VwGH 2000/20/0134

VwGH2000/20/013412.12.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Racek, über die Beschwerde der EO in G, geboren 1970, vertreten durch Dr. Manfred Thorineg, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Kalchberggasse 8/1, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 12. Jänner 2000, Zl. 205.002/6-V/14/00, betreffend § 7 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Nigeria, reiste am 5. November 1996 in das Bundesgebiet ein und beantragte am selben Tag Asyl. Bei ihrer Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 2. Dezember 1996 gab sie an, sie sei vom 18. Jänner 1996 bis zu ihrer Flucht am 15. Oktober 1996 ohne Gerichtsverfahren inhaftiert gewesen. Im Einzelnen führte sie dazu vor allem aus:

"Am 17. Jänner 1996 war ich bei einem Reinigungstrupp beschäftigt. Ich arbeitete am Ikeja-Airport in Lagos. Ich übergab einen Nachricht an einen Mann namens L I, dass er auf einen Anruf aus Übersee warten solle. Dann hob das Flugzeug ab und explodierte in der Luft. Alle Personen in dem Flugzeug starben, darunter auch der Sohn des Präsidenten. Alle die an diesem Tag Dienst gehabt hatten, wurden verhaftet. Man brachte uns ins Gefängnis. Ich wurde beschuldigt, zu wissen, wo sich die Bombe in dem Flugzeug befunden habe. Die Angehörigen der nördlichen Stämme wurden dann freigelassen, die südlichen mussten in Haft bleiben. Der Präsident sagte, dass er alle töten würde, die an dem Anschlag beteiligt waren. Ein Rechtsanwalt kam dann und sagte, dass er nicht viel für mich tun könne. Ich bat den Rechtsanwalt einen Freund meines verstorbenen Gatten zu kontaktieren. Dieser plante dann meine Flucht, ich weiß nicht wie er das schaffte. Am 15.10.1996 wurde mir ein Papier gebracht, das ich unterschreiben musste. Am Weg nach Abuja, wohin ich verlegt werden sollte, hielt dieser Freund das Fahrzeug an und sagte mir, dass er mich unter einem Vorwand verlegen habe lassen. Dann brachte er mich zu dem Pastor."

Mit Bescheid vom 4. Dezember 1996 wies das Bundesasylamt den Asylantrag der Beschwerdeführerin ab. Es schenkte ihrer Darstellung keinen Glauben.

In ihrer Berufung gegen diese Entscheidung wandte sich die Beschwerdeführerin gegen einzelne Beweiswürdigungsargumente des Bundesasylamtes. Darüber hinaus machte sie geltend, das Bundesasylamt habe es verabsäumt, die Angaben über den "Flugzeugabsturz" am 17. Jänner 1996 und die danach "einsetzende Verhaftungswelle" zu prüfen.

Die belangte Behörde führte am 10. Jänner 2000 eine mündliche Verhandlung durch, in der die Beschwerdeführerin erneut zu ihren Fluchtgründen einvernommen wurde. Sie gab nun u.a. an, sie selbst habe die Bombe in einem Abfallkorb an Bord des Flugzeuges deponiert. Der Anschlag habe Abacha gegolten, der dann aber im Gegensatz zu seinem Sohn nicht mitgeflogen sei. Das Flugzeug sei ziemlich bald nach dem Start explodiert und sofort danach seien alle Angestellten des Flughafens bzw. "die Südstaatler" verhaftet worden. Der Verdacht sei nicht direkt auf der Beschwerdeführerin gelegen, sondern auf allen Stämmen der südlichen Staaten Nigerias. Nach ihrer Verlegung in ein anderes Gefängnis sollte die Beschwerdeführerin "wahrscheinlich umgebracht werden wie die vielen Arbeiter des Flughafens, die dorthin verlegt wurden und nicht mehr zurückkamen". Inzwischen habe die ehemalige Gattin Abachas die Kinder der Beschwerdeführerin entführt und das Haus der Mutter der Beschwerdeführerin niedergebrannt. Sie habe erklärt, dass sie die Kinder erst zurückgeben werde, wenn die Beschwerdeführerin nach Nigeria zurückkomme.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 7 AsylG ab. Zu den behaupteten Fluchtgründen traf sie folgende auf die Beschwerdeführerin bezogene Feststellungen:

"Auf Grund eines Bombenattentats auf ein Flugzeug wurde sie und die anderen Bediensteten des Flughafens am 17.1.1996 festgenommen und bis zum 15.10.1996 in Lagos festgehalten. Mit Hilfe eines Freundes ihres Mannes gelang ihr bei der Verlegung in das Gefängnis von Abucha die Flucht.

...

Nicht festgestellt werden konnte hingegen, dass die Asylwerberin auf Grund ihrer aktiven Teilnahme an einem Bombenattentat von den Regierungstruppen gesucht wurde."

Diese Feststellungen gründete die belangte Behörde auf eine Beweiswürdigung, die im Wesentlichen darauf abstellte, dass die Angaben bei der ersten Befragung erfahrungsgemäß der Wahrheit am nächsten kämen und die Beschwerdeführerin in der Berufungsverhandlung einen "aggressiven und unglaubwürdigen" Eindruck hinterlassen habe. Dies verband die belangte Behörde mit weiteren Argumenten gegen die Glaubwürdigkeit der in der Verhandlung nachgetragenen Behauptungen. Abschließend führte die belangte Behörde zur Beweiswürdigung aus, die Widersprüche und Unglaubwürdigkeiten in den Angaben der Beschwerdeführerin bestärkten den Eindruck, dass "die von ihr geschilderten Fluchtgründe auf nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmenden Gründen beruhen, sodass die von ihr geschilderte Bedrohungssituation nicht den Tatsachen entspricht". In rechtlicher Hinsicht folge aus dem festgestellten Sachverhalt, dass die Beschwerdeführerin nicht Flüchtling sei. Wollte man ihrem Vorbringen Glauben schenken, so gehe es bei den behaupteten Maßnahmen aber nur um die "Hintanhaltung von kriminellen Vorkommnissen (hier: Bombenattentat auf ein Flugzeug)", die "auch in anderen Rechtsstaaten üblich und von den Angehörigen eines Staates zur Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung in Kauf zu nehmen" seien. Zugleich meinte die belangte Behörde, die von der Beschwerdeführerin "geschilderten Vorkommnisse in Hinblick auf das Bombenattentat" seien "nicht anders zu beurteilen, als Verbrechen gewöhnlicher Krimineller bzw. kriminellen Organisationen".

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der u.a. geltend gemacht wird, ein "zusammenhängender Sachverhalt" sei "bescheidmäßig nicht gegeben". Erneut wird auch ausgeführt, es wäre "nicht schwierig gewesen, nachzuprüfen, dass am 17.1.1996 der Sohn des Militärdiktators von Nigeria durch ein Bombenattentat getötet wurde".

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

Die Feststellungen der belangten Behörde lassen sich in Verbindung mit der ihnen zu Grunde liegenden Beweiswürdigung - trotz der diese abschließenden Bemerkung der belangten Behörde - nicht anders als dahingehend verstehen, dass die belangte Behörde dem erstinstanzlichen Vorbringen der Beschwerdeführerin Glauben schenkte. Dass die Beschwerdeführerin "auf Grund eines Bombenattentats" - von dem die belangte Behörde somit annahm, dass es stattgefunden habe - zusammen mit den anderen Bediensteten des Flughafens festgenommen worden und ihr erst nach 9 Monaten bei einer Verlegung in ein anderes Gefängnis die Flucht aus dieser Haft gelungen sei, hat die belangte Behörde ausdrücklich festgestellt. In Verbindung mit den dazu von der Beschwerdeführerin bei der erstinstanzlichen Einvernahme vorgebrachten Einzelheiten wäre weiters davon auszugehen, dass es kein Gerichtsverfahren gegeben, der Präsident die Tötung aller Beteiligten angekündigt und die im Zeitpunkt der Flucht der Beschwerdeführerin bereits neunmonatige Anhaltung sich auf den Umstand gegründet habe, dass die Beschwerdeführerin nicht zu den "Angehörigen der nördlichen Stämme" gehörte.

Ausgehend davon, dass das alles wahr sei, hätte die belangte Behörde eine Ansicht dazu äußern müssen, welches weitere Schicksal der Beschwerdeführerin bevorstand und ob die von ihr erlittenen und gegebenenfalls drohende weitere Beeinträchtigungen von asylrelevanter Intensität bei Zugrundelegung ihrer Angaben mit ihrer Volksgruppenzugehörigkeit (und einer darauf gegründeten Unterstellung einer feindlichen Einstellung gegenüber Abacha) im Zusammenhang standen. Sinnvollerweise hätte auch auf den Tod Abachas im Juni 1998 und die danach eingetretenen politischen Veränderungen, die im Bescheid nicht erwähnt sind, Bedacht genommen werden müssen. In Bezug auf das von der belangten Behörde - soweit erkennbar - als wahr eingestufte erstinstanzliche Vorbringen ist die Begründung des angefochtenen Bescheides daher unvollständig.

Nicht nachvollziehbar ist die Eventualbegründung, die nur auf den Fall bezogen werden kann, dass auch das Vorbringen in der Berufungsverhandlung wahr sei. Monatelange Inhaftierungen ohne Gerichtsverfahren und die Tötung "vieler" schon vor der Beschwerdeführerin in ein anderes Gefängnis verlegter Flughafenarbeiter wegen eines auf deren Stammeszugehörigkeit beruhenden Pauschalverdachtes würden nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes nicht zu den Maßnahmen gehören, die auch in "anderen" Rechtsstaaten üblich und von den Angehörigen eines Staates zur Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung in Kauf zu nehmen sind. Dass die "geschilderten Vorkommnisse" zugleich wie "Verbrechen gewöhnlicher Krimineller" zu würdigen seien, scheint sich in den weiteren Ausführungen der belangten Behörde nicht nur auf die angebliche Kindesentführung zu beziehen und greift in Bezug auf den behaupteten Umgang mit dem Flughafenpersonal - abgesehen von dem Widerspruch zu der Ansicht, es habe sich um Maßnahmen zur Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung gehandelt - wegen des behaupteten Zusammenhanges mit der Stammeszugehörigkeit zu kurz.

Es ist aber auch der in der Beschwerde geltend gemachte Umstand aufzugreifen, dass die belangte Behörde - wie schon zuvor das Bundesasylamt - nicht den Versuch unternommen hat, den Flugzeugabsturz vom 17. Jänner 1996, der Gegenstand zahlreicher auch im Internet zugänglicher Berichte (darunter einer Anfragebeantwortung des INS Resource Information Center vom 14. April 1998) war, als realen Hintergrund der von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Fluchtgeschichte in das Ermittlungsverfahren einzubeziehen und die Behauptungen der Beschwerdeführerin zumindest auch - wenn nicht vorrangig - an ihrem Verhältnis zur diesbezüglichen Berichtslage zu messen. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint es dem Verwaltungsgerichtshof - dessen Aufgabe es jedenfalls nicht ist, diese Recherchen anzustellen - vorerst schon nicht nachvollziehbar, dass die belangte Behörde auf der alleinigen Grundlage der erstinstanzlichen Angaben der Beschwerdeführerin feststellen konnte, das von dieser beschriebene "Bombenattentat auf ein Flugzeug" am 17. Jänner 1996 sei als solches geahndet worden und habe die zumindest neunmonatige (und abgesehen von der Beschwerdeführerin offenbar noch darüber hinaus andauernde) Inhaftierung einer größeren Zahl von Flughafenangestellten zur Folge gehabt.

Der angefochtene Bescheid war aus den dargestellten Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 12. Dezember 2002

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