VwGH 98/18/0245

VwGH98/18/02455.4.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde der V in I, geboren 1951, vertreten durch Dr. Paul Delazer, Rechtsanwalt in 6010 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 14. Juli 1998, Zl. III 153-8/98, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1997 §35;
FrG 1997 §36 Abs1 Z1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrG 1997 §36;
FrG 1997 §37 Abs1;
FrG 1997 §37 Abs2;
FrG 1997 §38 Abs1 Z3;
FrG 1997 §48 Abs1;
LPolG Tir 1976 §1 Abs1;
LPolG Tir 1976 §4 Abs1;
EMRK Art8 Abs2;
StGB §125;
StGB §297 Abs1;
FrG 1997 §35;
FrG 1997 §36 Abs1 Z1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrG 1997 §36;
FrG 1997 §37 Abs1;
FrG 1997 §37 Abs2;
FrG 1997 §38 Abs1 Z3;
FrG 1997 §48 Abs1;
LPolG Tir 1976 §1 Abs1;
LPolG Tir 1976 §4 Abs1;
EMRK Art8 Abs2;
StGB §125;
StGB §297 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.089,68 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol (der belangten Behörde) vom 14. Juli 1998 wurde gegen die Beschwerdeführerin, eine jugoslawische Staatsbürgerin, gemäß § 36 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 2 Z 1 sowie den §§ 37 bis 39 und 48 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von fünf Jahren erlassen.

Die Beschwerdeführerin sei (während der Zeit ihres ersten Aufenthaltes in Österreich von 1974 bis 1988) mit rechtskräftiger Strafverfügung der Bundespolizeidirektion Innsbruck vom 18. Juli 1988 wegen der Verwaltungsübertretung nach Art. IX Abs. 1 Z 2 EGVG und Art. IX Abs. 1 Z 1 EGVG mit einer Geldstrafe von je S 1.000,-- belegt worden, weil sie sich am 15. Juli 1988 gegenüber Sicherheitswachebeamten trotz vorangegangener Abmahnung ungestüm benommen und durch diese Vorgangsweise und durch Randalieren in einem Lokal die Ordnung an einem öffentlichen Ort gestört habe. Sie sei später (während der Zeit ihres zweiten Aufenthaltes in Österreich ab Oktober 1990) vom Bezirksgericht Innsbruck mit rechtskräftiger Strafverfügung vom 3. Februar 1993 wegen des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB mit einer bedingt nachgesehenen Geldstrafe von 90 Tagessätzen belegt worden. Die Beschwerdeführerin habe am 2. Dezember 1992 in Innsbruck in einem näher bezeichneten Gasthaus die Glasscheibe der Eingangstüre (Schaden: S 2.565,60) sowie in einem weiteren Lokal die Scheibe der Eingangstüre und eine weitere Scheibe (Schaden: S 13.528,20) zerstört. Mit rechtskräftiger Strafverfügung der Bundespolizeidirektion Innsbruck vom 20. November 1995 sei die Beschwerdeführerin sodann wegen der Verwaltungsübertretung nach § 4 Abs. 1 iVm § 1 Abs. 1 Tiroler Landespolizeigesetz mit Geldstrafen von S 1.000,-- und S 1.300,-- belegt worden, weil sie am 13. November 1995 in einer Wohnung ungebührlicherweise störenden Lärm erregt habe und am 15. November 1995 in derselben Wohnung lautstark herumgeschrieen sowie mehrere Gläser und Teller auf den Boden geworfen habe. Zuletzt sei die Beschwerdeführerin mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 11. September 1997 (iVm dem Berufungsurteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 13. November 1997) wegen des Verbrechens der Verleumdung nach § 297 Abs. 1 StGB zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von neun Monaten, davon sechs Monate bedingt, verurteilt worden, weil sie den Rado I. am 14. Juli 1997 in Innsbruck dadurch der Gefahr einer behördlichen Verfolgung ausgesetzt habe, dass sie ihn einer von Amts wegen zu verfolgenden, mit Strafe bedrohten Handlung falsch verdächtigt habe. Die Beschwerdeführerin habe gegenüber Kriminalbeamten der Bundespolizeidirektion Innsbruck angegeben, ein "jugoslawischer Mann" habe sie in A. in einem Haus in der Nacht vom 13. auf den 14. Juli 1997 15-mal vergewaltigt. Die fälschlich angelastete Handlung sei mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht gewesen.

Das Gesamtfehlverhalten der Beschwerdeführerin zeige, dass sie nicht gewillt sei, Rechtsvorschriften in der erforderlichen Weise zu achten und ihr Verhalten den Gesetzen anzupassen, woraus sich ergebe, dass ihr Aufenthalt im Bundesgebiet eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstelle. Die rechtskräftige Verurteilung durch das Landesgericht Innsbruck vom 11. September 1997 erfülle den Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z 1 zweiter Fall FrG. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen die Beschwerdeführerin sei gemäß § 37 FrG zulässig. Zwar greife das Aufenthaltsverbot schwer in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin ein. Dieser Eingriff sei jedoch zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele der Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen und zum Schutz der Rechte anderer dringend geboten. Die Beschwerdeführerin habe sich von 1974 bis 1988 und dann wieder seit 1990 erlaubt im Bundesgebiet aufgehalten. Es bestehe eine dementsprechend gute Integration und intensive private Bindung. Die Beschwerdeführerin sei seit 1997 Pensionistin und erhalte eine monatliche Pension von ca. S 6.000,-- . Die Beschwerdeführerin habe mit dem Österreicher Gottfried P. bereits von 1982 bis 1988 im Bundesgebiet zusammengelebt und diesen 1990 in Innsbruck geheiratet. Sie lebe in Innsbruck mit ihrem Ehegatten in einem gemeinsamen Haushalt. Die belangte Behörde gehe nicht davon aus, dass der Ehemann der Beschwerdeführerin ohne deren Pflege hilflos sei. Die behaupteten Depressionen des Ehegatten indizierten nicht dessen Pflegebedürftigkeit. Die Verwaltungsbehörden könnten sich bei der Vollziehung der Gesetze nicht davon leiten lassen, dass ein Angehöriger des Betroffenen wegen der ergriffenen behördlichen Maßnahmen eventuell Selbstmord begehen könnte. Von der Einholung eines psychiatrischen Gutachtens über den Gesundheitszustand des Ehegatten der Beschwerdeführerin werde daher abgesehen.

Das Gewicht der privaten und familiären Interessen der Beschwerdeführerin werde durch die aus deren Straftaten abzuleitende negative Einstellung gegenüber der Rechtsordnung erheblich beeinträchtigt. Sie wögen im Hinblick auf ihre Neigung zu (schweren) Straftaten höchstens gleich schwer wie die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes, weshalb es auch im Grund des § 37 Abs. 2 FrG zulässig sei.

Ein Aufenthaltsverbot-Verbotsgrund gemäß § 38 FrG liege nicht vor, weil die Beschwerdeführerin nicht "von klein auf" in Österreich aufgewachsen sei. Vor Verwirklichung des für das Aufenthaltsverbot maßgeblichen Sachverhaltes (das heiße, vor dem schweren Fehlverhalten im Jahre 1997) hätte ihr auch die Staatsbürgerschaft nicht verliehen werden können, weil sie im maßgeblichen Zeitpunkt nicht zehn Jahre ununterbrochen ihren Hauptwohnsitz in Österreich gehabt habe.

Die Dauer des Aufenthaltsverbotes entspreche § 39 Abs. 1 FrG. Bis zum Wegfall des Grundes für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei das Verstreichen von fünf Jahren von Nöten.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und nahm von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Die Beschwerde bekämpft den angefochtene Bescheid (u.a.) im Grund des § 37 FrG. Eine Sachbeschädigung im Jahr 1992 und eine Verleumdung im Jahr 1997 seien keine so schweren Straftaten, dass ein dermaßen massiver Eingriff in die Lebenssituation der Beschwerdeführerin und ihres Ehegatten gerechtfertigt wäre.

1.2. Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.

Für die Interessenabwägung gemäß § 37 Abs. 1 und 2 FrG berücksichtigte die belangte Behörde zwar nicht nur, dass die Beschwerdeführerin mit ihrem Ehegatten (und früheren Lebensgefährten) seit 1990 in Innsbruck in einem gemeinsamen Haushalt lebt, sondern nahm sowohl auf den letzten ununterbrochenen (und rechtmäßigen) inländischen Aufenthalt der Beschwerdeführerin ab dem Jahr 1990 als auch auf ihren vorhergehenden (rechtmäßigen) Aufenthalt von 1974 bis 1988 Bedacht. Sie maß der aus diesen Umständen resultierenden Integration der Beschwerdeführerin aber nicht den gebührenden Stellenwert bei. Anders als bei der Aufenthaltsverfestigung iS des § 35 FrG und bei dem Aufenthaltsverbot-Verbotsgrund iS des § 38 Abs. 1 Z 3 iVm § 10 Abs. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz (vgl. dazu das Erkenntnis vom 14. November 2000, Zl. 98/18/0166; zum Zeitpunkt "vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhalts" vgl. das Erkenntnis vom 17. September 1998, Zl. 98/18/0170) sind bei der Einschätzung der privaten und familiären Interessen der Beschwerdeführerin an einem Verbleib im Bundesgebiet iS des § 37 Abs. 2 FrG auch frühere (unterbrochene) Aufenthaltsperioden und solche nach dem "maßgeblichen Zeitpunkt" zu berücksichtigen. Zwar hat der Verwaltungsgerichtshof in einem Fall, in dem ein für eineinhalb Jahre unterbrochener Aufenthalt erst unmittelbar vor der Erlassung des Aufenthaltsverbots fortgesetzt worden war, ausgesprochen, dass daraus ein deutlich geringeres Integrationsausmaß abzuleiten ist als aus einem durchgehenden Aufenthalt (Erkenntnis vom 14. März 2000, Zl. 99/18/0451). Im vorliegenden Fall liegt die Unterbrechung von ca. zwei Jahren von 1988 bis 1990 aber schon etwa acht Jahre zurück und der davor liegende Aufenthalt, in dem die Beschwerdeführerin mit ihrem jetzigen Ehegatten von 1982 bis 1988 bereits in Lebensgemeinschaft lebte, umfasst eine Zeitspanne von vierzehn Jahren (1974 bis 1988). Auch wenn die Dauer der Unterbrechung keineswegs kurzfristig war, sodass die Niederlassung der Beschwerdeführerin in Österreich 1988 beendet wurde und die Wiedereinreise im Jahr 1990 einem Neuzuzug gleichzuhalten ist (vgl. die Erkenntnisse vom 23. März 1999, Zl. 98/19/0195, und vom 11. Oktober 2001, Zl. 2001/18/0172), erhalten die maßgeblichen Interessen der Beschwerdeführerin im vorliegenden Fall durch den insgesamt etwa zweiundzwanzigjährigen Aufenthalt und durch ihre langjährige Bindung zu ihrem Ehegatten sehr großes Gewicht.

Bei der Beurteilung der Gefährlichkeit, die von der Beschwerdeführerin in Bezug auf die durch Art. 8 Abs. 2 EMRK iVm § 37 Abs. 1 und 2 FrG geschützten Rechtsgüter ausgeht, ist auf die Art und Schwere der den Verurteilungen und den Bestrafungen der Beschwerdeführerin zu Grunde liegenden Straftaten und auf ihr sich daraus ergebendes Persönlichkeitsbild abzustellen. Klammert man die vor der letzten Niederlassungsperiode ab 1990 liegenden Verwaltungsübertretungen aus dem Jahr 1988 aus, so hat die Beschwerdeführerin durch die Sachbeschädigung iS des § 125 StGB am 2. Dezember 1992 einen Gesamtschaden von zumindest S 16.000,-- herbeigeführt. Etwa drei Jahre später hat sie am 12. und 13. November 1995 in einer Innsbrucker Wohnung lautstark herumgeschrieen und randaliert und dadurch Personen in ihrer Nachtruhe empfindlich gestört bzw. ungebührlicherweise störenden Lärm erregt. Zuletzt hat sich die Beschwerdeführerin - wie sich aus dem im Verwaltungsakt einliegenden erstinstanzlichen Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 11. September 1997 ergibt - in der Nacht vom 13. auf den 14. Juli 1997 in alkoholisiertem Zustand in einem Lokal den dort anwesenden Männern zum Geschlechtsverkehr angeboten und diesen mit Rado I. auf freiwilliger Basis in dessen Wohnung auch vollzogen. Am nächsten Morgen kamen der - immer noch alkoholisierten - Beschwerdeführerin jedoch Bedenken, wie sie das Ausbleiben in der vorangegangenen Nacht gegenüber ihrem Mann rechtfertigten sollte. Im Zuge dessen entschloss sie sich, bei der Polizei Anzeige wegen Vergewaltigung zu erstatten. Bei ihrer Einvernahme gab sie an, "dass ein unbekannter jugoslawischer Mann ... sie dort 15-mal die ganze Nacht über vergewaltigt und gequält hätte." Durch diese wahrheitswidrigen Anschuldigungen setzte die Beschwerdeführerin den Rado I. wissentlich der konkreten und unmittelbaren Gefahr einer strafbehördlichen Verfolgung aus.

Dieses aufgezeigte Gesamtfehlverhalten der Beschwerdeführerin lässt zwar iS des § 37 Abs. 1 FrG die aufenthaltsbeendende Maßnahme wegen Gefährdung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Rechtsgüter als dringend geboten erscheinen, deren Auswirkungen auf die Lebenssituation der Beschwerdeführerin würden jedoch in Anbetracht des oben dargestellten Ausmaßes ihrer Integration schwerer als die Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes wiegen, sodass es im Grund des § 37 Abs. 2 FrG nicht zulässig ist.

2. Der angefochtene Bescheid war daher - ohne auf das weitere Beschwerdevorbringen eingehen zu müssen - gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

3. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG iVm § 3 Abs. 2 Z 2 Eurogesetz, BGBl. I Nr. 72/2000, und der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.

Wien, am 5. April 2002

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte