VwGH 2002/08/0134

VwGH2002/08/013420.11.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über den Antrag des M in L, vertreten durch Dr. Christian Sparlinek, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Stelzhamerstraße 12, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof gegen den Bescheid des Bundesministers für soziale Sicherheit und Generationen vom 17. Jänner 2002, Zl. 128.837/2-7/2001, betreffend Pflichtversicherung nach dem GSVG (mitbeteiligte Partei: Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, Wiedner Hauptstraße 84-86, 1150 Wien), den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §6 Abs1;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;
AVG §6 Abs1;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;

 

Spruch:

Gemäß § 46 VwGG wird dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stattgegeben.

Begründung

Der Antragsteller bringt vor, der bezeichnete Bescheid des Bundesministers vom 17. Jänner 2002 sei ihm am 28. Jänner 2002 zugestellt worden. Mit an den Bundesminister gerichteten Schreiben vom 3. Februar 2002, zur Post gegeben am 6. Februar 2002, habe er den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Einbringung einer Verwaltungsgerichtshofbeschwerde gestellt. Der Bundesminister habe diesen Antrag erst am 15. März 2002 an den Verwaltungsgerichtshof weitergeleitet.

Die Versäumung der Beschwerdefrist beruhe auf einem Irrtum. Der Antragsteller sei davon ausgegangen, dass er den Antrag an jene Behörde zu richten habe, die letztinstanzlich entschieden habe. Diese irrtümliche Annahme beruhe auf einem Versehen geringen Grades, weshalb die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zulässig sei. Sein Irrtum sei erst durch den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 9. April 2002, an ihn zugestellt am 25. April 2002, aufgeklärt worden.

Der - am 8. Mai 2002 zur Post gegebene - Antrag ist rechtzeitig und begründet. Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wird der Begriff des minderen Grades des Versehens als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB verstanden. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt, somit nicht die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben.

Der Antragsteller macht der Sache nach geltend, irrtümlich der Meinung gewesen zu sein, einen fristwahrenden Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe beim Bundesminister stellen zu können, und rügt, dass seine Eingabe im Bundesministerium so lange liegen geblieben sei, dass daraus eine Fristversäumung entstehen konnte.

Nach der neueren Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. die unter 17 b zu § 71 AVG bei Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Auflage, referierte hg. Rechtsprechung, und den Beschluss vom 17. Juni 1999, 99/20/0253) kann auch ein Irrtum ein Ereignis im Sinne des § 46 Abs. 1 VwGG sein und es ist, wenn ein solcher Irrtum als Wiedereinsetzungsgrund geltend gemacht wird, im Einzelfall die Verschuldensfrage zu prüfen.

Grundsätzlich sollte es vom Zweck der Verfahrenshilfe her einem Normunterworfenen möglich sein, ohne Zuhilfenahme anwaltlicher Unterstützung einen rechtzeitigen (und bei der richtigen Stelle eingebrachten) Verfahrenshilfeantrag zu stellen. Es kann vorliegendenfalls auf sich beruhen, ob das Versehen des Antragstellers, seinen Verfahrenshilfeantrag bei jener Stelle einzubringen, von der der Bescheid ausgegangen ist, auf einem groben Verschulden seinerseits beruht, da er diese Eingabe schon am 6. Februar zur Post gegeben und die Beschwerdefrist erst am 11. März 2002 geendet hat.

Der Antragsteller durfte angesichts des offen stehenden Zeitraums von mehr als einem Monat jedenfalls darauf vertrauen, dass seine Eingabe, sollte sie an eine unrichtige Stelle gerichtet sein, entweder rechtzeitig an die richtige Stelle weitergeleitet oder an ihn zurückgeschickt werden kann. Erst der Umstand, dass der Antragsteller vom Bundesministerium keine weitere Nachricht erhielt und sein Antrag auch nicht an ihn zurückgeschickt, sondern - nicht unverzüglich - erst am 15. März 2002 an den Verwaltungsgerichtshof weitergeleitet wurde, hat die Versäumung der Beschwerdefrist bewirkt.

Es ist dem Verwaltungsgerichtshof kein objektiver Grund dafür erkennbar, dass der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe seitens des Bundesministeriums nicht rechtzeitig, sondern erst nach mehr als einem Monat an den Verwaltungsgerichtshof weitergeleitet wurde. Das Bundesministerium hat damit gegen seine Verpflichtung gemäß § 6 AVG zur Weiterleitung einer an die unzuständige Behörde gerichteten Eingabe "ohne unnötigen Aufschub" oder zur Verweisung des Einschreiters an den Verwaltungsgerichtshof verstoßen; dies obgleich dem Bundesministerium der genaue Fristenlauf und der Umstand, dass die verspätete Weiterleitung des Antrages an den Verwaltungsgerichtshof einen Fristverlust für den Antragsteller bedeutet, bekannt sein musste. § 6 AVG lässt nämlich den Grundsatz erkennen, dass einer Partei aus der Unkenntnis von Zuständigkeitsnormen und der Behördenorganisation kein Rechtsnachteil entstehen soll. Auch darf die Weiterleitung der Schriftstücke durch die unzuständige Behörde nicht beliebig lange hinausgezögert werden (vgl. die bei Walter/Thienel, § 6 AVG, Nr. 26 und 27 zitierte Rechtsprechung).

Wenn der Gesetzgeber anordnet, dass Eingaben nach § 6 AVG "auf Gefahr des Einschreiters" weiterzuleiten sind, so hat er damit zwar klargestellt, dass das Risiko einer dadurch zu Stande kommenden Fristversäumung die Partei trifft, gleichzeitig aber keineswegs der Behörde die Befugnis eingeräumt, diese Gefahr erst durch ihr Verhalten auch schlagend werden zu lassen.

Der Antragsteller wurde im vorliegenden Fall zwar zunächst durch seinen eigenen Irrtum, in der Folge aber durch ein ihm erst im Nachhinein bekannt gewordenes - angesichts der Dauer der zur Verfügung stehenden Zeit als krass zu bezeichnendes - Fehlverhalten im Bereich des Bundesministeriums an der rechtzeitigen Erhebung einer Verwaltungsgerichtshofbeschwerde gehindert. Dieses für die Fristversäumung letztlich kausale Verhalten der Behörde, welches jedenfalls noch während des Laufes der Beschwerdefrist einsetzte und über ihr Ende hinaus andauerte, stellt ein für den Antragsteller unvorhersehbares und unabwendbares Hindernis im Sinne des § 46 VwGG dar. Infolgedessen trifft den Antragsteller an der Versäumung der Beschwerdefrist kein einen minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden. Der Wiedereinsetzungsgrund liegt daher vor.

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG war dem Antrag auf Wiedereinsetzung somit stattzugeben.

Wien, am 20. November 2002

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte