VwGH 99/11/0281

VwGH99/11/028122.3.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Graf, Dr. Gall, Dr. Pallitsch und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde der M in W, vertreten durch Fiebinger, Polak, Leon & Partner, Rechtsanwälte in 1060 Wien, Am Getreidemarkt 1, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 16. Juli 1999, Zl. GS5- F-42.606/5-99, betreffend Kostenersatz für Sozialhilfe, zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §143 Abs1;
ABGB §143 Abs2;
SHG NÖ 1974 §42 Abs1;
SHG NÖ 1974 §42;
ABGB §143 Abs1;
ABGB §143 Abs2;
SHG NÖ 1974 §42 Abs1;
SHG NÖ 1974 §42;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 13. Jänner 1998 sprach die Bezirkshauptmannschaft Scheibbs der Mutter der Beschwerdeführerin gegenüber aus, dass diese ab 12. Jänner 1998 in einem näher genannten Pensionisten- und Pflegeheim einen Heimplatz erhalte. Die Kosten des Aufenthalts würden aus Mitteln der Sozialhilfe bezahlt, soweit die Untergebrachte oder ihre unterhaltspflichtigen Angehörigen dafür nicht aufkommen könnten.

Mit Schreiben vom 3. Februar 1988 forderte die Bezirkshauptmannschaft Scheibbs die Beschwerdeführerin erstmals auf, im einzuleitenden Kostenbeitragsverfahren ihr Einkommen, ihre Sorgepflichten und Sonderbelastungen nachweislich bekannt zu geben.

In einer vor der Bezirkshauptmannschaft Scheibbs aufgenommenen Niederschrift vom 6. Mai 1998 gab die Beschwerdeführerin an, über ein Einkommen von monatlich S 21.160,--

netto zu verfügen, wobei sie für ihre Wohnung monatlich S 6.000,-- zu bezahlen habe. Sorgepflichten bestünden keine.

Anwaltlich vertreten brachte die Beschwerdeführerin in einem Schriftsatz vom 18. Mai 1998 vor, mit Notariatsakt vom 1. April 1974 sei ihrer Schwester und deren Ehemann eine Liegenschaft mit der Verpflichtung übergeben worden, die Versorgung der Mutter der Beschwerdeführerin zu übernehmen. Vertragsgrundlage dieser Vereinbarung sei gewesen, dass jenes Kind, welches das nahezu gesamte Vermögen der Eltern übernehmen sollte, auch für Gesundheitspflege, Unterhalt und dergleichen der Eltern verantwortlich sein sollte. Die übrigen drei Kinder, darunter auch die Beschwerdeführerin, sei im Sinne dieses Übereinkommens von weiteren Unterhaltsverpflichtungen gegenüber den Eltern befreit worden.

Mit Schreiben vom 27. Mai 1998 teilte die Bezirkshauptmannschaft Scheibbs der Beschwerdeführerin mit, sie teile die Ansicht der Beschwerdeführerin nicht, dass als Folge des Übergabevertrages ein Verzicht auf die gesetzliche Unterhaltspflicht und eine Verjährung vorliege. Die Verpflegskosten für die Mutter der Beschwerdeführerin betrügen ab 12. Jänner 1998 täglich S 885,--, monatlich durchschnittlich S 26.919,--. Zu diesen Kosten habe die Beschwerdeführerin im Rahmen ihrer gesetzlichen Unterhaltspflicht einen Beitrag zu leisten. Aus den Angaben der Beschwerdeführerin ergebe sich nach Abzug der absetzbaren Sonderleistungen (maximal S 1.200,-- für Wohnbedarf) eine monatliche Bemessungsgrundlage von S 19.900,--. Daraus ergebe sich (laut Richtlinien) ein zumutbarer Kostenbeitrag von 13 % der Bemessungsgrundlage, und zwar S 2.587,--, ab 12. Jänner 1998. Der Beschwerdeführerin wurde eine zweiwöchige Stellungnahmefrist hiezu eingeräumt.

In einer fristgerecht erstatteten Stellungnahme berief sich die Beschwerdeführerin neuerlich auf eine "Rahmenvereinbarung" zwischen den Eltern und allen Kindern, welche Vertragsgrundlage des erwähnten Notariatsaktes gewesen sei. Dafür, dass mit dem Übergabevertrag nahezu das gesamte Vermögen auf lediglich ein Kind übertragen worden sei, hätten die unterhaltsberechtigten Eltern der Beschwerdeführerin gegenüber (sowie auch gegenüber den anderen Geschwistern) auf Unterhalt verzichtet. Ein solcher Verzicht müsse nicht in einer bestimmten Form abgegeben werden, er könne daher grundsätzlich auch konkludent erfolgen. Im vorliegenden Fall sei allerdings eine ausdrückliche Vereinbarung zwischen den unterhaltspflichtigen Kindern und den unterhaltsberechtigten Eltern getroffen worden. Als Beweis wurden ua. die Einvernahme der beiden erwähnten übrigen Schwestern der Beschwerdeführerin sowie eidesstättige Erklärungen derselben angeboten. Was die Berechnung der Erstbehörde anlange, so sei von einer absetzbaren Sonderbelastung von zumindest S 3.333,33 monatlich auszugehen.

Bereits vor Ablauf der Stellungnahmefrist verpflichtete die Bezirkshauptmannschaft Scheibbs unterdessen mit Bescheid vom 12. Juni 1998 die Beschwerdeführerin auf Grund ihrer gesetzlichen Unterhaltspflicht, zu den Kosten der Sozialhilfe für ihre Mutter ab 12. Jänner 1998 einen Kostenersatz von S 2.388,-- zu leisten. Der Kostenbeitrag betrage 12 % der Bemessungsgrundlage von S 19.900,--.

In der dagegen erhobenen Berufung wiederholte die Beschwerdeführerin das Vorbringen aus ihrer Stellungnahme, hielt die Beweisanträge aufrecht und legte eidesstättige Erklärungen ihrer beiden erwähnten Schwestern vor, denen zufolge diese an Eides statt erklärten, im Zuge der Errichtung des Übergabsvertrags bzw. Notariatsakts vom 1. April 1974 sei eine mündliche Vereinbarung unter allen Geschwistern, deren Ehegatten und den Eltern der Beschwerdeführerin getroffen worden, wonach die Mutter der Beschwerdeführerin und ihr Ehemann im Rahmen dieser Vereinbarung auf ihr Recht auf Unterhalt gegenüber der Beschwerdeführerin bzw. den Erklärenden ausdrücklich verzichtet hätten.

Die Niederösterreichische Landesregierung wies mit Bescheid vom 16. Juli 1999 die Berufung ab und bestätigte den angefochtenen Bescheid. In ihrer Begründung führte die Niederösterreichische Landesregierung nach Wiedergabe des erstinstanzlichen Bescheides sowie des Berufungsvorbringens und der maßgeblichen Rechtslage aus, auf Anfrage habe die durch den Übergabsvertrag begünstigte Schwester der Beschwerdeführerin mitgeteilt, es sei ihr nicht bekannt, dass ihre Eltern anlässlich des Übergabsvertrags mündlich oder in anderer Form auf ihr Recht auf Unterhalt gegenüber den übrigen Schwestern verzichtet hätten. Die Sachwalterin der Mutter der Beschwerdeführerin habe weiters bekannt gegeben, dass der schlechte geistige Zustand der Untergebrachten eine Befragung zu diesem Thema nicht mehr zulasse. Schließlich habe der Notar, vor dem der Übergabsvertrag sowie ein Abfertigungs- und Pflichtteilverzichtsvertrag geschlossen worden seien, mitgeteilt, dass neben dem Inhalt der Notariatsakte keine Aktennotizen über eine gesonderte mündliche Vereinbarung der Parteien vorlägen. Ob diese eine interne Vereinbarung über den Notariatsakt hinaus geschlossen hätten, entziehe sich seiner Kenntnis. Auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens könne die Berufungsbehörde nicht davon ausgehen, dass unzweifelhaft ein Unterhaltsverzicht der Mutter der Beschwerdeführerin dieser gegenüber vorliege. Es erscheine nicht nachvollziehbar, warum im Zusammenhang mit der Errichtung der Notariatsakte nicht auch gleichzeitig ein allfälliger Unterhaltsverzicht der Mutter in schriftlicher Form geregelt worden wäre, dies umso mehr, als diese Verträge innerhalb einer Zeitspanne von nur wenigen Tagen geschlossen worden seien. Über das Bestehen einer ausdrücklichen Erklärung gebe es keine Beweise, den Erklärungen der Schwestern könne keine ausreichende Beweisqualität zugesprochen werden. Auch eine Einvernahme der namhaft gemachten Zeugen hätte "die Beweisbarkeit der angeblichen Erklärung nicht gesteigert". Die dem erstinstanzlichen Bescheid zu Grunde liegende Berechnung der Bemessungsgrundlage erfolge entsprechend der im "Parteiengehörsschreiben" vom 27. Mai 1998 dargelegten Vorgangsweise, wobei letztendlich im erstinstanzlichen Bescheid anstatt 13 % nur 12 % der Bemessungsgrundlage als zumutbare Ersatzleistung berechnet worden seien. Diese Berechnung sei von der Berufungsbehörde überprüft und bei den "zum Zeitpunkt der Beurteilung durch die Erstinstanz gegebenen Einkommensverhältnissen" für richtig befunden worden. Der Prozentsatz, der bezogen auf die Bemessungsgrundlage als vertretbarer Kostenersatz berechnet werde, ergebe sich daraus, welcher Betrag der Beschwerdeführerin auf Grund der Komponenten "durchschnittliche Lebenshaltungskosten und Lohnentwicklung" zumutbar sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt. Die Beschwerdeführerin replizierte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides durch den Verwaltungsgerichtshof ist noch die Rechtslage vor dem NÖ Sozialhilfegesetz 2000, somit das NÖ Sozialhilfegesetz (NÖ SHG) vom 21. Februar 1974, LGBl. 9200, in der Fassung der NÖ SHG-Novelle 1996 maßgeblich.

§ 42 NÖ SHG lautete idF. LGBl. 9200-5 (auszugsweise):

"§ 42.

Ersatz durch Dritte

(1) Personen, die gesetzlich oder vertraglich zum Unterhalt des Empfängers der Sozialhilfe verpflichtet sind, haben im Rahmen ihrer Unterhaltspflicht Kostenersatz zu leisten.

...

(4) Ein Verzicht - insbesondere der in einem Scheidungsvergleich ausgesprochene - auf jeglichen Unterhalt, auch im Falle der unverschuldeten Notlage oder der geänderten Rechtslage, erzeugt gegenüber dem Sozialhilfeträger keinerlei Rechtswirkung. Dem Sozialhilfeträger gegenüber bleibt der nach gesetzlichen oder vertraglichen Bestimmungen zum Unterhalt Verpflichtete insoweit kostenersatzpflichtig, als die Kostenersatzpflicht innerhalb von zwei Jahren nach dem Ausspruch des Verzichtes eintritt.

..."

Die Beschwerdeführerin rügt zunächst, dass die belangte Behörde auf ihr wiederholtes Vorbringen hinsichtlich eines vollständigen Unterhaltsverzichts ihrer Mutter anlässlich der bereits mehrfach erwähnten "Rahmenvereinbarung" im Jahr 1974 nicht ausreichend eingegangen sei und die Beweisanbote der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren nicht aufgegriffen hätte. Damit fehle es an mängelfreien Feststellungen über den in Rede stehenden Unterhaltsverzicht. Mit diesem Vorbringen gelingt es der Beschwerdeführerin jedoch nicht, eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufzuzeigen.

Gemäß § 143 Abs. 1 ABGB schuldet das Kind seinen Eltern unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse den Unterhalt, soweit der Unterhaltsberechtigte nicht im Stande ist, sich selbst zu erhalten, insofern er seine Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind nicht gröblich vernachlässigt hat. Nach der Judikatur des Obersten Gerichtshofes wirkt ein Verzicht nur bis zur Grenze des notdürftigen Unterhalts (vgl. OGH 2. Mai 1962, 1 Ob 99/62, EvBl. 2/1963). Der Verwaltungsgerichtshof legt diese Rechtsprechung , derzufolge selbst ein Verzicht einen Anspruch auf notdürftigen Unterhalt nicht hindert, seiner weiteren rechtlichen Beurteilung zu Grunde.

Vor diesem rechtlichen Hintergrund sind der belangten Behörde aber keine Ermittlungsmängel bezüglich des Inhaltes der von der Beschwerdeführerin wiederholt hervorgehobenen "Rahmenvereinbarung" anzulasten, weil selbst im Falle des Abschlusses einer derartigen Vereinbarung, die nach dem Vorbringen der Beschwerdeführerin einen Unterhaltsverzicht ihrer Mutter beinhaltet haben soll, die Beschwerdeführerin ihrer Mutter den notdürftigen Unterhalt schuldet. Auf die Beschwerdeführerin findet daher, wie die belangte Behörde im Ergebnis zu Recht erkannt hat, § 42 Abs. 1 NÖ SHG Anwendung.

Auf § 42 Abs. 4 NÖ SHG kann sich die Beschwerdeführerin im vorliegenden Fall entgegen ihrem Vorbringen nicht berufen, weil diese sozialhilferechtliche Sondervorschrift, derzufolge ein Verzicht auf jeglichen Unterhalt, auch im Falle der unverschuldeten Notlage oder der geänderten Rechtslage, gegenüber dem Sozialhilfeträger keinerlei Rechtswirkungen erzeugt, nach ihrer Ratio nur dann anwendbar wird, wenn der Verzicht nicht ohnehin bereits nach Unterhaltsrecht unwirksam ist. Die Beschwerdeführerin kommt daher auch nicht in den Genuss der in § 42 Abs. 4 zweiter Satz NÖ SHG enthaltenen Verjährungsregelung.

Die belangte Behörde hat auf Grund der nach wie vor bestehenden Unterhaltspflicht der Beschwerdeführerin deren Kostenersatzpflicht demnach zu Recht bejaht.

Gleichwohl ist der Beschwerde Erfolg beschieden.

Gemäß § 143 Abs. 2 ABGB haben mehrere Kinder den Unterhalt anteilig nach ihren Kräften zu leisten. Das bedeutet, dass unter mehreren unterhaltspflichtigen Nachkommen gleichen Grades die Pflicht zum Unterhalt eines Vorfahren anteilig nach ihrer Leistungsfähigkeit aufzuteilen ist. Sie schulden daher nur anteilig und nicht solidarisch (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Februar 2002, Zl. 2001/11/0049 mwN). Dies hat für das Verfahren betreffend einen Ersatzanspruch nach § 42 NÖ SHG zur Folge, dass jeder der unterhaltspflichtigen Nachkommen vorbringen kann, dass die Kräfte der anderen noch nicht (anteilig) ausgeschöpft wurden. Dies hat die Beschwerdeführerin der Sache nach getan, als sie im Verwaltungsverfahren (in ihrer Stellungnahme vom 12. Juni 1998) darauf hinwies, dass diejenige ihrer Schwestern, der die Liegenschaft übergeben wurde, weder vermögens- noch einkommenslos sei, weil sie allein auf Grund ihrer Unterhaltsbezüge von ihrem geschiedenen Ehemann ein mindestens ebenso hohes monatliches Einkommen wie die Beschwerdeführerin beziehe. Wenn mehrere unterhaltspflichtige Nachkommen vorhanden sind, bedarf es begründeter Feststellungen zur Leistungsfähigkeit (Einkommen und Vermögen) aller Kinder im relevanten Zeitraum (vgl. auch hiezu das erwähnte hg. Erkenntnis vom 26. Februar 2002 mwN).

Derartige Feststellungen hat die belangte Behörde nicht getroffen. Ohne entsprechende Feststellungen kann rechtens aber der auf ein Kind entfallende Anteil im Sinn des § 143 Abs. 2 zweiter Satz ABGB nicht ermittelt und damit die Ersatzpflicht nicht bestimmt werden.

Aus diesen Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001, BGBl. II Nr. 501.

Wien, am 22. März 2002

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