VwGH 2002/02/0200

VwGH2002/02/020020.5.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Riedinger, Dr. Holeschofsky, Dr. Beck und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. König, über die Beschwerde des KH in G, vertreten durch Mag. Johann Juster, Rechtsanwalt in 3910 Zwettl, Landstraße 52, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich, Außenstelle Zwettl, vom 27. Juni 2002, Zl. Senat-ZT-01-3051, betreffend Übertretungen des Kraftfahrgesetzes 1967, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §37;
AVG §52;
KDV 1967 §4 Abs4;
KFG 1967 §102 Abs1;
KFG 1967 §103 Abs1;
KFG 1967 §134;
KFG 1967 §7 Abs1;
VStG §51h Abs2;
VStG §51h Abs4;
AVG §37;
AVG §52;
KDV 1967 §4 Abs4;
KFG 1967 §102 Abs1;
KFG 1967 §103 Abs1;
KFG 1967 §134;
KFG 1967 §7 Abs1;
VStG §51h Abs2;
VStG §51h Abs4;

 

Spruch:

Die Punkte 1., 2., 4., 5. und 6. bis 9. des angefochtenen Bescheides werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Im Übrigen - sohin im Punkt 3. - wird der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.088,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 27. Juni 2002 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, dass er am 19. Juli 2001, 14.30 Uhr, auf der B 38, nächst Str.km 69,2, im Gemeindegebiet von L, in Fahrtrichtung M einen dem Kennzeichen nach bestimmten Lastkraftwagen gelenkt und somit in Betrieb genommen habe, ohne sich, obwohl dies zumutbar gewesen wäre, davon überzeugt zu haben, dass dieses von ihm zu lenkende Fahrzeug den gesetzlichen Vorschriften entspreche. Der Lastkraftwagen habe folgenden kraftfahrrechtlichen Vorschriften nicht entsprochen:

1. dem § 4 Abs. 4 KDV, da die Profiltiefe des linken Vorderreifens im mittleren Bereich der Lauffläche, die etwa drei Viertel der Laufflächenbreite einnehme, nicht mindestens 2 mm betragen habe;

2. dem § 4 Abs. 4 KDV, da die Profiltiefe des linken äußeren Reifens der dritten Achse im mittleren Bereich der Lauffläche, die etwa drei Viertel der Laufflächenbreite einnehme, nicht mindestens 2 mm betragen habe;

3. dem § 4 Abs. 4 KDV, da die Profiltiefe des linken inneren Reifens der dritten Achse im mittleren Bereich der Lauffläche, die etwa drei Viertel der Laufflächenbreite einnehme, nicht mindestens 2 mm betragen habe;

4. dem § 4 Abs. 4 KDV, da die Profiltiefe des rechten äußeren Reifens der dritten Achse im mittleren Bereich der Lauffläche, die etwa drei Viertel der Laufflächenbreite einnehme, nicht mindestens 2 mm betragen habe;

5. dem § 4 Abs. 4 KDV, da die Profiltiefe des rechten inneren Reifens der dritten Achse im mittleren Bereich der Lauffläche, die etwa drei Viertel der Laufflächenbreite einnehme, nicht mindestens 2 mm betragen habe;

6. dem § 7 Abs. 1 KFG 1967, da der Reifen links vorne zahlreiche Risse aufgewiesen habe, das Kraftfahrzeug daher mit einem Reifen versehen gewesen sei, der nach seinem Zustand nicht verkehrs- und betriebssicher gewesen sei;

7. dem § 7 Abs. 1 KFG 1967, da der Reifen links außen auf der dritten Achse starke Risse und Löcher und (ein Riss ca. 7 bis 8 cm lang) aufgewiesen habe, das Kraftfahrzeug daher mit einem Reifen versehen gewesen sei, der nach seinem Zustand nicht verkehrs- und betriebssicher gewesen sei;

8. dem § 7 Abs. 1 KFG 1967, da der Reifen rechts außen auf der dritten Achse Risse, Löcher und Längsrisse aufgewiesen habe, das Kraftfahrzeug daher mit einem Reifen versehen gewesen sei, der nach seinem Zustand nicht verkehrs- und betriebssicher gewesen sei und

9. dem § 7 Abs. 1 KFG 1967, da der Reifen rechts innen auf der dritten Achse Risse und Löcher aufgewiesen habe, das Kraftfahrzeug daher mit einem Reifen versehen gewesen sei, der nach seinem Zustand nicht verkehrs- und betriebssicher gewesen sei.

Er habe zu den Punkten 1. bis 5. jeweils Übertretungen gemäß § 4 Abs. 4 Kraftfahrgesetz-Durchführungsverordnung 1967 (KDV) in Verbindung mit § 102 Abs. 1 und § 134 Abs. 1 KFG, zu den Punkten 6. bis 9. jeweils gemäß § 7 Abs. 1 in Verbindung mit § 102 Abs. 1 und § 134 Abs. 1 KFG begangen. Es wurden zu den Punkten 1. bis 5. jeweils Geldstrafen in der Höhe von S 700,-- (Ersatzfreiheitsstrafen von jeweils 42 Stunden) und zu den Punkten 6. bis 9. jeweils von S 1.100,-- (Ersatzfreiheitsstrafen von jeweils 66 Stunden) verhängt.

In der Begründung des angefochtenen Bescheides führte die belangte Behörde aus, sie habe am 31. Jänner 2002 eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt. Der Beschwerdeführer sei trotz erfolgter Ladung zur Verhandlung nicht erschienen. Es bestehe für die belangte Behörde auf Grund der Angaben des als Zeugen vernommenen Meldungslegers kein Zweifel, dass an den gegenständlichen Reifen die gesetzliche Mindestprofiltiefe unterschritten gewesen sei und Risse und Löcher bestanden hätten. Der Zeuge könne jedoch nicht angeben, ob die Risse und Löcher der Reifen "jeweils bis zum Unterbau des Reifens" gereicht hätten. Er erinnere sich zwar, dass "bei einem Loch das Gewebe sichtbar gewesen sei", wisse aber nicht, bei welchem Reifen dies gewesen sei. Die angeführten Mängel seien nach Anhaltung des genannten, vom Beschwerdeführer gelenkten Lkw's, bei der Fahrzeugkontrolle festgestellt worden.

Der Beschwerdeführer sei ordnungsgemäß geladen worden, ein Grund für sein Fernbleiben habe von seiner Rechtsvertretung nicht angegeben werden können. Es habe keine Veranlassung bestanden, den Beschwerdeführer neuerlich zu laden, zumal das Nichterscheinen einer Partei weder die Durchführung der Verhandlung noch die Fällung der Entscheidung hindere.

Durch den festgestellten Sachverhalt seien die im Spruch umschriebenen Übertretungen erwiesen und vom Beschwerdeführer als Lenker zu verantworten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Der Beschwerdeführer rügt Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides, weil betreffend vier Reifen sowohl die Unterschreitung der Mindestprofiltiefe, als auch ein durch Risse und Löcher verursachter nicht verkehrs- und betriebssicherer Zustand als gesonderte Übertretungen vorgeworfen worden seien.

Die hier in Betracht kommenden Vorschriften lauten:

§ 7 KFG:

"(1) Kraftfahrzeuge und die mit ihnen gezogenen Anhänger außer Anhängeschlitten müssen mit Reifen oder Gleisketten versehen sein, die nach ihrer Bauart, ihren Abmessungen und ihrem Zustand auch bei den höchsten für das Fahrzeug zulässigen Achslasten und bei der Bauartgeschwindigkeit des Fahrzeuges verkehrs- und betriebssicher sind und durch die die Fahrbahn bei üblicher Benützung nicht in einem unzulässigen Ausmaß abgenützt werden kann; ..."

§ 4 KDV:

"...

(4) Die Tiefe der für die Ableitung des Wassers von der Lauffläche des Reifens erforderlichen Vertiefungen des Laufstreifens (Profiltiefe) muss im mittleren Bereich der Lauffläche, der etwa drei Viertel der Laufflächenbreite einnimmt, bei Kraftfahrzeugen mit einer Bauartgeschwindigkeit von mehr als 25 km/h, ausgenommen Motorfahrräder, und bei Anhängern, mit denen eine Geschwindigkeit von 25 km/h überschritten werden darf, am gesamten Umfang mindestens 1,6 mm, bei Kraftfahrzeugen und Anhängern mit einem höchsten zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 3 500 kg mindestens 2 mm, und bei Motorfahrrädern mindestens 1 mm betragen. Reifen, die für die Verwendung als Schnee- und Matschreifen oder als Schnee-, Matsch- und Eisreifen bestimmt sind, müssen, sofern sie gemäß einer straßenpolizeilichen Anordnung verwendet werden, eine Profiltiefe von mindestens 5 mm bei Reifen in Diagonalbauart oder von mindestens 4 mm bei Reifen in Radialbauart aufweisen. Reifen von Personenkraftwagen und Kombinationskraftwagen müssen mit Indikatoren versehen sein. Diese müssen an mindestens vier gleichmäßig über den Umfang des Reifens verteilten Stellen so angeordnet sein, dass sie dauerhaft und deutlich erkennbar machen, ob die Mindesttiefe der Vertiefungen erreicht oder unterschritten ist. Die Reifen dürfen keine mit freiem Auge sichtbaren bis zum Unterbau des Reifens reichenden Risse oder Ablösungen des Laufbandes oder der Seitenbänder aufweisen.

..."

Schäden (Mängel) an einem Reifen, die in § 4 Abs. 4 KDV nicht ausdrücklich genannt sind, können unter die Bestimmung des § 7 Abs. 1 erster Satz KFG fallen, sofern es sich um solche Mängel handelt, welche einen Reifen als nicht (mehr) "verkehrs und betriebsicher" erscheinen lassen. Zur Beantwortung der (Fach-)Frage, ob ein mit solchen Schäden behafteter Reifen nicht (mehr) "verkehrs- und betriebsicher" im Sinne des § 7 Abs. 1 erster Satz KFG ist, wird allerdings in der Regel die Beiziehung eines diesbezüglichen Sachverständigen erforderlich sein, wobei die Feststellung und Beschreibung des Sachverhaltes (nämlich der Schäden des Reifens) durch ein einschreitendes Straßenaufsichtsorgan dienlich sein kann.

Liegen an einem Kraftfahrzeug Schäden an mehreren Reifen vor, so ist pro Reifen (kumulativ) eine Strafe zu verhängen (vgl. zur kumulativen Bestrafung von Mängeln an verschiedenen Teilen eines Kraftfahrzeuges das hg. Erkenntnis vom 28. September 1988, Zl. 88/02/0055). Hingegen stellen Schäden an ein und demselben Reifen, selbst wenn sie verschiedener Art sind (etwa zu geringe Profiltiefe und Risse), nur eine Verwaltungsübertretung dar, wobei die Anzahl der Schäden bei der Strafbemessung hinsichtlich des Unrechtsgehaltes zu beachten ist.

Sind an ein und demselben Reifen sowohl Schäden vorhanden, die unter § 4 Abs. 4 KDV zu subsumieren sind, als auch solche Schäden, welche die Verkehrs- und Betriebssicherheit dieses Reifens im Sinne des § 7 Abs. 1 erster Satz KFG aufheben, so wird § 7 Abs. 1 erster Satz KFG in Verbindung mit § 4 Abs. 4 KDV (iVm § 102 Abs. 1 bzw. § 103 Abs. 1 und § 134 KFG) übertreten.

Im gegenständlichen Fall betreffen die gesonderten Bestrafungen zu den Punkten 1. und 6., 2. und 7., 4. und 8. sowie 5. und 9. jeweils den identen Reifen, was nach den obigen Ausführungen inhaltlich rechtswidrig ist.

Hinzu kommt, dass der anzeigelegende Beamte sowohl Schäden an verschiedenen Reifen festgestellt, welche unter § 4 Abs. 4 KDV zu subsumieren sind (siehe die Punkte 1. bis 5. des angefochtenen Bescheides), als auch andere Schäden (siehe deren Beschreibung in den Punkten 6. bis 9. des angefochtenen Bescheides). Der anzeigelegende Beamte war aber nicht in der Lage zu sagen, ob bzw. bei welchen der gegenständlichen Reifen Risse bzw. Löcher "bis zum Unterbau des Reifens" reichten, weshalb die belangte Behörde den im letzten Satz des § 4 Abs. 4 KDV enthaltenen Tatbestand nicht bestrafte. Aus den oben angeführten Gründen ist alleine aus der Beschreibung der Schäden durch den Meldungsleger ohne Beiziehung eines Sachverständigen aber eine ausschließlich auf § 7 Abs. 1 KFG (iVm § 102 Abs. 1 und § 134 Abs. 1 KFG) gestützte Bestrafung wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften nicht rechtens.

Der Beschwerdeführer wirft der belangten Behörde weiters vor, durch die Unterlassung der Einvernahme des zu seiner Entlastung angeführten Zeugen MH und seiner eigenen Vernehmung ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet zu haben. Die belangte Behörde habe die am 31. Jänner 2002 durchgeführte mündliche Berufungsverhandlung beendet, ohne eine Entscheidung zu verkünden, die Entscheidung sei später schriftlich ergangen. Der Beschwerdeführer habe am 6. Februar 2002 (sohin lange vor Erlassung des angefochtenen Bescheides vom 27. Juni 2002) zum Beweis dafür, dass sich die Reifen des von ihm gelenkten Fahrzeuges "nicht in einem Zustand befunden haben, wie dies in der Gendarmerieanzeige angeführt ist, weiters zum Beweis dafür, dass die Reifen keine Risse oder Löcher aufgewiesen haben, sondern dass der Beschuldigte" (das ist der Beschwerdeführer) "sich nur, um die Angelegenheit einer einvernehmlichen Lösung zuzuführen, bereit erklärt hat, die Reifen zu wechseln", den Beweisantrag auf Vernehmung des Zeugen MH, wohnhaft in G, und auf seine eigene Vernehmung gestellt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im hg. Erkenntnis vom 26. November 1997, Zl. 97/03/0241, erkannt, dass der "Schluss der Beweisaufnahme" im Sinne des § 51h Abs. 2 VStG nicht die Berücksichtigung allfälliger späterer, sich noch vor der Verkündung des Bescheides ergebender Beweise hindert. Gleiches hat für den Formalakt des "Schlusses der Verhandlung" gemäß § 51h Abs. 4 VStG zu gelten.

Gemäß der ständigen hg. Rechtsprechung (vgl. auch dazu das zitierte hg. Erkenntnis vom 26. November 1997, Zl. 97/03/0241) darf die Behörde von der Aufnahme eines von einer Partei angebotenen Beweises nur dann Abstand nehmen, wenn der angebotene Beweis an sich nicht geeignet ist, über den Gegenstand der Beweisaufnahme einen Beweis zu liefern, also zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes beizutragen. Diese Eignung kann dem gegenständlichen Beweisantrag nicht von vornherein abgesprochen werden. Dass die belangte Behörde bei Durchführung des Beweises zu anderen Feststellungen und damit zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, ist nicht auszuschließen.

Überdies ist zum Antrag auf persönliche Einvernahme des Beschwerdeführers noch hinzuzufügen, dass die dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers zugestellte Ladung zur öffentlichen mündlichen Verhandlung nicht den Hinweis enthielt, dass der Beschwerdeführer als Beschuldigter persönlich vor der Behörde erscheinen solle. Betreffend die sich daraus ergebenden Konsequenzen wird gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf die diesbezügliche Begründung im genannten Erkenntnis vom 26. November 1997, Zl. 97/03/0241, verwiesen.

Der angefochtene Bescheid erweist sich daher in den Punkten 1., 2., 4., 5. sowie 6. bis 9. mit prävalierender Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war. In allen Punkten wurden Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, weshalb der angefochtene Bescheid im Punkt 3. gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Das Mehrbegehren hinsichtlich der "Gebühr für die postamtliche Einzahlung" war abzuweisen, weil neben den in der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001 enthaltenen Pauschalsätzen ein Kostenersatz unter diesem Titel nicht zusteht.

Wien, am 20. Mai 2003

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