VwGH 2001/08/0193

VwGH2001/08/019320.2.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Köller und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des R in W, vertreten durch Mag. Martin Kranich, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Neubaugasse 68, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 21. September 2001, Zl. MA 15-II-R 43/2001, betreffend Haftung für Beitragsschuldigkeiten gem. § 67 Abs. 10 ASVG (mitbeteiligte Partei: Wiener Gebietskrankenkasse, vertreten durch Dr. Heinz Edelmann, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Windmühlgasse 30) zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §33;
ASVG §34;
ASVG §35 Abs3;
ASVG §67 Abs10;
ASVG §33;
ASVG §34;
ASVG §35 Abs3;
ASVG §67 Abs10;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

I. Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse verpflichtete den Beschwerdeführer mit Bescheid vom 5. August 1997 gem. § 67 Abs. 10 ASVG als Geschäftsführer einer Gesellschaft m.b.H., die auf dem Konto dieser Gesellschaft als Beitragsschuldnerin aushaftenden, uneinbringlich gewordenen Sozialversicherungsbeiträge in der Höhe von S 6.684,29 zuzüglich Verzugszinsen seit 23. Juli 1997 in der sich nach § 59 Abs. 1 ASVG ergebenden Höhe, berechnet von

S 6.007,80, binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Der vom Beschwerdeführer gegen diesen Bescheid erhobene Einspruch wurde zunächst mit Bescheid der belangten Behörde vom 23. Oktober 1997 abgewiesen; nach Aufhebung dieses Bescheides im Gefolge des Erkenntnisses eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 12. Dezember 2000, Zlen. 98/08/0191, 0192, mit Erkenntnis vom 12. Dezember 2000, Zl. 97/08/0644, wies die belangte Behörde im zweiten Rechtsgang mit Bescheid vom 6. März 2001 den Einspruch des Beschwerdeführers neuerlich ab.

Mit Erkenntnis vom 27. Juli 2001, Zl. 2001/08/0069 , hob der Verwaltungsgerichtshof diesen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf. Im vorliegenden Beschwerdefall bestehe kein Streit darüber, dass die Haftungssumme von S 6.684,29 (zuzügl. Verzugszinsen seit 23. Juli 1997 berechnet von S 6.007,80) aus einer Beitragsnachverrechnung stamme, die von der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse für den Monat Dezember 1995 erstellt worden sei. Strittig sei, ob dem Beschwerdeführer eine Meldepflichtverletzung im Sinne der Entscheidung des verstärkten Senates zur Last liege. Zu der im vorliegenden Beschwerdefall danach entscheidenden Frage, wann ein Meldeverstoß verschuldet ist, liege Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Zusammenhang mit § 68 Abs. 1 ASVG (Verlängerung der Verjährungsfrist bei verschuldeten Meldeverstößen) bereits vor. Unter Hinweis auf das Erkenntnis vom 22. März 1994, Slg. Nr. 14.020/A, führte der Verwaltungsgerichtshof sodann aus:

"Dies bedeutet im Zusammenhang mit der Beurteilung der Haftung eines Geschäftsführers gem. § 67 Abs. 10 ASVG wegen eines Meldeverstoßes im vorgenannten Sinne, dass zunächst von der Behörde festzustellen ist, welche Umstände zu welchem Zeitpunkt im Sinne der §§ 33ff ASVG hätten gemeldet werden müssen, sowie, dass diese Meldung unterblieben ist. Aufgrund des zu unterstellenden Grundwissens eines Meldepflichtigen, sowie der Verpflichtung, dass er sich darüberhinaus grundsätzlich alle zur Erfüllung seiner gesetzlichen Verpflichtungen notwendigen Kenntnisse verschaffen muss, so er diese nicht besitzt und den Mangel im Falle einer darauf zurückzuführenden Meldepflichtverletzung als Außerachtlassung der gehörigen Sorgfalt (§ 1297 ABGB) zu vertreten hat, liegt es im Zuge der Gewährung des Parteiengehörs sodann beim Meldepflichtigen darzutun, dass er entweder die Verpflichtung im Sinne des § 35 Abs. 3 ASVG an Dritte übertragen hat (welche Sorgfalt dabei gegebenenfalls bei der Auswahl des Vertreters und bei den ihm zu erteilenden Anweisungen zu walten hat, kann im Beschwerdefall ununtersucht bleiben) oder aus welchen sonstigen Gründen ihn kein Verschulden an der Unterlassung der Meldung trifft.(....)

Die Begründung der belangten Behörde entspricht insofern nicht diesen Grundsätzen, als daraus nicht entnommen werden kann, welche entgeltbezogenen Umstände im Dezember 1995 eingetreten sind, die vom Beschwerdeführer hätten (offenbar als Änderung dieser Umstände iS des § 34 ASVG) gemeldet werden müssen.

Stehen diese Umstände aber nicht fest, so kann auch nicht ohne weiteres ein Verschulden des Beschwerdeführers am Unterbleiben der Meldung unterstellt werden.

(...) Es trifft zwar die Auffassung der belangten Behörde zu, dass sich der Beschwerdeführer bei Erfüllung der gegenüber der Gebietskrankenkasse konkret bestehenden Verpflichtungen ein allfälliges Verschulden der Kanzlei, bei welcher die Buchführung erfolgte und der offenbar auch der Verkehr mit der Gebietskrankenkasse oblag, nach den Grundsätzen über die Haftung für Erfüllungsgehilfen (§ 1313a ABGB; zur Anwendung dieser Bestimmung auch auf öffentlich-rechtliche Schuldverhältnisse, sofern diese nicht bloß gegenüber der Allgemeinheit bestehen Reischauer in: Rummel II2, § 1313a, Rz 6f mwH) zurechnen lassen müsste, zumal der Beschwerdeführer nicht behauptet hat, einen Vertreter iS des § 35 Abs. 3 ASVG bestellt zu haben (dazu, dass mit der Beauftragung eines Bevollmächtigten allein den Voraussetzungen des § 35 Abs. 3 ASVG nicht Genüge getan wird, vgl. das hg. Erkenntnis vom 7. Juli 1992, Zl. 88/08/0145).

(...)Verschulden kann dem Beschwerdeführer aber nach obigen Grundsätzen erst dann und nur insoweit angelastet werden, als er verpflichtet gewesen wäre, bestimmte, konkret zu bezeichnende Meldungen zu erstatten und das Wissen um diese Meldepflicht entweder als vom Grundwissen des Geschäftsführers einer GesmbH umfasst anzusehen oder das Nichtwissen von ihm zu vertreten wäre. Die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erstatteten, teils von der Bescheidbegründung abweichenden, teils aber auch untereinander divergenten Äußerungen der belangten Behörde und der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse lassen erkennen, dass nicht einmal bei diesen Verfahrensparteien Klarheit über den Gegenstand der dem Beschwerdeführer angelasteten Meldepflichtverletzung bestehen dürfte."

Im fortgesetzten Verfahren führte die belangte Behörde eine mündliche Verhandlung durch, in der der Vertreter der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse "hinsichtlich der Zusammensetzung des 3. Nachtrages Beitragsprüfung 12/96" zu Protokoll gab, bei welchen Dienstnehmern für welche Zeiträume Meldungen unterblieben seien, wobei die Darstellung in der Weise erfolgte, dass jeweils die Änderung der Lohnstufe genannt wurde (zB "Änderung der Lohnstufe 24 auf 27") und auf nachverrechnete Sonderzahlungen hingewiesen wurde (zB "die Sonderzahlung Jänner und Februar 1996 mit einer Beitragsgrundlage von 3.840 ATS"). Die Gründe, aus denen sich eine solche Änderung der Lohnstufen bzw eine Nachverrechnung von Sonderzahlungen zu den jeweils genannten Zeitpunkten ergeben hat, wurden ausweislich der Niederschrift nicht erörtert. Der Beschwerdeführer beharrte danach auf seinem Standpunkt, dass ihm eine Meldepflichtverletzung nicht zur Last liege.

Daraufhin wies die belangte Behörde mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid den Einspruch des Beschwerdeführers neuerlich ab; nach einer Wiedergabe des bisherigen Verwaltungsgeschehens, einschließlich der oben erwähnten Aufschlüsselung der Nachverrechnung der Gebietskrankenkasse anlässlich der mündlichen Verhandlung, sowie von Auszügen aus der Begründung des zuletzt ergangenen verwaltungsgerichtlichen Erkenntnisses begründet die belangte Behörde diesen Bescheid damit, dass nunmehr feststehe, welche Umstände vom Beschwerdeführer hätten gemeldet werden müssen, dass diese Meldungen unterblieben seien und dem Beschwerdeführer das Verschulden dafür anzulasten sei, weil er verpflichtet gewesen wäre, "diese bestimmten konkreten Meldungen zu erstatten und das Wissen um diese Meldepflicht als vom Grundwissen des Geschäftsführers umfasst anzusehen ist bzw. das Nichtwissen von ihm zu vertreten ist."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und - ebenso wie die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse - eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gem. § 63 Abs. 1 VwGG traf die belangte Behörde die Verpflichtung, mit den ihr zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.

Wie sich aus der oben wiedergegebenen Begründung des aufhebenden Erkenntnisses vom 27. Juli 2001 ergibt, vermisste der Verwaltungsgerichtshof als unerlässliche Voraussetzung der Beurteilung des Verschuldens des Beschwerdeführers und der dafür im konkreten Fall anzulegenden Maßstäbe Feststellungen darüber, aus welchen Gründen es zur Nachverrechnung gekommen sei, insbesondere worauf die Lohnänderungen zurückzuführen gewesen seien. Erst wenn diese Umstände feststünden, könne nämlich gesagt werden, ob die damit eingetretene Beitrags- und Meldepflicht vom Grundwissen eines Geschäftsführers umfasst gewesen sei.

Darauf hat die belangte Behörde - ungeachtet der ausführlichen Hinweise des Verwaltungsgerichtshofes auf das Erkenntnis Slg. Nr. 14.020/A, dem die belangte Behörde die einschlägigen Voraussetzungen für die Annahme eines Verschuldens bei Meldepflichtverletzungen unschwer hätte entnehmen können - mit ihren Ausführungen im angefochtenen Bescheid zu nachverrechneten Sonderzahlungen und Umreihungen von einer Lohngruppe in eine andere keine adäquate Antwort gegeben: nach wie vor ist nämlich dem Verwaltungsgerichtshof nicht erkennbar, welche Umstände zur Umreihung in eine höhere Lohngruppe geführt haben und welche Art von tatsächlichen Zahlungen (oder bloßen Ansprüchen ?) nicht gemeldet und von der Gebietskrankenkasse als Sonderzahlungen beurteilt worden sind. Es bedarf aus der Sicht des erkennenden Senates keiner näheren Begründung, dass im Falle einer nicht gemeldeten "Schwarzzahlung" die Verschuldensfrage im Sinne der Ausführungen der belangten Behörde zu lösen sein wird; dies kann aber in einem Fall, in dem zB die Einstufung von Dienstnehmern in die Verwendungsgruppe eines Kollektivvertrages strittig ist, nicht ohne Weiteres gesagt werden. Mitunter wird die Erwägung weiterer Umstände, insbesondere unter Einbeziehung allenfalls bestehender Rechtsprechung und der Praxis der Gebietskrankenkasse erforderlich sein.

Einem diesbezüglichen Berichtervorhalt im Vorverfahren entgegnete die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift mit einem neuerlichen Hinweis auf die mehrfach erwähnte (und in der Gegenschrift wiederholte) Aufstellung der jeweiligen Änderung der Lohnstufen und Nachverrechnung von Sonderzahlungen für die betroffenen Dienstnehmer, gegen die der Beschwerdeführer keine Einwände erhoben und keine weitergehende Aufschlüsselung verlangt habe. Damit verkennt die belangte Behörde weiterhin das Thema des vorliegenden Verfahrens: nicht die Richtigkeit der Nachverrechnung ist strittig, sondern ob dem Beschwerdeführer an der Unterlassung der jeweiligen Meldungen ein Verschulden anzulasten ist. Dieses Verschulden ergibt sich aber nur dann aus der Tatsache des Meldeverstosses, wenn die Meldeverpflichtung - wovon die belangte Behörde ausgeht - zum Grundwissen eines Geschäftsführers gehörte. Ob die belangte Behörde die konkreten Meldeverpflichtungen zurecht als zum Grundwissen eines Geschäftsführers gehörend beurteilen und in der Verletzung dieser Pflichten schon aus diesem Grund ein Verschulden des Beschwerdeführers erblicken durfte, kann aber nicht schon deshalb bejaht werden, weil der Gegenstand der Nachverrechnung etwa eine Umreihung in eine höhere Lohnstufe gewesen ist; diese Umreihung ist vielmehr das bloße Ergebnis der rechtlichen Bewertung eines bestimmten Sachverhaltes; nur anhand dieses Sachverhaltes wäre aber die Beurteilung vorzunehmen, ob den Beschwerdeführer daran ein Verschulden trifft, dass er ihn entweder nicht zutreffend (im Sinne einer Umreihung in eine höhere Lohnstufe) bewertet oder aus anderen Gründen nicht zum Anlass einer Meldung genommen hat.

Soweit sich die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse im Einspruchsverfahren, aber auch in ihrer im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erstatteten Gegenschrift, zum Beweis für das Verschulden des Beschwerdeführers auf ein Schreiben der Gesellschaft (als Beitragsschuldnerin) berufen hat, in welchem sich diese für unter einem erstattete, verspätete Meldungen ("Änderungsanzeigen") entschuldigt habe, sei der Vollständigkeit halber darauf hingewiesen, dass dieses - im angefochtenen Bescheid bloß erwähnte, nicht aber ausdrücklich in die Erwägungen der belangten Behörde einbezogene - Schreiben, welches vom 22. August 1996 datiert, offenkundig in keinem Zusammenhang mit der hier zu beurteilenden Unterlassung von Meldungen stehen kann, deren Unterbleiben nach den Feststellungen der belangten Behörde erst bei einer nach dem Zeitpunkt dieses Schreibens durchgeführten Beitragsprüfung (nach dem Rückstandsausweis, der dem erstinstanzlichen Bescheid angeschlossen ist, mit "Beitr.Pr. 12/96" bezeichnet) zutage getreten ist.

Da das Verfahren somit weiterhin in einem wesentlichen Punkt ergänzungsbedürftig geblieben ist, war der angefochtene Bescheid gem. § 42 Abs. 2 Z. 3 lit b VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001. Das Begehren des Beschwerdeführers auf Aufwandersatz (S 15.000,--) ging (umgerechnet) über den in der genannten Verordnung geregelten Pauschalbetrag hinaus und war daher in Ansehung des Mehrbegehrens abzuweisen.

Wien, am 20. Februar 2002

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