VwGH 99/21/0019

VwGH99/21/001924.7.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Bauernfeind, über die Beschwerde des S in B, geboren am 22. Februar 1972, vertreten durch Dr. Stephan Gruböck, Rechtsanwalt in 2500 Baden, Beethovengasse 4-6, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 24. August 1998, Zl. Fr 2969/98, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Berufung in einer Angelegenheit wegen Feststellung nach § 54 des Fremdengesetzes, den Beschluss gefasst:

Normen

ABGB §1002;
AVG §71 Abs1 Z1;
FrG 1993 §17 Abs1;
FrG 1993 §17 Abs2 Z4;
FrG 1993 §17 Abs2 Z6;
FrG 1993 §17 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;
FrG 1997 §29;
FrG 1997 §75 Abs1;
VwGG §33 Abs1;
VwGG §46 Abs1;
VwGG §58 Abs2;
VwRallg;
ABGB §1002;
AVG §71 Abs1 Z1;
FrG 1993 §17 Abs1;
FrG 1993 §17 Abs2 Z4;
FrG 1993 §17 Abs2 Z6;
FrG 1993 §17 Abs2;
FrG 1993 §54 Abs1;
FrG 1997 §29;
FrG 1997 §75 Abs1;
VwGG §33 Abs1;
VwGG §46 Abs1;
VwGG §58 Abs2;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren eingestellt.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 21. Juni 1995 wurde der Beschwerdeführer, ein aus dem Kosovo stammender jugoslawischer Staatsangehöriger der albanischen Volksgruppe, der am 12. Juni 1995 nach Österreich eingereist war, gemäß § 17 Abs. 2 Z 4 und 6 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, aus dem Bundesgebiet ausgewiesen. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 22. September 1997 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Feststellung der Unzulässigkeit seiner Abschiebung in die Bundesrepublik Jugoslawien abgewiesen und gestützt auf § 54 Abs. 1 FrG festgestellt, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, der Beschwerdeführer wäre in der Bundesrepublik Jugoslawien im Sinne des § 37 Abs. 1 oder 2 FrG bedroht. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer durch Hinterlegung beim zuständigen Postamt am 30. September 1997 zugestellt.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer eine nach der Aktenlage verspätete Berufung, weshalb er (fristgerecht) einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist stellte. Dazu brachte er vor, "sein Rechtsberater vom Flughafen-Sozialdienst" habe die Berufung eingebracht und die Frist "leider" um einen Tag versäumt. Irrtümlicherweise sei die Berufung nicht am 14. Oktober 1997, sondern erst am 15. Oktober 1997 abgesendet worden. Wie die Behörde aus Erfahrung wisse, sei der Flughafen-Sozialdienst stets bemüht, Berufungen fristgerecht einzubringen. Im vorliegenden Fall sei ein bedauerlicher Fehler passiert, der auf die kurzfristige, enorme Arbeitsbelastung im Büro des Flughafen-Sozialdienstes zurückzuführen sei. Der Beschwerdeführer sei somit durch ein unvorhersehbares und nicht von ihm verschuldetes Ereignis an der fristgerechten Einbringung einer Berufung gehindert gewesen.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde dieser Wiedereinsetzungsantrag im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, die Mitarbeiter des Flughafen-Sozialdienstes stellten für den Beschwerdeführer "eine Art Berater und somit Rechtsbeistand im Sinne des § 10 Abs. 4 AVG" dar. Allfällige Handlungen eines Boten oder Beraters, den der Beschwerdeführer um die "Abgabe" einer Berufung ersucht habe, seien als eigene Handlungen zu betrachten. Ein Verschulden, das den Bevollmächtigten einer Partei treffe, sei so zu behandeln, als wäre es der Partei selbst unterlaufen. Gleiches müsse auch dann gelten, wenn nicht eine nach außen in Erscheinung tretende Vollmacht erteilt worden sei, sondern lediglich eine Ermächtigung im Innenverhältnis vorliege. Die Behauptung beruflicher Überlastung reiche jedoch nicht aus, einen Wiedereinsetzungsantrag zu begründen. Würden tatsächlich kurzfristige Engpässe wegen Arbeitsüberlastung eintreten, müssten derartige Spitzen durch bestimmte Dispositionen (zusätzliches Personal, keine weitere Übernahme von Beratungstätigkeiten, Weitergabe von Arbeiten usw) überbrückt werden. Insofern handle es sich dabei keinesfalls um ein unvorhersehbares oder unabwendbares Ereignis, sondern die vorgebrachte Überlastung sei geradezu vorhersehbar und die Folgen wären durch verschiedene Dispositionen abwendbar gewesen. Zusätzlich hätte sich der Beschwerdeführer auf Grund der Wichtigkeit des Verwaltungsgegenstandes am Ende der Berufungsfrist bei den von ihm beauftragten Personen erkundigen müssen, ob die Berufung tatsächlich fristgerecht eingebracht worden sei. Das sei jedoch unterlassen worden. Eine "derartige Gleichgültigkeit" im Zusammenhang mit einer für den Beschwerdeführer schwer zu gewichtenden Verwaltungssache müsse als auffallende Sorglosigkeit im Sinne von grober Fahrlässigkeit gewertet werden. Insofern sei dem Wiedereinsetzungsantrag auch bei der Annahme eines unabwendbaren oder unvorhersehbaren Ereignisses wegen groben Verschuldens des Beschwerdeführers nicht stattzugeben.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Dazu hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Mit Note vom 5. Juni 2001 teilte der Verwaltungsgerichtshof den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens mit, er gehe vorläufig davon aus, dass der Beschwerdeführer im Sinn des Art. I der Verordnung der Bundesregierung vom 27. April 1999, BGBl. II Nr. 133, der Volksgruppe der Kosovo-Albaner angehört, vor dem 15. April 1999 aus dem Kosovo kommend in das Bundesgebiet einreiste und dass er infolge des bewaffneten Konfliktes nicht in seine Heimat zurückkehren konnte. Den Parteien wurde die Möglichkeit eingeräumt, binnen zwei Wochen zu dieser Annahme Stellung zu nehmen und allenfalls bekannt zu geben, ob der Beschwerdeführer anderweitig Schutz vor Verfolgung finden hätte können. Der Beschwerdeführer wurde weiters aufgefordert, anzugeben, ob und bejahendenfalls in welchen subjektiven Rechten er sich durch den angefochtenen Bescheid (noch) als verletzt erachte.

Der Beschwerdeführer bestätigte in seiner Äußerung vom 26. Juni 2001 die eben beschriebene vorläufige Annahme des Verwaltungsgerichtshofes; die belangte Behörde gab keine Stellungnahme ab.

Gemäß § 2 des am 28. April 1999 in Kraft getretenen Art. I der auf Grundlage der §§ 18 und 29 des Fremdengesetzes 1997, BGBl. I Nr. 75, erlassenen Verordnung der Bundesregierung BGBl. II Nr. 133/1999, mit der das Aufenthaltsrecht kriegsvertriebener Kosovo-Albaner geregelt und die Niederlassungsverordnung 1999 geändert wurde, kam Staatsangehörigen der Bundesrepublik Jugoslawien, die glaubhaft machten, Kosovo-Albaner zu sein, sowie deren Ehegatten und minderjährigen Kindern, die vor dem 15. April 1999 aus dem Kosovo kommend in das Bundesgebiet eingereist waren, in Folge des bewaffneten Konfliktes damals nicht in ihre Heimat zurückkehren und anderweitig keinen Schutz vor Verfolgung finden konnten, ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht zu.

Nach der Aktenlage bestehen keine Zweifel, dass der Beschwerdeführer die dargestellten Voraussetzungen des Art. I § 2 erster Satz der genannten Verordnung erfüllte.

Es ist Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass eine Ausweisung gemäß § 17 Abs. 1 FrG gegenstandslos wird, wenn dem Fremden nach Erlassung des Bescheides (wieder) ein Recht zum Aufenthalt zukommt, somit sein Aufenthalt nachträglich legalisiert wird. In diesem Fall kann die Ausweisung auf Grund des inzwischen rechtmäßigen Aufenthaltes nicht mehr vollzogen werden. Sollte der Aufenthalt des Fremden zu einem späteren Zeitpunkt (wieder) unrechtmäßig werden, so könnte er nicht in Vollziehung der ursprünglichen, auf Grund eines früheren illegalen Aufenthalts erlassenen Ausweisung beendet werden, sondern es müsste die Frage, ob sich der Fremde neuerlich illegal im Bundesgebiet aufhält, in einem weiteren Ausweisungsverfahren geklärt werden (vgl. etwa den hg Beschluss vom 5. November 1999, Zl. 96/21/1053). Wodurch die nachträgliche Legalisierung bewirkt wird, spielt keine Rolle; auch im Fall der Einräumung eines vorübergehenden Aufenthaltsrechts gemäß einer auf Grund des § 29 des Fremdengesetzes 1997 erlassenen Verordnung (vgl. auch dazu den zitierten Beschluss Zl. 96/21/1053) wird eine vor Eintritt dieses Umstandes erlassene Ausweisung wirkungslos. Dies gilt auch für eine auf § 17 Abs. 2 FrG gestützte Ausweisung (vgl. den hg. Beschluss vom 26. November 1999, Zl. 96/21/0494).

Diese (nachträgliche) Legalisierung des Aufenthalts des Beschwerdeführers hat zur Folge, dass das Beschwerdeverfahren in sinngemäßer Anwendung des § 33 Abs. 1 VwGG wegen Gegenstandslosigkeit der Beschwerde einzustellen ist, weil die Ausweisung nicht mehr vollzogen werden kann. Die dargestellten Überlegungen gelten aber nicht nur für die Ausweisung, sondern auch für einen Bescheid über die Zulässigkeit der Abschiebung gemäß § 54 Abs. 1 FrG (vgl. zu § 75 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997, BGBl I Nr. 75, etwa den hg. Beschluss vom 27. Jänner 2000, Zl. 98/21/0221), weil infolge der wirkungslosen Ausweisung keine konkrete Aussicht mehr auf eine Abschiebung in den Staat besteht, in dem verfolgt zu werden der Beschwerdeführer behauptet (vgl. dazu etwa den hg Beschluss vom 5. November 1999, Zl. 97/21/0251). Gleiches muss aber auch für eine Beschwerde gegen einen Bescheid gelten, der - wie im gegenständlichen Fall - keine Entscheidung in der Sache enthält, sondern das Verfahren über einen Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung, nämlich die Abweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist, betrifft (vgl. den hg. Beschluss vom 5. März 1999, Zl. 98/21/0282). Es ist daher auch in Ansehung der vorliegenden Beschwerde deren Gegenstandslosigkeit anzunehmen, zumal der Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme vom 26. Juni 2001 selbst davon ausgeht und nicht darlegt, inwieweit er durch den angefochtenen Bescheid noch in subjektiven Rechten verletzt sein könnte.

Gemäß § 58 Abs. 2 VwGG ist der nachträgliche Wegfall des Rechtsschutzinteresses bei der Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht zu berücksichtigen. Bei dieser Prüfung ergibt sich, dass die Beschwerde bei einer meritorischen Erledigung Erfolg gehabt hätte:

Entgegen der Auffassung der belangten Behörde ist der vom Beschwerdeführer kontaktierte (Rechts)Berater - mag er auch die vom Beschwerdeführer nur unterfertigte Berufung vorformuliert haben - mangels nach außen wirksamer Vertretungsbefugnis nicht als Bevollmächtigter zu behandeln und dessen Verhalten, das zur um einen Tag verspäteten Postaufgabe der Berufung führte, daher nicht der Partei zuzurechnen. Hinweise auf ein (grobes) Verschulden des Beschwerdeführers bei der Auswahl des - notorisch - in einer Vielzahl von Fällen für Fremde tätigen Beraters bestehen nicht. Es bestehen aber auch keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass dem Beschwerdeführer eine mangelnde Verlässlichkeit des beigezogenen Beraters oder dessen (Fehler bei der weiteren Bearbeitung der Berufung geradezu indizierende) Überlastung auffallen hätte müssen, weshalb ihm unter diesen Umständen wegen der mangelnden Überwachung der rechtzeitigen Absendung der Berufung - entgegen der Auffassung der belangten Behörde - jedenfalls kein grober Sorgfaltsverstoß vorgeworfen werden kann (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntni vom 7. Mai 1998, Zl. 97/20/0693, auf das gemäß § 43 Abs. 2 und 9 VwGG verwiesen wird).

Ausgehend von diesen Überlegungen gebührt dem Beschwerdeführer daher der Ersatz seiner Verfahrenskosten, deren Höhe sich nach der Verordnung BGBl Nr. 416/1994 richtet.

Wien, am 24. Juli 2001

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