VwGH 2001/15/0133

VwGH2001/15/01335.6.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Fuchs, Dr. Zorn und Dr. Zehetner als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Reinisch, über die Beschwerde der Ing. J. B GmbH in N, vertreten durch Dr. Norbert Lehner, Rechtsanwalt in 2620 Neunkirchen, Seebensteiner Straße 4, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 7. Juni 2001, Zl. AO 720/3-15/2001, betreffend Aufhebung der Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1994 und 1995 gemäß § 299 BAO, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §115 Abs1;
BAO §299 Abs2;
BAO §299;
BAO §303 Abs4;
B-VG Art130 Abs2;
BAO §115 Abs1;
BAO §299 Abs2;
BAO §299;
BAO §303 Abs4;
B-VG Art130 Abs2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 332,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin betreibt das Gewerbe des Kraftfahrzeughandels und der Kraftfahrzeugreparatur. Vom März 1996 bis Mai 1997 fand bei ihr eine Prüfung der Aufzeichnungen gemäß § 151 Abs. 1 BAO (UVA-Prüfung) u.a. für die Zeiträume Juni bis Dezember 1994 und Jänner bis Dezember 1995 statt. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 23. Dezember 1999, Zl. RV/093-17/11/98, wurde die Veranlagung zur Umsatzsteuer für die Jahre 1994 und 1995 vorgenommen.

Nachdem der Verwaltungsgerichtshof die von der Beschwerdeführerin gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde mit Erkenntnis vom 20. Juni 2000, 2000/15/0020, als unbegründet abgewiesen hatte, brachte die Beschwerdeführerin beim Finanzamt die "berichtigte laut BP Umsatzsteuererklärung für 1994" vom 7. November 2000, die "berichtigte Umsatzsteuererklärung für 1994 laut BP" vom 24. November 2000, sowie eine "berichtigte laut BP Umsatzsteuererklärung für 1995" vom 11. November 2000 und eine "berichtigte Umsatzsteuererklärung für 1995 laut BP" vom 24. November 2000 ein.

Mit zwei getrennten Bescheiden vom 9. Februar 2001 nahm das Finanzamt (laut Punkt 1.) die Verfahren hinsichtlich der Umsatzsteuer für 1994 bzw. für 1995 gemäß § 303 Abs. 4 BAO wieder auf. In den Bescheiden wird zur Begründung dieses Ausspruches ausgeführt, die Wiederaufnahme von Amts wegen sei auf Grund der Anregung der Beschwerdeführerin erfolgt.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid hob die belangte Behörde als Oberbehörde in Ausübung des Aufsichtsrechtes diese Bescheide hinsichtlich der Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Umsatzsteuer für die Jahre 1994 und 1995 gemäß § 299 Abs. 2 und § 299 Abs. 1 lit. c BAO auf. In der Begründung führte die belangte Behörde dazu aus, das Finanzamt habe in keiner Weise dargelegt, auf Grund welcher neu hervorgekommenen Tatsachen und Umstände es eine Wiederaufnahme der Verfahren von Amts wegen für gerechtfertigt erachtet habe. Die Wiederaufnahme von Amts wegen stelle eine Ermessensentscheidung dar. Das hiebei geübte Ermessen müsse nachvollziehbar begründet werden. Eine auch nur ansatzweise Darlegung der Ermessensgründe fehle in den aufgehobenen Bescheiden. Die Ausübung des Ermessens durch das Finanzamt könne daher in keiner Weise überprüft werden.

Die Aufhebung der Bescheide des Finanzamtes betreffend die Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich der Umsatzsteuer für die Jahre 1994 und 1995 sei in Ausübung des Ermessens unter Bedachtnahme auf das vorangegangene aufwändige Prüfungs- und Berufungsverfahren nach dem Prinzip der Zweckmäßigkeit erforderlich gewesen. Gegen eine Aufhebung würden auch keine Billigkeitsgründe sprechen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführerin wirft der belangten Behörde im Wesentlichen vor, dass sie ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens vorgegangen sei und eine Begründung für die Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht vorliege.

Damit kann die Beschwerdeführerin eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht aufzeigen. Gemäß § 303 Abs. 4 BAO ist die Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen unter den Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a und c und in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder i.V.m. dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte. Die Wiederaufnahme des Verfahrens auf Grund neu hervorgekommener Tatsachen dient dem Zweck, bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen Rechnung zu tragen. Bei der amtswegigen Wiederaufnahme ist daher zwischen der Rechtsfrage, ob der Tatbestand einer Wiederaufnahme des Abgabenverfahrens gegeben ist, und der Frage der Durchführung der Wiederaufnahme, die im Ermessen der Behörde liegt, zu unterscheiden. Erst dann, wenn die Rechtsfrage dahingehend geklärt ist, dass ein Wiederaufnahmsgrund tatsächlich gegeben ist, hat die Abgabenbehörde in Ausübung ihres Ermessen zu entscheiden, ob die amtswegige Wiederaufnahme zu verfügen ist. Wie der Verwaltungsgerichtshof u.a. in seinem Erkenntnis vom 19. September 1990, 89/13/0245, ausgeführt hat, ist eine amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens im Sinne des § 303 Abs. 4 BAO nur dann zulässig, wenn aktenmäßig erkennbar ist, dass dem Finanzamt nachträglich die Tatumstände zugänglich gemacht wurden, von denen es nicht schon zuvor Kenntnis hatte.

Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage hat ein die Wiederaufnahme des Verfahrens verfügender Bescheid sowohl (mindestens) einen der im Gesetz genannten Wiederaufnahmsgründe konkret festzustellen und die Ermessensübung für die Durchführung der Wiederaufnahme darzutun. Die belangte Behörde vertritt die Auffassung, dass die von ihr aufgehobenen Bescheide des Finanzamtes diesen Anforderungen nicht entsprechen. Damit ist sie im Recht. Die Bescheide des Finanzamtes sind damit begründet, dass die Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen auf Grund "ihrer Anregung" erfolgt. Das Finanzamt ist offensichtlich davon ausgegangen, dass bereits die "Anregung" der Beschwerdeführerin Grund für die Wiederaufnahme ist. Dies ist - wie sich aus der vorstehenden Darstellung der Rechtslage ergibt - rechtswidrig.

Nach § 299 Abs. 1 BAO kann in Ausübung des Aufsichtsrechtes ein Bescheid von der Oberbehörde aufgehoben werden, wenn Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung ein anders lautender Bescheid hätte erlassen werden oder eine Bescheiderteilung hätte unterbleiben können (lit. c). Gemäß § 299 Abs. 2 BAO kann ein Bescheid von der Oberbehörde ferner wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben werden. Auf diese Gesetzesstellen gründete die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid. Bei der Überprüfung des Aufhebungsbescheides kommt es lediglich darauf an, ob die belangte Behörde überhaupt berechtigt gewesen ist, einen solchen im Aufsichtsweg zu erlassen oder nicht, weil nicht erkannt werden kann, in welchem subjektiv-öffentlichen Recht die Beschwerdeführerin dadurch verletzt sein soll, dass der Aufhebungstatbestand statt richtig auf § 299 Abs. 1 BAO auf § 299 Abs. 2 BAO oder umgekehrt und statt auf die richtige litera des Abs. 1 dieser Gesetzesstelle auf eine andere gestützt wurde (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 26. November 2002, 98/15/0204). Geht das Finanzamt bei Erlassung eines Bescheides offensichtlich von einer unrichtigen Rechtsansicht aus und unterbleibt deswegen die vollständige Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes, so ist die Oberbehörde berechtigt, den Bescheid gemäß § 299 Abs. 2 BAO aufzuheben, ohne den maßgebenden Sachverhalt selbst zu ermitteln (vgl. auch hiezu das zuvor zitierte Erkenntnis vom 26. November 2002, 98/15/0204, m.w.N.).

Wie oben ausgeführt, ist das Finanzamt in Verkennung der Rechtslage davon ausgegangen, dass die "Anregung" der Beschwerdeführerin einen gesetzlichen Grund für die Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen darstellt. Ermittlungen über das Vorliegen eines gesetzlichen Wiederaufnahmsgrundes sind nicht vorgenommen worden. Bei einer derartigen Vorgangsweise des Finanzamtes ist aber die belangte Behörde - wie dargestellt - berechtigt, den Bescheid gemäß § 299 Abs. 2 BAO aufzuheben, ohne den maßgebenden Sachverhalt selbst zu ermitteln. Auf den von der belangten Behörde weiters herangezogenen Aufhebungsgrund des § 299 Abs. 1 lit. c BAO brauchte bei diesem Ergebnis nicht mehr eingegangen werden.

Wie der Verwaltungsgerichtshof seit dem verstärkten Senat vom 25. März 1981, Slg. 5567/F, in ständiger Rechtsprechung (vgl. etwa das Erkenntnis vom 24. Oktober 2000, 95/14/0085) ausgeführt hat, kommt im Bereich des § 299 BAO dem Prinzip der Rechtmäßigkeit der Vorrang vor dem Prinzip der Rechtssicherheit zu. Trotz dieses Vorranges des Prinzips der Rechtsrichtigkeit werden Aufhebungen vor allem dann zu unterbleiben haben, wenn die Rechtswidrigkeit bloß geringfügig ist bzw. wenn sie keine wesentlichen Folgen nach sich gezogen hat (Ritz, Kommentar zur BAO, zweite Auflage, § 299 Rz 23). Das bei der Aufhebung eines Bescheides der Behörde eingeräumte Ermessen wird regelmäßig dann im Sinne des Gesetzes gehandhabt, wenn die Oberbehörde bei Wahrnehmung einer nicht bloß geringfügigen Rechtswidrigkeit mit Aufhebung der Bescheide vorgeht.

Die nicht bloß geringfügige Rechtswidrigkeit der aufgehobenen Bescheide ergibt sich aus den obigen Ausführungen. Die Aufhebung dieser Bescheide, soweit sie die Wiederaufnahme des Verfahrens vom Amts wegen anordnen, ist daher nicht zu beanstanden.

Die Beschwerde war damit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Wien, am 5. Juni 2003

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