Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom14. Februar 2000 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 iVm §§ 37 und 39 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.
Der Beschwerdeführer halte sich seit 22. Mai 1986 in Österreich auf. Bis 28. September 1995 habe er über eine Aufenthaltsbewilligung verfügt. Über den am 27. September 1995 eingebrachten Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung habe bisher mangels ausreichender Darlegung der Einkommensverhältnisse durch den Beschwerdeführer bzw. wegen des Abwartens des Ausganges eines Strafverfahrens nicht entschieden werden können.
Der Beschwerdeführer sei wie folgt rechtskräftig verurteilt worden:
1. Wegen § 271 Abs. 1 StGB, rechtskräftig am 23. Oktober 1991, zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen;
2. Am 17. November 1994 wegen § 83 Abs. 1 StGB (Tatzeit: 2. August 1994) zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen;
3. Gemäß § 36 Abs. 1 Z. 2 Waffengesetz, rechtskräftig am 24. Jänner 1996, zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen;
4. Gemäß § 83 Abs. 2 StGB und §§ 15, 83 Abs. 1 leg. cit. (Tatzeit: Anfang 1997), rechtskräftig am 22. Oktober 1997, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe vom 2. Monaten.
Aus der der unter 4. angeführten strafgerichtlichen Verurteilung zugrunde liegenden Anzeige gehe hervor, dass der Beschwerdeführer der gerichtlich strafbaren Handlungen gemäß §§ 83, 105 und 107 StGB verdächtig gewesen sei. Es habe der Verdacht bestanden, dass er zumindest von Oktober 1996 bis März 1997 seine beiden minderjährigen bzw. unmündigen Stieftöchter sexuell belästigt bzw. sich ihnen in sexueller Absicht genähert habe. Die Tathandlungen hätten sich nach den Angaben der Geschädigten auf unsittliche tätliche Übergriffe (Betasten und dergleichen) beschränkt. Im Zuge einer Auseinandersetzung habe er seine unmündige Stieftochter "verprügelt", wobei diese leicht verletzt worden sei. Seinen Kindern habe er gedroht, dass etwas passieren werde, sollten sie jemandem von diesem "Geheimnis" erzählen.
Mögen diese Ausführungen hinsichtlich der sexuellen Belästigung auch - bis dato - noch zu keiner strafgerichtlichen Verurteilung geführt haben, so seien sie insofern zu berücksichtigen, als die diesbezüglichen Ausführungen der Behörde erster Instanz in der Berufung des Beschwerdeführers keine Berücksichtigung gefunden hätten, woraus zwangsläufig geschlossen werden müsse, dass diese Ausführungen dem Kern nach doch der Richtigkeit entsprächen und bei der Gewichtung des Fehlverhaltens des Beschwerdeführers entsprechend berücksichtigt werden müssten.
Am 14. Februar 1995 sei dem Beschwerdeführer die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes angedroht worden.
In Anbetracht der gerichtlichen Verurteilungen sei zweifellos der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG erfüllt.
Durch das Aufenthaltsverbot werde in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers eingegriffen, weil sich dieser bereits sehr lang im Bundesgebiet aufhalte und hier auch familiäre Beziehungen habe. Der Beschwerdeführer sei mit einer österreichischen Staatsangehörigen verheiratet. Seine Gattin habe drei Kinder in die Ehe mitgebracht. Im Zeitpunkt der Eheschließung habe der Beschwerdeführer bereits vier leibliche Kinder gehabt. Aus der Ehe entstammten vier weitere Kinder. Seit 15. April 1997 sei allerdings der gemeinsame Haushalt der Ehegatten aufgehoben. Die Kinder seien bei der Gattin verblieben. Von einer vollständigen Integration könne schon in beruflicher Hinsicht nicht ausgegangen werden, weil der Beschwerdeführer nach der im Bescheid der Behörde erster Instanz enthaltenen Aufstellung über seine bisherigen Arbeitsverhältnisse seit dem Jahr 1990 mehr als sechs Jahre arbeitslos gewesen sei. Die Familie beziehe derzeit Sozialhilfe. Auch in familiärer Hinsicht könne keinesfalls von einer sozialen Integration ausgegangen werden, weil der Beschwerdeführer getrennt von seiner Familie lebe, wenngleich er auch noch Kontakt zu dieser habe. Zu beachten sei weiters, dass der Beschwerdeführer trotz bereits erfolgter Verurteilungen und trotz niederschriftlicher Ermahnung immer wieder straffällig geworden sei.
Auf Grund dieser Tatsachen sei nicht nur die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt, sondern das Aufenthaltsverbot auch im Licht des § 37 Abs. 1 FrG zulässig. Unter Abwägung aller angeführten Tatsachen und im Hinblick auf die für den weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet zu stellende negative Prognose wögen die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes wesentlich schwerer als die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers. Das Aufenthaltsverbot sei daher auch im Grund des § 37 Abs. 2 FrG zulässig.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Nach § 49 Abs. 1 erster Satz FrG genießen Angehörige von Österreichern gemäß § 47 Abs. 3 leg. cit., die Staatsangehörige eines Drittstaates sind, Niederlassungsfreiheit; für sie gelten, sofern im Folgenden nicht anderes gesagt wird, die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach dem 1. Abschnitt des 4. Hauptstückes. Im vorliegenden Fall findet daher auf den Beschwerdeführer, der unstrittig Ehegatte einer österreichischen Staatsangehörigen ist, die Bestimmung des § 48 Abs. 1 erster Satz FrG Anwendung, der zufolge die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige nur zulässig ist, wenn auf Grund ihres Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist.
Der Umstand, dass die belangte Behörde das Aufenthaltsverbot allein auf § 36 FrG und nicht auf § 48 Abs. 1 leg. cit. gestützt hat, bewirkt jedoch keine Verletzung subjektiver Rechte des Beschwerdeführers, weil § 36 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 leg. cit. bei der Frage, ob gegen einen EWR-Bürger oder begünstigten Drittstaatsangehörigen ein Aufenthaltsverbot zu erlassen ist, weiterhin insofern von Bedeutung sind, als ein Aufenthaltsverbot nur bei Vorliegen der in § 36 Abs. 1 Z. 1 leg. cit. genannten Voraussetzungen erlassen werden darf und auf den Katalog des § 36 Abs. 2 leg. cit. als "Orientierungsmaßstab" zurückgegriffen werden kann (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 17. Februar 2000, Zl. 2000/18/0008).
2. Auf Grundlage der unstrittig feststehenden rechtskräftigen Verurteilungen des Beschwerdeführers begegnet die Ansicht der belangten Behörde, der - wie dargestellt als "Orientierungsmaßstab" heranzuziehende - Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG sei erfüllt, keinen Bedenken.
3. Bei der Beurteilung der Frage, ob die in § 48 Abs. 1 iVm § 36 Abs. 1 Z. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist, ist zu prüfen, ob sich aus dem gesamten Fehlverhalten des Fremden ableiten lässt, dass sein weiterer Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet. Dabei ist - anders als bei der Frage, ob der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG erfüllt ist -
nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zugrunde liegenden Straftaten und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen.
Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid hinsichtlich der ersten drei festgestellten Verurteilungen des Beschwerdeführers jeweils nur den Tatbestand des Strafgesetzbuches und die Höhe der verhängten Strafe sowie in einem Fall auch die Tatzeit festgestellt. Feststellungen über die diesen Verurteilungen zugrunde liegenden strafbaren Handlungen fehlen zur Gänze.
Hinsichtlich der seit 22. Oktober 1997 rechtskräftigen weiteren Verurteilung hat die belangte Behörde den wesentlichen Inhalt der Anzeige, die zu dieser Verurteilung geführt hat, wiedergegeben. Danach sei der Beschwerdeführer einer vorsätzlichen Körperverletzung, einer "sexuellen Belästigung" seiner Stieftochter und einer Nötigung, die die Tatbestände der §§ 83, 105 und 207 StGB erfüllten, verdächtig gewesen. Tatsächlich ist der Beschwerdeführer jedoch nur wegen § 83 Abs. 2 StGB (durch vorsätzliche Misshandlung bewirkte fahrlässige Körperverletzung) und wegen §§ 15, 83 Abs. 1 StGB (versuchte vorsätzliche Körperverletzung) rechtskräftig verurteilt worden.
Die belangte Behörde vertrat die Ansicht, dass aus dem Schweigen des Beschwerdeführers in seiner Berufung zu den in der Anzeige enthaltenen Vorwürfen "zwangsläufig" geschlossen werden müsse, "dass die Ausführungen dem Kern nach doch der Richtigkeit entsprechen". Damit hat sie ein Fehlverhalten, für das der Beschwerdeführer nicht gerichtlich verurteilt worden ist, festgestellt (und in der Folge ihrer Beurteilung zugrunde gelegt). Da die Fremdenpolizeibehörde die Frage, ob gegen einen Fremden auf Grund seines Fehlverhaltens ein Aufenthaltsverbot zu erlassen ist, eigenständig zu lösen hat, bestehen keine Bedenken gegen eine derartige Vorgangsweise. Vorliegend hält jedoch die Beweiswürdigung der belangten Behörde, die zu dieser Feststellung geführt hat, einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof (in dem durch die hg. Judikatur, insbesondere das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053, abgesteckten Rahmen) nicht stand.
Die Erstbehörde hat in ihrem Bescheid zunächst den Inhalt der Anzeige, die zu der seit 22. Oktober 1997 rechtskräftigen Verurteilung geführt hat - gleich lautend wie die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid -, wiedergegeben. Weiters führte sie dazu Folgendes aus:
"Zu den Vorwürfen sie hätten sich ihren Stieftöchtern in sexueller Absicht genähert, führen sie anlässlich der persönlichen Vorsprache in Rechtfertigung zum Ergebnis der Beweisaufnahme aus, dass dies völlig unwahr wäre. Sie hätten lediglich Sandra 2 'Watschen' gegeben.
Dies war nur 1mal in den letzten 10 Jahren. Sie hätten weiterhin ein normales Verhältnis zu ihrer Familie und können ihre Kinder und ihre Frau jederzeit sehen.
Das damit immanente Vorbringen des bisherigen Wohlverhaltens kann die Behörde schon in Anbetracht der Vielzahl ihrer Verurteilungen nicht als ausreichend zur Zerstreuung der Sie betreffenden Befürchtungen ansehen. Überdies wird dieser Umstand dadurch relativiert, dass dem Wohlverhalten während eines anhängigen Strafverfahrens (Rechtskraft erst seit 22.10.1997) nur untergeordnete Bedeutung zukommt."
Weitere Ausführungen zu diesem Thema sind im Bescheid der Behörde erster Instanz nicht enthalten. Eine Feststellung, dass der Beschwerdeführer die ihm in der Anzeige vorgeworfenen Taten tatsächlich begangen hat, kann in der wiedergegebenen Passage des Erstbescheides nicht erblickt werden. Von da her ist die Argumentation der belangten Behörde, aus dem Schweigen des Beschwerdeführers in der Berufung müsse "zwangsläufig" auf die Richtigkeit der Vorwürfe geschlossen werden, nicht schlüssig.
Da die Feststellung der belangte Behörde, der Beschwerdeführer habe seine Töchter sexuell belästigt und zum Schweigen über seine Handlungen genötigt, auf einer unschlüssigen Beweiswürdigung beruht und Feststellungen zu den den ersten drei Verurteilungen des Beschwerdeführers zugrunde liegenden Straftaten fehlen, kann die im angefochtenen Bescheid vertretene Ansicht, es sei auf Grund des Fehlverhaltens des Beschwerdeführers die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt, vom Verwaltungsgerichtshof nicht überprüft werden.
4. Aus den dargestellten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 20. Februar 2001
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