VwGH 2000/18/0211

VwGH2000/18/021126.6.2003

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des Y, (geboren 1969), vertreten durch Dr. Michael Kreuz, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Herrengasse 6-8/3/1, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 26. Juli 2000, Zl. SD 467/00, betreffend Ausweisung gemäß § 34 Abs. 1 Z 1 des Fremdengesetzes 1997, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1997 §34 Abs1 Z1;
FrG 1997 §37 Abs1;
FrG 1997 §37 Abs2;
VwRallg;
FrG 1997 §34 Abs1 Z1;
FrG 1997 §37 Abs1;
FrG 1997 §37 Abs2;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 26. Juli 2000 wurde der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, gemäß § 34 Abs. 1 Z 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ausgewiesen.

Der Beschwerdeführer befinde sich laut Aktenlage seit dem 12. November 1987 in Österreich. Er habe zunächst Sichtvermerke und im Anschluss daran Aufenthaltsbewilligungen zum Zweck des Studiums erhalten. Zuletzt habe er eine Aufenthaltserlaubnis mit dem Aufenthaltszweck "Student" gültig bis 31. Oktober 2000 erhalten.

Am 29. Februar 1996 sei der Beschwerdeführer vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen gefährlicher Drohung gemäß § 107 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Dieser Verurteilung habe zu Grunde gelegen, dass der Beschwerdeführer gegen eine andere Person ein Messer mit den Worten "Wüllst an Bauchstich" gerichtet hätte.

Diese Verurteilung habe den Beschwerdeführer jedoch nicht davon abhalten können, neuerlich einschlägig straffällig zu werden. So sei er vom Landesgericht für Strafsachen Wien am 27. Oktober 1999 abermals wegen gefährlicher Drohung zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Monaten verurteilt worden. Diesmal habe der Beschwerdeführer am 7. Juli 1999 in Wien seinen Nachbarn mit den Worten, er würde ihm die Kehle durchschneiden, sowie dessen Sohn mit der Äußerung "und du wirst es auch nicht überleben" bedroht. Seiner dagegen erhobenen Berufung sei mit Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom 21. März 2000 keine Folge gegeben worden.

Gemäß § 34 Abs. 1 Z 1 FrG könnten Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden, die sich auf Grund eines Aufenthaltstitels oder während eines Verfahrens zur Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels im Bundesgebiet aufhielten, wenn nachträglich ein Versagungsgrund eintrete oder bekannt werde, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre.

Der Beschwerdeführer sei bisher zweimal wegen eines auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden Verhaltens strafrechtlich verurteilt worden. Durch dieses Fehlverhalten - welches übrigens auch eine Voraussetzung zur Erlassung des Aufenthaltsverbots gemäß § 36 Abs. 2 Z 1 FrG dargestellt hätte - werde das öffentliche Interesse an der Verhinderung strafbarer Handlungen beeinträchtigt. Die belangte Behörde sei daher zu dem Schluss gelangt, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährde und somit der Sichtvermerksversagungsgrund des § 10 Abs. 2 Z 3 FrG vorliege. Sohin erweise sich die Ausweisung des Beschwerdeführers - vorbehaltlich der Bestimmungen der §§ 35, 37 und 38 FrG - im Grund des § 34 Abs. 1 leg. cit. als gerechtfertigt.

Der Beschwerdeführer befinde sich seit November 1987, somit seit zwölfeinhalb Jahren, zum Zweck des Studiums in Österreich. Am 12. Juli 1999 sei ihm nach Absolvierung des Diplomstudiums der Geisteswissenschaften von der Universität Wien der akademische Grad "Magister der Philosophie" verliehen worden. Sein zuletzt gestellter Antrag auf Verlängerung des Aufenthaltstitels stütze sich darauf, dass er nunmehr an der Dissertation arbeiten würde. In seiner Berufung verweise er darauf, dass er neben seinem Doktoratsstudium bei den "Wiener Vorlesungen" und bei der "Ausländerplattform" engagiert wäre. Zusätzlich absolvierte er einen "HTL-Lehrgang für Informatik". Seit sechs Jahren lebte er mit einer französischen Staatsbürgerin in Lebensgemeinschaft, aus dieser Beziehung stamme eine im Februar 1998 in Wien geborene Tochter. Es sei somit ohne jede Frage von einem mit der Ausweisung verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers auszugehen. Dieser Eingriff sei jedoch zulässig, weil er zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten sei. Angesichts der vorliegenden Verurteilungen des Beschwerdeführers und der damit zum Ausdruck kommenden Missachtung der zum Schutz der körperlichen Integrität anderer aufgestellten Normen, sei die genannte Maßnahme zum Schutz der öffentlichen Sicherheit, zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen durch den Beschwerdeführer sowie zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer zulässig im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG. Dies umso mehr, als sich der Beschwerdeführer durch seine erste Verurteilung nicht davon habe abhalten lassen, neuerlich einschlägig straffällig zu werden. So habe auch das Oberlandesgericht Wien anlässlich seiner Berufung gegen die zuletzt erfolgte Verurteilung ausgeführt, dass das ohne den geringsten äußeren Anlass gesetzte aggressive Verhalten des Beschwerdeführers gegen zwei Personen jedenfalls der Ahndung durch eine fünfmonatige Freiheitsstrafe bedürfe. Was den langjährigen Aufenthalt des Beschwerdeführers betreffe, so sei dazu festzuhalten, dass dieser sich seit seiner Einreise zum Zweck eines Studiums in Österreich aufhalte und er daher durchgehend "über Aufenthaltserlaubnisse dafür" verfügt habe. Eine Aufenthaltsverfestigung gemäß § 35 FrG komme dem Beschwerdeführer aber insofern nicht zu Gute, weil er nicht auf Dauer rechtmäßig in Österreich niedergelassen gewesen sei, sondern nur Aufenthaltstitel zur Absolvierung eines Studiums erhalten hätte.

Bei der gemäß § 37 Abs. 2 FrG durchzuführenden Interessenabwägung sei ebenfalls auf die aus der Dauer des inländischen Aufenthalts des Beschwerdeführers ableitbare Integration Bedacht zu nehmen gewesen. Gleichzeitig sei aber zu berücksichtigen gewesen, dass der mit der Dauer des Aufenthalts verbundenen Integration insofern kein entscheidendes Gewicht zukomme, als diese bei einer nur vorübergehenden Zwecken dienenden Aufenthaltserlaubnis an sich kein besonderes Gewicht habe, und überdies die für eine Integration erforderliche soziale Komponente durch das strafbare Verhalten des Beschwerdeführers wesentlich gemindert worden sei. Auch die familiären Bindungen des Beschwerdeführers erführen insofern eine Relativierung, als der Beschwerdeführer davon habe ausgehen müssen, dass er sich auf Grund seines Studiums nicht auf Dauer im Bundesgebiet niederlassen könne und grundsätzlich nach Beendigung des Studiums Österreich wieder verlassen müsse. Diesen - solcherart geschmälerten - privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers steht das hoch zu veranschlagende öffentliche Interesse an der Verhinderung strafbarer Handlungen gegenüber. Bei Abwägung dieser Interessenlagen sei die belangte Behörde zu dem Ergebnis gelangt, dass die Auswirkungen der Ausweisung auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie nicht schwerer wögen, als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung. Vor diesem Hintergrund und unter Bedachtnahme auf das Gewicht der maßgeblichen öffentlichen Interessen könne ein weiterer Aufenthalt des Beschwerdeführers auch nicht im Rahmen des der Behörde zustehenden Ermessens in Kauf genommen werden, zumal auch keine weiteren zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechenden Umstände gegeben seien.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 34 Abs. 1 Z. 1 FrG können Fremde, die sich auf Grund eines Aufenthaltstitels im Bundesgebiet aufhalten, mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn nachträglich ein Versagungsgrund eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre.

Nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten (vgl. Blatt 64 verso) wurde dem Beschwerdeführer von der Erstbehörde die ihm zuletzt erteilte (bis zum 31. Oktober gültige) Aufenthaltserlaubnis am 14. Dezember 1999 ausgestellt. Das seiner zweiten Verurteilung zu Grunde liegende, unstrittig am 7. Juli 1999 begangene Fehlverhalten hat er somit vor der Erteilung dieser Aufenthaltserlaubnis gesetzt. Nach den Verwaltungsakten (vgl. Blatt 69) wurde ferner die Organisationseinheit der Erstbehörde, die diese Aufenthaltserlaubnis ausstellte (und später auch den erstinstanzlichen Ausweisungsbescheid erließ), schon zuvor mit Schreiben der "Polizeiabteilung bei der Staatsanwaltschaft Wien" vom 10. November 1999 (eingelangt am 12. November), von der deswegen erfolgten Verurteilung durch das Landesgericht für Strafsachen Wien vom 27. Oktober 1999 in Kenntnis gesetzt. Dieses Fehlverhalten war somit schon vor der Erteilung des besagten Aufenthaltstitels behördlich bekannt. Damit findet der angefochtene Bescheid in der Bestimmung des § 34 Abs. 1 Z. 1 FrG, die nur für den Fall nachträglich eingetretener oder nachträglich bekannt gewordener Versagungsgründe anwendbar ist (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 3. August 2000, Zl. 99/18/0259), keine Deckung. Insofern hat die belangte Behörde die Rechtslage verkannt und den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhalts belastet.

2.1. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen den angefochtenen Bescheid u.a. im Grund des § 37 FrG. Er befinde sich seit zwölfeinhalb Jahren rechtmäßig in Österreich. Von 1987 bis 1991 sei er ehrenamtlich bei der Caritas beschäftigt gewesen, seit 1999 sei er bis "zum heutigen Zeitpunkt" Student. Er habe in Österreich ein Studium absolviert und befinde sich nun im Doktoratsstudium. Der Beschwerdeführer sei beim "Wiener Kreis" an einer universitären, wissenschaftlichen und kulturellen Veranstaltung beteiligt. Darüber hinaus sei er bei den "Wiener Vorlesungen" und bei der "Ausländerplattform" engagiert und absolviere den im angefochtenen Bescheid genannten HTL-Lehrgang. Seit sechs Jahren führe er eine eheähnliche Gemeinschaft mit einer französischen Staatsangehörigen. Aus dieser Beziehung stamme die 1998 geborene Tochter des Beschwerdeführers, wobei er an deren Pflege und Erziehung den Hauptanteil übernehme, weil die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers auf Grund ihrer beruflichen Tätigkeit bei der französischen Botschaft voll ausgelastet sei. Ferner wäre durch die Ausweisung der Abschluss seiner Dissertation in hohem Maß gefährdet, da diese "einen starken Österreichbezug" aufweise und dem Beschwerdeführer der Zugriff auf die benötigte "spezifische österreichische Literatur" fast unmöglich gemacht würde.

2.2. Die belangte Behörde hat zwar zutreffend darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer im Art. 8 Abs. 2 EMRK geschützte öffentliche Interessen verletzt hat. Sie hat aber den beachtlichen persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich nicht das ihnen gebührende Gewicht beigemessen. Der Beschwerdeführer befindet sich unstrittig zwölfeinhalb Jahre durchgehend rechtmäßig in Österreich, er wohnt mit seiner minderjährigen Tochter sowie seiner Lebensgefährtin (der Mutter dieser Tochter) in einem gemeinsamen Haushalt. Die Ausweisung stellt daher einen schwerwiegenden Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers dar. Die aus dem schon zwölfeinhalbjährigen Aufenthalt ableitbare Integration des Beschwerdeführers - die belangte Behörde stellte fest, dass der Beschwerdeführer ein Studium durch Erlangung eines akademischen Grades abgeschlossen habe, sich derzeit in einem Doktoratsstudium befinde, weiters einen HTL-Lehrgang besuche und zudem bei den "Wiener Vorlesungen" und bei der "Ausländerplattform" engagiert gewesen sei - sowie die besagte familiäre Bindung des Beschwerdeführers zu seiner Tochter sind insgesamt von solchem Gewicht, dass sie im Grund des § 37 Abs. 1 und 2 FrG von dem besagten Allgemeininteresse an der Erlassung der vorliegenden fremdenpolizeilichen Maßnahme nicht aufgewogen werden. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer nach Ablauf der ihm zuletzt erteilten, bis zum 20. Juli 1998 (vgl. Blatt 43 der Verwaltungsakten) gültigen Aufenthaltsbewilligung nach dem AufG nicht mehr über Niederlassungsbewilligungen, sondern (lediglich) über Aufenthaltserlaubnisse verfügte, vermag angesichts der besagten persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an seinem Verbleib in Österreich an dieser Beurteilung nichts zu ändern. Dies hat die belangte Behörde verkannt und auch deshalb den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

3. Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

4. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm § 3 Abs. 2 Z 2 Eurogesetz, BGBl. I Nr. 72/2000, und der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.

Wien, am 26. Juni 2003

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