Normen
ASVG §539a Abs2;
ASVG §539a Abs3;
ASVG §67 Abs10;
GmbHG §15;
GmbHG §17;
GmbHG §18;
GmbHG §20;
GmbHG §25;
ASVG §539a Abs2;
ASVG §539a Abs3;
ASVG §67 Abs10;
GmbHG §15;
GmbHG §17;
GmbHG §18;
GmbHG §20;
GmbHG §25;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom 14. Februar 2000 verpflichtete die Beschwerdeführerin den Mitbeteiligten als Vertreter der Beitragsschuldnerin Ing. Martin H. GmbH gemäß § 67 Abs. 10 ASVG zur Zahlung der auf dem Beitragskonto der Beitragsschuldnerin rückständigen Sozialversicherungsbeiträge samt Verzugszinsen und Nebengebühren. In der Begründung wurde dazu ausgeführt, der Mitbeteiligte sei als faktischer Geschäftsführer zur Vertretung der Beitragsschuldnerin berufen. Zu den Pflichten des faktischen Geschäftsführers gehöre es, dafür zu sorgen, dass die Beiträge ordnungsgemäß entrichtet werden. Da dies schuldhaft unterblieben sei und die Beiträge nicht eingebracht werden könnten, sei die Haftung auszusprechen gewesen.
Der Mitbeteiligte erhob Einspruch. Die Beschwerdeführerin legte den Einspruch der belangten Behörde vor und führte in ihrer Stellungnahme vom 16. Mai 2000 dazu aus, der Mitbeteiligte sei nur deswegen nicht als Geschäftsführer ins Firmenbuch eingetragen worden, weil er sich persönlich in Konkurs befunden habe.
Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde dem Einspruch gemäß § 66 Abs. 4 AVG statt und sprach aus, dass der Mitbeteiligte gemäß § 67 Abs. 10 ASVG nicht verpflichtet sei, die auf dem Beitragskonto der Beitragsschuldnerin rückständigen Sozialversicherungsbeiträge samt Nebengebühren zu bezahlen. In der Begründung führte die belangte Behörde nach Darstellung des Verwaltungsgeschehens aus, zu den in § 67 Abs. 10 ASVG genannten "zur Vertretung von juristischen Personen berufenen Personen" gehörten nur die gesetzlich berufenen Vertreter. Die Bestellung zum Geschäftsführer einer GmbH erfolge nach § 15 GmbH-Gesetz durch Beschluss der Gesellschafter. Der Mitbeteiligte sei nach den Bestimmungen des GmbH-Gesetzes nicht als Geschäftsführer der Beitragsschuldnerin bestellt worden. Eine faktische Tätigkeit als Geschäftsführer einer Gesellschaft ermögliche nicht die Heranziehung zur Haftung nach § 67 Abs. 10 ASVG.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete ebenso wie der Mitbeteiligte eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerdeführerin macht unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend, der Mitbeteiligte sei durch eine Treuhandkonstruktion über die T. Wirtschaftstreuhand GmbH Alleingesellschafter der Beitragsschuldnerin. Die T. Wirtschaftstreuhand GmbH habe mit Schreiben vom 12. Oktober 1995 den handelsrechtlichen Geschäftsführer der Beitragsschuldnerin angewiesen, eine mit 25. Oktober 1995 datierte Generalvollmacht zu unterschreiben, wonach der Mitbeteiligte berechtigt sei, die Beitragsschuldnerin in allen Angelegenheiten zu vertreten. Bei ordnungsgemäßer Feststellung des Sachverhaltes wäre die belangte Behörde zum Ergebnis gekommen, dass der Mitbeteiligte die Treuhandkonstruktion nur deswegen gewählt habe, um seiner Verantwortung als handelsrechtlicher Geschäftsführer zu entgehen. Darüber hinaus leide der Bescheid an inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weil die belangte Behörde die mit dem Strukturanpassungsgesetz 1996, BGBl. Nr. 201/1996, eingefügte Bestimmung des § 539a ASVG nicht berücksichtigt habe. Nach dieser Bestimmung könnten auch tatsächliche (faktische) Geschäftsführer nach § 67 Abs. 10 ASVG zur Haftung herangezogen werden.
Die belangte Behörde und der Mitbeteiligte vertreten die Auffassung, dass der Mitbeteiligte mangels einer förmlichen Bestellung zum Geschäftsführer nicht zur Haftung nach § 67 Abs. 10 ASVG herangezogen werden kann.
Aus dem der belangten Behörde vorgelegenen Verwaltungsakt ergibt sich, dass der Mitbeteiligte im Betrieb der Beitragsschuldnerin nicht nur mitgearbeitet hat, sondern der einzige Gesellschafter war und diese Rechte durch eine Wirtschaftstreuhand GmbH. als Treuhänder ausüben ließ. Diese Wirtschaftstreuhand GmbH hat dem einzigen bestellten Geschäftsführer gemäß § 20 Abs. 1 GmbH-Gesetz am 12. Oktober 1995 die Weisung erteilt, dem Mitbeteiligten Generalvollmacht zu erteilen und sich selbst künftighin sämtlicher Geschäftsführungs- und Vertretungshandlungen für die Beitragsschuldnerin, ausgenommen solcher, hinsichtlich derer das persönliche Einschreiten des Geschäftsführers nach dem Gesetz zwingend vorgeschrieben ist, zu enthalten. Der Geschäftsführer befolgte diese Weisung und stattete den Mitbeteiligten mit der im Akt erliegenden Generalvollmacht aus, wonach dem Mitbeteiligten Prozessvollmacht erteilt und er ermächtigt wurde, die Beitragsschuldnerin in allen Angelegenheiten sowohl vor Gerichts- und Verwaltungsbehörden als auch außerbehördlich zu vertreten. Unstrittig ist, dass der Mitbeteiligte diese Rechte tatsächlich ausgeübt hat.
Damit wurde der Mitbeteiligte zwar nicht gesetzlicher Vertreter der Gesellschaft m.b.H. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 5. März 1991, 89/08/0223, auf dessen Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, ausgesprochen, dass die Haftungsbestimmung des § 67 Abs. 10 ASVG nur gesetzliche Vertreter juristischer Personen erfasst. An dieser Auffassung hat der Verwaltungsgerichtshof festgehalten (vgl. zuletzt etwa die hg. Erkenntnisse vom 29. März 2000, 96/08/0268 und 97/08/0083). Gesetzliche Vertreter einer Gesellschaft m.b.H. ist (sind) der (die) Geschäftsführer. Gemäß § 15 Abs. 1 GmbHG erfolgt die Bestellung der Geschäftsführer durch Beschluss der Gesellschafter. Gesellschafter können, jedoch nur für die Dauer ihrer Beteiligung an der Gesellschaft, daneben auch im Gesellschaftsvertrag bzw. nach Entstehen der GmbH durch Abänderung des Gesellschaftsvertrages zum Geschäftsführer bestellt werden. Die Bestellung ist nach der Zustimmung des Geschäftsführers sofort wirksam; für die Wirksamkeit der Bestellung sind die Anmeldung des Geschäftsführers zum Firmenbuch und seine Eintragung nicht erforderlich. Die Eintragung im Firmenbuch hat nur deklarative Bedeutung, die Geschäftsführer sind bereits vor ihrer Eintragung im Rahmen des § 15 GmbHG zu Vertretungshandlungen für die Gesellschaft berechtigt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 7. Dezember 2000, 2000/16/0601).
Die Beschwerdeführerin beruft sich aber auf § 539a ASVG. Dessen Abs. 2 und 3 lauten:
"(2) Durch den Missbrauch von Formen und durch Gestaltungsmöglichkeiten des bürgerlichen Rechtes können Verpflichtungen nach diesem Bundesgesetz, besonders die Versicherungspflicht, nicht umgangen oder gemindert werden.
(3) Ein Sachverhalt ist so zu beurteilen, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen, Tatsachen und Verhältnissen angemessenen rechtlichen Gestaltung zu beurteilen gewesen wäre."
Entgegen der von der belangten Behörde in der Gegenschrift vertretenen Auffassung sind diese Bestimmungen nicht auf die Fälle der Umgehung der Versicherungspflicht beschränkt, sondern grundsätzlich im Rahmen des ASVG bei allen sich aus diesem Gesetz ergebenden Pflichten anwendbar. Ein Missbrauch von Formen und Gestaltungsmöglichkeiten liegt jedenfalls dann vor, wenn die Gestaltung der rechtlichen Verhältnisse anders als mit der Absicht der Umgehung gesetzlicher Verpflichtungen nicht erklärt werden kann. Das ist hier zu bejahen: bestellt ein Alleingesellschafter einer GmbH einen Dritten zum Geschäftsführer, nimmt er ihm zugleich im Innenverhältnis praktisch alle mit der Geschäftführung verbundenen Befugnisse, ausgenommen die gesetzlich nicht abdingbaren und lässt er sich gleichzeitig vom nach außen hin nominellen Geschäftsführer mit einer umfassenden Generalvollmacht ausstatten, dann bedarf es keines weiteren Beweises, dass der Alleingesellschafter selbst alle Geschäfte führen und dies gerade nicht einem Fremdgeschäftsführer überlassen wollte. Einen sachlichen Grund, dennoch einen Dritten zum Geschäftsführer zu bestellen und sich die zur Geschäftsführung erforderlichen Befugnisse im Wege der Umwegkonstruktion einer Generalvollmacht einräumen zu lassen, anstatt den angestrebten Rechtszustand dadurch herzustellen, dass sich der Alleingesellschafter selbst zum Geschäftsführer bestellt, ist weder erkennbar, noch von der belangten Behörde festgestellt worden. Es bleibt daher nur der Schluss, dass diese Konstruktion gewählt wurde, um dem Alleingesellschafter zwar die Befugnisse zur Geschäftsführung zu vermitteln, ihn jedoch vor den einen Geschäftsführer nach dem Gesetz treffenden Sorgfaltsverbindlichkeiten und den damit verbundenen Haftungen zu schützen. Eine solche Konstruktion, die im Wesentlichen nur der Umgehung gesetzlicher Haftungen als Geschäftsführer dient, ist aber nach § 539a Abs. 2 ASVG insoweit unbeachtlich, als dadurch etwa auch die Haftung nach § 67 Abs. 10 ASVG umgangen werden soll. An Stelle der unbeachtlichen Konstruktion tritt - in der tatsächlichen und rechtlichen Beurteilung des Beschwerdesachverhaltes - gemäß § 539a Abs. 3 ASVG jene, die den wirtschaftlichen Vorgängen, Tatsachen und Verhältnissen angemessen gewesen wäre. Angesichts des hier vorliegenden Sachverhaltes kann aber kein Zweifel daran bestehen, dass die angesichts der vom Mitbeteiligten mit der von ihm gewählten Vertragskonstruktion für sich allein (also ohne Mitwirkung eines Dritten) angestrebten Ingerenzmöglichkeiten dessen Bestellung zum Alleingeschäftsführer der Gesellschaft als einzig adäquate Gestaltung in Betracht kommt. Die vorliegende Rechtssache ist daher so zu beurteilen, als ob der Mitbeteiligte Geschäftsführer und damit zur gesetzlichen Vertretung der Gesellschaft berufenes Organ gewesen wäre.
Im fortzusetzenden Verfahren wird die neuere Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 12. Dezember 2000, Zl. 98/08/0191, 0192) zur Haftungsbestimmung des § 67 Abs. 10 ASVG zu berücksichtigen sein.
Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie ihren Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Der Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 14. März 2001
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