VwGH 99/21/0286

VwGH99/21/02868.11.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Rosenmayr, Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winter, über die Beschwerde des am 28. November 1979 geborenen N, vertreten durch Dr. Dieter Rautnig, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Joanneumring 11, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 6. Juli 1999, Zl. FR 94/1999, betreffend Feststellung nach § 75 Abs. 1 Fremdengesetz 1997, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §54;
FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §75;
EMRK Art3;
VwRallg;
FrG 1993 §37 Abs1;
FrG 1993 §54;
FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §75;
EMRK Art3;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen. Kosten werden nicht zugesprochen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark (der belangten Behörde) vom 6. Juli 1999 wurde gemäß § 75 Abs. 1 und § 57 Abs. 1 und Abs. 2 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, festgestellt, dass keinerlei stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass der Beschwerdeführer, ein nach seinen Angaben liberianischer Staatsbürger, in Liberia Gefahr liefe, dort einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu sein bzw. dass dort sein Leben oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, seiner Religion, seiner Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Ansichten bedroht wäre.

Der Beschwerdeführer sei seinen eigenen Angaben zufolge am 3. Oktober 1996 über die österreichisch-italienische Grenze, in einem LKW versteckt, ohne im Besitz eines gültigen nationalen Reisedokuments zu sein, illegal in das Bundesgebiet der Republik Österreich eingereist. In weiterer Folge habe er am 4. Oktober 1996 beim Bundesasylamt, Außenstelle Graz, einen Antrag auf Asylgewährung gestellt, der gemäß § 3 des zum damaligen Zeitpunkt in Kraft befindlichen Asylgesetzes 1991 abgewiesen worden sei. Die dagegen vom Beschwerdeführer erhobene Berufung sei mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 6. November 1996 abgewiesen worden. Die dagegen beim Verwaltungsgerichtshof eingebrachte Beschwerde sei noch anhängig.

Nach seinen Angaben hätte der Beschwerdeführer - dessen Identität nicht feststehe - in seinem Heimatdorf Lofa die Grundschule besucht, als der Krieg in Liberia ausgebrochen sei. Alle jungen Leute wären von den Rebellen des Charles Taylor rekrutiert worden und man hätte auch ihn einberufen wollen. Er wäre mit anderen Leuten in einer Kirche versteckt gewesen und sei von Leuten des Charles Taylor festgenommen und in dessen Lager gebracht worden. Mit Hilfe der ECOMOG-Truppen wäre es ihm und anderen sodann gelungen, von dort zu den amerikanischen Militärs bei den ECOMOG-Truppen zu fliehen. Diese wären in Monrovia gewesen und er hätte Monrovia auch zugleich mit den Amerikanern verlassen. Der Beschwerdeführer wäre deshalb vor den Leuten des Charles Taylor nicht mehr sicher gewesen und hätte sich deshalb im Busch und zeitweise auch in Kirchen versteckt. Im Jahre 1996 hätte er mit mehreren jungen Burschen Monrovia verlassen und wäre "durch den Busch gegangen". Am 12. September 1996 wäre er nach Freetown, Sierra Leone, geflüchtet, wo er einen weißen Mann kennen gelernt hätte. Dieser hätte ihm gesagt, er würde ein Schiff nehmen und ihn nach Italien bringen. Es wäre jemand in Sierra Leone gewesen, der seinen Vater gekannt und für ihn 500,-- US-Dollar für die Reise nach Italien bezahlt hätte. Am 14. September 1996 wäre der Beschwerdeführer an Bord des Schiffes gegangen, er habe jedoch nicht angeben können, um welches Schiff es sich gehandelt hätte. Die Reise hätte zwei Wochen und einige Tage gedauert. Er habe sich nicht daran erinnern können, wann er in Italien angekommen wäre. Nach der Ankunft hätte der weiße Mann zu ihm gesagt, er solle ihm folgen und er hätte ihn zu einer Stelle gebracht, wo er bis Mitternacht gewartet hätte und von der aus er dann auf einem LKW versteckt mit drei bis vier Leuten nach Graz verbracht worden wäre.

Die Rebellen unter Charles Taylor würden den Beschwerdeführer seinen Angaben zufolge umbringen, da er vor dem Krieg in seinem Heimatland davongelaufen sei.

Die Bundespolizeidirektion Graz als Behörde erster Instanz habe die Angaben des Beschwerdeführers als mit unauflöslichen Widersprüchen behaftet angesehen und sie habe ihre Beurteilung auf den Umstand gestützt, dass er zu seinem Fluchtweg keine logisch nachvollziehbaren Angaben habe tätigen können, weshalb sein gesamtes Vorbringen als nicht glaubwürdig zu werten gewesen sei. Dem schloss sich die belangte Behörde mit umfangreichen ergänzenden Ausführungen zur Beweiswürdigung an. Die politische Situation in Liberia stelle sich wie folgt dar:

Auf Grund eines im August 1996 abgeschlossenen Abkommens hätten die Bürgerkriegshandlungen in Liberia beendet werden können. Seither finde eine sukzessive Entwaffnung der Bürgerkriegsparteien statt. Am 19. Juli 1997 seien in Liberia erfolgreich demokratische Wahlen abgehalten worden, die unter der Beobachtung der Vereinten Nationen gestanden seien. Die Übergangsregierung und die Regierung unter Präsident Taylor hätten alles daran gesetzt, von legistischer Seite her einen Mindeststandard an Menschen- und Bürgerrechten wieder in Kraft zu setzen bzw. zu schaffen. Bis dato seien etwa 100.000 Flüchtlinge und intern Vertriebene in ihre Heimatorte zurückgekehrt. Die politische Situation in Liberia sei noch etwas instabil und es gäbe nach wie vor kleinere Unruhen. Die damit verbundenen Beeinträchtigungen gingen jedoch nicht über das hinaus, was die Bewohner in Liberia auf Grund der dort herrschenden amtsbekannten Verhältnissen allgemein hinzunehmen hätten und stellten daher keine individuell gegen den Beschwerdeführer gerichtete Verfolgung im Sinne des § 75 FrG dar. Daraus ergebe sich, dass sich die Situation im Heimatland des Beschwerdeführers grundlegend geändert habe, wobei zu betonen sei, dass kriegerische Auseinandersetzungen in einem bestimmten Staat für sich allein noch keinen Grund für eine Gefährdung bzw. Bedrohung i.S.d. § 57 Abs. 1 oder 2 FrG darstellten.

Die nicht näher konkretisierte Behauptung, bei einer Rückkehr in den Heimatstaat mit einer unmenschlichen Behandlung oder der Todesstrafe rechnen zu müssen, sei zu wenig. Auch aus bloßen Vermutungen, mögen sie auch auf andere Personen betreffende Vorfälle Bezug nehmen, könne keine Gefährdung oder Bedrohung iSd § 57 Abs. 1 oder 2 FrG abgeleitet werden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde legte - im hg. Verfahren Zl. 99/21/0283 -

die Verwaltungsakten vor und beantragte unter Verzicht auf die Abfassung einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Verfahren gemäß § 75 Abs. 1 FrG ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vom Antragsteller mit konkreten, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben das Bestehen einer aktuellen, also im Falle seiner Abschiebung in den im Antrag genannten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt durch diese nicht abwendbaren Bedrohung im Sinne des § 57 Abs. 1 oder 2 FrG glaubhaft zu machen und von der Behörde das Vorliegen konkreter Gefahren für jeden einzelnen Fremden für sich zu prüfen. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch bei der Beurteilung des Vorliegens einer Gefahr gemäß § 57 Abs. 1 und 2 FrG im Verfahren gemäß § 75 FrG die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Antragstellers in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob etwa gehäufte Verstöße der in § 57 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 27. Februar 1998, Zl. 95/21/0905, m.w.N. zu den gleichartigen Bestimmungen des Fremdengesetzes BGBl. Nr. 838/1992, und zu § 57 FrG etwa das hg. Erkenntnis vom 23. Oktober 2001, Zl. 99/21/0308).

Der Verwaltungsgerichtshof hat weiters ausgesprochen, dass im Rahmen eines Antrages gemäß § 54 des Fremdengesetzes aus 1992 (nunmehr § 75 FrG) beachtlich wäre, wenn eine in einem Land gegebene Bürgerkriegssituation dazu führt, dass keine ausreichend funktionierende Ordnungsmacht mehr vorhanden und damit zu rechnen ist, dass ein dorthin abgeschobener Fremder - auch ohne Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bürgerkriegspartei oder verfolgten Bevölkerungsgruppe - mit erheblicher Wahrscheinlichkeit der im § 37 Abs. 1 leg. cit. (nunmehr § 57 Abs. 1 FrG) umschriebenen Gefahr (im gesamten Staatsgebiet) unmittelbar ausgesetzt sein würde. Dies wäre insbesondere dann der Fall, wenn auf Grund der bewaffneten Auseinandersetzungen eine derart extreme Gefahrenlage besteht, dass praktisch jedem, der in diesen Staat abgeschoben wird, Gefahren für Leib und Leben in einem Maß drohen, dass die Abschiebung im Licht des Art. 3 EMRK unzulässig erschiene. Dies ergebe sich schon daraus, dass der Abs. 1 des § 37 (nunmehr des § 57 Abs. 1 FrG) der Konkretisierung des durch Art. 3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes diene. Ansatzpunkt im Sinn des Art. 3 EMRK sei die konkrete Gefahr für den Fremden, in dem Land, in das er abgeschoben werden soll, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 19. Mai 2000, Zl. 96/21/0528, und vom 5. Oktober 2000, Zl. 98/21/0369, m.w.N.).

Der Beschwerdeführer behauptet zwar - zumindest in Ansätzen - das Vorliegen einer solchen extremen Gefahrenlage. Trotz der obgenannten Rechtsprechung ist dieses Vorbringen nicht zielführend. Die belangte Behörde ging nämlich - und dem hat der Beschwerdeführer auch nicht konkret widersprochen - davon aus, dass sich die Lage in Liberia im Zeitpunkt der Bescheiderlassung so weit beruhigt habe, dass von einer extremen Gefahrenlage im Sinne der obgenannten Rechtsprechung nicht ausgegangen werde könne. Die bloße Möglichkeit einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt allerdings nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 57 FrG als unzulässig erscheinen zu lassen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 22. Juni 2001, Zl. 97/21/0831, zu § 37 Fremdengesetz 1992, m.w.N.).

Mit ihren Feststellungen betreffend die allgemeine Lage in Liberia, insbesondere betreffend die Wahlen 1997 und den Umstand, dass eine große Zahl von Vertriebenen in ihre Heimatorte zurückgekehrt sei, hat sich die belangte Behörde auch in ausreichendem Maße mit der allgemeinen Situation in Liberia auseinander gesetzt, um im Beschwerdefall zur Schlussfolgerung gelangen zu können, dass das Vorliegen einer Gefahr im Sinn des § 57 Abs. 1 oder 2 FrG verneint werden kann. Dies im Hinblick darauf, dass der Beschwerdeführer im gesamten Verwaltungsverfahren keine ausreichend substanziierten und konkreten Umstände aufgezeigt hat, die das Bestehen einer derartigen Gefahr für ihn anzeigen würden. So hat er etwa nicht behauptet, auf Grund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen oder ethnischen Gruppe besonders gefährdet zu sein. Konkret gegen ihn gerichtete Maßnahmen hat er nur im Zusammenhang mit der von ihm angegebenen zwangsweisen Rekrutierung durch die damaligen Rebellentruppen des nunmehrigen Präsidenten Liberias behauptet. Diesem Vorbringen hat die belangte Behörde jedoch die Glaubwürdigkeit versagt. Dieser Beweiswürdigung ist der Beschwerdeführer nicht entgegen getreten. Der Beschwerdevorwurf, die belangte Behörde hätte nähere Feststellungen über die allgemeine Situation im Heimatland des Beschwerdeführers treffen müssen, ist sohin schon deshalb nicht zielführend.

Wenn der Beschwerdeführer bemängelt, die belangte Behörde hätte kein eigenes Ermittlungsverfahren durchgeführt, sondern sich ausschließlich auf die abweisende Entscheidung im Asylverfahren gestützt, so trifft dies nicht zu. Die belangte Behörde hat vielmehr sein Vorbringen im Asylverfahren und in dem auf Grund seines Antrages gemäß § 75 Abs. 1 FrG geführten Verfahren ihrer Entscheidung zu Grunde gelegt und bloß ergänzend darauf hingewiesen, dass auch das Asylverfahren für ihn nicht erfolgreich abgeschlossen worden sei.

Soweit die Beschwerde auf Verfahrensmängel, insbesondere in Form einer Verletzung des Parteiengehörs verweist, wird nicht dargelegt, zu welchen Feststellungen die belangte Behörde im Fall eines mängelfreien Verfahrens hätte gelangen können, die zu einem für den Beschwerdeführer günstigen Ergebnis geführt hätten.

Soweit der Beschwerdeführer meint, die belangte Behörde habe nicht beachtet, dass er schon allein im Hinblick auf die Stellung eines Asylantrages in Österreich in Liberia Nachteile zu erwarten hätte, vermag dies der Beschwerde schon deswegen nicht zum Erfolg zu verhelfen, weil dieses Vorbringen erstmals in der Beschwerde und somit angesichts des § 41 Abs. 1 VwGG verspätet erstattet wird. Dass eine solche Gefahr aber von der Behörde als offensichtlich hätte behandelt werden müssen, und es daher eines entsprechenden Vorbringens nicht bedurft hätte, wird weder in der Beschwerde behauptet noch ist solches dem Verwaltungsgerichtshof ersichtlich.

Die behauptete Rechtswidrigkeit liegt daher nicht vor, weshalb die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 47 ff VwGG. Ein Ersatz für die Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens war der belangten Behörde im Hinblick darauf im vorliegenden Verfahren nicht zuzusprechen, dass die Akten des Verwaltungsverfahrens auch im hg. Verfahren Zl. 99/21/0283 vorgelegt wurden, und mit Erkenntnis vom heutigen Tage dafür bereits dort ein Aufwandersatz zugesprochen wurde.

Wien, am 8. November 2001

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