VwGH 99/18/0356

VwGH99/18/035616.1.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Thoma als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Paal, über die Beschwerde der A P (vormals: S), (geboren am 25. Oktober 1972), vertreten durch Dr. Wolfgang Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 12/1/27, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 8. September 1999, Zl. SD 258/99, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrG 1997 §37 Abs1;
FrG 1997 §37 Abs2;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrG 1997 §37 Abs1;
FrG 1997 §37 Abs2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 2. August 1995 war gegen die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Jugoslawischen Föderation, gemäß § 18 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 des Fremdengesetzes, BGBl. Nr. 838/1992, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen worden.

Mit hg. Beschluss vom 23. Juli 1998, Zl. 95/18/1283, wurde die dagegen gerichtete Beschwerde gemäß § 114 Abs. 7 iVm Abs. 4 und § 115 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, als gegenstandslos erklärt und das verwaltungsgerichtliche Verfahren eingestellt, weil die Beschwerdeführerin keine Möglichkeit gehabt hatte, erst im Rahmen der Ermessensentscheidung gemäß § 36 Abs. 1 FrG relevante, gegen die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sprechende Umstände geltend zu machen, und der Aufenthaltsverbotsbescheid keine Begründungselemente enthielt, die eine Überprüfung im Hinblick auf die nunmehr gebotene Ermessensübung ermöglichten.

Mit dem nunmehr angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 8. September 1999 hat die belangte Behörde gegen die Beschwerdeführerin gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 FrG neuerlich ein Aufenthaltsverbot, diesmal mit einer Gültigkeitsdauer von fünf Jahren, erlassen.

Die Beschwerdeführerin sei im Alter von 17 Jahren im Juni 1990 nach Österreich gekommen und befinde sich seither hier. (Dem erstinstanzlichen Bescheid zufolge, auf dessen Gründe von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid verwiesen wurde, habe die Beschwerdeführerin auf Grund aufrechter Beschäftigungen und zuletzt auf Grund des Bezugs von Karenzurlaubsgeld Sichtvermerke erhalten.) Am 8. Februar 1994 sei sie wegen des Verdachts des versuchten Diebstahls zur Anzeige gebracht und vom Strafbezirksgericht Wien am 15. März 1994 zu einer Geldstrafe rechtskräftig verurteilt worden. Nur wenige Monate später, und zwar am 4. August 1994, sei sie vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs und des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von 18 Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Wie der Urteilsbegründung zu entnehmen sei, sei sie als Putzfrau bei einem Reinigungsunternehmen beschäftigt gewesen. Im "Frühjahr" 1994 sei sie zu einem (anderen) Unternehmen entsandt worden, um dort Reinigungsarbeiten durchzuführen.

Erstmals am 10. März 1994 habe sie die Gelegenheit genützt, um eine zurückgelassene Handtasche zu durchstöbern. Da sie jedoch kein Bargeld vorgefunden habe, habe sie ein Blankoscheckformular entnommen und sich am nächsten Tag in eine Bankfiliale begeben. Sie habe den Betrag von S 2.000,-- auf dem Scheckformular eingesetzt und in Druckbuchstaben mit dem Namen der Scheckinhaberin unterschrieben, woraufhin ihr der Geldbetrag anstandslos ausbezahlt worden sei. In weiterer Folge habe sie im März 1994 weitere viermal Scheckformulare von den "dort" (offensichtlich gemeint: bei dem anderen Unternehmen) angestellten Mitarbeitern "gestohlen" und bei der Bank eingelöst. Ende März 1994 sei sie schließlich mittels eines mit Farbstoff präparierten Schecks überführt worden. Zudem habe die Beschwerdeführerin am 4. März 1994 ihre Tätigkeit als Bedienerin bei der Informationsstelle des Tourismusverbandes dazu benutzt, um aus einer unversperrten Kassa sieben Stück 3-Tages-Netzkarten und einen geringfügigen Bargeldbetrag zu entnehmen. Auf Grund der vorliegenden Verurteilungen könne kein Zweifel bestehen, dass der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG erfüllt sei, zumal sie nicht nur mehrmals wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen verurteilt worden sei, sondern auf Grund der zuletzt erfolgten Verurteilung auch das in der genannten Gesetzesstelle normierte Strafausmaß erheblich überschritten worden sei.

Das dargestellte Gesamtfehlverhalten der Beschwerdeführerin beeinträchtige die öffentliche Ordnung und Sicherheit in erheblichem Ausmaß, sodass sich die Erlassung des Aufenthaltsverbotes - vorbehaltlich der Bestimmungen der §§ 37 und 38 leg. cit. - im Grund des § 36 (Abs. 1) leg. cit. als gerechtfertigt erweise.

Die Beschwerdeführerin sei mit einem jugoslawischen Staatsangehörigen verheiratet und wohne mit diesem sowie mit zwei aus dieser Beziehung stammenden Kindern im gemeinsamen Haushalt. Nicht nur im Hinblick auf die bisherige Dauer ihres inländischen Aufenthalts, sondern auch in Anbetracht ihrer familiären Bindungen sei von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in ihr Privat- und Familienleben auszugehen. Dieser Eingriff sei jedoch gerechtfertigt, weil er zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen sowie zum Schutz des Eigentums und der Rechte Dritter - dringend geboten sei. Immerhin habe die Beschwerdeführerin nicht nur das Vertrauen ihres Arbeitgebers missbraucht, sondern die Diebstähle gewerbsmäßig, d. h. in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, ausgeführt. Auch wenn sie nunmehr einwende, dass ihre strafbaren Handlungen längere Zeit zurücklägen und sie sich seither wohl verhalten hätte, könne aus derzeitiger Sicht eine zu ihren Gunsten ausfallende "Zukunftsprognose" nicht mit der dafür erforderlichen Verlässlichkeit getroffen werden. Auf Grund der zuletzt erfolgten schwer wiegenden Verurteilung werde es bei gleichzeitiger Berücksichtigung des Umstandes, dass die Berufungsbehörde zum Zeitpunkt der ursprünglichen Erlassung des Aufenthaltsverbots ein Wohlverhalten und ein Aufenthaltsverbot in der Dauer von zehn Jahren für erforderlich erachtet habe, einer längeren Zeit des Wohlverhaltens der Beschwerdeführerin bedürfen, um davon ausgehen zu können, dass sie künftig gewillt sei, die Rechtsvorschriften ihres Gastlandes einzuhalten. Zum Schutz des Eigentums und vor allem zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen erweise sich daher die gegenständliche Maßnahme als dringend geboten und sohin zulässig im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG.

Bei der gemäß § 37 Abs. 2 leg. cit. durchzuführenden Interessenabwägung sei zunächst auf die aus der Dauer des Aufenthalts ableitbare Integration der Beschwerdeführerin Bedacht zu nehmen gewesen. Diese persönlichen Interessen seien jedoch an Gewicht insoweit gemindert, als die für das Ausmaß der Integration wesentliche soziale Komponente durch ihr aufgezeigtes strafbares Verhalten deutlich beeinträchtigt werde. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen gewesen, dass die Beschwerdeführerin ihre Ehe zu einem Zeitpunkt geschlossen habe, als gegen sie bereits ein Aufenthaltsverbot von der Behörde erster Instanz erlassen gewesen sei. Das heiße, die Beschwerdeführerin habe auf Grund dieses Aufenthaltsverbots aus dem Jahr 1995 nicht mit einem Weiterverbleib im Bundesgebiet bei ihrem Ehemann rechnen können. Jedenfalls stehe ihren privaten und familiären Interessen das hoch zu veranschlagende öffentliche Interesse an der Verhinderung der Eigentumskriminalität entgegen. Bei Abwägung dieser Interessenlagen gelange die belangte Behörde zur Auffassung, dass die Auswirkungen des Aufenthaltsverbots auf die Lebenssituation der Beschwerdeführerin keinesfalls schwerer wögen als die gegenläufigen öffentlichen Interessen und damit die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von dieser Maßnahme. Der von ihr vorgebrachte Umstand, dass sie nicht wüsste, wo sie gemeinsam mit ihren Kindern leben könnte, insbesondere unter Berücksichtigung der durch den Krieg in "Jugoslawien" hervorgerufenen dortigen Zustände, könne ebenso keine Verstärkung ihrer persönlichen Interessen bewirken. Abgesehen davon, dass von § 37 FrG nur das in Österreich geführte Privat- und Familienleben geschützt werde, werde mit einem Aufenthaltsverbot nicht ausgesprochen, dass der Fremde in ein bestimmtes Land auszureisen habe oder dass er (allenfalls) abgeschoben werde. Überdies lege die Beschwerdeführerin nicht dar, dass sie von ihrer Familie nicht im Ausland besucht werden könnte. Die mit dem Aufenthaltsverbot verbundene Situation für ihre Familie müsse von der Beschwerdeführerin im öffentlichen Interesse in Kauf genommen werden.

Ein Sachverhalt gemäß § 38 FrG, der die Erlassung des Aufenthaltsverbots als unzulässig erscheinen ließe, sei nicht gegeben gewesen.

Vor diesem Hintergrund und im Hinblick darauf, dass keine besonderen zu Gunsten der Beschwerdeführerin sprechenden Umstände vorlägen, habe die Behörde von der Erlassung des Aufenthaltsverbots auch nicht im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens Abstand nehmen können.

Was die Gültigkeit des Aufenthaltsverbotes betreffe, so könne angesichts des dargestellten Gesamtfehlverhaltens der Beschwerdeführerin ein Wegfall des für die Erlassung der gegenständlichen Maßnahme maßgeblichen Grundes, nämlich der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch ihren Aufenthalt im Bundesgebiet, nicht vor Verstreichen etwa jenes Zeitraumes, der schon ursprünglich vorgesehen gewesen sei, angenommen werden.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. In der Beschwerde bleibt die - unbedenkliche - Ansicht der belangten Behörde, es sei vorliegend der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 (dritter und vierter Fall) FrG verwirklicht, unbekämpft.

Auch gegen die von der belangten Behörde vertretene Auffassung, es sei die im § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt, hegt der Verwaltungsgerichtshof im Hinblick auf das große öffentliche Interesse an der Verhinderung der Eigentumskriminalität keine Bedenken.

2. Bei der Prüfung der Zulässigkeit des Aufenthaltsverbots im Grund des § 37 Abs. 1 und 2 FrG fällt zu Gunsten der Beschwerdeführerin ins Gewicht, dass sie sich seit Juni 1990 erlaubt im Bundesgebiet aufhält und hier mit ihrem - gut integrierten - Ehegatten, mit dem sie seit 23. Februar 1995 verheiratet ist (vgl. die in den vorgelegten Verwaltungsakten enthaltene Heiratsurkunde), und den beiden gemeinsamen Kindern zusammenlebt. Diesen sehr gewichtigen persönlichen Interessen der Beschwerdeführerin am Verbleib im Bundesgebiet steht gegenüber, dass sie, nachdem sie versucht hatte, einen Diebstahl zu verüben (vgl. die in I. 1. angeführte rechtskräftige Verurteilung der Beschwerdeführerin durch das Strafbezirksgericht Wien vom 15. März 1994 zu einer Geldstrafe), in der Zeit zwischen 4. März 1994 und 23. März 1994 einen schweren Betrug in fünf Angriffen (Einlösen von gefälschten Schecks bei einem Bankinstitut) mit einem Gesamtschaden von S 12.500,-- sowie einen Diebstahl von sieben Stück 3-Tages-Netzkarten und einem Bargeldbetrag von S 90,-- gewerbsmäßig, d. h. in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung strafbarer Handlungen eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, verübte, weswegen sie vom Landesgericht für Strafsachen Wien am 4. August 1994 zu einer auf eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt wurde (vgl. das in den vorgelegten Verwaltungsakten enthaltene Urteil vom 4. August 1994). Im Hinblick darauf, dass sich die Beschwerdeführerin, die, wie bereits erwähnt, mittlerweile verheiratet und Mutter zweier (laut den in den vorgelegten Verwaltungsakten enthaltenen Geburtsurkunden, bezogen auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides) sieben und drei Jahre alter Kinder ist, in den mehr als fünf Jahren seit Begehung der strafbaren Handlungen - wie sich aus den vorgelegten Verwaltungsakten ergibt (vgl. die dort enthaltene Strafregisterauskunft der Bundespolizeidirektion Wien vom 17. August 1998, den Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 20. November 1998 betreffend die endgültige Strafnachsicht der vorgenannten bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe und die Anfrage der belangten Behörde vom 23. März 1999 betreffend (allfällige) verwaltungsstrafrechtliche Vormerkungen in Bezug auf die Beschwerdeführerin) - wohl verhalten hat, ist von einer deutlichen Minderung der von ihr ausgehenden Gefährdung öffentlicher Interessen auszugehen.

Unter Berücksichtigung all dieser Umstände erweist sich die Ansicht der belangten Behörde, die Erlassung des Aufenthaltsverbots sei zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten und die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation der Beschwerdeführerin und ihrer Familie wögen nicht schwerer als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung, als rechtswidrig.

3. Da die belangte Behörde somit die Rechtslage verkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

4. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil neben dem pauschalierten Schriftsatzaufwand ein gesonderter Ersatz von Umsatzsteuer nicht vorgesehen ist.

Wien, am 16. Jänner 2001

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