VwGH 98/09/0228

VwGH98/09/022821.2.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Flendrovsky, über die Beschwerde der A I in J, vertreten durch Dr. Hansjörg Schweinester, Dr. Paul Delazer und Dr. Rudolf Kathrein, Rechtsanwälte in 6010 Innsbruck, Adolf-Pichler-Platz 12, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Tirol vom 29. Juni 1998, Zl. LGSTi/V/13117/856905-709/1998, betreffend Nichtausstellung eines Befreiungsscheines nach § 4c Abs. 2 Ausländerbeschäftigungsgesetz, zu Recht erkannt:

Normen

61995CJ0351 Kadiman VORAB;
61998CJ0065 Eyüp VORAB;
ARB1/80 Art7 Abs1;
ARB1/80 Art7;
AuslBG §4c Abs2;
EURallg;
61995CJ0351 Kadiman VORAB;
61998CJ0065 Eyüp VORAB;
ARB1/80 Art7 Abs1;
ARB1/80 Art7;
AuslBG §4c Abs2;
EURallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die beschwerdeführende Partei hat dem Arbeitsmarktservice Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine türkische Staatsangehörige, stelle beim Arbeitsmarktservice Schwaz am 18. September 1997 mit dem amtlichen aufgelegten Formular den Antrag auf "Feststellung gemäß Art. 7 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich des Beschlusses des Assoziationsrates Nr. 1/80 (Assoziationsabkommen EU-Türkei 1963)". In diesem Antrag stützte sich die Beschwerdeführerin auf ihren Vater Niyazi Tarakci als Familienangehörigen; Beschäftigungszeiten der Beschwerdeführerin enthält der Antrag nicht.

Mit Bescheid vom 23. Jänner 1998 stellte das Arbeitsmarktservice Schwaz (regionale Geschäftsstelle) auf Grund des Antrages der Beschwerdeführerin fest, "dass sie die in Art. 7 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich des Beschlusses 1/1980 des Assoziationsrates vom 19.9.1980 genannten Voraussetzungen nicht erfüllen. Es stehen ihnen daher die Rechte, die Art. 7 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich einräumt, nicht zu".

In ihrer dagegen erhobenen Berufung brachte die Beschwerdeführerin vor, im Abkommen sei "der gemeinsame Wohnsitz nicht als Voraussetzung dafür erwähnt worden". Als Folge ihrer Eheschließung sei sie aus der elterlichen Wohnung ausgezogen. Ihr Vater komme jedoch für ihren Unterhalt auf, weil der Ehegatte keine Genehmigung für eine Beschäftigung habe.

Die belangte Behörde brachte der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 27. Mai 1998 unter anderem zur Kenntnis, dass nach den Ergebnissen der Beweisaufnahme davon auszugehen sei, dass ihr Vater seit 12. Juni 1991 (und dies unverändert auch bis zuletzt) erlaubt beschäftigt sei und sie die Genehmigung erhalten habe, zu ihrem Vater zu ziehen. Die Beschwerdeführerin habe am 5. April 1996 geheiratet. In der Zeit vom 6. Dezember 1993 bis 3. Februar 1994 und seit 9. Mai 1996 (bis zum heutigen Tage) habe sie nicht mit ihrem Vater in häuslicher Gemeinschaft tatsächlich zusammen gelebt.

Die Beschwerdeführerin nahm daraufhin mit Schriftsatz vom 4. Juni 1998 dahingehend Stellung, sie habe deshalb von 6. Dezember 1993 bis 3. Februar 1994 nicht bei ihrem Vater gewohnt, weil sie Schwangerschaftsprobleme gehabt habe; sie habe während dieser Zeit bei ihrer Schwester (in R) Unterkunft genommen. Nachdem es ihr wieder besser ging, sei sie zu ihrem Vater zurückgekehrt. Im April 1996 habe sie geheiratet; seither lebe sie bei ihrem Ehegatten. Die Eheschließung sei ein wichtiger Grund für eine getrennte Wohnsitznahme im Sinne der Entscheidung "Selma Kadiman". Es stehe ihr ein Befreiungsschein nach § 4c AuslBG zu. Als Eventualantrag ersuchte die Beschwerdeführerin - im Hinblick auf eine häusliche Gemeinschaft mit ihrem Vater von zumindest drei Jahren - um amtswegige Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung. Über Vorhalt der belangten Behörde mit Schreiben vom 15. Juni 1998 berichtigte die Beschwerdeführerin ihr Vorbringen mit Schreiben vom 29. Juni 1998 dahingehend, dass nicht sie selbst sondern ihre Schwägerin schwanger gewesen sei und sie zu ihrer Schwägerin gezogen sei, um dieser "bei den üblichen Schwangerschaftsbeschwerden und Ängsten" beizustehen.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 29. Juni 1998 entschied die belangte Behörde gemäß § 66 Abs. 4 AVG über die Berufung der Beschwerdeführerin wie folgt:

"1.) Der Antrag auf Ausstellung eines Befreiungsscheines wird gemäß § 4c Abs. 2 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (AuslBG), BGBl. Nr. 218/1975, in der Fassung BGBl. I Nr. 78/1997, in Verbindung mit Art. 7 zweiter Unterabsatz des ARB 1/80 abgewiesen.

2.) Der Antrag auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung für die Berufungswerberin gemäß § 4c Abs. 1 des AuslBG, BGBl. Nr. 218/1975, in der Fassung BGBl. I Nr. 78/1997, ist nicht "Sache" (Prozeßgegenstand) des Berufungsverfahrens und wird daher gemäß § 6 Abs. 1 des AVG an das Arbeitsmarktservice Schwaz als der zuständigen Behörde erster Instanz weitergeleitet".

Die zu Spruchpunkt 1. (Nichtausstellung eines Befreiungsscheines) getroffene Entscheidung wurde von der belangten Behörde nach Darstellung des bisherigen Verfahrensverlaufes und der maßgebenden Rechtslage im Wesentlichen damit begründet, die Beschwerdeführerin habe am 5. April 1996 C I geheiratet, sie lebe seit dem 9. Mai 1996 bis laufend mit ihrem Ehegatten in häuslicher Gemeinschaft tatsächlich zusammen. Hingegen habe die Beschwerdeführerin mit ihrem Vater ab dem 9. Mai 1996 nicht mehr in häuslicher Gemeinschaft tatsächlich zusammengelebt. Sie habe auch keine Erlaubnis erhalten, zu ihrem Ehegatten zu ziehen. Die tatsächliche häusliche Lebensgemeinschaft mit ihrem Vater habe sie aufgegeben. Demnach erfülle die Beschwerdeführerin nicht die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Ausstellung eines Befreiungsscheines gemäß § 4c Abs. 2 AuslBG.

Gegen diesen Bescheid im Umfang seines Spruchpunktes 1. richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die Beschwerdeführerin erachtet sich in diesem Umfang ihrer Anfechtung durch den angefochtenen Bescheid in dem Recht auf Ausstellung des beantragten Befreiungsscheines nach § 4c Abs. 2 AuslBG verletzt. Sie beantragt, den angefochtenen Bescheid - erkennbar jedoch nur im Umfang seiner Anfechtung - wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß der mit 1. Jänner 1998 in Kraft getretenen Bestimmung des § 4c Abs. 1 AuslBG (in der Fassung BGBl. I Nr. 78/1997) ist für türkische Staatsangehörige eine Beschäftigungsbewilligung vom Amts wegen zu erteilen oder zu verlängern, wenn sie die Voraussetzungen nach Art. 6 Abs. 1 erster und zweiter Unterabsatz oder nach Art. 7 erster Unterabsatz oder nach Art. 7 letzter Satz oder nach Art. 9 des Beschlusses des Assoziationsrates EWG-Türkei-ARB-Nr. 1/1980 erfüllen.

Nach dem Abs. 2 dieser Gesetzesstelle ist türkischen Staatsangehörigen von Amts wegen ein Befreiungsschein auszustellen oder zu verlängern, wenn sie die Voraussetzungen nach Art. 6 Abs. 1 dritter Unterabsatz oder nach Art. 7 zweiter Unterabsatz des ARB Nr. 1/1980 erfüllen.

Vorauszuschicken ist, dass die Beschwerdeführerin sich nicht darauf berufen hat, sie selbst habe Beschäftigungszeiten in der Dauer von vier Jahren aufzuweisen. Des Weiteren vermag die Erfüllung der Voraussetzungen nach Art. 7 erster Unterabsatz oder nach Art. 7 letzter Satz des ARB Nr. 1/80 der Beschwerdeführerin nicht zur Ausstellung des von ihr begehrten Befreiungsscheines nach § 4c Abs. 2 AuslBG zu verhelfen, weil dafür - nach Lage des Beschwerdefalles - nur die Voraussetzungen nach Art. 7 zweiter Unterabsatz des ARB Nr. 1/80 in Betracht kommen können. Insoweit die Beschwerdeführerin zu ihren nach Wohnsitzzeiten in der Dauer von nur drei Jahren sich ergebenden (aus Art. 7 erster Unterabsatz des ARB Nr. 1/80 ableitbaren) Rechten Vorbringen erstattet, vermag dies ihrer Beschwerde nicht zum Erfolg zu verhelfen, weil die Ausstellung eines Befreiungsscheines nach § 4c Abs. 2 AuslBG Wohnsitzzeiten in der Dauer von fünf Jahren erfordert. Ob eine Beschäftigungsbewilligung nach § 4c Abs. 1 AuslBG für die Beschwerdeführerin zu erteilen (oder zu verlängern) wäre, bildete nicht den Abspruch des Spruches I. des angefochtenen Bescheides und ist nicht Prüfungsgegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens.

Art. 7 Satz 1 (Abs. 1) ARB Nr. 1/80 lautet:

"Art. 7

Die Familienangehörigen eines dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedsstaates angehörenden türkischen Arbeitnehmers, die die Genehmigung erhalten haben, zu ihm zu ziehen,

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