Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige des Irak, reiste am 18. Jänner 1996 in das Bundesgebiet ein und begehrte am selben Tag die Gewährung von Asyl.
Bei ihrer Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 22. Jänner 1996 führte die Beschwerdeführerin aus, sie sei chaldäisch-katholischen Glaubens und gehöre der assyrischen Volksgruppe an. Ihre Heimatstadt sei Dure im Nordirak. Seit jeher sei es dort zu bewaffneten Kampfhandlungen zwischen kurdischen Kämpfern und irakischen Armeeeinheiten gekommen. Im Jahre 1961 sei die Beschwerdeführerin von einer Granate getroffen worden und habe den rechten Arm verloren. Im Jahre 1977 sei Dure vom irakischen Regime dem Erdboden gleichgemacht worden. Von 1978 bis 1996 habe die Beschwerdeführerin mit ihrer Familie in Mosul gelebt. Ihre Schwester und zwei ihrer Brüder hätten den Irak im Jahr 1992 verlassen und sich nach Österreich begeben. Sie sei mit ihrem dritten Bruder und ihrer Mutter zurückgeblieben. Am 24. Dezember 1994 hätten Geheimdienstbeamte ihren Bruder ohne Angabe von Gründen festgenommen. Am 26. Dezember 1994 hätten Geheimdienstbeamte auch die Beschwerdeführerin und ihre Mutter festgenommen. Sie seien zwei Tage im Gefängnis festgehalten worden. Die Beamten hätten von der Beschwerdeführerin wissen wollen, ob sie, so wie ihre Brüder, Mitglied der assyrischen Partei sei. Darüber hinaus hätten sie wissen wollen, wo sich ihre Brüder im Ausland befänden und ob sie über allgemeine Informationen über die assyrische Partei verfüge. Beim Verhör sei sie beschimpft, an den Haaren gezogen und mit einem Holzstock am ganzen Körper geschlagen worden. In weiterer Folge seien immer wieder Geheimdienstbeamte gekommen und hätten nach dem Aufenthaltsort ihrer Brüder gefragt. Im August 1995 sei der Beschwerdeführerin die Leiche des Bruders in einem zugenagelten Holzsarg übergeben worden. Es sei verboten worden, eine Messe für ihn zu feiern, und beim Begräbnis seien Beamte anwesend gewesen. Diese Beamten hätten gemeint, dass ihr Bruder ein Verräter gewesen sei. Einen Beweis dafür, dass die Leiche ihres Bruders wirklich in dem Sarg gewesen sei, habe sie nicht. Seit der Festnahme ihres Bruders sei sie von den Nachbarn gemieden worden. Letztlich habe sie beschlossen, den Irak zu verlassen. Dies sei erst Ende des Jahres 1995 möglich gewesen, weil sie erst da über die ausreichenden Geldmittel verfügt habe. Sie hätte nur stückweise und vorsichtig ihren Goldschmuck verkaufen können, da es sonst aufgefallen wäre. Im Falle der Rückkehr in den Irak hätte die Beschwerdeführerin mit ihrer sofortigen Hinrichtung zu rechnen, weil die irakischen Behörden nun glauben würden, dass sie wirklich Mitglied der assyrischen Partei sei. Jedenfalls würde sie als Schwester eines Verräters angesehen werden.
Mit Bescheid vom 30. Jänner 1996 wies das Bundesasylamt den Asylantrag der Beschwerdeführerin gemäß § 3 Asylgesetz 1991 ab. Begründend führte die Behörde erster Instanz im Wesentlichen aus, sie glaube der Beschwerdeführerin, dass sie im Dezember 1994 kurzfristig ihrer persönlichen Freiheit beraubt worden sei. Eine Verfolgung im Konventionssinn habe aber nicht vorgelegen. Dies deshalb, weil die gegen die Beschwerdeführerin ergriffenen Maßnahmen ausschließlich zum Ziel gehabt hätten, den Aufenthaltsort ihrer im Ausland lebenden Brüder und Informationen über die Parteimitgliedschaft ihres zwei Tage zuvor verhafteten Bruders in Erfahrung zu bringen. Auch die gegen die Beschwerdeführerin ergriffenen Maßnahmen hätten nicht jenes Maß an Intensität erreicht, dass von einer Sippenhaftung gesprochen werden könne. Außerdem hätten die Behörden, wenn ein wirkliches Interesse an der Person der Beschwerdeführerin bestanden hätte, sie nicht nach zwei Tagen aus der Haft wieder entlassen. Bezüglich des angeblichen Todes ihres Bruders sei festzustellen, dass in einem Asylverfahren nur solche Umstände Berücksichtigung finden könnten, die eine Person unmittelbar betreffen. Vorgänge gegen Familienangehörige könnten nicht den gewünschten Verfahrensausgang bewirken. Eine Verfolgung aus Konventionsgründen habe die Beschwerdeführerin ebenso wenig behauptet wie eine Gefahr, dass sie aus diesen Gründen zukünftiger Verfolgung ausgesetzt sein könnte, zumal sie selbst angegeben habe, erst Anfang des Jahres 1996 den Irak verlassen zu haben, weil sie zuvor nicht über die ausreichenden Geldmittel verfügt hätte. Dass die Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr in den Irak mit ihrer sofortigen Hinrichtung zu rechnen hätte, sei eine völlig unbegründete Behauptung, wogegen spräche, dass ihre Heimat der Nordirak sei und die Organe der Zentralmacht im Norden keine entsprechende Wirksamkeit zu entfalten vermögen.
In ihrer Berufung gegen diesen Bescheid brachte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen vor, die Verfolgungshandlungen gegen sie seien deshalb unternommen worden, weil sie assyrische Christin sei. Die Beschwerdeführerin hätte gute Gründe gehabt anzunehmen, ebenso wie ihr Bruder plötzlich und unvermutet verhaftet, gefoltert und vermutlich auch getötet zu werden, und zwar in Zusammenhalt mit der Tatsache, dass zwei ihrer Brüder nach Österreich geflohen seien, sich hier als Asylwerber aufhielten und im Irak als Deserteure mit der Todesstrafe bedroht seien, sowie der weiteren Tatsache, dass ihr im Irak verbliebener Bruder nach zunächst unbehelligtem Leben plötzlich verhaftet und in der Folge ermordet worden sei. Asylrelevante Fluchtgründe seien einerseits in der Zugehörigkeit zur Minderheit der Assyrer und andererseits im christlichen Glaubensbekenntnis sowie schließlich in politischen Motiven gelegen. Zweifellos sei auch die Verdächtigung, bei der verbotenen assyrisch-demokratischen Partei aktiv zu sein, ein asylrelevantes Motiv. Von einer innerstaatlichen Schutzalternative könne nicht die Rede sein. Die Beschwerdeführerin habe selbst angegeben, im Zuge der Auseinandersetzungen im Nordirak schwer verletzt worden zu sein. Das Leben eines irakischen Christen sei dort sehr bedroht. Ferner beantragte die Beschwerdeführerin eine Wiederholung und Ergänzung des mangelhaft gebliebenen Verfahrens.
Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid der belangten Behörde wurde die Berufung der Beschwerdeführerin gemäß § 7 Asylgesetz abgewiesen. Die belangte Behörde erklärte in ihrer Begründung die Ausführungen der Beschwerdeführerin bei ihrer Einvernahme vom 22. Jänner 1996 für glaubwürdig und ging von ihnen als festgestelltem Sachverhalt aus. Entgegen dem Berufungsvorbringen hätte die Beschwerdeführerin aber mit keinem einzigen Wort erwähnt, dass sie wegen ihres christlichen Glaubens bzw. wegen ihrer assyrischen Herkunft Verfolgungshandlungen erlitten hätte. Entgegen der Auffassung der Behörde erster Instanz wiederum seien auch die Vorkommnisse rund um den Bruder der Beschwerdeführerin in die Beurteilung des Falles einzubeziehen. Ferner hätten die die Beschwerdeführerin einvernehmenden Beamten sie auch dahingehend befragt, ob sie Mitglied der assyrischen Partei sei. Sohin seien die der Beschwerdeführerin widerfahrenen Misshandlungen vor dem Hintergrund der Unterstellung einer gegen die irakische Zentralregierung gerichteten politischen Gesinnung zu sehen. Den Ausführungen des Bundesasylamtes, dass die Misshandlungen der Beschwerdeführerin während ihrer Festhaltung nicht jenes Maß an Intensität erreicht hätten, dass von einer Sippenhaftung gesprochen werden könne, sei ebenfalls nicht zu folgen. Außerdem bestünde im Nordirak keine Verfolgungssicherheit. Die Beschwerdeführerin sei jedoch zufolge ihren eigenen Angaben im August 1995 aus der Haft entlassen worden. Zwischen der Haftentlassung und dem Verlassen des Heimatlandes im Jänner 1996 liege ein Zeitraum von fast einem halben Jahr. Die Beschwerdeführerin habe selbst keinerlei weitere Schritte seitens des irakischen Regimes gegen ihre Person wegen vermeintlicher Mitgliedschaft bei der assyrischen Partei behauptet. Zufolge den eigenen Angaben der Beschwerdeführerin sei also nicht mehr von einer Aktualität der Verfolgung im Konventionssinne im Zeitpunkt der Flucht auszugehen. Die weiteren Befragungen im Zuge von Hausbesuchen hätten nicht mehr der Beschwerdeführerin und der Erforschung einer ursprünglich vermuteten Mitgliedschaft bei der assyrischen Partei selbst gegolten und auch nicht das geforderte Maß an Intensität erreicht. Inwiefern die irakischen Behörde im Falle der Rückkehr der Beschwerdeführerin einen Zusammenhang mit der assyrischen Partei herstellten, sei mangels konkreter weiterer Angaben nicht nachvollziehbar. Eine derartige Annahme wäre nur denkbar, wenn sich die Beschwerdeführerin unmittelbar nach der Entlassung aus der Haft außer Landes begeben hätte und die Behörden dadurch hätten den Eindruck gewinnen können, dass zwischen den auch in Richtung Mitgliedschaft bei der assyrischen Partei stattgefundenen Verhören und dem Verlassen des Heimatlandes ein kausaler Zusammenhang bestehe. Auf Grund des ausdrücklichen Vorbringens der Beschwerdeführerin sei das Fehlen eines solchen Zusammenhanges evident, habe doch die Beschwerdeführerin selbst dargelegt, sie habe den Irak verlassen, weil sie erst Ende des Jahres 1995 über die ausreichenden Geldmittel verfügt habe.
Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 gebildeten Senat erwogen:
Der angefochtene Bescheid erweist sich schon deshalb als inhaltlich rechtswidrig, weil die belangte Behörde eine Auseinandersetzung mit der Frage unterlassen hat, ob die der Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat wegen ihrer illegalen Ausreise, ihres anschließenden Auslandsaufenthaltes und wegen der Asylantragstellung drohenden Sanktionen, sofern solche zu erwarten seien, den Charakter einer Verfolgung wegen einer zumindest unterstellten politischen Gesinnung haben (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 21. November 2002, Zl. 99/20/0160, auf dessen Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird.
Auf Grund des Vorbringens neuer Tatsachen in der Berufung hätte die belangte Behörde im Übrigen eine mündliche Verhandlung durchzuführen gehabt (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 21. November 2002, Zl. 99/20/0545). Die belangte Behörde ist jedoch unzutreffend offenbar davon ausgegangen, dass die Beschwerdeführerin in ihrer Berufung überhaupt nichts Neues hätte darlegen dürfen. Eine Würdigung des neuen Berufungsvorbringens dahingehend, dass es unglaubwürdig sei, wäre erst nach einer mündlichen Verhandlung (allenfalls) zulässig gewesen.
Schließlich tritt die Beschwerdeführerin auch zutreffend den Ausführungen der belangten Behörde hinsichtlich der Vorbereitung der Flucht entgegen. So hat die belangte Behörde nicht gewürdigt, dass die Beschwerdeführerin die Zeit, die die Fluchtvorbereitung in Anspruch nahm, damit erklärt hat, dass der Verkauf ihres Goldschmuckes nur Stück für Stück hatte erfolgen können. Außerdem ist es nicht nachvollziehbar, wenn die belangte Behörde angesichts der unvorhergesehenen Verhaftung des Bruders der Beschwerdeführerin davon ausgegangen ist, dass die Beschwerdeführerin trotz der regelmäßigen Befragungen durch die irakischen Behörden keine begründete Furcht mehr haben musste, ebenfalls verhaftet zu werden, so lange ihre anderen Brüder im Ausland leben.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.
Wien, am 27. Februar 2003
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