VwGH 2000/14/0056

VwGH2000/14/005623.4.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Weiss und die Hofräte Dr. Zorn und Dr. Robl als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Urtz, über die Beschwerde der L AG in L, vertreten durch Binder, Grösswang & Partner, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Sterngasse 13, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Oberösterreich (Berufungssenat I) vom 11. Mai 1999, RV 23/1-5/1998, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens (Einheitswert des Betriebsvermögens und Vermögenssteuer sowie Erbschaftssteueräquivalent 1991 bis 1993) sowie Einheitswert des Betriebsvermögens, Vermögenssteuer und Erbschaftssteueräquivalent 1990 bis 1993, zu Recht erkannt:

Normen

BAO §263 Abs2;
BAO §263 Abs3;
BAO §270 Abs3;
BAO §263 Abs2;
BAO §263 Abs3;
BAO §270 Abs3;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von 15.000 S binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

In der gegen den im Instanzenzug ergangenen Bescheid erhobenen Beschwerde wird u.a. ausgeführt, die belangte Behörde (Berufungssenat I) sei im gegenständlichen Fall insofern rechtswidrig zusammengesetzt gewesen, als Mag. M und Mag. S an der Entscheidung mitgewirkt hätten. Mag. M und Mag. S seien dem Berufungssenat I nicht als entsendete Mitglieder, sondern bloß als entsendete Stellvertreter zugewiesen. Aus dem angefochtenen Bescheid ergebe sich kein Anhaltspunkt, warum statt Senatsmitgliedern bloße Stellvertreter herangezogen worden seien. Diese Heranziehung wäre nur dann möglich gewesen, wenn alle als entsendete Senatsmitglieder in Betracht kommenden Personen verhindert gewesen wären. Dafür finde sich aber im angefochtenen Bescheid kein Anhaltspunkt. Dem Berufungssenat I seien 52 entsendete Mitglieder zugewiesen. Es sei höchst unwahrscheinlich, dass alle entsendeten Mitglieder des Berufungssenates I verhindert gewesen wären. Der angefochtene Bescheid sei daher infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben.

In ihrer Gegenschrift bringt die belangte Behörde vor, die Auswahl von Mag. S sei deshalb erfolgt, weil gemäß § 270 Abs. 3 dritter Satz BAO ein Mitglied des Berufungssenates von der gesetzlichen Berufsvertretung unselbstständiger Berufe entsendet sein müsse, und Mag. S "als einziges (stellvertretendes) Mitglied am 29. April 1999 zur Verfügung stand". Die Auswahl von Mag. M sei erfolgt, weil der zur Berufungssenatssitzung vom 29. April 1999 geladene Dipl. Ing. P plötzlich erkrankt sei und Mag. M "kurzfristig bereit war, an dieser Sitzung teilzunehmen".

In ihrer Replik zur Gegenschrift weist die Beschwerdeführerin u. a. darauf hin, dass Mag. M als Stellvertreter nur dann hätte herangezogen werden können, wenn alle 59 eigentlichen Mitglieder des Senates verhindert gewesen wären. Angesichts des Umstandes, dass der Berufungssenat 59 Mitglieder aufweise, sei nicht einzusehen, warum statt des erkrankten Dipl. Ing. P nicht ein anderes Mitglied des Senates und nicht bloß ein Stellvertreter herangezogen worden sei. Möglicherweise wären auch andere Mitglieder des Senates bereit gewesen, kurzfristig einzuspringen. Die belangte Behörde habe offenbar keinerlei Bemühungen unternommen, ein Senatsmitglied heranzuziehen. Sie habe sich stattdessen damit begnügt, Herrn Mag. M als bloßen Stellvertreter heranzuziehen. Damit habe Mag. M an der Entscheidung mitgewirkt, ohne dass die Verhinderung der eigentlichen Senatsmitglieder erwiesen gewesen wäre. Hinsichtlich der Heranziehung von Mag. S zeige die belangte Behörde zwar richtig auf, dass ein Mitglied von der gesetzlichen Berufsvertretung unselbstständiger Berufe entsendet sein müsse. Eine sehr große Zahl der entsendeten Mitglieder des Berufungssenates sei allerdings der gesetzlichen Berufsvertretung der unselbstständigen Berufe zuzuordnen. Für den Umstand, dass Mag. S als einziges stellvertretendes Mitglied am 29. April 1999 zur Verfügung gestanden sei, habe die Behörde keinen Nachweis erbracht. Selbst wenn alle anderen Senatsmitglieder am 29. April 1999 verhindert gewesen wären, wäre dies kein Grund, Mag. S zur Verhandlung beizuziehen; viel nahe liegender wäre es gewesen, die Senatssitzung an einem anderen Tag abzuhalten.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

Gemäß § 270 Abs. 3 BAO entscheidet über Berufungen gemäß § 260 Abs. 2 leg. cit. ein fünfgliedriger Berufungssenat, der sich aus dem Präsidenten der Finanzlandesdirektion oder einem von ihm bestimmten Finanzbeamten als Vorsitzendem und vier Beisitzern zusammensetzt. Von den Beisitzern haben einer der Gruppe der ernannten und drei der Gruppe der entsendeten Mitglieder der Berufungskommission anzugehören. Ein Mitglied muss von einer gesetzlichen Berufsvertretung selbstständiger Berufe, ein weiteres von einer gesetzlichen Berufsvertretung unselbstständiger Berufe entsendet sein, während das dritte Mitglied von der gesetzlichen Berufsvertretung des Berufungswerbers entsendet sein soll.

Nach § 263 Abs. 2 BAO besteht die Berufungskommission aus zwei Gruppen von Mitgliedern, welche in je einer Liste vereinigt sind. Die erste Gruppe setzt sich aus den von den gesetzlichen Berufsvertretungen entsendeten, im jeweiligen Bundesland wohnhaften Mitgliedern zusammen, wobei das Bundesministerium für Finanzen die Zahl der von den einzelnen Berufsvertretungen zu entsendenden Mitglieder unter Berücksichtigung der Bedeutung der Berufsgruppen für die Steuerleistung im Bundesland bestimmt. Die Mitglieder der zweiten Gruppe werden in erforderlicher Zahl vom Bundesministerium für Finanzen ernannt. Abs. 3 des § 263 BAO bestimmt, dass neben den Mitgliedern der Berufungskommission nach den Grundsätzen des Abs. 2 leg. cit. die gleiche Anzahl von Stellvertretern zu bestellen und gleichfalls in je einer Liste zu vereinigen ist.

Wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 15. September 1999, 89/13/0153, ausgesprochen hat, sind Stellvertreter zur Mitwirkung in Berufungssenaten erst dann heranzuziehen, wenn alle Mitglieder an der Mitwirkung verhindert sind. Die Verhinderung aller Mitglieder ist von der belangten Behörde darzutun.

Im Beschwerdefall ist u.a. strittig, ob die Heranziehung eines von einer gesetzlichen Berufsvertretung selbstständiger Berufe entsendeten Stellvertreters auch dann rechtens ist, wenn nicht feststeht, dass alle von den gesetzlichen Berufsvertretungen selbstständiger Berufe entsendeten Mitglieder verhindert sind, an der Entscheidung mitzuwirken.

Wie sich aus dem angefochtenen Bescheid und auch aus der Gegenschrift ergibt, hat die belangte Behörde die Verhinderung aller von den gesetzlichen Berufsvertretungen selbstständiger Berufe in die Berufungskommission entsendeten, dem Berufungssenat I zugewiesenen Mitglieder nicht dargetan. Mit dem Vorbringen, dass Mag. M kurzfristig bereit gewesen sei, an der Sitzung teilzunehmen, wird, wie die Beschwerdeführerin zu Recht in ihrer Replik zur Gegenschrift aufzeigt, in keiner Weise die Verhinderung aller Mitglieder aufgezeigt. Die Mitwirkung des Mag. M in seiner Stellung als von einer gesetzlichen Berufsvertretung selbstständiger Berufe entsendeten Stellvertreters an der Entscheidung des Berufungssenates I erweist sich daher als rechtswidrig.

Da der Berufungssenat I, der den angefochtenen Bescheid beschlossen hat, nicht dem Gesetz entsprechend zusammengesetzt war, war der Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben. Die Entscheidung konnte in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat gefällt werden.

Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte aus dem Grund des § 39 Abs. 2 Z. 2 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 23. April 2001

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte