VwGH 2000/20/0546

VwGH2000/20/054621.11.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Racek, über die Beschwerde des JK (auch YA), geboren 1973, vertreten durch Mag. Andrea Futterknecht, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Dr. Karl Lueger-Ring 12, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 24. August 2000, Zl. 212.914/0- VI/18/99, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Irak kurdischer Volksgruppenzugehörigkeit, reiste am 22. November 1998 in das Bundesgebiet ein und ersuchte um Asyl. Als Fluchtgrund gab er vor dem Bundesasylamt an, er habe im August 1998 einem irakischen General zur Flucht aus Kirkuk in den Nordirak verholfen und ihn dort dem Roten Kreuz übergeben. Weil irakische Behörden davon Kenntnis erlangt hätten, seien sein Vater und sein Bruder in Kirkuk festgenommen worden. Der Beschwerdeführer sei daraufhin nicht in seine Heimatstadt zurückgekehrt, sondern bei seinem Onkel im kurdischen Autonomiegebiet (im Norden) des Irak geblieben. Auch dort habe er allerdings Angst gehabt, den irakischen Behörden ausgeliefert zu werden, zumal es im Kurdengebiet auch irakische Agenten gebe, die dort Terroraktionen durchführten. So sei er, als er im Nordirak ein Geschäft gemietet und Handel mit Videocassetten betrieben habe, von bewaffneten Männern festgenommen und im Büro der islamischen Bewegung fünf Tage lang festgehalten worden. Man habe ihm vorgeworfen, die angebotenen Filme seien mit der islamischen Religion nicht vereinbar. Der Beschwerdeführer sei jedoch nach Bezahlung vom Bestechungsgeld wieder freigelassen worden. Würde er in den Irak oder in den Nordirak zurückkehren, fürchte er um sein Leben.

Nachdem der vom Beschwerdeführer vorgelegte irakische Personalausweis von der Bundespolizeidirektion Wien als "Totalfälschung" qualifiziert worden war, wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab. Gleichzeitig stellte es in einem zweiten Spruchteil gemäß § 8 AsylG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers "in den Irak im Hinblick auf die Fluchtalternative der autonomen Kurdenzone im Nordirak" zulässig sei. Ausgehend von der Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zur kurdischen Volksgruppe und dessen Fluchthilfe für einen irakischen General führte das Bundesasylamt begründend aus, die Identität des Beschwerdeführers könne angesichts seines als Fälschung zu beurteilenden Personalausweises nicht festgestellt werden. Was die illegale Ausreise des Beschwerdeführers aus dem Irak und die ihm deshalb dort drohende Bestrafung betreffe, so stehe dem Beschwerdeführer in der autonomen Kurdenzone im Nordirak, in der die irakische Zentralregierung keine Befehlsgewalt mehr ausübe, eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung.

Die dagegen erhobene Berufung, in der sich der Beschwerdeführer im Wesentlichen gegen das Bestehen der genannten Fluchtalternative wendete, und in der er die ihm im Irak drohende, unverhältnismäßige und unmenschliche Bestrafung wegen Übertretung der irakischen Ausreisevorschriften geltend machte, wies die belangte Behörde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Bescheid gemäß den §§ 7 und 8 AsylG ab. Aus im angefochtenen Bescheid näher dargestellten Gründen erachtete die belangte Behörde das Vorbringen des Beschwerdeführers über die einem irakischen General gewährte Fluchthilfe und die daraus resultierenden Verfolgungsmaßnahmen gegen nahe Angehörige des Beschwerdeführers als nicht glaubwürdig. Festgestellt wurde hingegen, dass der Beschwerdeführer (der bereits im Zuge seiner Erstvernehmung angegeben hatte, im Nordirak studiert zu haben) über viele Jahre im Nordirak aufhältig gewesen sei und dort zuletzt durch den Handel mit Videofilmen seinen Unterhalt bestritten habe. Im Nordirak, so die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides unter Bezugnahme u.a. auf Berichte des deutschen Auswärtigen Amtes vom 16. November 1999 und des (deutschen) Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom Mai 2000, übten kurdische Parteien de facto staatsähnliche Gewalt aus. Wenngleich "davon auszugehen ist, dass der irakische Geheimdienst auch im Nordirak präsent ist", schienen nach den herangezogenen Berichten "Übergriffe irakischer Sicherheitsdienste auf Kurden im Nordirak ... eher Einzelfälle zu sein". Da dem Beschwerdeführer im Nordirak somit eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung stehe, sei ihm weder Asyl noch Abschiebeschutz zu gewähren. Der fünftägigen Anhaltung des Beschwerdeführers "durch Islamisten" im Nordirak wegen des Handels mit Videocassetten käme, da es zu einem formellen Verfahren von "offiziellen Organen im Nordirak" gegen den Beschwerdeführer nicht gekommen sei, keine Asylrelevanz zu.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die vorliegende Beschwerde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Wie bereits das Bundesasylamt, so stützt auch die belangte Behörde ihre Entscheidung im Wesentlichen auf die Rechtsansicht, der Beschwerdeführer könne in einer "De-facto-Schutzzone" nördlich des 36. Breitengrades, somit (bloß) in einem Teil des irakischen Staatsgebietes, Schutz finden. Diese Auffassung der belangten Behörde steht nicht nur im Widerspruch zu ihren eigenen Feststellungen, nach denen, wie erwähnt, der irakische Geheimdienst auch im Nordirak präsent sei (dass dieser kein Interesse am Beschwerdeführer habe, kann unter Bedachtnahme auf die irakische Rechtslage schon im Hinblick auf die illegale Ausreise des Beschwerdeführers und dessen Asylantragstellung im Ausland nicht ohne Weiteres gesagt werden), sondern auch zur Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in Bezug auf die Verhältnisse im Irak nach dem vorübergehenden Einmarsch irakischer Truppen in die "Schutzzone" im August 1996 (vgl. dazu das Erkenntnis vom 21. März 2002, Zl. 99/20/0401, auf das gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird).

Dieser unzutreffenden Beurteilung einer "inländischen Fluchtalternative" durch die belangte Behörde käme im vorliegenden Fall nur dann keine Bedeutung zu, wenn es auf eine Schutzgewährung schon mangels ausreichender Hinweise auf die Gefahr einer Verfolgung des Beschwerdeführers nicht ankäme. Das trifft aber im vorliegenden Fall, selbst wenn man von der Unglaubwürdigkeit der Fluchtgeschichte des Beschwerdeführers ausgeht, nicht zu. Der Beschwerdeführer hat bereits in seiner Berufung auf eine ihm drohende unmenschliche Strafe wegen seines Verstoßes gegen irakische Ausreisebestimmungen hingewiesen. Im angefochtenen Bescheid spricht die belangte Behörde selbst von der nach Länderberichten bestehenden Gefahr der Bestrafung illegal aus dem Irak Ausgereister und in diesem Zusammenhang auch von unverhältnismäßig harten Strafen bis hin zur Todesstrafe. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 22. November 2001, Zl. 98/20/0221, auf das gleichfalls gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, unter ausführlicher Bezugnahme auf seine Vorjudikatur auf die mögliche Asylrelevanz einer solchen Bedrohung hingewiesen.

Da die belangte Behörde nach dem Gesagten somit die Rechtslage unrichtig beurteilt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 21. November 2002

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