VwGH 99/11/0327

VwGH99/11/03278.8.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Graf, Dr. Gall, Dr. Pallitsch und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde der Mag. M in B, vertreten durch Mag. Bernhard Graf, Rechtsanwalt in 6800 Feldkirch, Liechtensteinerstraße 27, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Vorarlberg vom 29. Oktober 1998, Zl. 2-07-98/E 2, betreffend Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in einer Angelegenheit des Unterbringungsgesetzes, zu Recht erkannt:

Normen

UbG §8 Abs1 Satz2;
UbG §9 Abs3;
UbG §8 Abs1 Satz2;
UbG §9 Abs3;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

1. Mit Schreiben vom 13. April 1998 berichtete der Gendarmerieposten Bludenz dem Bezirksgericht Feldkirch über eine am 28. März 1998 erfolgte "Zwangseinweisung" nach dem Unterbringungsgesetz (UbG). Beim Eintreffen der beiden Gendarmeriebeamten (B. und Z.) am Wohnort der Beschwerdeführerin hätten sich dort bereits drei Männer der freiwilligen Rettung Bludenz und Dr. S. aufgehalten. Dieser habe den Beamten geschildert, dass die Beschwerdeführerin an Schizophrenie leide. Auf Grund ihres momentanen Zustandes sei sie selbstgefährdend, weshalb er die Zwangseinweisung in das "KH Valduna" veranlasst habe. Er habe der Beschwerdeführerin erklärt, dass sie "mit der Rettung" nach Rankweil "in die Valduna" gebracht werde. Darauf habe die Beschwerdeführerin passiven Widerstand geleistet. Nach Schilderung dieses Sachverhaltes seien die Beamten in den 2. Stock des Wohnhauses gegangen, wo sie die Beschwerdeführerin im Stiegenhaus auf dem Boden sitzend vorgefunden hätten. Die Beamten hätten die Beschwerdeführerin aufgehoben und sie zum Rettungsfahrzeug geführt. Die Beschwerdeführerin habe passiven Widerstand geleistet. Beim Krankenwagen habe B. der Beschwerdeführerin die Handfesseln angelegt. Anschließend sei die Beschwerdeführerin mit dem Rettungsfahrzeug in das "LNKH Valduna" nach Rankweil gebracht worden, wo die Beamten sie um 21.35 Uhr der Dienst habenden Ärztin übergeben hätten. Zum Anliegen der Handfesseln wurde darüber hinaus ausgeführt, die Beschwerdeführerin habe bei der Verbringung in das Rettungsfahrzeug passiven Widerstand geleistet. Auf Grund ihrer schizophrenen Erkrankung habe Selbstgefährdung nicht ausgeschlossen werden können. Zur Eigensicherung der Rettungsmannschaft und des assistenzleistenden Beamten habe B. die Hände der Beschwerdeführerin vorne mit Handfesseln geschlossen. Während der Fahrt sei die Beschwerdeführerin auf der Trage gelegen und habe sich während der Amtshandlung ruhig verhalten.

Mit Schriftsatz vom 7. Mai 1998 erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde gemäß Art. 129a Abs. 1 Z 2 B-VG gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt an den Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Vorarlberg (UVS Vorarlberg). In ihrer Sachverhaltsdarstellung führte sie aus, sie sei am 28. März 1998 über Zuweisung von Dr. S. gemäß § 8 UbG mittels Bescheinigung in das LKH Rankweil eingewiesen worden, wobei als Grund für die Einweisung Selbstgefährdung sowie schizoaffektive Psychose angegeben worden sei. Laut Gendarmeriebericht vom 13. April 1998 hätten die um Assistenzleistung ersuchten Beamten die Beschwerdeführerin im Stiegenhaus auf dem Boden sitzend vorgefunden, sie aufgehoben und zum Rettungsfahrzeug geführt. Die Beschwerdeführerin habe dabei passiven Widerstand geleistet. Beim Krankenwagen habe ihr der Beamte B. Handfesseln angelegt. Die Handfesseln seien angelegt worden, obwohl sie beim Eintreffen der Gendarmerie vor dem Wohnhaus, wie auch beim Verbringen in das Rettungsfahrzeug lediglich passiven Widerstand geleistet habe. Während der Fahrt nach Rankweil sei die Beschwerdeführerin auf der Trage gelegen und habe sich während der gesamten Amtshandlung ruhig verhalten. Die Beschwerdeführerin beantrage die Feststellung, sie sei von den Organen der Bezirkshauptmannschaft Bludenz dadurch, dass ihr während der Verbringung in das LKH Rankweil Handfesseln angelegt wurden, in ihren verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechten auf Schutz der persönlichen Freiheit und/oder in ihrem Recht auf Einhaltung des Schonungsgrundsatzes, bzw. des Verhältnismäßigkeits- und Angemessenheitsgrundsatzes sowie des Übermaßverbots des UbG und SPG und des Waffengebrauchsgesetzes 1969 in ihrem Recht auf menschenwürdige Behandlung verletzt worden.

In ihrer Gegenschrift führte die Bezirkshauptmannschaft Bludenz zum Anlegen der Handschellen an, die Beschwerdeführerin habe bei der Verbringung in das Rettungsfahrzeug versucht, sich von den Beamten loszureißen, weshalb diese sie kräftig an den Unterarmen hätten anpacken müssen. Während der Amtshandlung habe sie lauthals geschrieen und ihren Widerstand vor dem Rettungsfahrzeug noch verstärkt. Deshalb seien ihr von B. die Handschellen, mit den Armen nach vorne gerichtet, angelegt worden. Die Beschwerdeführerin habe sich sehr wohl mit Leibeskräften gegen die zwangsweise Verbringung in die Krankenanstalt gewehrt. Allerdings habe sie ihre Körperkraft nicht gegen die Beamten gerichtet. Die Sachverhaltsdarstellung der Beschwerde, wonach sich die Beschwerdeführerin während der gesamten Amtshandlung ruhig verhalten habe, werde bestritten. Auf Grund des vom anwesenden Arzt beschriebenen Krankheitsbildes und des aus dem Verhalten der Beschwerdeführerin erkennbaren Aggressionspotenzials (so seien in der Wohnung der Beschwerdeführerin mehrere Steckdosen aus der Wand gerissen gewesen) sei das Anlegen der Handschellen während des Transportes eine notwendige Maßnahme gewesen, um während der Verbringung eine Schadenszufügung gegenüber Transportbegleiter oder gegenüber Einrichtungen im Rettungsfahrzeug zu verhindern. Die Handschellen seien derart angelegt worden, dass die Beschwerdeführerin keine Schmerzen erlitten habe. Überdies seien sie erst direkt vor dem Rettungsauto und während der Nachtstunden angelegt worden, sodass sich mangels entsprechender Öffentlichkeit auch keine Bloßstellung der Beschwerdeführerin durch das Anlegen von Handschellen habe ergeben können. Die Situation habe für die Beamten den Schluss nahe gelegt, dass die Beschwerdeführerin durchaus fähig sei, ihren Widerstand gegen die Einweisung insbesondere gegen Einrichtungen im Rettungsfahrzeug zum Ausdruck zu bringen. Im Übrigen habe dadurch sichergestellt werden können, dass die Beschwerdeführerin nicht während der Fahrt einen Versuch unternehme, das Rettungsfahrzeug zu verlassen.

Bei seiner Zeugeneinvernahme während der mündlichen Verhandlung vor dem UVS Vorarlberg am 1. Juli 1998 gab B. an, er habe den Bericht des Gendarmeriepostens Bludenz vom 13. April 1998 abgefasst. Als er gemeinsam mit Z. am Wohnort der Beschwerdeführerin eingetroffen sei, seien bereits Rettungsleute dort gewesen. Dr. S. habe die Beamten darüber informiert, dass er in dem betreffenden Haus eine Frau wegen Schizophrenie behandle. Diese habe er schon mehrmals einweisen müssen, nunmehr sei sie aber nicht bereit, auf freiwilliger Basis ins LKH Rankweil mitzugehen. Im 2. Stock hätten die Beamten die Beschwerdeführerin sitzend vor ihrer Wohnungstüre vorgefunden. Sie hätten die Beschwerdeführerin gefragt, ob sie nicht mit ins LKH Rankweil mitgehen würde. Diese habe jedoch immer nur gelacht. Die Frage sei nicht beantwortet worden. Die Beschwerdeführerin habe sich eigenartig benommen. Er gehe davon aus, dass sie im Zuge des Gespräches nicht bereit gewesen sei, mit den Beamten mitzugehen, ansonsten hätten sie sie nicht zum Rettungswagen gebracht. Ein Kollege und er hätten die Beschwerdeführerin an den Armen gefasst, sie aufgehoben und zum Rettungswagen geführt. Sie hätten sie an den Armen etwas hochgehoben, die Beschwerdeführerin sei aber selbst gegangen. Während dieses Führens zum Rettungswagen habe sich die Beschwerdeführerin gewehrt, diese Abwehr sei aber nicht besonders stark gewesen. Sich loszureißen habe die Beschwerdeführerin nicht versucht. Vor dem Rettungswagen hätten sie die Beschwerdeführerin aufgefordert, in diesen einzusteigen. Die Beschwerdeführerin habe sich aber geweigert. Auf Grund der Weigerung der Beschwerdeführerin habe er ihr dann die Handschellen angelegt. Die Vorgangsweise sei in solchen Fällen die, dass jeweils ein Gendarmeriebeamter mit dem Patienten im Krankenwagen nach Rankweil fahre, der andere aber mit seinem Dienstfahrzeug nachfahre, um dann von Rankweil sofort in den Einsatz zu gelangen. Er habe sich damals bereit erklärt, mit der Patientin nach Rankweil zu fahren. Das Anlegen der Handfesseln habe daraus resultiert, dass sich die Beschwerdeführerin geweigert habe, ins Rettungsfahrzeug einzusteigen. Weiters habe er einem Fluchtversuch vorbeugen wollen. Dr. S. habe ihm zuvor auch mitgeteilt, dass die Beschwerdeführerin selbstgefährdet sei. Ergänzend wolle er anführen, dass ein weiterer Grund für die Anlegung der Handfesseln gewesen sei, dass er sich selbst habe sichern wollen. Er könne heute nicht mehr angeben, ob er Gewalt habe anwenden müssen, um die Beschwerdeführerin in den Rettungswagen zu bringen. Anschließend hätten sie die Patientin auf die Bahre gelegt. Der Kopfteil dieser Trage sei etwas angewinkelt gewesen. Die Handfesseln, die über kein Gelenk verfügten, habe er vorne angelegt. Es habe sich hiebei um Handfesseln gehandelt, die sich nicht selbstständig verengten. Die Beschwerdeführerin habe ihm gegenüber aber schon über Schmerzen infolge der Anbringung der Handfesseln geklagt. Daraufhin habe er sofort die Handfesseln gelockert, wobei anzugeben, sei, dass die Handfesseln schon von vornherein nicht eng eingestellt gewesen seien. Die Beschwerdeführerin sei auch mittels eines Sicherheitsgurtes an der Trage fixiert worden, sodass sie nicht habe herunterfallen können. Während der Fahrt nach Rankweil habe er versucht, mit ihr ins Gespräch zu kommen. Bis Rankweil hätten sie über alles Mögliche geredet. Die Beschwerdeführerin habe immer wieder unmotiviert gelacht, ab und zu wieder geweint. Dann habe sie ihn wieder aufgefordert, die Handfesseln zu lösen. Gegen 21.35 Uhr hätten sie dann die Patientin beim LKH Rankweil übergeben.

Über Nachfrage gab B. an, im Rettungswagen sei die Beschwerdeführerin angegurtet gewesen, wobei dieser Gurt leicht zu öffnen sei. Es sei richtig, dass Fluchtgefahr erst in dem Moment bestanden hätte, in dem die Patientin Anstalten gemacht hätte diesen Gurt zu öffnen. Es sei richtig, dass die Beschwerdeführerin beim Abtransport von ihrer Wohnung bis zum Rettungswagen laut geredet habe. Er würde dies nicht als Schreien bezeichnen. Eine Armwinkelsperre sei nicht angewendet worden. Die Beamten hätten die Patientin an den Armen gefasst und sie - "in leicht tragender Weise" - zum Rettungswagen geführt. Der Gurt der Trage sei lediglich über den Bauch gespannt gewesen. Die gefesselten Arme seien über dem Gurt gelegen.

Mit Bescheid vom 29. Oktober 1998 wies der UVS Vorarlberg die gegen die am 28. März 1998 in der Zeit von 21.15 Uhr bis 21.35 Uhr erfolgte Fesselung der Beschwerdeführerin mittels Handschellen erhobene Beschwerde gemäß § 67c Abs. 4 AVG als unbegründet ab. In der Begründung führte der UVS Vorarlberg aus, am 28. März 1998 gegen 21.00 Uhr sei der Gendarmerieposten Bludenz über Funk ersucht worden, eine Rettungsmannschaft bei der Zwangseinweisung der Beschwerdeführerin zu unterstützen. Als die Gendarmeriebeamten B. und Z. an Ort und Stelle eingetroffen seien, hätten sich gegen 21.05 Uhr bereits Rettungsleute und der einweisende Arzt Dr. S. vor dem Haus befunden. Dieser habe zuvor die ihm bekannte Beschwerdeführerin aufgesucht und auf Grund ihres Zustandes die Krankeneinweisung angeordnet. Als Grund hiefür seien in der betreffenden Bescheinigung angeführt worden, dass die Beschwerdeführerin an einer schizoaffektiven Psychose leide und selbstgefährdet sei. Am Gang vor der Wohnungstüre hätten die Gendarmeriebeamten die Beschwerdeführerin am Boden sitzend vorgefunden. Die an sie gerichteten Fragen habe sie nicht beantwortet. Sie habe einen abwesenden Eindruck vermittelt, zumal sie auch während des mit ihr geführten Gesprächs mehrmals lediglich mit einem unmotivierten Lachen reagiert habe. Sie sei dann von B. im Beisein des Arztes aufgefordert worden, ins LKH Rankweil mitzukommen. Dazu sei die Beschwerdeführerin jedoch nicht bereit gewesen. Aus diesem Grunde sei sie von den beiden Gendarmeriebeamten an den Armen gefasst und zu dem vor dem Haus stehenden Rettungsfahrzeug geführt worden. Gegen dieses Abführen habe sich die Beschwerdeführerin gewehrt. Vor dem Rettungsfahrzeug sei die Beschwerdeführerin von B. aufgefordert worden, in das Rettungsfahrzeug einzusteigen. Da sich die Beschwerdeführerin geweigert habe, dieser Aufforderung nachzukommen, seien ihr vom Gendarmeriebeamten gegen 21.15 Uhr Handschellen angelegt worden. Nach Verbringung in das Rettungsfahrzeug sei die Beschwerdeführerin mittels eines Sicherheitsgurtes auf der im Rettungsfahrzeug befindlichen Trage fixiert worden. Während des Transports nach Rankweil, bei welchem die Beschwerdeführerin wiederum unmotivierte Lachanfälle gehabt habe, sich andererseits aber auch in einem weinerlichen Zustand befunden habe, sei sie von B. begleitet worden, der ihr auch während der Fahrt, weil sie über Schmerzen im Handgelenk geklagt habe, die vorne geschlossenen Handschellen gelockert habe. Gegen 21.35 Uhr sei die Beschwerdeführerin im LKH Rankweil eingeliefert worden. Dieser Sachverhalt werde auf Grund des vorliegenden Verwaltungsaktes sowie der Aussage des Zeugen B. als erwiesen angenommen.

In rechtlicher Hinsicht führte der UVS Vorarlberg aus, das im gegenständlichen Fall erfolgte Anlegen von Handschellen stelle eine Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt dar. Die bekämpfte Maßnahme sei in Vollziehung des Unterbringungsgesetzes erfolgt, sie sei daher der Bezirkshauptmannschaft Bludenz zuzurechnen. Nach Wiedergabe der Rechtslage führte der UVS Vorarlberg weiter aus, der festgestellte Sachverhalt sei unter dem Blickwinkel der geltend gemachten Rechtsverletzung, nämlich der behaupteten Rechtswidrigkeit des Anlegens von Handschellen während des Transports zu beurteilen. Die Beschwerdeführerin habe, als sie von den Gendarmeriebeamten im Gang vor ihrer Wohnungstüre auf dem Boden sitzend angetroffen worden sei, auf entsprechende Fragen nur mit einem unmotivierten Lachen reagiert. Die Gendarmeriebeamten seien zuvor durch den anwesenden Arzt Dr. S. darüber informiert worden, dass sie an einer psychischen Krankheit leide und selbstgefährdet sei und sich geweigert habe, der Krankeneinweisung freiwillig Folge zu leisten. Sie sei deshalb von den Gendarmeriebeamten abgeführt worden. Dabei habe sie sich leicht und auch erfolglos zur Wehr gesetzt. Vor dem Rettungsfahrzeug seien ihr sodann Handschellen angelegt worden, weil sie sich geweigert habe, in das Rettungsfahrzeug einzusteigen. Auch während des Transports nach Rankweil seien der auf einer Trage liegenden Beschwerdeführerin die vorne angelegten Handschellen nicht abgenommen worden, weil sich der sie begleitende Gendarmeriebeamte keiner Gefahr habe aussetzen wollen und zudem gewusst habe, dass die Beschwerdeführerin als selbstgefährdet zu beurteilen gewesen sei. Die Vorgangsweise des Gendarmeriebeamten, insbesondere das Anlegen der Handschellen, sei nicht rechtswidrig gewesen. Zum einen habe sich die Beschwerdeführerin nicht widerstandslos zum Rettungsfahrzeug abführen lassen. Sie habe sich auch geweigert, in dieses einzusteigen. Auf Grund dieses Verhaltens der Beschwerdeführerin, aber auch auf Grund ihres Verhaltens im Rettungsfahrzeug selbst, in welchem sie ständig von einem euphorischen in einen depressiven Zustand "hin und her" gewechselt sei, habe der Gendarmeriebeamte für sich eine Eigengefährdung wie auch eine Selbstgefährdung der Beschwerdeführerin befürchten können. Hiebei sei insbesondere zu berücksichtigen, dass ein neuerlicher Widerstand der Beschwerdeführerin bei ihren wechselhaften Gemütsstimmungen nicht auszuschließen gewesen und es offensichtlich gewesen sei, dass in einem solchen Fall eine Gefährdung der im Rettungsfahrzeug befindlichen Personen wie auch anderer Verkehrsteilnehmer möglich gewesen wäre. Die vom eingeschrittenen Gendarmeriebeamten gewählte Vorgangsweise sei daher "insgesamt notwendig", aber auch Maß haltend gewesen und habe keine die Menschenwürde beeinträchtigende gröbliche Missachtung der Beschwerdeführerin als Person dargestellt. Die behauptete Rechtsverletzung sei demnach nicht vorgelegen, weshalb spruchgemäß zu entscheiden gewesen sei.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 1 B-VG vor dem Verfassungsgerichtshof. Nachdem dieser mit Beschluss vom 22. Februar 1999, B 2318/98-3, die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und diese antragsgemäß dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten hatte, wurde sie von der Beschwerdeführerin ergänzt.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

2. Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

2.1.Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides ist das Unterbringungsgesetz (UbG) in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 12/1997 maßgeblich.

Die §§ 8 und 9 UbG lauten (auszugsweise):

"§ 8. Eine Person darf gegen oder ohne ihren Willen nur dann in eine Anstalt gebracht werden, wenn ein im öffentlichen Sanitätsdienst stehender Arzt oder ein Polizeiarzt diese untersucht und bescheinigt, dass die Voraussetzungen der Unterbringung vorliegen. In der Bescheinigung sind im Einzelnen die Gründe anzuführen, aus denen der Arzt die Voraussetzungen der Unterbringung für gegeben erachtet.

§ 9. (1) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind berechtigt und verpflichtet, eine Person, bei der sie aus besonderen Gründen die Voraussetzungen der Unterbringung für gegeben erachten, zur Untersuchung zum Arzt (§ 8) zu bringen oder diesen beizuziehen. Bescheinigt der Arzt das Vorliegen der Voraussetzungen der Unterbringung, so haben die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes die betroffene Person in eine Anstalt zu bringen oder dies zu veranlassen. ... .

...

(3) Der Arzt und die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes haben unter möglichster Schonung der betroffenen Person vorzugehen und die notwendigen Vorkehrungen zur Abwehr von Gefahren zu treffen. ... ."

2.2.1. Im Beschwerdefall geht es ausschließlich um die Frage, ob die Fesselung der Beschwerdeführerin mit Handschellen vor ihrer Verbringung in das Rettungsfahrzeug sowie das Beibehalten dieser Fesselung während der gesamten Fahrt zur Krankenanstalt rechtmäßig war.

Das UbG enthält, anders als etwa das StVG (§ 103 Abs. 4) für die Überführung von Strafgefangenen, keine ausdrücklichen Bestimmungen darüber, unter welchen Voraussetzungen im Zuge der Verbringung in eine Krankenanstalt das Anlegen von Handschellen (Handfesseln) zulässig ist. § 9 Abs. 3 UbG sieht aber, wie die belangte Behörde grundsätzlich zutreffend erkennt, vor, dass die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes - hiezu zählten die im Beschwerdefall einschreitenden Gendarmeriebeamten - einerseits unter möglichster Schonung der betroffenen Person vorzugehen haben, andererseits aber die notwendigen Vorkehrungen zur Abwehr von Gefahren zu treffen haben.

Bei der Beurteilung der Frage, ob in einem konkreten Fall das Anlegen von Handschellen zulässig (gerechtfertigt) war, ist, wie die Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts betont, davon auszugehen, dass die Fesselung mit Handschellen im Rahmen einer Amtshandlung eine Vorgangsweise ist, die nur dann gerechtfertigt ist, wenn sie "unbedingt" erforderlich (unabdingbar) ist (vgl. das zum Anlegen von Handschellen aus Anlass der Überstellung eines Strafgefangenen in eine andere Haftanstalt ergangene hg. Erkenntnis vom 31. Mai 2001, Zl. 99/20/0105). Nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes ist eine Fesselung mit Handschellen etwa dann nicht gerechtfertigt, wenn auf Grund der näheren Umstände eine konkrete Gefährdung der körperlichen Sicherheit der einschreitenden Behördenorgane nicht ernstlich zu befürchten ist (vgl. die Erkenntnisse VfSlg. 9836/1983, 11327/1987, 12271/1990 und 13044/1992) oder es diesen auf eine maßvollere Weise als durch Anlegen von Handfesseln möglich wäre, dem Widerstand einer Person zu begegnen (vgl. das Erkenntnis vom 5. Dezember 2001, B 1216/00). Der Verwaltungsgerichtshof schließt sich dem dieser Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zu Grunde liegenden Verständnis des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes an und legt dieses seiner Auslegung des § 9 Abs. 3 UbG zu Grunde.

Die belangte Behörde hat in ihrem Bescheid festgestellt, die Beschwerdeführerin habe sich (bereits) gegen das Abführen zum vor dem Wohnhaus stehenden Rettungsfahrzeug "gewehrt" (an anderer Stelle ist, wie oben wieder gegeben, davon die Rede, die Beschwerdeführerin habe "sich leicht und auch erfolglos zur Wehr" gesetzt). Welches Verhalten die Beschwerdeführerin im Einzelnen an den Tag gelegt hat, das von der belangten Behörde undifferenziert als "Wehren" bzw. "leicht Wehren" qualifiziert wird, ist aus dem angefochtenen Bescheid zwar nicht explizit ersichtlich, der Hinweis auf die Aussage des Zeugen B. lässt aber erkennen, dass die belangte Behörde die Angaben dieses Zeugen, der (seiner Aussage zufolge) bereits den Bericht vom 13. April 1998 verfasst hatte, als Sachverhaltsfeststellungen übernommen hat. Den Widerstand der Beschwerdeführerin während des Verbringens bis zum Rettungsfahrzeug hat der Zeuge B. als "sich Wehren" bezeichnet, wobei diese Abwehr "nicht besonders stark" gewesen sei. Ausdrücklich hat er weiters hervorgehoben, dass die Beschwerdeführerin nicht versucht habe, sich von den Beamten loszureißen. Dass die Beschwerdeführerin sich auch noch unmittelbar vor dem Rettungsfahrzeug, als sie sich weigerte, einzusteigen, gewehrt hätte, hat weder der Zeuge B. angegeben noch die belangte Behörde festgestellt. Das Anlegen der Handschellen erfolgte nach den Zeugenangaben ganz offensichtlich als Reaktion auf die Weigerung der Beschwerdeführerin, in das Rettungsfahrzeug einzusteigen.

Im Lichte der dargestellten Judikatur kann bei dieser Konstellation aber keine Rede davon sein, dass das Anlegen der Handschellen geboten war, um eine Gefährdung der körperlichen Sicherheit der einschreitenden Beamten hintanzuhalten. Dass die Beschwerdeführerin überhaupt in der Lage gewesen wäre, sich einem unter maßvollem Einsatz von Körperkraft bewirkten Heben in das Rettungsfahrzeug und in weiterer Folge dem Anlegen des Bauchgurtes auf der Trage durch zwei Gendarmeriebeamte ernsthaft und wirksam zu widersetzen, hat die belangte Behörde nicht festgestellt.

Das Anlegen der Handschellen erweist sich allerdings nicht nur im Hinblick auf eine vermeintliche "Eigensicherung" der Beamten als nicht gerechtfertigt, sondern auch insofern, als es, wie die belangte Behörde vermeint, einer Fluchtgefahr oder einer Selbstgefährdung der Beschwerdeführerin entgegenwirken sollte. Auf der Grundlage der von der belangten Behörde übernommenen Angaben des Zeugen B. bestand situationsbezogen nicht der geringste konkrete Hinweis darauf, dass die Beschwerdeführerin die mit dem Verbringen in das Rettungsfahrzeug verbundenen Manipulationen der Beamten dazu benützen würde, den beiden Beamten zu entkommen. Ebenso wenig gab es Indizien dafür, dass die Beschwerdeführerin in der Lage sein werde, beim erzwungenen Einstieg in das Rettungsfahrzeug sowie der Fixierung auf der Trage sich selbst Schaden zuzufügen, ohne dass die Beamten dies mit einem gelinderen Mittel als einer Fesselung durch Handschellen hätten verhindern können. Die Angabe des einweisenden Arztes, bei der Beschwerdeführerin bestehe Selbstgefährdung, reichte für die Annahme einer dahingehenden Gefahr jedenfalls angesichts des von den Beamten beobachteten Verhaltens der Beschwerdeführerin nicht aus. Umstände des Beschwerdefalles, die ausnahmsweise eine andere Beurteilung erforderlich machen könnten, hat die belangte Behörde in dieser Hinsicht ebenfalls nicht festgestellt.

Nach dem bisher Gesagten war das Anlegen der Handschellen vor dem Rettungsfahrzeug als nicht unabdingbare Vorgangsweise nicht gerechtfertigt und - vor dem Hintergrund des § 9 Abs. 3 UbG - ein Verstoß gegen die gesetzliche Verpflichtung zu einem Vorgehen unter möglichster Schonung der Beschwerdeführerin. War aber bereits das Anlegen der Handschellen rechtswidrig, so gilt dies auch für die Beibehaltung der Fesselung während der Fahrt im Rettungsfahrzeug bis zur Krankenanstalt. Indem sie dies verkannte und die dagegen erhobene Maßnahmenbeschwerde abwies, belastete die belangte Behörde ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Er war schon aus diesen Erwägungen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

2.2.2. Zur Aufrechterhaltung der Fesselung durch Handschellen sei im Beschwerdefall noch Folgendes hervorgehoben:

Der von der belangten Behörde festgestellte Sachverhalt bietet keinen Hinweis darauf, dass die mittels eines Sicherheitsgurtes (nach den Angaben des Zeugen B.: in Bauchhöhe) auf der Trage "fixierte" Beschwerdeführerin ernsthaft in der Lage gewesen wäre, ihre eigene körperliche Sicherheit oder diejenige des sie begleitenden Beamten B. zu gefährden, ohne dass dieser durch Anwendung von Körperkraft eine allenfalls drohende Gefahr hätte hintanhalten können. Soweit die belangte Behörde, ohne hiezu nähere Feststellungen über die Verhältnisse im Rettungswagen zu treffen, nur andeutet, es sei eine Gefährdung auch des Rettungspersonals sowie ein allfälliges Entweichen der Beschwerdeführerin während der Fahrt zu besorgen gewesen, ist ihr zu erwidern, dass diese Besorgnis jedenfalls auf der Grundlage der Zeugenaussage des Beamten B. nicht nachvollziehbar ist.

Die Fesselung der Beschwerdeführerin mit Handschellen im Rettungsfahrzeug ist demnach auch aus diesem Grund während des gesamten Zeitraums als rechtswidrig zu erkennen.

2.2.3. Es sei schließlich darauf hingewiesen, dass die - von der Beschwerdeführerin dem Grunde nach nicht bekämpfte - Verbringung in die Krankenanstalt nach der Aktenlage auf einer ärztlichen Bescheinigung beruhte, die im Feld "Diagnose/Zweck der Überweisung" nur die Worte "schizoaffekt. Psychose Selbstgefährdung!!" enthielt und damit den Anforderungen des § 8 Abs. 1 zweiter Satz UbG an eine Begründung nicht entsprochen hat (vgl. hiezu eingehend das hg. Erkenntnis vom 27. November 2001, Zl. 2000/11/0320).

2.3. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001, BGBl. II Nr. 501. Das Mehrbegehren an Stempelgebühren war abzuweisen, weil

neben dem Ersatz des pauschalierten Schriftsatzaufwandes und dem Ersatz der Gebühr nach § 24 Abs. 3 VwGG ein weiterer Aufwandersatz nicht vorgesehen ist.

Wien, am 8. August 2002

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