzuweisen.

Wien, am 13. August 2003

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