Normen
B-VG Art130 Abs2;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §37;
VwRallg;
B-VG Art130 Abs2;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §37;
VwRallg;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) wurde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina, gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.
Der Beschwerdeführer sei am 31. Juli 1994 nach Österreich eingereist und habe gemäß § 12 AufG das vorübergehende Aufenthaltsrecht, welches dreimal bis zum 31. August 1997 verlängert worden sei, erhalten. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 27. Oktober 1997 sei er wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls sowie der Hehlerei nach den §§ 127, 128 Abs. 1 Z. 4, 130 erster Fall sowie 164 Abs. 1 und 2 StGB zu einer zwölfmonatigen Freiheitsstrafe, davon vier Monate unbedingt, rechtskräftig verurteilt worden.
Der genannten Verurteilung sei zu Grunde gelegen, dass der Beschwerdeführer in Gesellschaft eines anderen jugoslawischen Staatsangehörigen einer unbekannten Anzahl von Geschäftsleuten Jeans, Hemden und Parfums der gehobenen Preisklasse gestohlen und einen weiteren (unbekannten) Täter bei der Verhehlung der Diebesbeute unterstützt habe.
Dieses Fehlverhalten des Beschwerdeführers bringe eine krasse Geringschätzung fremden Eigentums zum Ausdruck und beeinträchtige die öffentliche Ordnung in hohem Maß, sodass sich die Erlassung des Aufenthaltsverbotes - vorbehaltlich der Bestimmungen der §§ 37 und 38 leg. cit. - im Grund des § 36 Abs. 1 FrG als gerechtfertigt erweise.
Würde durch ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so sei ein solcher Entzug der Aufenthaltsberechtigung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele dringend geboten sei. Zweifellos sei auf Grund des mehrjährigen Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet und im Hinblick darauf, dass seine Ehegattin und sein Kind ebenfalls hier lebten, von einem solchen Eingriff auszugehen. Dessen ungeachtet sei die gegen ihn gesetzte fremdenpolizeiliche Maßnahme zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele - hier: zur Verhinderung strafbarer Handlungen sowie zum Schutz der Rechte Dritter - dringend geboten. Das aufgezeigte Fehlverhalten des Beschwerdeführers verdeutliche sehr augenfällig, dass er offenbar nicht in der Lage oder nicht willens sei, die zum Schutz fremden Vermögens aufgestellten Normen einzuhalten. Erschwerend falle diesbezüglich ins Gewicht, dass der Beschwerdeführer nicht auf Grund einer einmaligen Gesetzesübertretung verurteilt worden sei, sondern sein Fehlverhalten über einen unbekannten Zeitraum in den Jahren 1996 und 1997 fortgesetzt bzw. wiederholt habe, um sich durch die wiederkehrende Begehung von Straftaten eine fortlaufende Einnahmequelle zu verschaffen. Dieses Festhalten an seiner kriminellen Neigung lasse jedenfalls die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer, insbesondere zum Schutz der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit, dringend geboten und daher im Grund des § 37 Abs. 1 leg. cit. zulässig erscheinen.
Im Rahmen der nach § 37 Abs. 2 leg. cit. erforderlichen Interessenabwägung sei auf den mehr als dreieinhalbjährigen inländischen Aufenthalt des Beschwerdeführers sowie auf seine familiären Bindungen Bedacht zu nehmen gewesen. Ebenso sei aber zu berücksichtigen gewesen, dass der daraus ableitbaren Integration kein entscheidendes Gewicht zukomme, weil die dafür erforderliche soziale Komponente durch das strafbare Verhalten des Beschwerdeführers erheblich beeinträchtigt werde. Weiters sei zu beachten gewesen, dass sich der Beschwerdeführer lediglich auf ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht gemäß § 12 AufG (jetzt § 29 FrG) berufen könne. Aus diesem Titel heraus habe der Beschwerdeführer daher auch nicht mit seinem ständigen Verbleib im Bundesgebiet rechnen können. Einer allfälligen Unterhaltsverpflichtung könne er auch vom Ausland aus nachkommen. Dass er wegen des Aufenthaltsverbotes nicht mehr mit seiner Familie in Österreich zusammenleben könne, müsse er angesichts der genannten maßgeblichen öffentlichen Interessen in Kauf nehmen, allerdings könne er den Kontakt mit seiner Familie, insbesondere seinem Kind, dadurch aufrechterhalten, dass er im Ausland von seinen Angehörigen besucht oder dorthin begleitet werde. Diesen - solcherart geminderten - privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers stehe das hoch zu veranschlagende öffentliche Interesse an der Verhinderung der Eigentumskriminalität gegenüber. Bei Abwägung dieser Interessenslagen sei die belangte Behörde zur Auffassung gelangt, dass die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers keinesfalls schwerer wögen als die gegenläufigen öffentlichen Interessen und damit die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von dieser Maßnahme. Die vom Beschwerdeführer geltend gemachte "Traumatisierung" seiner Person infolge der Kriegsereignisse in der Heimat vermöge daran nichts zu ändern, zumal mit einem Aufenthaltsverbot keine Abschiebung des Fremden (in ein bestimmtes Land) verbunden sei.
Was die Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes betreffe, so erscheine die von der Erstbehörde vorgenommene Befristung auch nach Ansicht der belangten Behörde gerechtfertigt. In Anbetracht des aufgezeigten Gesamt(fehl)verhaltens des Beschwerdeführers könne ein Wegfall des für die Erlassung dieser Maßnahme maßgeblichen Grundes, nämlich der Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet, nicht vor Verstreichen des festgesetzten Zeitraumes erwartet werden.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes bzw. Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. In der Beschwerde bleibt die Rechtsansicht der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG verwirklicht und auch die im § 36 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, unbekämpft. Auf dem Boden der unbestrittenen maßgeblichen Sachverhaltsfeststellungen begegnet diese Beurteilung keinem Einwand.
2.1. Die Beschwerde macht geltend, dass der angefochtene Bescheid in das Privat- bzw. Familienleben des Beschwerdeführers eingreife. Er halte sich seit 31. Juli 1994 durchgehend im Bundesgebiet auf, lebe hier mit seiner Gattin und seinem Sohn im gemeinsamen Haushalt und sei stets einer ordnungsgemäßen und geregelten Erwerbstätigkeit nachgegangen. Er sei bei einer Polizeisondereinheit im Kriegsgebiet im Einsatz gewesen, welche den Auftrag gehabt habe, eroberte Dörfer rückzuerobern, wobei er derart viel Blut fließen gesehen habe, dass er von dieser Einheit desertiert sei. Als weiteres Faktum sei hinzugekommen, dass er serbischer Nationalität sei und an der Seite der bosnischen Moslems gegen Serben und Kroaten zu kämpfen gehabt habe, was ihm absolut zuwider gewesen sei. Er sei dadurch derart traumatisiert worden, dass er nach wie vor nächtens häufig unter Schüttelkrämpfen und Schweißausbrüchen leide, weshalb er auch von seiner Gattin umsorgt werden müsse; er benötige den ständigen Beistand seiner Gattin sowie die Nähe seines Sohnes, um diese Vorfälle vergessen zu können. Er habe dies im Verfahren mehrfach dokumentiert und sei darauf in der Berufung "umfangreich" eingegangen. Bei der Vorschrift des § 36 FrG handle es sich um eine reine "Kann-Bestimmung", weshalb die herrschende Judikatur seit Jahren den erkennenden Behörden zwingend auferlege, das Gesamtfehlverhalten des Fremden in besonders sorgfältiger Weise zu erforschen, zu überprüfen und darzustellen, wovon in dem angefochtenen Bescheid tatsächlich nichts festzustellen sei.
2.2. Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde im Ergebnis eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.
Die Bestimmung des § 36 Abs. 1 FrG räumt der Behörde insofern Ermessen ein, als sie diese ermächtigt, von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes trotz Vorliegens der in den §§ 36 bis 38 FrG normierten Tatbestandsvoraussetzungen abzusehen. Nach Art. 130 Abs. 2 B-VG hat die Behörde von dem besagten Ermessen "im Sinne des Gesetzes" Gebrauch zu machen. Sie hat hiebei in Erwägung zu ziehen, ob und gegebenenfalls welche Umstände im Einzelfall vor dem Hintergrund der gesamten Rechtsordnung gegen die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes sprechen, und sich hiebei insbesondere von den Vorschriften des FrG leiten zu lassen. Es könnten etwa - anders als bei der Beurteilung der Zulässigkeit eines Aufenthaltsverbotes nach § 37 FrG - öffentliche Interessen zu Gunsten eines Fremden berücksichtigt werden und bei entsprechendem Gewicht eine Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes im Rahmen der Ermessensentscheidung rechtfertigen. Aber auch persönliche, schon im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit eines Aufenthaltsverbotes nach § 37 FrG zu berücksichtigende Interessen wie auch solche, die bei dieser Interessenabwägung nicht zu berücksichtigen waren, sind bei der Handhabung des Ermessens nach § 36 Abs. 1 FrG dann zu beachten, wenn dies erforderlich ist, um den besonderen im Einzelfall gegebenen Umständen gerecht zu werden. (Vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 3. August 2000, Zl. 98/18/0086.)
Zur Frage des Ermessens enthält der angefochtene Bescheid keine Ausführungen. Die belangte Behörde hat lediglich festgehalten, dass sich die Erlassung des Aufenthaltsverbotes ... im Grund des § 36 Abs. 1 FrG "als gerechtfertigt erweist". Dies stellt nach der ständigen hg. Rechtsprechung keine nachvollziehbare Begründung der Ermessensentscheidung dar, weshalb die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid mit einem wesentlichen Begründungsmangel belastet hat. Der Gerichtshof sieht keinen Anlass, im Fall des vorliegend angefochtenen, kurz nach Inkrafttreten des FrG 1997 erlassenen Bescheides von seiner bisherigen Rechtsprechung abzugehen (vgl. dazu schon das vorzitierte, einen insoweit gleichgelagerten Fall betreffende Erkenntnis Zl. 98/18/0086). Es liegt auch kein Fall vor, in dem das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes eindeutig und daher eine gesonderte Begründung der Ermessensentscheidung entbehrlich wäre (vgl. dazu den hg. Beschluss vom 24. April 1998, Zl. 96/21/0490).
3. Nach dem Gesagten war der bekämpfte Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.
4. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 24. April 2001
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