VwGH 96/14/0125

VwGH96/14/012524.9.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und den Senatspräsidenten Dr. Karger sowie die Hofräte Mag. Heinzl, Dr. Zorn und Dr. Robl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. iur. Mag. (FH) Schärf, über die Beschwerde der U B in T, vertreten durch Dr. Gerhard Wagner, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Spittelwiese 6, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Oberösterreich vom 15. Juli 1996, Zl 143/3-8/Nw-1996, betreffend erhöhte Familienbeihilfe, zu Recht erkannt:

Normen

FamLAG 1967 §8 Abs4;
VwRallg;
FamLAG 1967 §8 Abs4;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird in seinem Abspruch für den Zeitraum Juni 1992 bis Dezember 1993 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, im Übrigen wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen von 936,34 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Antrag vom 12. Oktober 1995 begehrte die Beschwerdeführerin rückwirkend ab Juni 1992 die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe für ihr am 23. Juni 1992 geborenes Kind. In der beigelegten ärztlichen Bescheinigung bestätigte die Landeskinderklinik Linz, das Kind habe "angeb. Klumpfuß bs", weswegen es ständig orthopädische Schuhe tragen müsse. Auf Grund dieses Gebrechens betrage der Grad der Behinderung des Kindes 30 %.

Auf Vorhalt des Finanzamtes teilte die Beschwerdeführerin ua mit, ihr Kind sei wegen seiner Klumpfüße am 14. Mai 1995 in der Landeskinderklinik Linz operiert worden, wobei seine Füße im Anschluss an diese Operation sechs Wochen eingegipst gewesen seien. Das linke Knie ihres Kindes sei ebenfalls seit seiner Geburt geschädigt.

Das Finanzamt wies den Antrag bescheidmäßig mit der Begründung ab, wenn nicht nur eine vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen Bereich vorliege, bestehe nach § 8 Abs 5 FLAG Anspruch auf erhöhte Familienbeihilfe. Der Grad der Behinderung müsse jedoch mindestens 50 % betragen. Da das Kind jedoch nach der ärztlichen Bescheinigung der Landeskinderklinik Linz nur zu 30 % behindert sei, könne die erhöhte Familienbeihilfe nicht gewährt werden.

Mit Berufung wandte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen ein, die Behinderung ihres Kindes betrage ungeachtet der ärztlichen Bescheinigung der Landeskinderklinik Linz mehr als 30 %. Ihr Kind leide nicht nur an "Klumpfüßen beidseits", sondern auch an einer Neurodermitis und sei überdies wegen einer Osteomyelitis am linken Oberschenkelknochen in Behandlung gewesen. Nach den anzuwendenden Beurteilungsmaßstäben zur Einschätzung des Grades der Behinderung (§§ 7 und 9 Abs 1 KOVG und der hiezu ergangenen Verordnung des BMS) betrage der Grad der Behinderung ihres generell in seiner Bewegung eingeschränkten Kindes, das auch keinen Sport ausüben könne, 50 %, weswegen die erhöhte Familienbeihilfe zu gewähren sei. Auf Grund der am 14. Mai 1995 durchgeführten Operation habe sich der Zustand ihres Kindes jedoch gebessert. Es sei daher davon auszugehen, dass ihr Kind vor der Operation mehr behindert gewesen sei.

Unter Hinweis auf § 8 Abs 6 FLAG ersuchte die belangte Behörde das Bundessozialamt Oberösterreich um Erstellung eines Gutachtens über den Grad der Behinderung des Kindes der Beschwerdeführerin, wobei insbesondere auf Grund des bisherigen Vorbringens der Beschwerdeführerin bekannt zu geben sei, ob die Behinderung des Kindes ab Geburt mindestens 50 % betragen habe bzw in welchen Zeiträumen eine derartige Behinderung vorgelegen sei.

Auf Ersuchen des Bundessozialamtes Oberösterreich erstellte ein Facharzt für Orthopädie am 19. April 1996 ein Gutachten über den Grad der Behinderung des Kindes, wobei er im Wesentlichen ausführte, die Osteomyelitis im linken Knie sei derzeit zwar radiologisch nachweisbar, jedoch nicht aktiv, so genannte "Standby-Osteomyelitis" (Richtsatzposition 198). Entscheidend für den Grad der Behinderung sei jedoch die "Klumpfußbildung einseitig" (Richtsatzposition 151). Der Gesamtgrad der Behinderung betrage 40 %. Der leitende Arzt des Bundessozialamtes Oberösterreich vertrat in seiner Stellungnahme unter Berücksichtigung der Ausführungen im Gutachten des Facharztes für Orthopädie die Ansicht, von der Geburt bis zum Zeitpunkt der Operation des Kindes habe der Grad der Behinderung wegen der bis dahin aktiven Osteomyelitis 50 % betragen.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ab, wobei sie zur Begründung zunächst § 8 Abs 5 und 6 FLAG in der durch BGBl Nr 531/1993 geänderten, mit 1. Jänner 1994 in Kraft getretenen Fassung wiedergab und sodann auf den Inhalt des Gutachtens des Facharztes für Orthopädie, das sie der Beschwerdeführerin gleichzeitig mit dem angefochtenen Bescheid zustellte, verwies. Die belangte Behörde führte weiter aus, der leitende Arzt des Bundessozialamtes Oberösterreich habe den Grad der Behinderung von der Geburt bis zum Zeitpunkt der Operation des Kindes wegen der aktiven Osteomyelitis mit 50 % angenommen. Das am 23. Juni 1992 geborene Kind sei wegen seiner Klumpfüße am 14. Mai 1995 in der Landeskinderklinik Linz operiert worden. Selbst wenn iSd der Stellungnahme des leitenden Arztes des Bundessozialamtes Oberösterreich eine Behinderung von 50 % seit der Geburt des Kindes bestanden hätte, habe diese Behinderung nicht durch drei Jahre hindurch bestanden. Da die Behinderung nach der Operation jedenfalls nur mehr 40 % betragen habe, gelte das Kind nach § 8 Abs 5 FLAG nicht als erheblich behindert.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die im Beschwerdefall anzuwendenden Bestimmungen des § 8 Abs 5 und 6 FLAG wurden mit BGBl Nr 531/1993 ab 1. Jänner 1994 geändert.

§ 8 Abs 5 FLAG in der Fassung vor BGBl Nr 531/1993 hat folgenden Wortlaut:

"(5) Als erheblich behindert gelten Kinder,

a) deren körperliche oder geistige Entwicklung infolge eines Leidens oder Gebrechens so beeinträchtigt ist, dass sie im vorschulpflichtigen Alter voraussichtlich dauernd einer besonderen Pflege oder eines besonderen Unterhaltsaufwandes bedürfen,

b) deren Schulbildung im schulpflichtigen Alter infolge eines Leidens oder Gebrechens voraussichtlich dauernd und wesentlich beeinträchtigt ist oder die überhaupt schulunfähig sind,

c) deren Berufsausbildung infolge eines Leidens oder Gebrechens voraussichtlich dauernd und wesentlich beeinträchtigt ist,

d) die infolge eines Leidens oder Gebrechens voraussichtlich dauernd nicht fähig sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen."

§ 8 Abs 5 FLAG in der durch BGBl Nr 531/1993 geänderten Fassung hat folgenden Wortlaut:

"(5) Als erheblich behindert gilt ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 %. betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind die Vorschriften der §§ 7 und 9 Abs 1 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957, BGBl Nr 152 in der jeweils geltenden Fassung, und die diesbezügliche Verordnung des Bundesministeriums für soziale Verwaltung vom 9. Juni 1965, BGBl Nr 150 in der jeweils geltenden Fassung, anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen."

§ 8 Abs 6 FLAG in der Fassung vor BGBl Nr 531/1993 hat folgenden Wortlaut:

"(6) Die erhebliche Behinderung ist durch ein Zeugnis eines inländischen Amtsarztes nachzuweisen. Einem amtsärztlichen Zeugnis ist eine entsprechende Bestätigung einer inländischen Universitätsklinik oder einer inländischen Krankenanstalt sowie eine entsprechende Bestätigung des Schularztes gleichzusetzen."

§ 8 Abs 6 FLAG in der durch BGBl Nr 531/1993 geänderten Fassung hat folgenden Wortlaut:

"(6) Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist durch eine Bescheinigung eines inländischen Amtsarztes, einer inländischen Universitätsklinik, einer Fachabteilung einer inländischen Krankenanstalt oder eines Mobilen Beratungsdienstes der Landesinvalidenämter (mit Wirkung ab 1. Juli 1994 Bundessozialämter (vgl BGBl Nr 314/1994)) nachzuweisen. Kann auf Grund dieser Bescheinigung die erhöhte Familienbeihilfe nicht gewährt werden, hat das Finanzamt einen Bescheid zu erlassen. Zur Entscheidung über eine Berufung gegen diesen Bescheid hat die Finanzlandesdirektion ein Gutachten des nach dem Wohnsitz des Berufungswerbers zuständigen Landesinvalidenamtes (mit Wirkung ab 1. Juli 1994 Bundessozialamt) einzuholen. Benötigt das Landesinvalidenamt (mit Wirkung ab 1. Juli 1994 Bundessozialamt) hiefür ein weiteres Sachverständigengutachten, sind die diesbezüglichen Kosten aus Mitteln des Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen zu ersetzen."

Die belangte Behörde hat den nunmehr angefochtenen Bescheid ausschließlich auf § 8 Abs 5 und 6 FLAG in der durch BGBl Nr 531/1993 geänderten, gemäß § 50d leg cit mit 1. Jänner 1994 in Kraft getretenen Fassung gestützt. Die Beschwerdeführerin hat die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe jedoch nicht nur für Zeiträume ab Jänner 1994, sondern auch für den Zeitraum Juni 1992 bis Dezember 1993 begehrt. Ungeachtet des Zeitpunktes der Antragstellung am 12. Oktober 1995 ist für die zu treffende Entscheidung die jeweilige Rechtslage im Anspruchszeitraum maßgeblich (vgl das hg Erkenntnis vom 24. Oktober 2000, 95/14/0119, mwN).

Da die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe in Verkennung der Rechtslage lediglich unter Heranziehung der ab 1. Jänner 1994 geänderten Fassung des § 8 Abs 5 und 6 FLAG geprüft hat, war der angefochtene Bescheid hinsichtlich seines Abspruches für den Zeitraum Juni 1992 bis Dezember 1993 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Beschwerdeführerin behauptet, die Stellungnahme des leitenden Arztes des Bundessozialamtes Oberösterreich sei so zu verstehen, dass das Kind nicht nur bis zum Zeitpunkt der Operation, sondern auch noch sechs Wochen nach der Operation wegen der eingegipsten Füße zu 50 % behindert gewesen sei. Denn vor Abnahme des Gipses könne sich der Grad der Behinderung gar nicht auf 40 % vermindert haben. Da somit die erhebliche Behinderung mehr als drei Jahre bestanden habe, erweise sich der angefochtene Bescheid als rechtswidrig.

Der belangten Behörde standen als Beweismittel neben der ärztlichen Bescheinigung der Landeskinderklinik Linz, in der der Grad der Behinderung des Kindes mit 30 % angegeben war, das Gutachten des Facharztes für Orthopädie, in dem der Gesamtgrad der Behinderung mit 40 % ausgewiesen wurde und die Stellungnahme des leitenden Arztes des Bundessozialamtes Oberösterreich, in der der Grad der Behinderung von der Geburt bis zum Zeitpunkt der Operation des Kindes mit 50 % angegeben wurde, zur Verfügung. Nach der Aktenlage wurde der Inhalt des Gutachtens des Facharztes für Orthopädie der Beschwerdeführerin gleichzeitig mit der angefochtenen Entscheidung, der Inhalt der Stellungnahme des leitenden Arztes des Bundessozialamtes Oberösterreich gar nicht zur Kenntnis gebracht. Der Beschwerdeführerin ist somit iSd § 183 Abs 4 BAO vor Erlassung des angefochtenen Bescheides keine Gelegenheit gegeben worden, sich zum Ergebnis der Beweisaufnahme (zum Inhalt des Gutachtens des Facharztes für Orthopädie und der Stellungnahme des leitenden Arztes des Bundessozialamtes Oberösterreich) zu äußern. Die belangte Behörde hat somit Verfahrensvorschriften verletzt, die allerdings nur dann zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides führen, wenn der Verfahrensmangel einen Einfluss auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides haben könnte. Ein derartiger Verfahrensmangel liegt im Beschwerdefall vor. Abgesehen davon, dass der belangten Behörde insgesamt drei hinsichtlich des Ausmaßes der Behinderung des Kindes verschiedene Beweismittel (ärztliche Bescheinigung der Landeskinderklinik Linz mit 30 %, Gutachten des Facharztes für Orthopädie mit 40 %, Stellungnahme des leitenden Arztes des Bundessozialamtes mit 50 %) vorgelegen sind, war der Beschwerdeführerin weder das Gutachten des Facharztes für Orthopädie noch die Stellungnahme des leitenden Arztes des Bundessozialamtes vor Erlassung des angefochtenen Bescheides bekannt. Mit ihren Ausführungen zeigt die Beschwerdeführerin auf, welches in Kenntnis dieser beiden Beweismittel vor Erlassung des angefochtenen Bescheides ihrerseits erstattete Vorbringen geeignet gewesen sein könnte, einen im Ergebnis anderen Bescheid herbeizuführen. Die Beschwerdeführerin hat dargetan, was sie hinsichtlich des Zeitraumes von mehr als drei Jahren ausgeführt hätte, falls ihr die Stellungnahme des leitenden Arztes des Bundessozialamtes Oberösterreich zur Kenntnis gebracht worden wäre. Der Beschwerdefall ist daher hinsichtlich der Relevanz des der belangten Behörde unterlaufenen Verfahrensmangels nicht mit den Ausführungen in den hg Erkenntnissen vom 20. September 1995, 95/13/0134, und vom 31. März 1998, 96/13/0093, sondern mit den im hg Erkenntnis vom 8. August 1996, 96/14/0043, vergleichbar.

Wegen des der belangten Behörde unterlaufenen Verfahrensmangels, dessen Relevanz von der Beschwerdeführerin aufgezeigt wird, war der angefochtene Bescheid für den Zeitraum ab Jänner 1994 gemäß § 42 Abs 2 Z 3 lit c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde wird im fortzusetzenden Verfahren noch festzustellen haben, ob das Kind durch zwei Klumpfüsse oder durch einen Klumpfuß erheblich behindert gewesen ist. Die Beschwerdeführerin hat in der Berufung behauptet, ihr Kind leide an "Klumpfüssen beidseits". In der ärztlichen Bescheinigung der Landeskinderklinik Linz ist von "angeb. Klumpfuß bs", im Gutachten des Facharztes für Orthopädie ist von "Klumpfußbildung einseitig" die Rede, während in der Stellungnahme des leitenden Arztes des Bundessozialamtes das Wort "Klumpfuß" überhaupt nicht aufscheint. Bemerkt wird, dass mit der im Gutachten des Facharztes für Orthopädie angeführten Richtsatzposition 151 die Minderung der Erwerbsfähigkeit durch einen Klumpfuß festgelegt wird.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl II Nr 501/2001. Stempelgebührenersatz konnte nur für drei Beschwerdeausfertigungen und für eine Ausfertigung des angefochtenen Bescheides zuerkannt werden.

Wien, am 24. September 2002

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