VwGH 98/20/0544

VwGH98/20/054426.2.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde der VA in Graz, geboren am 27. Jänner 1980, vertreten durch Dr. Wolfgang Vacarescu, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Jakominiplatz 16/II, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 16. Oktober 1998, Zl. 204.553/0-XI/35/98, betreffend §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die ihren Angaben zufolge am 27. Jänner 1980 geborene Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Ghana, reiste am 19. Jänner 1998 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 20. Jänner 1998 Asyl.

Bei ihrer Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 26. Februar 1998 brachte sie im Wesentlichen vor, ihr 1997 verstorbener Vater sei Angehöriger einer religiösen Gemeinschaft mit dem Namen "Trokosi-Kult" gewesen. Nach den Bestimmungen dieser Gemeinschaft müsse ein Mitglied, wenn es gegen eine Regel verstoßen habe, eine Geldzahlung leisten. Wenn es dazu nicht in der Lage sei, müsse das erstgeborene Kind dieses Mitgliedes in ein Lager ("Trokosi Camp") gebracht werden und dort dienen. Der Vater der Beschwerdeführerin habe gegen eine Regel verstoßen und die Strafe nicht zahlen können. Da nach dem Tod des Vaters der Beschwerdeführerin auch deren Mutter nicht imstande gewesen sei, die Zahlung zu leisten, sei die Beschwerdeführerin Anfang Dezember 1997 in das "Trokosi Camp" gebracht worden, wo sie ihr Leben lang hätte bleiben sollen. In dem Lager habe sie kein Gewand tragen dürfen, sondern nur einen Stoff um die Hüfte gebunden gehabt. Sie habe zusammen mit anderen Mädchen einem Mann dienen müssen, der behauptet habe, ein Medium für den "Fetisch" zu sein und für diesen zu sprechen. Die Beschwerdeführerin sei von diesem Mann entjungfert und mit einem stockähnlichen Gegenstand geschlagen worden, wenn sie mit ihm nicht habe ins Bett gehen wollen. Auf Grund der Schläge sei sie in eine Feuerstelle gefallen, wovon sie eine Brandwunde am Oberschenkel davongetragen habe. Das "Trokosi-Lager" sei von einem Holzzaun umgeben gewesen und der Eingang von den Gehilfen des erwähnten Mannes, von denen die Beschwerdeführerin auch ins Lager gebracht worden sei, bewacht worden. Am Silvesterabend 1997 seien die Wachen betrunken gewesen, was es der Mutter der Beschwerdeführerin ermöglicht habe, sie aus dem Lager zu bringen. Die Beschwerdeführerin könne nicht angeben, warum ihre Mutter daran anschließend für ihre Ausreise gesorgt und sie nicht an einen anderen Ort in Ghana gebracht habe. Sich an staatliche Organe zu wenden, hätte nach den von ihrer Mutter in Gesprächen mit Freunden gewonnenen Erkenntnissen keinen Sinn gehabt, weil die "traditionellen Gesetze" in Ghana so stark seien, dass die Polizei nichts dagegen machen könne und diese Gesetze akzeptiere. Der bei der Einvernahme anwesende Vertreter der Beschwerdeführerin brachte dazu vor, in religiösen bzw. kultischen Angelegenheiten bestehe in Ghana keinerlei Schutz der Verfolgten durch den Staat.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag der Beschwerdeführerin mit Bescheid vom 17. Juli 1998 gemäß § 7 AsylG ab und sprach gemäß § 8 AsylG aus, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Ghana sei zulässig. Dabei stellte das Bundesasylamt einerseits fest, auf welche Weise die Beschwerdeführerin ihren diesbezüglich glaubwürdigen Angaben zufolge vom "Trokosi Camp" aus nach Österreich gelangt sei. Andererseits sprach es den Angaben der Beschwerdeführerin über deren Verbringung in ein Lager und ihre dortigen Erlebnisse die Glaubwürdigkeit ab.

In ihrer Berufung gegen diese Entscheidung trat die Beschwerdeführerin den Argumenten, auf die sich die Beweiswürdigung des Bundesasylamtes stützte, entgegen. Sie kritisierte u.a., dass sie unter Verstoß gegen § 27 Abs. 3 AsylG nicht von einer Organwalterin desselben Geschlechts einvernommen worden sei, und beantragte unter Hinweis darauf, dass sie weitere Einzelheiten des Lebens im Lager schildern könne, ihre ergänzende Einvernahme. Außerdem verwies sie auf einen der Berufung beigelegten Bericht des US Department of State vom Jänner 1998 u. a. über die traditionellen "Trokosi-Praktiken" und die Unwahrscheinlichkeit ihrer erfolgreichen Bekämpfung durch die bloße Erlassung von Gesetzen. Zur Frage einer inländischen Fluchtalternative brachte sie vor, der "Trokosi-Kult" konzentriere sich zwar auf bestimmte Regionen Ghanas, sein Einfluss erstrecke sich aber auf das ganze Land, zumal Mitglieder des Kultes im Parlament, in der Regierung und bei den Sicherheitsorganen tätig seien. Die Praxis der Behörden, sich in diese Angelegenheiten nicht einzumischen, sei im ganzen Land verbreitet. Dem erwähnten Bericht zufolge würden mindestens 4.000 Frauen und Mädchen vom "Trokosi-Kult" in Sklaverei gehalten. Im Falle einer Rückkehr nach Ghana laufe die Beschwerdeführerin als minderjährige Frau Gefahr, erneut in die Abhängigkeit des "Trokosi-Kultes" zu kommen und unmenschlicher Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. erneut erheblich misshandelt zu werden, wobei ihre persönlichen Rechte, darunter ihr Recht auf sexuelle Selbstbestimmung, in schwerstem Maß missachtet werden würden.

Die belangte Behörde hielt der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 30. September 1998 den Inhalt einer vom UNHCR-Regionalbüro Wien zum vorliegenden Fall erstatteten (in den dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten nicht enthaltenen) Mitteilung vor. Danach sei die "Trokosi-Tradition" ungeachtet des in der Verfassung verankerten Verbots der Sklaverei im Südosten Ghanas erhalten geblieben. Die "Behörden Ghanas" seien "bemüht", in Zusammenarbeit mit näher genannten Hilfsorganisationen dagegen vorzugehen. Im Jänner 1998 sei auch ein Gesetzesentwurf vorgelegt worden, der Strafen für der "Trokosi-Tradition" entsprechende Aktivitäten vorsehe. Davon abgesehen sei aber "nicht bekannt, ob seitens der Behörden gegen die Praxis der Trokosi vorgegangen wird". Allerdings stünden die Hilfsorganisationen "mit verschiedenen Trokosi-Schreinen in Verhandlung" über Freilassungen gefangener Mädchen und Frauen, wobei auch schon Erfolge erzielt worden seien. Mädchen und Frauen, denen die Flucht aus der "Trokosi-Gemeinschaft" gelungen sei, würden in Zentren aufgenommen und in weiterer Folge betreut, was etwa auch die Tragung der Kosten des nachträglichen Schulbesuches von "Trokosi-Kindern" einschließe.

In ihrer Stellungnahme dazu brachte die Beschwerdeführerin u. a. vor, die Exekutive schreite nach wie vor nicht gegen die "Trokosi-Praktiken" ein. Die Aktivitäten der Hilfsorganisationen seien, ebenso wie der erwähnte Gesetzesentwurf, ein positiver Schritt. Solange der Einfluss der Kult-Mitglieder auf die Exektuive bestehe, seien aber alle Freilassungen von Frauen vom Einverständnis des Kultes abhängig. Die Beschwerdeführerin würde in Ghana Gefahr laufen, "jederzeit von Kult-Mitgliedern erneut verschleppt zu werden". Darüber hinaus verweise sie darauf, dass sie die Erlebnisse, die zu ihrer Flucht geführt hätten, noch keineswegs verarbeitet habe, wie aus der beiliegenden "Ergänzung" einer psychotherapeutischen Stellungnahme hervorgehe.

In der erwähnten, mit der Stellungnahme vorgelegten "Ergänzung" vom 13. Oktober 1998 (zu einer im Verwaltungsverfahren offenbar nicht vorgelegten, der Beschwerde angeschlossenen psychotherapeutischen Stellungnahme vom 27. August 1998) wurde von Ingrid E., Psychotherapeutin der Gesundheitsstelle des Vereins Z., ausgeführt, die Beschwerdeführerin stehe seit März 1998 in Behandlung. Es sei eine "ausgeprägte" PTSD (Post Traumatic Stress Disorder) festgestellt worden. Die Überwindung des Traumas mache Fortschritte, erfordere aber stabile Lebensbedingungen. Im Falle einer vorzeitigen Rückkehr sei eine Retraumatisierung zu befürchten.

Die belangte Behörde wies mit dem angefochtenen, ohne mündliche Berufungsverhandlung erlassenen Bescheid die Berufung der Beschwerdeführerin gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Ghana sei zulässig. In der Begründung dieser Entscheidung stellte die belangte Behörde das - einleitend als "nicht objektivierbar" bezeichnete, der Entscheidung aber zugrunde gelegte - Gesamtvorbringen der Beschwerdeführerin und die Ergebnisse der ergänzenden Erhebungen im Berufungsverfahren dar, wobei unter anderem wiedergegeben wurde, es sei "nicht bekannt, ob seitens der Behörden gegen die Praxis der Trokosi vorgegangen" werde.

Davon ausgehend vertrat die belangte Behörde zum Asylantrag der Beschwerdeführerin in einer Reihe jeweils Sach- und Rechtsfragen gemeinsam behandelnder "Anmerkungen" zunächst die Auffassung, das Erhebungsergebnis, wonach die "Trokosi-Tradition" im Südosten Ghanas erhalten geblieben sei, bedeute, dass es "daher Opfern dieses Kultes grundsätzlich möglich" sei, "in anderen Landesteilen erfolgreich Zuflucht zu nehmen, sodass von einer inländischen Fluchtalternative auszugehen" sei. Im übrigen behaupte die Beschwerdeführerin zwar, dass die ihr drohenden, von Privatpersonen ausgehenden Übergriffe "vom Staat gebilligt" würden, was eine Voraussetzung der Asylgewährung sei. Die Frage der "Schutzfähigkeit bzw. Schutzwilligkeit" des Herkunftsstaates stelle sich aber nicht, weil die behauptete Verfolgungsgefahr nicht auf einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe beruhe. Hiefür reiche es nicht aus, wenn Verfolgungshandlungen "ausschließlich ... durch die religiöse Überzeugung des Täters geleitet" seien. Derartige - wenngleich religiös motivierte - Übergriffe seien "nicht anders zu beurteilen, als solche gewöhnlicher Krimineller bzw. krimineller Organisationen", weshalb etwa auch Sklaverei oder Kinderarbeit, soweit sie nicht auf asylrelevanten Eigenschaften der Opfer beruhten, kein Asylgrund seien. Dass die Opfer der "Trokosi-Tradition" nach asylrelevanten Kriterien ausgewählt würden, sei weder aus den vorliegenden Berichten zu entnehmen noch von der Beschwerdeführerin behauptet worden und insoweit, als für die Auswahl "ausschließlich ihr Geschlecht und ihr Alter, also nicht asylrelevante Kriterien, ausschlaggebend" seien, nicht der Fall. "Nur der Vollständigkeit halber" sei noch anzumerken, dass die Regierung Ghanas und verschiedene nichtstaatliche Organisationen bemüht seien, den "Trokosi-Kult" zurückzudrängen. Es sei aber auch hervorzuheben, dass es nur auf die spezifische Situation der Beschwerdeführerin ankomme. Dieser sei es schon gelungen, den Schrein zu verlassen, sodass ihr die Möglichkeit offen gestanden sei, sich an eine der Hilfsorganisationen zu wenden. Es gebe weder Anhaltspunkte dafür noch habe die Beschwerdeführerin selbst behauptet, dass geflüchtete Frauen von "Trokosi-Mitgliedern" in ganz Ghana gesucht und gewaltsam wieder in die Schreine zurückverbracht würden.

In der Begründung des Ausspruches gemäß § 8 AsylG verwies die belangte Behörde zunächst auf die schon dargelegte Möglichkeit der "Übersiedlung in einen anderen Landesteil". Des weiteren fänden sich - gemeint offenbar: entgegen dem hier nicht mehr erwähnten Vorbringen der Beschwerdeführerin - "keine Anhaltspunkte dafür", dass die behauptete Bedrohung vom Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin "zumindest gebilligt" würde. Es lägen "auch keine Anhaltspunkte" dafür vor, dass der Herkunftsstaat "generell infolge Fehlens einer funktionierenden Staatsgewalt" nicht in der Lage wäre, Schutz zu gewähren. "Insbesondere" sei auf die dargelegten Ermittlungsergebnisse zu den Bemühungen der Regierung und der mit ihr zusammenarbeitenden Organisationen zu verweisen. Der Beschwerdeführerin werde es "möglich und zumutbar" sein, die angebotenen Hilfsmaßnahmen in Anspruch zu nehmen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die belangte Behörde hat Verfahrensvorschriften verletzt, indem sie keine mündliche Berufungsverhandlung durchführte, ihre "Anmerkungen" zum Teil - etwa in der Frage einer inländischen Fluchtalternative - nicht auf ausreichende Feststellungen stützte und wesentliche Teile des Vorbringens überhaupt nicht in Behandlung nahm. Letzteres gilt schon im Zusammenhang mit der inländischen Fluchtalternative, insoweit die Beschwerdeführerin - nicht nur in Bezug auf ihren Heimatort oder eine bestimmte Gegend Ghanas, und unter Hinweis auf eine Tätigkeit von Kult-Mitgliedern u. a. bei den Sicherheitsbehörden - behauptet hat, sie liefe "in Ghana" Gefahr, den Anhängern des Kultes wieder in die Hände zu fallen. In der damit zum Teil zusammenhängenden Frage ausreichenden staatlichen Schutzes wird im angefochtenen Bescheid zunächst das Fehlen dieses Schutzes auf Grund der von der Beschwerdeführerin ins Treffen geführten staatlichen Billigung der Verfolgung argumentativ unterstellt. Zur Begründung des Ausspruches gemäß § 8 AsylG wird dann aber - ohne Erwähnung des zuvor als gegenteilig bezeichneten Vorbingens - "angemerkt", es fänden sich "keine Anhaltspunkte dafür", dass die behauptete Bedrohung vom Staat "zumindest gebilligt" würde. Auf die geltend gemachte Traumatisierung und Notwendigkeit einer (weiteren) Behandlung wird weder im Zusammenhang mit der Zumutbarkeit einer inländischen Fluchtalternative noch in der Begründung des Ausspruches über die Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen eingegangen.

In Bezug auf die Voraussetzungen ausreichenden Schutzes durch den Herkunftsstaat hat die belangte Behörde - in beiden Teilen ihrer Entscheidung - auch die Rechtslage verkannt. Hiezu kann gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 99/20/0509, verwiesen werden.

Diese Rechtswidrigkeit und die zuvor erwähnten Verstöße gegen Verfahrensvorschriften könnten in Bezug auf die Entscheidung gemäß § 7 AsylG - im Gegensatz zum Ausspruch gemäß § 8 AsylG - im Ergebnis bedeutungslos sein, wenn der belangten Behörde in ihrer Ansicht, die geltend gemachte Bedrohung sei keinem der in der Flüchtlingskonvention genannten Gründe zuordenbar und die Beschwerdeführerin stelle sich, wie es im angefochtenen Bescheid an einer Stelle heißt, "als gewöhnliches Verbrechensopfer dar", beizupflichten wäre. In der zuletzt genannten Hinsicht ist zunächst die in verschiedenen Berichten, zum Teil unter Bezugnahme auf Äußerungen aus dem Umfeld staatlicher Funktionsträger, hervorgehobene Akzeptanz des "Trokosi-Systems" in Teilen der ghanesischen Gesellschaft zu erwähnen, die zu einer eingehenden Auseinandersetzung mit Argumenten zu seiner Rechtfertigung u. a. unter dem Gesichtpunkt der Religionsfreiheit geführt hat (vgl. Jonathan C. Goltzman, New England Journal of International and Comparative Law, Vol. 4 (1998), 53 ff, mit abschließendem Hinweis auf eine Gerichtsentscheidung in den USA, durch die einer Betroffenen des "Trokosi-Systems" Asyl gewährt wurde). Ausgehend von der auch nach dem Ergebnis dieser Überlegungen zutreffenden Annahme des Verfolgungscharakters der in Rede stehenden Praktiken zeigen sich in Bezug auf den in Betracht kommenden Konventionsgrund - wie im Übrigen auch bezüglich der Fragen des staatlichen Schutzes und inländischer Fluchtalternativen - Gemeinsamkeiten mit dem asylrechtlichen Problemkreis der Zwangsbeschneidungen an jungen Frauen. Beim "Trokosi-System" scheint aber hinzuzukommen, dass die betroffenen jungen Frauen für die - oft schon Generationen zurückliegenden - Verfehlungen eines Vorfahren zur Rechenschaft gezogen werden, womit es sich insgesamt um einen mit Aspekten der Verfolgungsgefahr aus Gründen des Geschlechts und allenfalls weiterer gruppenbestimmender Merkmale wie Erstgeburt oder Jungfräulichkeit vermischten Sonderfall der Sippenhaftung handeln würde (vgl. zur Sippenhaftung im herkömmlichen Sinn die Erkenntnisse vom 19. Dezember 2001, Zl. 98/20/0312 und Zl. 98/20/0330). Unter dem in der Flüchtlingskonvention u.a. vorgegebenen Gesichtspunkt einer Verfolgung aus Gründen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten "sozialen Gruppe" lässt sich die Asylrelevanz einer solchen Bedrohung, im Gegensatz zu den Ausführungen der belangten Behörde, nicht von vornherein verneinen.

Der belangten Behörde ist aber darin beizupflichten, dass es auf die konkrete Situation des Asylwerbers ankommt. In dieser Hinsicht wird im fortgesetzten Verfahren, abgesehen von der Frage des nunmehrigen Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin, für den Fall der Glaubwürdigkeit ihrer behaupteten Fluchtgründe vor allem zu prüfen sein, ob sich die nicht näher erläuterte Annahme der belangten Behörde, es gebe keine Anhaltspunkte für die Gefahr einer zwangsweise Zurückverbringung aus den Trokosi-Schreinen geflüchteter Frauen, auf verfahrensrechtlich einwandfreie Weise erhärten lässt.

Da die belangte Behörde nicht nur Verfahrensvorschriften verletzt, sondern in Bezug auf einzelne der zu beurteilenden Fragen auch die Rechtslage verkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Von der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof war gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abzusehen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 26. Februar 2002

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