VwGH 99/01/0415

VwGH99/01/04156.3.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Mairinger und Dr. Köller als Richter, im Beisein des Schriftführers DDDr. Jahn, über die Beschwerde des H C in I, vertreten durch Dr. Hannes Paulweber, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Anichstraße 3, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 17. Mai 1999, Zl. Ia-13.549/11-1999, betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Normen

MRK Art8 Abs2;
StbG 1985 §10 Abs1 Z6;
MRK Art8 Abs2;
StbG 1985 §10 Abs1 Z6;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Tirol hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 17. Mai 1999 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers vom 5. Februar 1998 auf Verleihung der Staatsbürgerschaft mangels Vorliegens der Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Z 6 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985, BGBl. Nr. 311 in der Fassung BGBl. I Nr. 124/1998 - StbG, ab. Die belangte Behörde stellte folgenden Sachverhalt fest:

"H C wurde am 3. Mai 1970 in Banaz in der Türkei geboren, besitzt ... die türkische Staatsangehörigkeit, ist seit 19. Juni 1987 in Österreich mit Hauptwohnsitz gemeldet und beantragte mit Eingabe vom 5. Februar 1998 die Verleihung der Staatsbürgerschaft. Die daraufhin eingeleiteten Erhebung haben ergeben:

1. Laut Strafverfügung des Bezirksgerichtes Hall vom 14.09.1994, Zahl U 407/94, hat er am 23.05.1994 eine andere Person durch Schläge mit der flachen Hand, die eine Nasenbeinprellung zur Folge hatte, vorsätzlich am Körper verletzt und wurde wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen a S 180.-, für eine Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen, verurteilt.

2. Die Bundespolizeidirektion Innsbruck verhängte mit Strafverfügung vom 22.06.1995, Zahl St-V-4512/95, wegen Übertretung nach § 4/1c StVO und § 4/5 StVO eine Geldstrafe von insgesamt S 3000.-, weil er am 29.03.1995 als Lenker eines PKW nach einem Verkehrsunfall mit Sachschaden durch das Entfernen von der Unfallstelle an der Sachverhaltsdarstellung nicht mitgewirkt und es unterlassen hat, den Unfall ohne unnötigen Aufschub der nächsten Gendarmeriedienststelle zu melden.

3. Laut Strafverfügung der Bundespolizeidirektion Innsbruck vom 03.06.1996, Zahl ST-V-4852/96, hat er am 19.04.1996 seinen PKW auf einer öffentlichen Verkehrsfläche abgestellt und sohin auf Straßen mit öffentlichem Verkehr verwendet, obwohl keine behördlichen Kennzeichen am Fahrzeug angebracht waren (Übertretung nach § 36 lit. b KFG, S 1000.-).

4. Laut Straferkenntnis der gleichen Behörde vom 02.07.1996, Zahl ST-V-3803/96, hat er am 09.04.1996 seinen PKW auf Straßen mit öffentlichem Verkehr verwendet, obwohl keine behördlichen Kennzeichen am Fahrzeug angebracht waren (Übertretung nach § 36 lit. b KFG, S 300.-)-

5. Letztlich verhängte die Bundespolizeidirektion Innsbruck mit Strafverfügung vom 07.05.1996, Zahl St-V-3887/96 G, wegen Übertretung nach § 52a Z. 10a StVO eine Geldstrafe von S 1500,-. weil er am 12.04.1996 um 22 Uhr 34 (Witterungsverhältnisse: Dunkelheit/bedeckt) auf der Stubaitalstraße bei Mieders die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h um 32 km/h überschritten hatte."

Nach Ansicht der belangten Behörde ist die erhebliche Übertretung der erlaubten Höchstgeschwindigkeit wegen der eminenten Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer als gravierender Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit anzusehen. Die Unterlassung der Mitwirkung an der Feststellung des Sachverhaltes anlässlich des Verkehrsunfalles vom 29. März 1995 stelle eine schwer wiegende Verletzung der öffentlichen Ordnung im Straßenverkehr dar. Die anderen Übertretungen von Straßenverkehrsordnung und Kraftfahrgesetz seien für sich und einzeln betrachtet zwar von geringerem Unrechtsgehalt, aber angesichts der wiederholten Begehung hinreichend, das Kriterium der häufigen Begehung von Übertretungen als gegeben anzunehmen. Vor diesem Hintergrund sei auch die zwar nur einmal, aber laut gerichtlicher Feststellung jedenfalls gezeigte Gewalttätigkeit des Beschwerdeführers gegenüber anderen von einiger Bedeutung im Zusammenhang mit der Beurteilung des Gesamtverhaltens. Dieses lasse eine gesicherte Prognose hinsichtlich seines künftigen Wohlverhaltens nicht zu. Die zwingende Verleihungsvoraussetzung des § 10 Abs. 1 Z 6 StbG liege derzeit nicht vor.

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 6 StbG kann die Staatsbürgerschaft einem Fremden verliehen werden, wenn er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, dass er zur Republik bejahend eingestellt ist und weder eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstellt noch andere in Artikel 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen gefährdet. Dabei handelt es sich um eine zwingende Verleihungsvoraussetzung; bei der Beurteilung, ob sie vorliegt, ist der Behörde kein Ermessen eingeräumt (vgl. etwa das Erkenntnis vom 17. Dezember 1997, Zl. 96/01/1138).

Bei der Klärung der Frage, ob diese Voraussetzung gegeben ist, ist vom Gesamtverhalten des Einbürgerungswerbers auszugehen. Dieses ist wesentlich durch das sich aus der Art, Schwere und Häufigkeit der von ihm begangenen Straftaten ergebende Charakterbild bestimmt. Hiebei stellt der Gesetzgeber nicht auf formelle Gesichtspunkte ab, sondern es ist lediglich maßgebend, ob es sich um Rechtsbrüche handelt, die den Schluss rechtfertigen, der Betreffende werde auch in Zukunft wesentliche, zum Schutz vor Gefahren für das Leben, die Gesundheit, die Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung erlassene Vorschriften missachten (vgl. etwa das Erkenntnis vom 29. Juni 2000, Zl. 99/01/0331).

Nun begründete die belangte Behörde ihre Einschätzung ausschließlich mit den festgestellten Vergehen und stützte die negative Prognose über das künftige Verhalten des Beschwerdeführers vorwiegend auf die Überschreitung der erlaubten Höchstgeschwindigkeit und die Unterlassung der Mitwirkung an der Feststellung des Sachverhaltes anlässlich eines Verkehrsunfalles. Dem von der belangten Behörde als Beleg für ihre Wertung, die Geschwindigkeitsüberschreitung des Beschwerdeführers stelle einen gravierenden Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit dar, zitierten hg. Erkenntnis vom 20. Mai 1994, Zl. 92/01/0953, liegen vier Fälle erheblicher Überschreitungen der erlaubten Höchstgeschwindigkeit (in einem Fall sogar um mehr als 100 %) und vier Fälle der Missachtung eines gekennzeichneten Überholverbotes zu Grunde. Die Häufigkeit und Beharrlichkeit dieser Verstöße gaben dort den Ausschlag für eine negative Prognose. Dieser Sachverhalt ist mit dem des zu entscheidenden Falles ebenso wenig vergleichbar wie jener in dem hg. Erkenntnis vom 30.September 1987, Zl. 87/01/0146, das die belangte Behörde als Nachweis für die grobe Verletzung der öffentlichen Ordnung im Straßenverkehr durch die "Fahrerflucht" heranziehen will; dort wollte der Einbürgerungswerber durch vorsätzliche Maßnahmen auch die Schadensabwicklung zum Nachteil des Geschädigten vereiteln. Entgegen der von der belangten Behörde in ihrer Gegenschrift vertretenen Ansicht ergibt sich weder aus den beiden zuletzt genannten noch - soweit überblickbar- aus anderen Erkenntnissen die Notwendigkeit einer Bewährung des Einbürgerungswerbers während eines "angemessenen Beobachtungszeitraumes von fünf Jahren seit der letzten Straftat". Auch der in der Gegenschrift geäußerten Meinung, die Uhrzeit der Geschwindigkeitsübertretung (22 Uhr 34) sowie die dabei herrschenden Sicht- und Witterungsverhältnisse (Dunkelheit/bedeckt) stellten gravierende Begleitumstände dar, kann nicht beigetreten werden, weil damit keine besonders gefährlichen Fahrbedingungen aufgezeigt wurden.

Der Verwaltungsgerichtshof hatte sich zur Beurteilung der hier in Frage stehenden Verleihungsvoraussetzung wiederholt mit vergleichbaren Delikten und Deliktskombinationen zu befassen. Etwa in seinem Erkenntnis vom 17. Dezember 1997, Zl. 96/01/1138, wurde das Abstellen eines Fahrzeuges ohne Kennzeichen auf einer öffentlichen Straße nicht als wesentliche Rechtsgutbeeinträchtigung für die anzustellende Prognose gewertet und geäußert, dass ohne Hinzutreten besonderer Umstände weder eine Körperverletzung (Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je S 500,--) noch eine Geschwindigkeitsüberschreitung (Überschreitung der erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h um 41 km/h) für sich allein geeignet sei - unter Berücksichtigung der Tatsache, dass im damaligen Beschwerdefall sich der in Österreich geborene Beschwerdeführer seit dem Alter von sieben Monaten, sohin seit etwa 25 Jahren ununterbrochen in Österreich aufhalte - die Annahme zu tragen, der Beschwerdeführer biete - trotz der langen Aufenthaltsdauer in Österreich - nach seinem bisherigen Verhalten keine Gewähr dafür, keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit zu bilden.

Die "schwerer wiegenden" Verwaltungsübertretungen des Lenkens eines Kraftfahrzeuges ohne Lenkerberechtigung und der "Fahrerflucht" wurden etwa im hg. Erkenntnis vom 7. September 2000, Zl. 2000/01/0117, nicht als negative Bewertungsfaktoren für die Prognose herangezogen, weil im damaligen Beschwerdefall diese Delikte - neben einer gerichtlich geahndeten Tat und einer weiteren Verkehrsübertretung - neun Jahre vor Erlassung des angefochtenen Bescheides zurücklagen.

Nahezu fünf Jahre und somit ebenfalls nicht mehr aussagekräftig für die anzustellende Prognose liegt die gerichtlich bestrafte Körperverletzung zurück. Entgegen der Meinung des Beschwerdeführers können freilich auch getilgte Strafen in die Beurteilung einbezogen werden (vgl. das Erkenntnis vom 8. März 1999, Zl. 98/01/0255).

Zieht man diese Überlegungen und weiters in Betracht, dass im vorliegenden Beschwerdefall zwischen Bescheiderlassung und letzter Verwaltungsübertretung mehr als drei Jahre vergangen waren, sämtliche Delikte in einem Zeitraum von zwei Jahren begangen wurden und sich der Beschwerdeführer davor rund sieben Jahre wohl verhalten hatte, enthält der Sachverhalt im Hinblick auf die dargestellte Gewichtung der Vergehen, die nicht unter besonders gefährlichen Umständen begangen wurden, keine Anhaltspunkte für die Annahme, der Beschwerdeführer biete nach seinem bisherigen Verhalten keine Gewähr dafür, keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit zu bilden oder andere in Artikel 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen zu gefährden.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. NR. 416/1994. Wien, am 6. März 2001

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