VwGH 2001/01/0316

VwGH2001/01/031612.3.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schimetits, über die Beschwerde der PU in W, geboren am 23. Mai 1972, vertreten durch Dr. Axel Friedberg, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Gonzagagasse 3, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 7. Mai 2001, Zl. 216.118/0-XII/05/00, betreffend § 6 und 8 AsylG 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §6 Z2;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FrG 1997 §57;
AsylG 1997 §6 Z2;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FrG 1997 §57;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Nigeria, reiste am 21. Dezember 1999 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 22. Dezember 1999 Asyl. Sie begründete ihren Asylantrag damit, ihr im November 1999 verstorbener Vater sei Häuptling ihres Heimatdorfes und Anhänger eines afrikanischen Stammeskultes namens "Aidu" gewesen. Sie hingegen habe seit ihrem 10. Lebensjahr einer protestantischen Glaubensgemeinschaft namens "All-Faith-Church" angehört und habe es, obwohl ihr Vater sie dazu habe zwingen wollen, stets abgelehnt, der Religion der "Aidu" beizutreten. In seinem Testament habe ihr Vater verfügt, dass sie als älteste Tochter nach seinem Tod seinen Platz in der "Aidu"-Gesellschaft einnehmen sollte. Als Folge ihrer Weigerung, dies zu tun, fürchte sie, von Mitgliedern dieser Sekte getötet zu werden.

Bei der Einvernahme vor dem Bundesasylamt gab die Beschwerdeführerin an, es sei nach dem Tod ihres Vaters zu folgendem Vorfall gekommen:

"'Aidu'-Angehörige sind ... zu mir gekommen und haben mich aufgefordert ihnen beizutreten, was ich aber abgelehnt habe. ... Es sind sehr viele Leute auf mich zugekommen, ich bin auch gehalten worden und haben sie mich zwingen wollen, ihnen beizutreten. Mein Pastor (aus der 'All-Faith-Church') ist mir zu Hilfe gekommen, woraufhin dieser von den 'Aidu'-Anhängern geschlagen worden ist. Danach haben sie den Pastor aus der Kirche geschafft. Noch bevor sie wieder zurückgekommen sind, hat mich der Hilfspastor mit dem Auto zum Hafen in Benin gebracht, von wo aus ich Nigeria verlassen habe."

Auf die Frage, warum sie nicht zur Polizei gegangen sei, gab die Beschwerdeführerin an:

"Bei unserer Polizei sind sehr viele Mitglieder der 'Aidu'- Sekte."

Auf die Frage, warum sie nicht in ein anderes Dorf oder in einen anderen Landesteil gezogen sei, gab sie an:

"Die Anhänger der 'Aidu' hätten mich in jedem Dorf gefunden und mich gezwungen ihnen beizutreten. ... Egal wo ich hingegangen wäre, hätten mich die Anhänger der 'Aidu'-Sekte gefunden."

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag der Beschwerdeführerin mit Bescheid vom 3. März 2000 gemäß § 6 Z. 2 AsylG ab und sprach gemäß § 8 AsylG aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Ghana zulässig sei.

Das Bundesasylamt ging vom Vorbringen der Beschwerdeführerin aus und beurteilte den Sachverhalt dahingehend, dass das Verhalten der Sektenmitglieder nicht dem Staat zurechenbar sei. Eine Gefahr, Bedrohung oder Verfolgung, die lediglich von Privatpersonen ausgehe, könne nicht unter die Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention subsumiert werden. Die Behauptung, dass der Beschwerdeführerin kein staatlicher Schutz vor der Sekte "Aidu" zuteil würde, hätte von ihr nicht glaubhaft gemacht werden können. Zwar sei das Vorhaben der nigerianischen Regierung unter Abacha, das Sektenunwesen in den Griff zu bekommen, gescheitert, jedoch dürfte es sich bei "Aidu" um eine lokal begrenzte Sekte handeln, so dass es nicht nachvollziehbar sei, warum die Beschwerdeführerin, die nur einmal von Sektenmitgliedern bedrängt worden sei, deshalb das Land verlassen habe. Sie hätte jederzeit vor den Sektenmitgliedern in eine der großen Städte bzw. in einen anderen Landesteil fliehen können, wo man sie nicht hätte finden können. Da die Beschwerdeführerin nicht in der Lage gewesen sei, eine asylrelevante Verfolgungsgefahr in Nigeria glaubhaft zu machen, sei der Asylantrag gemäß § 6 Z. 2 AsylG als offensichtlich unbegründet abzuweisen und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin für zulässig zu erklären gewesen.

In ihrer Berufung gegen diese Entscheidung wiederholte die Beschwerdeführerin, dass die Mitglieder der "Aidu" sie hätten zwingen wollen, dieser Sekte beizutreten. Sie sei daher aufgrund ihres Glaubens von Sektenmitgliedern verfolgt worden und habe mit (weiteren) Misshandlungen rechnen müssen. Die staatlichen Behörden, in denen es viele Mitglieder der 'Aidu'-Sekte gebe, seien weder gewillt noch in der Lage, sie vor der Verfolgungsgefahr zu schützen. Der Feststellung, dass die "Aidu"- Sekte lokal begrenzt sei, trat die Beschwerdeführerin mit dem Hinweis entgegen, dass Sekten in Afrika generell sehr mächtig seien; die Sektenmitglieder hätten sie überall finden können, zumal diese mit Magie und Voodoo arbeiten würden.

Die belangte Behörde führte eine Berufungsverhandlung durch, in der die Beschwerdeführerin u.a. zur Frage einer allfälligen inländischen Fluchtalternative Folgendes angab:

"Als Christin hätte ich nie z.B. in den Norden Nigerias ziehen können, denn dort sind Moslems und die Moslems kommen mit den Christen nicht aus."

Frage: "Sie hätten aber in andere Gebiete, in denen Christen leben, gehen können?"

Antwort: "Hätte ich das getan, wäre ich von diesen Leuten überall gefunden worden. Diese Leute haben Macht. Sie würden beispielsweise ihren Angehörigen in anderen Städten auftragen, nach mir Ausschau zu halten, deshalb würden sie mich überall finden." ...

Frage: "Was hätten sie bei einer Rückkehr nach Nigeria zu

befürchten?"

Antwort: "Man würde mich umbringen."

Frage: "Wer würde sie umbringen?"

Antwort: "Diese Angehörigen des Aidu-Kults."

Die belangte Behörde wies mit dem angefochtenen Bescheid die Berufung der Beschwerdeführerin gemäß § 6 Z. 2 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Nigeria zulässig sei. Sie begründete den angefochtenen Bescheid damit, dass die behauptete Verfolgungsgefahr nicht auf einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe beruhe. Werde "die Verfolgungshandlung ausschließlich, d.h. ungeachtet der Eigenschaften des Asylwerbers, etwa durch die religiöse Überzeugung des Täters geleitet", so könne darin "keine asylrelevante Verfolgung erkannt werden." Derartige Übergriffe seien "nicht anders zu beurteilen, als solche gewöhnlicher krimineller Einzeltäter bzw. krimineller Organisationen." Die von der Berufungswerberin ins Treffen geführten kriminellen Umtriebe der Aidu-Sekte stünden in keinem Zusammenhang mit asylrelevanten Eigenschaften der Berufungswerberin. Es lägen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Staat der Berufungswerberin aufgrund einer asylrechtlich relevanten Eigenschaft keinen Schutz vor einer solchen Bedrohung durch Kriminelle gewähren würde, zumal der nigerianische Staat gegen Sektenmitglieder vorgehe.

In der Begründung des Ausspruches gemäß § 8 AsylG verwies die belangte Behörde zunächst auf das schon dargelegte Vorgehen des nigerianischen Staates gegen das Sektenunwesen, "sodass von einer Billigung der von der Berufungswerberin ins Treffen geführten Bedrohung durch staatliche Stellen somit keinesfalls gesprochen werden" könne. Weiters könnte sich die Berufungswerberin durch einen Ortswechsel innerhalb ihres Heimatstaates der geltend gemachten Bedrohung entziehen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Gemäß § 6 AsylG sind Asylanträge gemäß § 3 leg. cit. als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn sie eindeutig jeder Grundlage entbehren. Dies ist nach § 6 Z. 2 AsylG dann der Fall, wenn ohne sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat die behauptete Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat nach dem Vorbringen der Asylwerber offensichtlich nicht auf die in Art. 1 Abschnitt A Z. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurückzuführen ist.

Im konkreten Fall hat die Beschwerdeführerin vorgebracht, dass ihr Vater in seinem Testament verfügt habe, dass sie als älteste Tochter nach seinem Tod seinen Platz in der "Aidu"- Gesellschaft einnehmen sollte. Als Folge ihrer Weigerung, den Platz ihres Vaters in der Sekte einzunehmen, hätte sie gefürchtet, von Mitgliedern dieser Sekte getötet zu werden.

Die belangte Behörde geht im angefochtenen Bescheid zu Unrecht von der Erfüllung der Voraussetzungen des § 6 Z. 2 AsylG aus.

Was zunächst das "Verfolgungsmotiv" anlangt, so lässt die Behauptung der belangten Behörde, in einem ausschließlich, d.h. ungeachtet der Eigenschaften des Asylwerbers, durch die religiöse Überzeugung des Täters geleiteten Übergriff könne keine asylrelevante Verfolgung erkannt werden, eine Auseinandersetzung mit der Behauptung vermissen, die Beschwerdeführerin habe sich den Wünschen der "Aidu"-Gesellschaft wegen ihres christlichen Glaubens widersetzt.

Auch die Ablehnung einer bestimmten Religion kann zu den in der Flüchtlingskonvention genannten religiösen Gründen zählen (vgl. Rohrböck, Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl, Rz 402 mwN). Die Asylrelevanz eines Vorbringens, mit dem Verfolgung durch eine religiöse Gruppe wegen der Weigerung, dieser Gruppe beizutreten und den Platz des verstorbenen Vaters in diesem Stammeskult einzunehmen, geltend gemacht wird, lässt sich daher nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes - im Gegensatz zu den Ausführungen der belangten Behörde - nicht von vornherein als im Sinne des § 6 Z 2 AsylG "offensichtlich nicht" gegeben verneinen (vgl. in diesem Zusammenhang das Erkenntnis vom 31. Mai 2001, Zl. 2000/20/0496, mwN).

Das weitere Argument der belangten Behörde, es bestehe ausreichender staatlicher Schutzes vor der im gegenständlichen Fall von Privatpersonen ausgehenden Verfolgung, ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein Begründungselement, das nur unter dem Gesichtspunkt einer Prüfung des Antrages gemäß § 7 AsylG von Bedeutung ist (vgl. dazu die Nachweise im oben zitierten Erkenntnis vom 31. Mai 2001 und zuletzt das Erkenntnis vom 31. Jänner 2002, Zl. 99/20/0411).

Ebenso ist die Annahme einer inländischen Fluchtalternative im Sinne einer regionalen Begrenztheit der der Beschwerdeführerin drohenden Verfolgung nur unter dem Gesichtspunkt einer Prüfung des Antrages gemäß § 7 AsylG von Bedeutung (vgl. das erwähnte Erkenntnis vom 31. Mai 2001).

Da der gegenständlichen Sachverhalt schon vom Bundesasylamt unzutreffend unter § 6 Z 2 AsylG subsumiert wurde, hätte die belangte Behörde in Stattgebung der Berufung der Beschwerdeführerin den angefochtenen Bescheid gemäß § 32 Abs. 2 leg. cit. aufzuheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und zur Erlassung eines Bescheides an das Bundesasylamt zurückzuverweisen gehabt.

Der Vollständigkeit halber ist die belangte Behörde noch darauf hinzuweisen, dass sie bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 FrG zu Unrecht das Erfordernis einer "Billigung" der Bedrohung durch "staatliche Stellen" ihrer Entscheidung - uneingeschränkt - zu Grunde gelegt hat. Eine solche Betrachtungsweise widerspricht sowohl in Bezug auf § 7 AsylG als auch in Bezug auf § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 FrG der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in Asylsachen (vgl. zuletzt das Erkenntnis vom 26. Februar 2002, Zl. 99/20/0509).

Da die belangte Behörde, wie oben dargelegt, durch die Anwendung des § 6 Z. 2 AsylG die Rechtslage verkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 12. März 2002

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