VwGH 2002/18/0124

VwGH2002/18/012417.9.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des R, geboren 1965 oder 1960, vertreten durch Dr. Max Kapferer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 5. Februar 2002, Zl. III 4033-80/01, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2;
FrG 1997 §39 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2;
FrG 1997 §39 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol (der belangten Behörde) vom 5. Februar 2002 wurde gegen den Beschwerdeführer, den Beschwerdebehauptungen zufolge ein armenischer Staatsangehöriger, gemäß § 36 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 iVm den §§ 37 bis 39 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Über den Beschwerdeführer sei vom Landesgericht Innsbruck mit in Rechtskraft erwachsenem Urteil vom 31. Oktober 2001 wegen des Verbrechens des teils versuchten, teils vollendeten gewerbsmäßigen Diebstahls nach den §§ 127, 130 erster Satz erster Fall und § 15 StGB und wegen des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB eine Freiheitsstrafe von zwölf Monaten, wovon ein Teil von acht Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen worden sei, verhängt worden. Damit sei der Beschwerdeführer für schuldig erkannt worden, anderen fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, und in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung der Taten eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, weggenommen zu haben, und zwar

1. zwischen dem 9. November 2000 und dem 21. September 2001 in fünf näher bezeichneten Orten in Tirol und an anderen Orten Unbekannten in zahlreichen Zugriffen diverse Parfums, Körperpflegeprodukte, Geldtaschen, Schreibutensilien, Handyzubehör, Elektro-Geräte, Feuerzeuge, Messer, Fotoapparate, Filme, Batterien, Herren-, Damen- und Kinderbekleidung, Schuhe, Sonnenbrillen, Schmuck- und Ziergegenstände in einem im Zweifel zugunsten des Beschwerdeführers als Beschuldigten angenommenen

S 25.000,-- nicht übersteigenden Gesamtwert,

2. am 21. September 2001 in Innsbruck Berechtigten einer Geschäftsfiliale in einem Einkaufszentrum sechs Parfums und

3. am 21. September 2001 in Innsbruck Berechtigten eines anderen Unternehmens in diesem Einkaufszentrum zwei Stück Disc-Walkman, wobei es jedoch beim Versuch geblieben sei.

Ferner habe der Beschwerdeführer am 21. September 2001 in Innsbruck im Anschluss an die vorgenannten Taten im Zug seiner Flucht einen Disc-Walkman im Wert von S 1.190,--, sohin eine fremde bewegliche Sache, absichtlich zu Boden geschleudert und dadurch beschädigt.

Das dieser Verurteilung zugrunde liegende Fehlverhalten zeige deutlich die negative Einstellung des Beschwerdeführers zur Rechtsordnung, woraus sich die berechtigte Folgerung ergebe, dass sein Aufenthalt im Bundesgebiet eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstelle. Seine Verurteilung zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe erfülle den Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 zweiter Fall FrG.

Ein relevanter Eingriff in sein Privat- oder Familienleben im Sinn des § 37 Abs. 1 leg. cit. liege vor, mache jedoch das Aufenthaltsverbot im Grund dieser Gesetzesbestimmung nicht unzulässig. Im Hinblick auf die sich in seinem Fehlverhalten manifestierende Neigung, sich über die Rechtsordnung hinwegzusetzen, sei die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (Verhinderung strafbarer Handlungen, Schutz der Rechte anderer, z.B. auf Vermögen) dringend geboten. Seine privaten und familiären Interessen an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet wögen höchstens gleich schwer wie die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung dieser Maßnahme, weshalb diese auch im Grund des § 37 Abs. 2 FrG zulässig sei.

Der Beschwerdeführer sei im Dezember 1999 mit seiner Familie (seiner Ehefrau und seinem gemeinsamen, im Jahr 1996 geborenen Kind) von Deutschland in das Bundesgebiet eingereist, als für ihn und seine Familie das Asylverfahren in Deutschland negativ beendet gewesen sei. Er und seine Familie hätten sofort in Österreich Asylanträge gestellt. Die diesbezüglichen Asylverfahren seien mit Wirksamkeit vom 11. April 2001 rechtskräftig negativ beendet worden. Dennoch hätten er und seine Familie das Bundesgebiet nicht verlassen und seien weiterhin an wechselnden Orten in Österreich aufhältig. Seine Ehefrau habe am 18. Oktober 2000 in Tirol einen Sohn zur Welt gebracht. Betreffend die Asylverfahren seien derzeit Beschwerdeverfahren beim Verwaltungsgerichtshof anhängig, wobei der Beschwerde der Ehefrau und des im Jahr 1996 geborenen Kindes mit hg. Beschluss vom 30. Juli 2001 aufschiebende Wirkung zuerkannt worden sei.

Der Beschwerdeführer und seine Familie seien im Bundesgebiet erst seit etwas mehr als zwei Jahren aufhältig. Er lebe in Innsbruck erst seit dem Vorjahr und sei wie seine Ehegattin am regulären Arbeitsmarkt nicht integriert. Dementsprechend seien er und seine Familie im Bundesgebiet gering integriert und mit "ebensolchen" privaten Bindungen versehen. Eine intensive Bindung hätten er und seine Familie zu wohltätigen "Menschen/Organisationen" im Bundesgebiet und naturgemäß die Familienangehörigen zueinander. Er und seine Familie lebten auf Kosten der Caritas "und/oder anderer wohltätiger Menschen/Organisationen und/oder der öffentlichen Hand" in einem gemeinsamen Haushalt.

Ein Aufenthaltsverbot-Verbotsgrund gemäß den §§ 38, 35 FrG komme nicht zum Tragen. Angesichts der Art und Schwere seiner Straftat im Gastland, wo er und seine Familie sich erst seit relativ kurzer Zeit, seit Dezember 1999, als Asylwerber aufhielten, und im Hinblick darauf, dass ein Wegfall des Grundes für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes, nämlich seiner Gefährlichkeit für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit, nicht vorhergesehen werden könne, werde das Aufenthaltsverbot auf unbestimmte Zeit (unbefristet) erlassen.

Im Hinblick darauf, dass "keine, nicht bereits im Rahmen der Interessenabwägung gemäß § 37 Abs. 2 FrG berücksichtigte Umstände" vorlägen, könne von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes auch nicht im Rahmen des der Behörde zustehenden Ermessens gemäß § 36 Abs. 1 leg. cit. Abstand genommen werden.

Zu seinem Berufungsvorbringen werde darauf hingewiesen, dass er am 13. Dezember 2001 vor der Bundespolizeidirektion Innsbruck (der Erstbehörde) zu Protokoll gegeben habe, dass sein richtiger Name Atanesjan, auch Atanesian (je nach Transkription) Robert, geboren am 19. Februar 1965, wäre. Dass er das Verbrechen des gewerbsmäßigen Diebstahls als "Kleinstkriminalität" verharmlose, spreche für sich, habe er "ja wirklich nur" überlebenswichtige Dinge, wie Parfums, Handy-Zubehör, Elektrogeräte, Feuerzeuge, Fotoapparate, Filme, Schmuck- und Ziergegenstände, gestohlen. Die Fakten hinsichtlich seiner Integration und der seiner Ehegattin im Bundesgebiet lägen am Tisch, und er habe in der Berufung etwas Neues nicht vorgebracht, weshalb auf seine zum Beweis dafür, dass bereits eine erhebliche Integration stattgefunden hätte, beantragte (neuerliche) Vernehmung und die seiner Ehegattin verzichtet werde.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. In der Beschwerde bleibt die Auffassung der belangten Behörde, das vorliegend der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG verwirklicht sei, unbekämpft. Im Hinblick auf die unbestrittene rechtskräftige Verurteilung des Beschwerdeführers begegnet diese Beurteilung keinen Bedenken.

2. Die Beschwerde bringt indes vor, dass der Beschwerdeführer in einer Verzweiflungssituation gewesen sei, weil er nicht gewusst habe, wie er für seine Familie weiter sorgen könne, und deshalb geringfügige Diebstähle begangen habe. Er habe aus seiner Verurteilung gelernt, sodass keine negative "Zukunftsprognose" bestehe und das Aufenthaltsverbot nicht dringend geboten sei. Er halte sich gemeinsam mit seiner Familie seit drei Jahren in Österreich auf, und es hätte die Interessenabwägung zu seinen Gunsten ausfallen müssen.

3. Dieses mit Blick auf § 36 Abs. 1 FrG wie auch § 37 leg. cit. erstattete Vorbringen ist nicht zielführend.

3.1. Nach den insoweit unbestrittenen Feststellungen der belangten Behörde liegt der Verurteilung des Beschwerdeführers vom 31. Oktober 2001 durch das Landesgericht Innsbruck zugrunde, dass er in einem Zeitraum von rund zehneinhalb Monaten an mehreren Orten in zahlreichen Zugriffen eine Vielzahl von Gegenständen gestohlen hat, wobei er in der Absicht gehandelt hat, sich durch die wiederkehrende Begehung der Straftaten eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen. Bei Würdigung dieses Fehlverhaltens, insbesondere des Umstandes, dass sich diese gewerbsmäßig verübten Straftaten über einen Zeitraum von mehreren Monaten erstreckt haben, begegnet die Auffassung der belangten Behörde, dass im vorliegenden Fall die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, keinen Bedenken, besteht doch ein großes öffentliches Interesse an der Verhinderung der Eigentumskriminalität (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 31. März 2000, Zl. 99/18/0343). Selbst wenn das Motiv für die Begehung der zahlreichen Diebstähle tatsächlich in der Sorge des Beschwerdeführers um den Unterhalt für sich und seine Familie gelegen sein sollte, so böte dies keinen Grund zur Annahme, dass der Beschwerdeführer, sollte er neuerlich in finanzielle Bedrängnis geraten, nicht weitere Vermögensdelikte begehen werde.

3.2. Bei der Beurteilung gemäß § 37 Abs. 1 FrG hat die belangte Behörde im Hinblick auf die Dauer des inländischen Aufenthalts des Beschwerdeführers seit Dezember 1999 und seine Bindungen zu seiner Ehefrau und seinen beiden minderjährigen Kindern, mit denen er in einem gemeinsamen Haushalt lebt, zutreffend einen mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen relevanten Eingriff im Sinn der genannten Bestimmung angenommen. Wenn sie angesichts des besagten Fehlverhaltens des Beschwerdeführers die Erlassung dieser Maßnahme für dringend geboten erachtet hat, so ist dies in Ansehung des von ihr herangezogenen, in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten maßgeblichen öffentlichen Interesses an der Verhinderung strafbarer Handlungen nicht als rechtswidrig zu erkennen.

Auch steht die von der belangten Behörde nach § 37 Abs. 2 FrG vorgenommene Interessenabwägung mit dem Gesetz in Einklang, kommt doch den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers, der bei Erlassung des angefochtenen Bescheides erst seit rund zwei Jahren und einem Monat im Bundesgebiet aufhältig war, an einem Verbleib in Österreich angesichts der Minderung, die die für eine Integration wesentliche soziale Komponente durch sein Fehlverhalten erfahren hat, und in Anbetracht des Umstandes, dass das ihn betreffende Asylverfahren mit Wirksamkeit vom 11. April 2001 rechtskräftig negativ beendet worden ist, kein größeres Gewicht zu als dem maßgeblichen öffentlichen Interesse an der Erlassung des vorliegenden Aufenthaltsverbotes. Die mit dieser Maßnahme verbundene Situation muss von ihm und seinen Familienangehörigen im öffentlichen Interesse in Kauf genommen werden.

3.3. Unter Zugrundelegung dieser Erwägungen ist der in der Beschwerde erhobenen Verfahrensrüge, die belangte Behörde hätte die Ehegattin des Beschwerdeführers zur Intensität seiner Integration in Österreich und zu den Gründen für seine Straftaten vernehmen müssen, der Boden entzogen.

4. Schließlich wendet sich die Beschwerde gegen die unbefristete Erlassung des Aufenthaltsverbotes. Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.

Gemäß § 39 Abs. 1 FrG kann ein Aufenthaltsverbot in den Fällen des § 36 Abs. 2 Z. 1 und 5 leg. cit. unbefristet, in den Fällen des § 36 Abs. 2 Z. 9 leg. cit. für die Dauer von höchsten fünf Jahren und in allen anderen Fällen nur für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Nach § 39 Abs. 2 erster Satz leg. cit. ist bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen.

Nach ständiger hg. Rechtsprechung ist ein Aufenthaltsverbot - unter Bedachtnahme auf § 39 Abs. 1 leg. cit. - für jenen Zeitraum, nach dessen Ablauf vorhersehbarerweise der Grund für seine Verhängung weggefallen sein wird, und auf unbestimmte Zeit (unbefristet) zu erlassen, wenn ein Wegfall des Grundes für seine Verhängung nicht vorhergesehen werden kann. Die Verhängung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, das auch über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren aufrecht erhalten werden kann, stellt gegenüber der Verhängung eines - auf höchstens zehn Jahre - befristeten Aufenthaltsverbotes die schwerer wiegende Beeinträchtigung der persönlichen Interessen des Fremden dar. (Vgl. etwa das Erkenntnis vom 4. April 2001, Zl. 2000/18/0134, mwN.)

Wiewohl die für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Straftaten des Beschwerdeführers, wie dargestellt, eine erhebliche Beeinträchtigung des maßgeblichen öffentlichen Interesses darstellen, handelt es sich doch nicht um so schwere Delikte, die - angesichts der beachtlichen persönlichen Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet - die unbefristete Erlassung eines Aufenthaltsverbotes rechtfertigen.

Insofern hat die belangte Behörde die Rechtslage verkannt.

5. Da es sich bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes um einen vom übrigen Inhalt des angefochtenen Bescheides nicht trennbaren Abspruch handelt (vgl. nochmals das vorgenannte Erkenntnis, Zl. 2000/18/0134, mwN), war der angefochtene Bescheid zur Gänze gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

6. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.

Wien, am 17. September 2002

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