VwGH 99/11/0096

VwGH99/11/009617.12.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Graf, Dr. Gall, Dr. Pallitsch und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des Landes Salzburg als Sozialhilfeträger gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 4. Februar 1999, Zl. Va-460-27.051/6-1999, betreffend Kostenersatz in den Angelegenheiten der Sozialhilfe, zu Recht erkannt:

Normen

KostenersatzG Sozialhilfe Vereinbarung Tir 1974 §1;
SHG Tir 1973 §13 Abs2;
SHG Tir 1973 §4;
VE Sozialhilfe Kostenersatz OÖ Tir Vlbg 1973 Art1;
VE Sozialhilfe Kostenersatz OÖ Tir Vlbg 1973 Art3 Abs1;
KostenersatzG Sozialhilfe Vereinbarung Tir 1974 §1;
SHG Tir 1973 §13 Abs2;
SHG Tir 1973 §4;
VE Sozialhilfe Kostenersatz OÖ Tir Vlbg 1973 Art1;
VE Sozialhilfe Kostenersatz OÖ Tir Vlbg 1973 Art3 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Das Kostenbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Schreiben vom 22. Juli 1998 teilte der Landeshauptmann von Salzburg (für das beschwerdeführende Land) dem Amt der Tiroler Landesregierung mit, W.K. werde seit dem 19. Juni 1998 durch das Sozialamt der Landeshauptstadt Salzburg vorläufig unterstützt. W.K. habe sich während der letzten sechs Monate vor Beginn der Unterstützung zumindest durch fünf Monate im "dortigen Zuständigkeitsbereich" tatsächlich aufgehalten. Gemäß Art. 6 der Vereinbarung über den Kostenersatz in den Angelegenheiten der Sozialhilfe (im Folgenden: Vereinbarung) werde der Erstattungsanspruch in der Höhe der aufgewendeten Kosten angemeldet und gleichzeitig ersucht, innerhalb von acht Wochen die Kostenerstattungspflicht anzuerkennen, allenfalls gewünschte Verrechnungsmodalitäten anzuführen oder im Falle der Ablehnung die Gründe bekannt zu geben.

Mit Schreiben vom 25. August 1998 teilte die Tiroler Landesregierung dem beschwerdeführenden Land mit, dem Antrag auf Anerkennung der Kostenerstattungspflicht werde nicht stattgegeben. W.K. habe sich in dem im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Vereinbarung entscheidungsrelevanten Zeitraum (19. Dezember 1997 bis 19. Juni 1998) zwar mindestens durch fünf Monate in Tirol aufgehalten, nicht jedoch im Bereich jener Träger, welche die Kosten für Leistungen, wie sie dem Kostenanspruch zu Grunde liegen (Hilfe zum Lebensunterhalt), zu tragen haben. Weder im Bereich der Bezirkshauptmannschaft Schwaz (Aufenthalt in der Gemeinde Buch bei Jenbach vom 19. Dezember 1997 bis zum 31. März 1998) noch im Bereich der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck-Land (Aufenthalt in der Gemeinde Kematen vom 1. April bis 1. Juni 1998) habe sich W.K. mindestens durch fünf Monate aufgehalten. Ein ersatzpflichtiger Träger im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Vereinbarung sei sohin in Tirol nicht vorhanden.

Mit einem weiteren Schreiben vom 12. November 1998 teilte die Tiroler Landesregierung dem beschwerdeführenden Land mit, in Tirol gebe es keine Sozialhilfeverbände.

Das beschwerdeführende Land stellte mit Schreiben vom 27. November 1998 gemäß Art. 7 der Vereinbarung den Antrag auf Entscheidung durch die Landesregierung über den Kostenersatz, falls neuerlich eine Verpflichtung zum Kostenersatz nach der "dortigen Rechtsmeinung" nicht bestehen sollte.

Die Tiroler Landesregierung entschied mit Bescheid vom 4. Februar 1999 nach Art. 7 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 der Vereinbarung, dass das Land Tirol als Sozialhilfeträger nicht verpflichtet sei, die für W.K. vom Sozialamt der Landeshauptstadt Salzburg aufgewendeten Sozialhilfekosten zu ersetzen. In der Begründung führte die Tiroler Landesregierung aus, W.K. werde seit 19. Juni 1998 vom Sozialamt Salzburg aus Sozialhilfemitteln unterstützt (Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes). Gemäß Art. 3 Abs. 1 der Vereinbarung sei jener Träger zum Kostenersatz verpflichtet, in dessen Bereich sich der Hilfe Suchende während der letzten sechs Monate vor Gewährung der Hilfe mindestens durch fünf Monate aufgehalten hat und der nach den für ihn geltenden landesrechtlichen Vorschriften die Kosten für Leistungen, wie sie dem Kostenanspruch zu Grunde liegen, zu tragen hat. Die durchgeführten Ermittlungen hätten ergeben, dass sich W.K. im entscheidungsrelevanten Zeitraum (19. Dezember 1997 bis 19. Juni 1998) zwar mindestens durch fünf Monate in Tirol aufgehalten habe, nicht jedoch im Bereich jener Träger, welche die Kosten für Leistungen, wie sie dem Kostenanspruch zu Grunde liegen (Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes), zu tragen haben. Weder im Bereich der Bezirkshauptmannschaft Schwaz noch im Bereich der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck-Land habe sich die Hilfe Suchende mindestens durch fünf Monate aufgehalten. Ein ersatzpflichtiger Träger im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Vereinbarung sei in Tirol sohin nicht vorhanden. Zwar liege ein Aufenthalt von mindestens fünf Monaten im Bundesland Tirol vor. Das Land Tirol als Träger der Sozialhilfe sei jedoch nach den geltenden landesrechtlichen Vorschriften für die Kostentragung von Leistungen, wie sie dem Kostenanspruch zu Grunde liegen, nicht zuständig. Hiefür sei nach den Bestimmungen des Tiroler Sozialhilfegesetzes (im Folgenden: TSHG) die jeweilige Bezirksverwaltungsbehörde zuständig. Die in Frage kommenden Bezirkshauptmannschaften Innsbruck-Land und Schwaz könnten zur Kostenübernahme jedoch nicht herangezogen werden, weil sich die Hilfe Suchende in keinem der beiden Bezirkshauptmannschaftsbereiche mindestens fünf Monate lang aufgehalten habe. Aus diesen Gründen sei das Land Tirol als Träger der Sozialhilfe nicht verpflichtet, die für W.K. aufgewendeten Sozialhilfekosten zu ersetzen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die, unter Beischluss der Akten des beschwerdeführenden Landes eingebrachte, vorliegende Beschwerde. Das beschwerdeführende Land erachtet sich im gesetzlich gewährleisteten Recht auf Kostenersatz für geleistete Sozialhilfe gemäß Art. 3 Abs. 1 der Vereinbarung, der das Land Salzburg beigetreten sei, verletzt.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

1.1. Am 13./14./17. Dezember 1973 schlossen die Bundesländer Oberösterreich, Tirol und Vorarlberg, jeweils vertreten durch ihre Landeshauptmänner, gemäß Art. 107 B-VG in der Fassung vor der Novelle BGBl. Nr. 444/1974 eine Vereinbarung über den Kostenersatz in den Angelegenheiten der Sozialhilfe (vgl. zur Datierung das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 9. Dezember 1982, VfSlg. 9581).

Die im Beschwerdefall einschlägigen Bestimmungen dieser Vereinbarung lauten (auszugsweise):

"Artikel 1

Allgemeines

Die Träger der Sozialhilfe eines Vertragslandes - im Folgenden als Träger bezeichnet - sind verpflichtet, den Trägern eines anderen Vertragslandes die für Sozialhilfe aufgewendeten Kosten nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen zu ersetzen.

Artikel 2

Kosten der Sozialhilfe

Zu den Kosten der Sozialhilfe gehören die Kosten, die einem Träger für einen Hilfe Suchenden

a) nach den landesrechtlichen Vorschriften über die Sozialhilfe oder

...

erwachsen.

Artikel 3

Zuständigkeit

(1) Soweit in den folgenden Absätzen nicht anderes bestimmt ist, ist jener Träger zum Kostenersatz verpflichtet, in dessen Bereich sich der Hilfe Suchende während der letzten sechs Monate vor Gewährung der Hilfe mindestens durch fünf Monate aufgehalten hat und der nach den für ihn geltenden landesrechtlichen Vorschriften die Kosten für Leistungen, wie sie dem Kostenanspruch zu Grunde liegen, zu tragen hat.

...

Artikel 6

Anzeigepflicht

Der Träger, dem im Sinne des Art. 2 Kosten erwachsen, hat dem voraussichtlich zum Kostenersatz verpflichteten Träger die Hilfeleistung unverzüglich, längstens aber innerhalb von sechs Monaten ab Beginn der Hilfeleistung anzuzeigen und diesem hiebei alle für die Beurteilung der Kostenersatzpflicht maßgebenden Umstände mitzuteilen. Desgleichen ist jede Änderung dieser Umstände längstens innerhalb von sechs Monaten mitzuteilen.

Artikel 7

Streitfälle, Verfahren

Über die Verpflichtung zum Kostenersatz hat im Streitfalle die Landesregierung, in deren Bereich der zum Kostenersatz angesprochene Träger liegt, im Verwaltungsweg zu entscheiden.

...

Artikel 9

Beitritt

(1) Diese Vereinbarung steht zum vorbehaltlosen Beitritt durch andere Länder offen.

(2) Der Beitritt ist den Vertragsländern gegenüber schriftlich zu erklären. Er wird drei Monate nach Ablauf des Tages wirksam, an dem gegenüber allen Vertragsländern die Erklärung abgegeben ist."

In weiterer Folge ist im Jahr 1975 das Land Salzburg der Vereinbarung beigetreten.

1.2. Im Land Tirol erfolgte die Transformation der Vereinbarung durch das Gesetz "über den Kostenersatz in den Angelegenheiten der Sozialhilfe zwischen den Ländern Oberösterreich, Tirol und Vorarlberg", LGBl. Nr. 30/1974, welches folgenden Wortlaut hat:

"§ 1

Die Vereinbarung zwischen den Ländern Oberösterreich, Tirol und Vorarlberg über den Kostenersatz in den Angelegenheiten der Sozialhilfe (Anlage) gilt, soweit sie sich auf das Land Tirol bezieht, als Gesetz.

§ 2

Dieses Gesetz tritt mit 1. Jänner 1974 in Kraft."

In der Anlage wurde die Vereinbarung kundgemacht.

1.3. Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des TSHG, LGBl. Nr. 105/1973, lauteten in der Fassung der Novelle LGBl. Nr. 5/1999 (auszugsweise):

"§ 13

Kostentragungspflicht im Allgemeinen

(1) Die Kosten der Sozialhilfe sind nach Maßgabe der Abs. 3, 4 und 4a vom Land und von den Gemeinden zu tragen.

(2) Zu den Kosten der Sozialhilfe gehört der gesamte sich aus der Besorgung der in diesem Gesetz geregelten Aufgaben ergebende Zweckaufwand und der Aufwand, der vom Land auf Grund von Vereinbarungen nach Art. 15a B-VG zu tragen ist. Zu den Kosten der Sozialhilfe gehören auch die Kosten, die auf Grund anderer Rechtsvorschriften nach den Vorschriften über die öffentliche Fürsorge zu tragen sind.

(3) Das Land hat unbeschadet der Bestimmungen der Abs 4 und 4a die Kosten der Sozialhilfe, die nicht durch Leistungen auf Grund der §§ 8, 9, 11 und 24, der Vorschriften im Sinne des § 22 oder durch sonstige für Zwecke der Sozialhilfe oder der öffentlichen Fürsorge bestimmte Zuflüsse gedeckt sind, zu tragen.

...

§ 14

Sachliche Zuständigkeit

... .Im übrigen ist für behördliche Maßnahmen auf Grund

dieses Gesetzes, soweit nicht anderes bestimmt ist, die Bezirksverwaltungsbehörde sachlich zuständig.

§ 15

Örtliche Zuständigkeit

Die örtliche Zuständigkeit der Bezirksverwaltungsbehörde

richtet sich

a) in den Angelegenheiten der Ersatzansprüche nach § 12 nach dem Ort, an dem die Notwendigkeit zur Gewährung von Hilfe eingetreten ist,

b) in den übrigen Angelegenheiten zunächst nach dem Hauptwohnsitz des Hilfe Suchenden oder Empfängers der Sozialhilfe, dann nach seinem Aufenthalt, schließlich nach dem letzten Hauptwohnsitz in Tirol, wenn aber keiner dieser Zuständigkeitsgründe in Betracht kommt oder Gefahr im Verzug ist, nach dem Anlass zum Einschreiten."

2. Im Beschwerdefall ist auf der Basis der von der belangten Behörde getroffenen Feststellungen ausschließlich zu klären, ob das Land Tirol, wie das beschwerdeführende Land meint, als "Träger" (der Sozialhilfe) im Verständnis der durch § 1 des Gesetzes LGBl. Nr. 30/1974 zu landesgesetzlichen Bestimmungen erklärten Art. 1 und 3 Abs. 1 der Vereinbarung anzusehen ist.

Wie sich aus § 13 Abs. 2 und 3 TSHG ergibt, hat das Land Tirol - von hier nicht relevanten Ausnahmen abgesehen - den Aufwand für Hilfe zum Lebensunterhalt (§ 4 TSHG) zu tragen. Es ist daher "Träger" im Verständnis der erwähnten Vereinbarungsbestimmungen. Die belangte Behörde verwechselt offenbar die Frage der behördlichen Zuständigkeit mit derjenigen der Kostentragungspflicht.

Da sich W.K. auch nach den Feststellungen der belangten Behörde im maßgeblichen Zeitraum (während der letzten sechs Monate vor Gewährung der Hilfe) mehr als fünf Monate im Land Tirol und somit im Bereich des "Trägers" nach Art. 3 Abs. 1 der Vereinbarung aufgehalten hat, besteht nach der genannten Bestimmung eine Kostenersatzpflicht des Landes Tirol.

Da die belangte Behörde dies verkannte, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

3. Das Kostenbegehren war abzuweisen, weil für die nicht durch einen Rechtsanwalt eingebrachte Beschwerde gemäß § 49 Abs. 1 letzter Satz VwGG kein Schriftsatzaufwand gebührt.

Wien, am 17. Dezember 2002

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