Normen
PG 1965 §4 Abs4 idF 2000/I/095;
VwRallg;
PG 1965 §4 Abs4 idF 2000/I/095;
VwRallg;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.088,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die am 9. Mai 1944 geborene Beschwerdeführerin steht als Amtsrätin in Ruhe in einem öffentlich-rechtlichen Ruhestandsverhältnis zum Bund. Zuletzt war sie im Eichamt Graz tätig.
Die Beschwerdeführerin beantragte am 23. März 2000 ihre Ruhestandsversetzung wegen Dienstunfähigkeit nach § 14 des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1979, BGBl. Nr. 333 (BDG 1979).
Nach Einholung diverser Gutachten (eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie sowie eines Facharztes für Orthopädie und orthopädische Chirurgie) erstattete der leitende Arzt des Bundespensionsamtes Dr. Z. am 5. September 2000 ein Sachverständigengutachten zur "Leistungsfeststellung", in welchem er zusammenfassend bei der Beschwerdeführerin folgende Diagnosen (nach Relevanz hinsichtlich Arbeitsfähigkeit) traf:
"1. wiederkehrende Lendenwirbelsäulenbeschwerden bei bildgebend Spondylarthrosen/Gefügeumstellung nach Bandscheibenvorfall und Ansatztendopathien, ohne neurologische Ausfälle
2. Meniskusdegeneration mit Bandlockerung und Retropatellararthrose am linken Kniegelenk
3. neurotische Depression, mit mäßiggradiger Verstimmung und leichtgradiger vegetativer Reizsymptomatik, diskret herabgesetztem Antrieb, ohne Hinweis auf einen krankheitsbedingten Abbau geistiger Fähigkeiten
4. oberes Cervikalsydrom mit Hinterhauptkopfschmerzen/Spannungskopfschmerzen, behandelbar, ohne neurologische Ausfälle."
Mit Bescheid des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit vom 14. September 2000 wurde die Beschwerdeführerin gemäß § 14 Abs. 1 BDG 1979 mit Ablauf des 30. September 2000 in den Ruhestand versetzt.
Mit Bescheid des Bundespensionsamtes vom 3. April 2001 wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführerin gemäß den §§ 3 bis 7, 9, 62j Abs. 1 und 62b des Pensionsgesetzes, BGBl. Nr. 340/1965 (PG 1965), vom 1. Oktober 2000 an ein Ruhegenuss von monatlich brutto S 25.840,40 gebühre. Dies wurde damit begründet, dass die Kürzungsregelung des § 4 Abs. 3 PG 1965 anzuwenden sei, weil nicht davon auszugehen sei, dass die Ruhestandsversetzung wegen Dienstunfähigkeit auf einen Dienstunfall in Ausübung des Dienstes zurückzuführen sei. Die Beschwerdeführerin habe zwar einen Dienstunfall (1997) erlitten. Die vom Sachverständigen festgestellten Leiden seien jedoch nicht auf den Dienstunfall zurückzuführen. Die nach dem Dienstunfall eingetretenen Leidenszustände wie Cervikalsyndrom mit Hinterhauptkopfschmerzen, Spannungskopfschmerzen - behandelbar, ohne neurologische Ausfälle -
seien keine wesentliche Bedingung für den Eintritt der Dienstunfähigkeit gewesen.
Die Beschwerdeführerin erhob Berufung. Neben ihrem Vorbringen dahingehend, die Bestimmung des § 4 PG 1965 weiterhin in der Fassung vor dem Pensionsreformgesetz 2000 anzuwenden, brachte die Beschwerdeführerin in der Berufung auch vor, dass der anerkannte Dienstunfall aus dem Jahr 1997 sehr wohl kausal für ihre Dienstunfähigkeit gewesen sei. Inwieweit für die Beurteilung dieser Frage überhaupt ein ordentliches Ermittlungsverfahren durchgeführt worden sei, lasse sich dem Bescheid erster Instanz nicht entnehmen. Es lasse sich nicht nachvollziehen, auf Grund welchen Gutachtens die Behörde zum Ergebnis gekommen worden sei, dass ihre Leidenszustände nicht auf den Dienstunfall zurückzuführen wären. Bei Durchführung eines ordentlichen Ermittlungsverfahrens hätte dies schlüssig und nachvollziehbar ausgeführt werden müssen. Die Pensionsbehörde erster Instanz hätte also zum Ergebnis kommen müssen, dass bei der Beschwerdeführerin eine Kürzung der Ruhegenussbemessungsgrundlage zu unterbleiben habe, weil ihre Ruhestandsversetzung wegen Dienstunfähigkeit auf einen Dienstunfall zurückzuführen sei.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde die Berufung der Beschwerdeführerin gemäß § 66 Abs. 4 AVG abgewiesen. Nach Ausführungen dazu, dass die Behörde erster Instanz zu Recht die Rechtslage nach dem Pensionsreformgesetz 2000 angewandt habe, führt die belangte Behörde weiter aus, die Beschwerdeführerin habe am 16. April 1997 im Zuge einer Dienstreise einen Verkehrsunfall und somit einen Dienstunfall erlitten. Bedingt durch diesen Dienstunfall leide sie primär an einem Cervikalsyndrom mit Hinterhaupt- und Spannungskopfschmerzen. Im Vordergrund der Leistungseinschränkung, die zur Ruhestandsversetzung geführt habe, seien jedoch Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule, Bandscheibenvorfall, Meniskusdegeneration sowie neurotische Depressionszustände gestanden. Dies sei im ärztlichen Sachverständigengutachten zur "Leistungsfeststellung" und somit in einem ordnungsgemäß durchgeführten Ermittlungsverfahren festgestellt worden. Darüber hinaus habe die Beschwerdeführerin im Rahmen der orthopädisch-chirurgischen Untersuchung vom 30. Mai 2000 auf Befragen zu Protokoll gegeben, dass sie "auf Grund ihrer Kreuz- und linksseitigen Knieschmerzen arbeitsunfähig sei und dass sie, obwohl sie früher gern gearbeitet hätte, das Arbeiten mit Schmerzen unlustig mache". Diese Beschwerden stünden jedoch nachweislich in keinem Zusammenhang mit dem Dienstunfall.
Die Behörde erster Instanz habe daher völlig korrekt den Ruhegenuss der Beschwerdeführerin bemessen.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, welcher mit Beschluss vom 25. September 2001, B 1024/01-3, die Behandlung der Beschwerde ablehnte und mit Beschluss vom 21. November 2001, B 1024/01-5, die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ergänzte die Beschwerdeführerin ihre Beschwerde dahingehend, dass sie Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machte und ihr Beschwerdevorbringen allein darauf konzentrierte, dass die belangte Behörde den Zusammenhang zwischen ihrem Dienstunfall und der Dienstunfähigkeit unzureichend festgestellt bzw. falsch beurteilt habe.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerdeführerin wurde mit Wirkung vom 1. Oktober 2000 in den Ruhestand versetzt.
§ 4 Abs. 4 PG 1965 in der am 1. Oktober 2000 geltenden Fassung (des Pensionsreform-Gesetzes 2000, BGBl. Nr. 95, lautet:
"(4) Eine Kürzung nach Abs. 3 findet nicht statt, wenn der Beamte im Dienststand verstorben ist oder wenn die Ruhestandsversetzung wegen Dienstunfähigkeit aus einem Dienstunfall in Ausübung des Dienstes zurückzuführen ist."
Es ist unbestritten, dass die Beschwerdeführerin am 17. April 1997 im Rahmen einer angeordneten Dienstreise einen Auffahrunfall erlitt.
Im vorliegenden Beschwerdefall geht es allein darum, ob die - unbestritten vorliegende - Dienstunfähigkeit der Beschwerdeführerin auf diesen Dienstunfall zurückzuführen ist oder nicht.
Zurückführbarkeit im Sinne des § 4 Abs. 4 PG 1965 bedeutet, dass die Dienstunfähigkeit durch dieses Ereignis (Dienstunfall) verursacht wurde. Der geforderte Kausalzusammenhang zwischen Dienstunfähigkeit und Dienstunfall ist dann gegeben, wenn dieser Dienstunfall als wirkende - nicht bloß unwesentliche - Bedingung für die Dienstunfähigkeit in Betracht kommt (vgl. die in diesem Zusammenhang ergangene hg. Judikatur zu § 4 Abs. 4 Z. 2 PG 1965 in der Fassung BGBl. 123/1998, welche auch auf § 4 Abs. 4 PG 1965 in der hier anzuwendenden Fassung übertragbar ist; so z.B. die hg. Erkenntnisse vom 27. Oktober 1999, Zl. 98/12/0391, und vom 24. September 1997, Zl. 96/12/0313). Die Behörde hat daher zu klären, ob der Dienstunfall und dessen Auswirkungen eine (gegebenenfalls von mehreren) wirkende Bedingung oder eine bloß unwesentliche, weil nicht wirkende Bedingung für die Dienstunfähigkeit der Beschwerdeführerin darstellt.
Bei der Beurteilung der Bedingtheit der Minderung der Erwerbsfähigkeit durch die Folgen des Arbeitsunfalles bzw. Dienstunfalles gehen Rechtsprechung und Lehre von der Theorie der "wesentlichen Bedingung" aus. Danach ist es für eine solche Bedingtheit - dann, wenn der Unfallschaden auf mehrere Ursachen zurückgeht - erforderlich, dass der Unfall eine wesentliche Ursache der Schädigung ist. Dies ist er dann, wenn er nicht im Hinblick auf andere mitwirkende Ursachen erheblich in den Hintergrund tritt. Nur jene Bedingung, ohne deren Mitwirkung der Erfolg überhaupt nicht oder nur zu einem erheblich anderen Zeitpunkt oder nur im geringeren Umfang eingetreten wäre, ist wesentliche Bedingung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. Mai 1997, Zl. 94/12/0042).
Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid festgestellt, dass die Beschwerdeführerin als Folgen des Unfalles an einem Cervikalsyndrom mit Hinterhaupt- und Spannungskopfschmerzen leide und gemeint, "im Vordergrund" der Leistungseinschränkung, die zur Dienstunfähigkeit geführt habe, seien jedoch Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule, Bandscheibenvorfall, Meniskusdegeneration sowie neurotische Depressionszustände gestanden. Es trifft zwar zu, dass bei der nach Relevanz hinsichtlich der Arbeitsfähigkeit erfolgten Reihung der Leidenszustände der Beschwerdeführerin vom Sachverständigen das Cervikalsyndrom samt Kopfschmerzen als letzter von vier Punkten genannt wurde. Aus diesem Umstand allein kann aber noch nicht abgeleitet werden, dass nicht auch diese Beschwerden eine wirkende Bedingung für die Dienstunfähigkeit darstellen. Auch Leidenszustände, die weniger beeinträchtigend als andere sind, können auf die Dienstunfähigkeit im Sinn der vorhin angeführten Judikatur wirken. Aus dem bloßen Umstand der Letztreihung der Unfallfolgen bei den angeführten Leidenszuständen der Beschwerdeführerin kann der Schluss, es liege darin keine wirkende Bedingung für die Dienstunfähigkeit, nicht gezogen werden.
Die Beschwerdeführerin rügt zutreffend, dass die Feststellung im angefochtenen Bescheid, wonach die Beschwerdeführerin durch den Dienstunfall "primär" an einem Cervikalsyndrom mit Hinterhaupt- und Spannungskopfschmerzen leide, nicht auf einer sachverständigen Grundlage beruht. Mit der Frage, welche konkreten Auswirkungen der Dienstunfall auf die Beschwerdeführerin tatsächlich hatte, haben sich die von der Dienstbehörde eingeholten medizinischen Gutachten nicht befasst. Es ist daher nicht auszuschließen, dass neben den "primär" eingetretenen Leidenszustände als Folgen des Dienstunfalles auch "sekundär" eingetretene Leiden einhergegangen sind und - wie die Beschwerdeführerin geltend macht - dass auch die Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule bzw. die Depressionszustände (zumindest auch) durch den Dienstunfall bedingt waren.
Ergibt sich aus einer Kombination mehrerer Faktoren die Dienstunfähigkeit und lässt sich einer oder mehrere dieser Faktoren auf einen Dienstunfall zurückführen, so kann nur dann die Kausalität zwischen dem Dienstunfall und der Dienstunfähigkeit verneint werden, wenn die Dienstunfähigkeit im Verständnis der oben aufgezeigten Definition des Begriffes der "wesentlichen Bedingung" auch ohne die durch den Dienstunfall bedingten Folgen eingetreten wäre. Sachverständige Aussagen dazu lassen sich aber ebenso wie solche Feststellungen dem angefochtenen Bescheid nicht entnehmen, der - ohne Bewertung dieser Faktoren - lediglich davon spricht, dass bestimmte Faktoren "im Vordergrund der Leistungseinschränkung" gestanden sind.
Die belangte Behörde hat sich demnach mit der Kausalität zwischen dem Dienstunfall und seinen Folgen und der Dienstunfähigkeit der Beschwerdeführerin nicht in ausreichendem Ausmaß auseinander gesetzt. Wäre die Ruhestandsversetzung wegen Dienstunfähigkeit aber auf einen Dienstunfall in Ausübung des Dienstes zurückzuführen, so wäre wegen Erfüllung des Tatbestandes des § 4 Abs. 4 Z. 2 PG 1965 die Kürzung nach § 4 Abs. 3 PG 1965 nicht durchzuführen gewesen. Der Ermittlungsmangel erweist sich somit für den Ausgang des Ruhegenussbemessungsverfahrens als relevant.
Aus den dargestellten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.
Wien, am 25. September 2002
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