VwGH 2000/18/0168

VwGH2000/18/01687.8.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Thoma als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Bazil, über die Beschwerde des H D in Steyr, geboren am 30. März 1970, vertreten durch Dr. Manfred Fuchsbichler, Rechtsanwalt in 4600 Wels, Traungasse 14/I, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 19. Mai 2000, Zl. St 233/99, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

ARB1/80 Art14 Abs1;
FrG 1997 §36;
ARB1/80 Art14 Abs1;
FrG 1997 §36;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 19. Mai 2000 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 iVm §§ 37 und 39 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchteil I.).

Mit demselben Bescheid wurde gemäß § 75 Abs. 1 FrG festgestellt, dass die "Abschiebung in die Türkei zulässig ist" (Spruchteil II.).

Den Spruchteil I. hat die belangte Behörde wie folgt begründet:

Der Beschwerdeführer halte sich seit 1989 in Österreich auf. Zuletzt sei ihm am 21. Mai 1996 eine unbefristete Aufenthaltsbewilligung erteilt worden.

Am 9. Oktober 1998 sei er wegen des Verbrechens der Unzucht mit unmündigen nach § 207 Abs. 1 StGB, des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs. 2 leg. cit. und des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung nach § 202 Abs. 1 leg. cit. zu einer (unbedingten) Freiheitsstrafe in der Dauer von dreieinhalb Jahren verurteilt worden. Dieses Urteil sei am 18. Mai 1999 rechtskräftig geworden.

Der Beschwerdeführer habe seine strafbaren Handlungen über einen Zeitraum von sieben Jahren begangen. Dabei habe er seinen Opfern zwangsweise die Duldung sexuell abartiger Handlungen abverlangt.

Die Verurteilung erfülle den Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG. Auf Grund der dieser Verurteilung zu Grunde liegenden Straftaten, die der Beschwerdeführer über einen Zeitraum von sieben Jahren begangen habe, sei die in § 36 Abs. 1 umschriebene Annahme gerechtfertigt.

Durch das Aufenthaltsverbot werde in beträchtlicher Weise in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers eingegriffen.

Er halte sich seit 1989 in Österreich auf und lebe in Haushaltsgemeinschaft mit der Gattin und den beiden Kindern. Er sei (bis zu seiner Verhaftung) regelmäßig einer Erwerbstätigkeit nachgegangen.

Demgegenüber zählten die Straftaten des Beschwerdeführers "wohl zu den verwerflichsten und verabscheuungswürdigsten Handlungen, die das Strafrecht unter Strafe stellt". Der Umstand, dass der Beschwerdeführer seine Straftaten zum Nachteil von Familienangehörigen (Nichten) begangen habe, könne dies keinesfalls rechtfertigen. Familienangehörige seien kein "Freiwild". Der Beschwerdeführer habe seine besonders verwerflichen Straftaten über einen sehr langen Zeitraum begangen, weshalb er auch zu einer hohen Freiheitsstrafe verurteilt worden sei. Für sein zukünftiges Verhalten könne keine positive Prognose gestellt werden. Das Aufenthaltsverbot sei auch unter Berücksichtigung der persönlichen Interessen des Beschwerdeführers zulässig im Grund des § 37 Abs. 1 und Abs. 2 FrG.

2. Nur gegen die mit Spruchteil I dieses Bescheides erfolgte Verhängung des Aufenthaltsverbotes richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren den angefochtenen Bescheid insoweit wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Auf Grundlage der unbestrittenen rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers zu einer Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren bestehen keine Bedenken gegen die Ansicht der belangten Behörde, der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG sei erfüllt.

2. Nach der bei den Verwaltungsakten erliegenden Urteilsausfertigung liegt der Verurteilung zu Grunde, dass er im Zeitraum von 1990 bis 22. März 1997 seine beiden am 12. März 1981 und am 11. April 1982 geborenen Nichten, ab 1996 auch eine weitere, am 27. März 1990 geborene Nichte, wöchentlich und manchmal sogar mehrmals wöchentlich sexuell missbraucht hat. Er hat dabei die Mädchen im Brust- und Scheidenbereich betastet und seinen Penis in deren Scheiden- und Analbereich so lange gerieben, bis es zum Samenerguss kam. Wenn sich die Mädchen gegen die Übergriffe wehrten oder mit der Verständigung ihrer Eltern drohten, versetzte er ihnen Schläge und Ohrfeigen, zwickte und schüttelte sie. Aus Angst vor weiteren Züchtigungen ließen sich die Mädchen weitere sexuelle Übergriffe der genannten Art gefallen. Überdies wurde er mit diesem Urteil auch des Verbrechens der schweren Nötigung für schuldig erkannt, weil er ab Ende 1992 das älteste Mädchen mehrmals durch die sinngemäße Äußerung, er werde sie umbringen, sie "würde nicht mehr auf der Welt sein", wenn sie ihren Eltern etwas erzähle, somit durch gefährliche Drohung mit dem Tod zur Unterlassung der Verständigung ihrer Eltern von den sexuellen Übergriffen des Beschwerdeführers genötigt.

Die große Gefährlichkeit des Beschwerdeführers zeigt sich darin, dass er seine sexuellen Handlungen an den zum überwiegenden Teil unmündigen Mädchen über einen Zeitraum von sieben Jahren wöchentlich und teilweise mehrmals wöchentlich, insgesamt somit mehrere hundert Male, wiederholt hat, wobei er auch von der Anwendung bzw. Androhung von Gewalt nicht zurückschreckte.

Der Beschwerdeführer macht geltend, dass er bei diesen Tathandlungen teilweise noch nicht 21 Jahre alt und keine ausgereifte Persönlichkeit gewesen sei. Seine Berufstätigkeit - die er nach Haftentlassung fortsetzen könne - und der Halt in der Familie würden ihn vor weiteren Straftaten bewahren. Überdies habe er sich seit März 1997 wohlverhalten.

Dem ist zu entgegnen, dass der Beschwerdeführer zwar am Beginn seiner Straftaten erst 20 Jahre alt war, diese Taten aber bis zum Alter von 27 Jahren fortgesetzt hat. Die Beziehung seiner Familie und seine Beschäftigung haben ihn auch während des langen Deliktszeitraumes nicht von den Straftaten abhalten können. Im Hinblick auf den langen Tatzeitraum und die besonders häufige Wiederholung seiner sexuellen Übergriffe auf die minderjährigen Nichten ist der Zeitraum seit März 1997 viel zu kurz, um auf einen Wegfall oder auch nur eine entscheidende Minderung der von ihm ausgehenden Gefahr schließen zu können, zumal er nach seinem eigenen Vorbringen von diesem Zeitraum nur etwa ein Jahr (bis zu seiner Inhaftierung) in Freiheit verbracht hat.

Die belangte Behörde hat daher für das künftige Verhalten des Beschwerdeführers zu Recht keine positive Prognose gestellt. Ihre Ansicht, die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme sei gerechtfertigt, kann nicht als rechtswidrig erkannt werden.

3. Bei der Interessenabwägung gemäß § 37 Abs. 1 und Abs. 2 FrG hat die belangte Behörde den inländischen Aufenthalt des Beschwerdeführers seit 1989 sowie seine familiären Beziehungen, insbesondere die Haushaltsgemeinschaft mit der Gattin und den beiden Kindern, berücksichtigt. Auch seine regelmäßige Berufstätigkeit hat sie ihm zu Gute gehalten. Zu berücksichtigen ist, dass die Integration des Beschwerdeführers in ihrer sozialen Komponente durch die gravierenden und häufig wiederholten Straftaten erheblich gemindert wird, was die belangte Behörde richtig erkannt hat.

Den dennoch sehr gewichtigen persönlichen Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet steht die Gefährdung öffentlicher Interessen durch seine Straftaten gegenüber. Auf Grund des Umstandes, dass der Beschwerdeführer seine besonders verwerflichen strafbaren Handlungen während eines langen Zeitraumes besonders häufig wiederholt hat, kann entgegen der Beschwerdemeinung kein Zweifel daran bestehen, dass das Aufenthaltsverbot in einer demokratischen Gesellschaft zur Verhinderung strafbaren Handlungen und zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist (Art. 8 Abs. 2 EMRK). Die Ansicht der belangten Behörde, dass das Aufenthaltsverbot zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten sei (§ 37 Abs. 1 FrG) und die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie nicht schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung (§ 37 Abs. 2 leg. cit.) kann daher nicht als rechtswidrig erkannt werden.

Dass der Beschwerdeführer durch das Aufenthaltsverbot von seinen Kindern - sollten diese in Österreich bleiben - getrennt wird und durch Besuche der Kinder im Ausland nur ein eingeschränkter persönlicher Kontakt bestehen bleiben kann, muss - ebenso wie eine mit dem Aufenthaltsverbot allenfalls verbundene Einschränkung des "persönlichen Fortkommens" und der "Ausbildung" -

im öffentlichen Interessen in Kauf genommen werden.

Die Verfahrensrüge, die belangte Behörde habe eine ordnungsgemäße und vollständige Sachverhaltsermittlung als Grundlage für die Interessenabwägung unterlassen, ist schon deshalb nicht zielführend, weil in der Beschwerde nicht dargetan wird, welche zusätzlichen Erhebungen die belangte Behörde hätte durchführen müssen.

4. Hinzugefügt sei, dass das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei aus dem Jahr 1963 und der darauf gestützte Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 - ungeachtet der Frage, ob der Beschwerdeführer unter diese Regelungen fällt - dem Aufenthaltsverbot nicht entgegensteht. Art. 14 Abs. 1 dieses Beschlusses ("dieser Abschnitt gilt vorbehaltlich der Beschränkungen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind.") macht deutlich, dass die die Beschäftigung und die Freizügigkeit türkischer Arbeitnehmer regelnden Bestimmungen (Abschnitt 1 des Kapitels II. des Beschlusses) der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nicht entgegenstehen, wenn es - wie vorliegend - aus den genannten Gründen gerechtfertigt ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 9. Februar 1999, Zlen. 99/18/0015, 0033).

5. Aus den dargestellten Gründen war die vorliegende Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

6. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 7. August 2001

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