VwGH 98/09/0137

VwGH98/09/01374.4.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Flendrovsky, über die Beschwerde des S in E, vertreten durch Dr. Manfred Schiffner, Rechtsanwalt in 8580 Köflach, Bahnhofstraße 15, gegen den Bescheid der Disziplinaroberkommission beim Bundeskanzleramt vom 17. Februar 1998, Zl. 120/32-DOK/94, betreffend Verhängung der Disziplinarstrafe der Entlassung, zu Recht erkannt:

Normen

ABGB §273;
AußStrG §236;
AVG §11;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §52;
BDG 1979 §105 Z1;
BDG 1979 §126 Abs2;
BDG 1979 §91;
JN §109;
StGB §11 impl;
StGB §11;
StGB §4 impl;
VStG §3 impl;
VwRallg;
ABGB §273;
AußStrG §236;
AVG §11;
AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §52;
BDG 1979 §105 Z1;
BDG 1979 §126 Abs2;
BDG 1979 §91;
JN §109;
StGB §11 impl;
StGB §11;
StGB §4 impl;
VStG §3 impl;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird im Umfang seines Schuld-, Straf- und Kostenausspruches (Spruchpunkte 1. und 3.) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der im Jahr 1947 geborene Beschwerdeführer stand als Revierinspektor (im Bereich der Bundesgendarmerie) in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund. Er war bis zu seiner Suspendierung dem Gendarmerieposten L zur Dienstleistung zugeteilt.

Zur Vorgeschichte des vorliegenden Beschwerdefalles wird auf das (beiden Parteien bekannte) hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 1996, Zl. 95/09/0153, verwiesen. Mit diesem Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof den damals angefochtenen Bescheid vom 21. Februar 1995 (mit dem über den Beschwerdeführer die Disziplinarstrafe der Entlassung verhängt worden war) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben, weil - mangels gebotener entsprechender Feststellungen - nicht abschließend beurteilt werden konnte, ob der Beschwerdeführer im Tatzeitraum schuldfähig gewesen ist. Im fortgesetzten Verfahren hatte die belangte Behörde mit Hilfe eines medizinischen Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Psychiatrie und Neurologie die Rechtsfrage zu beantworten, ob im Zeitpunkt der Begehung der angelasteten Dienstpflichtverletzungen die Zurechnungsfähigkeit (biologisches Schuldelement) des Beschwerdeführers gegeben war oder nicht.

Mit dem im Instanzenzug als Ersatzbescheid ergangenen, vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Disziplinarerkenntnis der belangten Behörde vom 17. Februar 1998 wurde über die Berufung des Beschwerdeführers gegen das erstinstanzliche Disziplinarerkenntnis vom 25. Oktober 1994, mit dem über den Beschwerdeführer die Disziplinarstrafe der Entlassung verhängt worden war, wie folgt entschieden:

"1. Der Berufung wird hinsichtlich der Anschuldigungspunkte II., III., IV.1. und IV.2. keine Folge gegeben und das angefochtene Disziplinarerkenntnis mit der Maßgabe bestätigt, dass der Schuldspruch wie folgt zu lauten hat:

II. (Zu GZ. 19-DK/47/92 vom 27. August 1992)

Er ließ sich am 28. April1992 um 18.45 Uhr, mit Uniform und Tellerkappe adjustiert, im Bereich des Hauptplatzes in L vor dem Sparkassengebäude vom Fotoreporter Sch aus P, für die Tageszeitung

X mehrmals fotografieren, obwohl ihm mit Bescheid über die vorläufige Suspendierung des LGK für Steiermark, GZ. 6531/1-2/92 vom 2. April 1992, 'Hinweis - außerhalb des Bescheides -" das Tragen der Uniform untersagt worden war.

III. (Zu GZ. 19/41-DK/47/92 vom 16. März 1992 (richtig: 1993)).

Er nahm bei einer gegen ihn am 13. November 1992 beim Landesgericht für Strafsachen Graz anberaumten Hauptverhandlung, zu der er als Angeklagter geladen war, Aufforderungen des verhandelnden Richters und des Staatsanwaltes in einer widersprüchlichen und provokanten Weise nicht zur Kenntnis und verließ den Verhandlungssaal nach etwa dreistündiger Verhandlungsdauer ungerechtfertigt und widerrechtlich.

Weiter befolgte er durch das Mitführen einer weißen Gendarmerie-Tellerkappe bei der genannten Hauptverhandlung eine Weisung im Bescheid über die vorläufige Suspendierung des Revierinspektor S vom 2. April 1992, GZ. 6531/1-2/92, nicht, da darin ein Uniformtrageverbot ausgesprochen worden war.

IV. (Zu GZ. 19-DK/47/92 vom 24. Mai 1993)

1. Als er am 31. März 1993 auf Grund eines gegen seine Person gerichteten Vorführungsbefehles des Landesgerichtes für Strafsachen Graz von Gendarmeriebeamten des GP E und G von seinem Wohnort in E, W Nr. 218, nach Graz in die B-Gasse Nr. 16 dem Sachverständigen des Landesgerichtes für Strafsachen Graz, Dr. L, vorgeführt werden musste, sich der Vorführung sowohl in E als auch in Graz passiv widersetzte, sodass die Gendarmeriebeamten zur ordnungsgemäßen Durchführung der Amtshandlung Handschellen anlegen und Körperkraft anwenden mussten,

2. während der gesamten Dauer der Vorführung eine weiße Gendarmerie-Tellerkappe unter dem Arm trug und dadurch gegen das mit LGK-Befehl vom 2. April 1992, GZ. 6531/1-2/92 (vorläufige Suspendierung), ausgesprochene Uniformtrageverbot verstieß.

Der Beschuldigte hat hiedurch gegen die Bestimmungen der §§ 43 Abs. 2, 44 Abs. 1 BDG 1979 sowie 8 GDI verstoßen und im Sinne des § 91 BDG 1979 schuldhaft Dienstpflichtverletzungen begangen.

Über ihn wird gemäß § 126 Abs. 2 iVm § 92 Abs. 1 Z. 4 BDG 1979 die Disziplinarstrafe der Entlassung verhängt.

2. Der Berufung wird hinsichtlich der Anschuldigungspunkte IV.3. und V. Folge gegeben und der Beschuldigte hinsichtlich der darin angelasteten Dienstpflichtverletzungen vom 21. April 1993 und vom 26. September 1994 freigesprochen.

3. Der Berufungswerber hat dem Bund Verfahrenskosten in der Höhe von S 3.578,-- zu ersetzen.

Die dem Beschuldigten erwachsenen Kosten hat er selbst zu tragen."

Zur Begründung ihrer Entscheidung führte die belangte Behörde nach Darstellung des bisherigen Verfahrensverlaufes, Wiedergabe des schriftlichen Nachtragsgutachtens des Sachverständigen Dr. L vom 15. Juni 1997 (Punkt VI. der Begründung des angefochtenen Bescheides) und der maßgebenden Rechtslage Folgendes aus:

"Auf Grund des vom medizinischen Sachverständigen Dr. L, Facharzt für Psychiatrie und Neurologie in Graz, am 15. Juni 1997 erstellten - oben wörtlich wiedergegebenen - Nachtragsgutachtens und des Ergebnisses der Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung am 17. Februar 1998 gelangte der erkennende Senat in der Frage der Zurechnungsfähigkeit des Beschuldigten zu folgendem Ergebnis:

Der medizinische Gutachter hat glaubwürdig und nachvollziehbar dargelegt, dass von einer Diskretions- und Dispositionsfähigkeit des Beschuldigten zu den Tatzeitpunkten 28. April 1992, 13. November 1992 und 31. März 1993 ausgegangen werden kann, sodass der Beschuldigte hinsichtlich der ihm diesbezüglich vorgeworfenen Dienstpflichtverletzungen schuldfähig war.

Hinsichtlich der Tatzeitpunkte 21. April 1993 und 26. September 1994 hat der Sachverständige ausgeführt, dass er Zweifel im Hinblick auf die Diskretions- und Dispositionsfähigkeit des Beschuldigten hege, weil sich das Krankheitsbild des Beschuldigten durch die Ereignisse und begleitenden Umstände anlässlich der zwangsweisen Vorführung zur ärztlichen Untersuchung am 31. März 1993 seiner Ansicht nach gravierend verschlechtert habe.

Auf Grund dieser Aussagen des medizinischen Sachverständigen gelangte der erkennende Senat der Disziplinaroberkommission beim Bundeskanzleramt zu dem Ergebnis, dass die dem Beschuldigten in den Punkten II., III., IV.1. und IV.2. angelasteten Dienstpflichtverletzungen von diesem schuldhaft im Sinne des § 91 BDG 1979 begangen wurden.

Hinsichtlich der in Punkt IV.3. und V. angelasteten Dienstpflichtverletzungen geht der Senat im Zweifel davon aus, dass die Schuldfähigkeit des Beschuldigten als krankheitsbedingt nicht mehr gegeben angenommen werden kann.

Da die dem Beschuldigten in den Punkten II., III., IV.1. und IV.2. zur Last gelegten Dienstpflichtverletzungen so gravierend sind, dass ein Weiterverbleib des Beschuldigten im Dienst im Hinblick auf die Erhaltung der Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes insgesamt nicht vorstellbar erscheint, gelangte die Disziplinarkommission zu dem Ergebnis, dass die im Spruchpunkt I. ihres Erkenntnisses genannten Dienstpflichtverletzungen nur mit der Disziplinarstrafe der Entlassung geahndet werden können.

...

Der im Spruchpunkt 2. dieses Erkenntnisses enthaltene Freispruch des Beschuldigten erfolgte ebenfalls auf Grund des vom medizinischen Sachverständigen erstellten Nachtragsgutachtens sowie seiner Aussage in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat. Da die Schuldfähigkeit des Beschuldigten laut Aussage des Sachverständigen zum Tatzeitpunkt 21. April 1993 nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bejaht werden kann und die Schuldfähigkeit zum Tatzeitpunkt 26. September 1994 zu verneinen ist, kam die Disziplinaroberkommission zu dem Ergebnis, dass der Beschuldigte hinsichtlich der ihm diesbezüglich angelasteten Dienstpflichtverletzungen im Zweifel freizusprechen ist."

Gegen diesen Bescheid - erkennbar jedoch nur im Umfang seines Schuld-, Straf- und Kostenausspruches - richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Der Beschwerdeführer erachtet sich nach seinem gesamten Beschwerdevorbringen erkennbar in dem Recht verletzt, dass über ihn wegen der ihm angelasteten Dienstpflichtverletzungen nicht die Disziplinarstrafe der Entlassung verhängt wird. Er beantragt, den angefochtenen Bescheid (im Umfang der Anfechtung) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, verzichtete trotz gebotener Gelegenheit auf Erstattung einer Gegenschrift und stellte den Antrag, die Beschwerde unter Zuspruch des verzeichneten Vorlageaufwandes als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer rügt unter anderem auch die Beweiswürdigung der belangten Behörde. Diese sei in willkürlicher Weise von einer plötzlich zwischen dem 31. März 1993 und dem 21. April 1993 eingetretenen Schuldunfähigkeit ausgegangen, obwohl eine derartige plötzlich eintretende Schuldunfähigkeit der forensischen und der allgemeinen Erfahrung widerspreche. Bereits zum Zeitpunkt der ersten maßgebenden Vorfälle hätte davon ausgegangen werden müssen, dass zumindest Zweifel an seiner Schuldfähigkeit bestünden. Der Sachverständige habe ausgeführt, dass sich seine Haltung fixiert und einen immer weiteren Krankheitswert bekommen habe; es liege bei ihm eine Persönlichkeitsstörung mit fanatischer Rechtshaltung vor. Bereits zu den Zeitpunkten der früheren Vorfälle habe er sich in einer "eigenen Rechtsansicht befunden". Im Zweifel hätte das Gutachten nicht zu seinem Nachteil ausgelegt werden dürfen. In nicht begründbarer und auch nicht nachvollziehbarer Weise habe die belangte Behörde jedoch dargelegt, dass er gerade ab 21. April 1993 schuldunfähig, vor dem 31. März 1993 jedoch noch voll schuldfähig gewesen sei. Mangels einer entsprechenden Exploration habe sich der Sachverständige nur in vagen Wahrscheinlichkeiten ausgedrückt.

Schon mit diesem Vorbringen ist der Beschwerdeführer im Recht.

Voraussetzung disziplinarrechtlicher Verantwortlichkeit eines Beamten im Sinne des § 91 BDG 1979 ist (unter anderem auch) seine Zurechnungsfähigkeit (Schuldfähigkeit) zur Zeit der Tat. Für den Beschwerdefall ist von Bedeutung, dass derjenige, der wegen einer tief greifenden Bewusstseinsstörung oder wegen einer anderen schweren, einem dieser Zustände gleichartigen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach seiner Einsicht zu handeln, nicht schuldhaft handelt (vgl. auch § 11 StGB sowie § 3 VStG). Die Zurechnungsfähigkeit als Teil des Schuldbegriffes des § 91 BDG 1979 ist eine unbedingte Voraussetzung für die Fällung eines Schuldspruches (mit oder ohne Verhängung einer Disziplinarstrafe) im Sinn des § 126 Abs. 2 BDG 1979.

Das Vorliegen oder Nichtvorliegen dieses Schuldausschließungsgrundes hat die Disziplinarbehörde gemäß (dem nach § 105 Z. 1 BDG 1979 anwendbare) § 45 Abs. 2 AVG nach freier Beweiswürdigung zu beurteilen. Ob zum Zeitpunkt der Begehung der Dienstpflichtverletzung von einer mangelnden Zurechnungsfähigkeit auszugehen ist, ist eine Rechtsfrage, die - wenn objektive Anhaltspunkte für das Vorliegen eines derartigen Zustandes vorliegen - von den Disziplinarbehörden mit Hilfe eines ärztlichen Sachverständigen zu lösen, wobei in der Regel die Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Psychiatrie erforderlich sein wird (vgl. hiezu auch das zum Bereich des LDG 1984 ergangene hg. Erkenntnis vom 18. Oktober 1989, Zl. 89/09/0023).

Wie das Beweisverfahren im AVG ist auch jenes im Disziplinarverfahren unter anderem vom Grundsatz der materiellen Wahrheit, dass die Behörde den wirklichen, entscheidungserheblichen Sachverhalt festzustellen hat, getragen. Im Disziplinarverfahren gibt es - wie im Strafprozess - keine formelle Beweislast der Parteien. Eine Schuldvermutung besteht im Disziplinarrecht nicht. Kann dem Beamten die schuldhafte Begehung einer Dienstpflichtverletzung nicht nachgewiesen werden, so ist er - nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" - nicht zu bestrafen (vgl. § 118 Abs. 1 Z. 2 BDG 1979; sowie Kucsko-Stadlmayer, Das Disziplinarrecht der Beamten, zweite Auflage 1996, Seite 361). Bis zum gesetzlichen Nachweis der Schuld des einer Dienstpflichtverletzung verdächtigen Beamten gilt - auch im Disziplinarverfahren - die Unschuldsvermutung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. April 1987, Zl. 86/09/0134, in Slg. NF Nr. 12461/A).

Im Beschwerdefall ist davon auszugehen, dass die dem Verwaltungsgerichtshof entstandenen Bedenken an der richtigen Beurteilung der Zurechnungsfähigkeit des Beschwerdeführers, wie im hg. Erkenntnis Zl. 95/09/0153 dargelegt, sich bestätigt haben. Die belangte Behörde hat den Beschwerdeführer nämlich wegen der am 21. April 1993 und am 26. September 1994 begangenen Dienstpflichtverletzungen - anders als in ihrem Bescheid vom 21. Februar 1995 - mit der Begründung freigesprochen, dass im Zweifel seine Schuldfähigkeit zur Zeit dieser Taten krankheitsbedingt nicht mehr als gegeben angenommen werden könne bzw. zu verneinen sei.

Hinsichtlich der am 28. April 1992, am 13. November 1992 und am 31. März 1993 begangenen Dienstpflichtverletzungen gelangte die belangte Behörde jedoch allein mit der Begründung, der medizinische Gutachter habe glaubwürdig und nachvollziehbar dargelegt, der Beschwerdeführer sei damals diskretions- und dispositionsfähig gewesen, zu dem Ergebnis, der Beschwerdeführer sei zu diesen Tatzeitpunkten (noch) schuldfähig gewesen. Bei der Würdigung des medizinischen Sachverständigengutachtens und der Beantwortung der Rechtsfrage, der Beschwerdeführer sei zu den genannten Tatzeitpunkten noch schuldfähig gewesen, hat die belangte Behörde die Ergebnisse der mündlichen Verhandlung vom 17. Februar 1998 und die ergänzende mündliche Befragung des Sachverständigen Dr. L im Zusammenhalt mit seinem schriftlichen Ergänzungsgutachten nicht hinreichend berücksichtigt. Nach dem im Auftrag des Strafgerichtes vom Sachverständigen Dr. L erstatteten schriftlichen psychiatrischen Gutachten vom 7. April 1993 ließ sich am 31. März 1993, anlässlich der zwangsweisen gerichtlichen Vorführung des Beschwerdeführers zu diesem Sachverständigen, nachdem der Beschwerdeführer bereits zweimal seine freiwillige neuropsychiatrische Untersuchung verweigert hatte, weder eine tragfähige Beziehung zu diesem Sachverständigen aufbauen noch eine psychiatrische Exploration durchführen. Der Beschwerdeführer äußerte damals "stereotyp, die Angelegenheit sei rechtswidrig" und er sei "widerrechtlich vorgeführt worden". Der Beschwerdeführer erklärte diesem Sachverständigen am 31. März 1993 unter anderem auch "er sei fähig, sich selbst zu verteidigen, er brauche keinen Anwalt" bzw. "es sei praktisch ein Verfassungsbruch eingetreten, man versuche ihn einfach zu beugen, da er ein gewöhnlicher Beamter sei". Der Sachverständige Dr. L war nach seinem schriftlichen Gutachten vom 7. April 1993 der Auffassung, der Beschwerdeführer weiche "von seinen eingeengten und fixierten Vorstellungen bezüglich seiner Probleme nicht ab". Er kam in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, der Beschwerdeführer sei "mit größter Wahrscheinlichkeit am 1.4.1992 noch als voll zurechnungsfähig zu bezeichnen". Dass bzw. ob der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der angelasteten Dienstpflichtverletzungen am 28. April 1992, am 13. November 1992 und am 31. März 1993 noch schuldfähig gewesen sei, kann dem genannten schriftlichen Gutachten des Sachverständigen Dr. L allerdings nicht entnommen werden, wobei insbesondere auch darauf hinzuweisen ist, dass die am 28. April 1992 und am 13. November 1992 begangenen Taten unter anderem auch einen besonderen dienst- bzw. disziplinarrechtlichen Aspekt aufweisen.

Untersuchungen (Explorationen) des Beschwerdeführers fanden danach nicht statt. Auch dem im Auftrag der belangten Behörde erstatteten schriftlichen Ergänzungsgutachten des Sachverständigen Dr. L vom 15. Juni 1997 fehlt eine mit dem Beschwerdeführer durchgeführte Untersuchung (Befundaufnahme). Der Sachverständige Dr. L hat in seinem Ergänzungsgutachten dargelegt, dass er über die Persönlichkeitsstruktur des Beschwerdeführers (eigentlich) keine umfassenden Aussagen habe treffen können, weil entsprechende Untersuchungen fehlen. Insoweit dieser Sachverständige in seinem schriftlichen Ergänzungsgutachten allein "auf Grund dieser Tatsache", nämlich dass "sinnvolle Ergebnisse bei Verweigerung des Probanden auch unter klinischen Bedingungen zu erzielen wären", zu seinen Schlussfolgerungen über den Beschwerdeführer in seinem Gutachten gelangte, fehlt dieser Einschätzung allerdings eine nachvollziehbare Begründung für die methodische Zulässigkeit einer derartigen Beurteilung. Wenngleich bei fehlender direkter psychiatrischer Befundaufnahme (etwa bei Weigerung des zu Beurteilenden, an dieser mitzuwirken) die Erstattung eines Gutachtens nicht grundsätzlich ausgeschlossen erscheint, bedarf ein derart auf anderer Sachverhaltsgrundlage aufbauendes Gutachten dennoch der näheren Darlegung der zur Gewinnung gutachterlicher Schlussfolgerungen angewendeten Erfahrungssätze und der nachvollziehbaren Darstellung ihrer konkreten Anwendung im Fall des zu Beurteilenden. Der Sachverständige räumt abschließend selbst ein, dass eine eindeutige gutachterliche Aussage bezüglich der Persönlichkeitsstruktur des Beschwerdeführers unmöglich erscheine. Dennoch wird im schriftlichen Nachtragsgutachten die "Ansicht" vertreten, dass zum Zeitpunkt der vorgeworfenen "strafbaren Handlungen" - diese sind mit den Dienstpflichtverletzungen allerdings nicht ident - noch ausreichende Diskretions- und Dispositionsfähigkeit gegeben gewesen sei.

Das schriftliche Nachtragsgutachten kann demnach nicht als hinreichende Sachverhaltsgrundlage angesehen werden, um die Schuldfähigkeit des Beschwerdeführers zur Zeit der ihm angelasteten Dienstpflichtverletzungen zweifelsfrei bejahen zu können.

Bei seiner mündlichen Befragung in der Verhandlung am 17. Februar 1998 gab der Sachverständige an, dass der Beschwerdeführer während dieser Verhandlung demselben Verhaltensmuster gefolgt sei, wie am 31. März 1993 anlässlich der Untersuchung in seiner Ordination. Aus den bisherigen Verhaltenskriterien sei - nach Ansicht des Sachverständigen - unschwer die tiefgreifende Persönlichkeitsstörung des Beschwerdeführers zu erkennen, die "zumindest derzeit einen hohen Krankheitswert erreicht habe". Ausgehend von dieser Beurteilung (Einschätzung) fehlt aber eine nachvollziehbare Begründung dafür, aus welchem Grund vom Beschwerdeführer dann nicht auch am 31. März 1993 bereits "die Realität ziemlich weit verkannt" wurde und der Beschwerdeführer sich nicht auch damals bereits "unkritisch eingebracht habe". Insoweit der Sachverständige darlegte, der Beschwerdeführer sei "ständig unter Fremdeinflüssen in seinem Bekanntenkreis gestanden ..., was den Beschuldigten weiter negativ beeinflusst habe", fehlt eine Auseinandersetzung damit, ob bzw. in welcher Weise dies - wofür nach der Aktenlage durchaus Hinweise bestehen - nicht seit einem früheren Zeitpunkt, also insbesondere auch vor dem 31. März 1993 gleichfalls der Fall gewesen sei.

Der Sachverständige hat darauf hingewiesen, dass nach seinen Beobachtungen die subjektive Traumatisierung des Beschwerdeführers "durch die ergriffenen Maßnahmen sicher sehr intensiv war, sodass ab der vom Beschuldigten abgelehnten Untersuchung beim Sachverständigen, zu welcher er mit Handschellen habe vorgeführt werden müssen, sicherlich Einflüsse auf das bereits im Gang gewesene Schädigungsmuster gehabt und dieses ziemlich abrupt und intensiv verstärkt habe". Diese Ausführungen des Sachverständigen lassen allerdings - entgegen der Beurteilung der belangten Behörde - doch erheblich scheinende Bedenken dahingehend entstehen, ob der Beschwerdeführer nicht bereits am 31. März 1993 schuldunfähig gewesen ist, hatte er vor diesem Zeitpunkt doch bereits zweimal seine neuropsychiatrische Untersuchung verweigert. In seiner - vom Sachverständigen konstatierten - fixierten Überzeugung der Rechtmäßigkeit seines Verhaltens hat der Beschwerdeführer, da er den Zugriff auf seine Person als "Verfassungsbruch an einem gewöhnlichen Beamten" ansah, sich offenbar aber auch am 31. März 1993 bereits seiner zwangsweisen Vorführung passiv widersetzt. Dass dieses vom Sachverständigen bei seiner Befragung am 17. Februar 1998 konstatierte "Schädigungsmuster", am 31. März 1993 nicht bestanden habe, kann auch vor dem Hintergrund des vorliegenden medizinischen Sachverständigengutachtens nicht verlässlich ausgeschlossen werden.

Die belangte Behörde hat der Befragung des Sachverständigen - nach dem Inhalt des Protokolls über die mündliche Verhandlung erkennbar - suggestiv die Unterscheidung zwischen der Schuldfähigkeit des Beschwerdeführers bis einschließlich 31. März 1993 und den danach am 21. April 1993 und am 26. September 1994 begangenen Dienstpflichtverletzungen vorgegeben. Diese Unterscheidung erscheint allerdings nicht schlüssig. Der Beschwerdeführer hat sich nämlich während des gesamten Tatzeitraumes, in dem ihm Dienstpflichtverletzungen angelastet wurden, nach den Umständen aller ihm vorgeworfenen Tathandlungen - entsprechend seinen Vorstellungen - immer konsequent und gleichartig verhalten. Ein auffallender Bruch oder ein Wandel im Verhalten des Beschwerdeführers ist nicht feststellbar und wurde weder vom Sachverständigen noch von der belangten Behörde nachvollziehbar begründet. Hinsichtlich der Entwicklung des "Schädigungsmusters" ist keine wesentliche Änderung etwa dahin zu beobachten, dass beim Beschwerdeführer nach dem 31. März 1993 eine Vertiefung seiner Fixierung oder eine Steigerung seiner fanatischen Haltung eingetreten wäre. Ganz im Gegenteil indizieren die am 21. April 1993 und am 26. September 1994 begangenen Dienstpflichtverletzungen, von deren Begehung der Beschwerdeführer im Zweifel wegen fehlender Schuldfähigkeit bzw. verneinter Schuldfähigkeit freigesprochen wurde, gerade keine Vertiefung der Erkrankung des Beschwerdeführers. Dass der Beschwerdeführer am 21. April 1993 seiner Zeugeneinvernahme vor dem Bezirksgericht Leibnitz und am 26. September 1994 der fortgesetzten Disziplinarverhandlung fernblieb, kann wohl schwerlich als schwerwiegendere Manifestierung fehlender Schuldfähigkeit angesehen werden als die vom Beschwerdeführer bereits am 28. April 1992, am 13. November 1992 und auch am 31. März 1993 demonstrativ in der Öffentlichkeit begangenen Verletzungen des Uniformtrageverbotes sowie die am 13. November 1992 bzw. am 31. März 1993 in spektakulärer Weise verfolgten aktiven und passiven Widerstände gegen richterliche Anordnungen bzw. Maßnahmen des Strafgerichtes betreffend seine Untersuchung durch einen medizinischen Sachverständigen. Auch die Handlungsweise des Beschwerdeführers, eine Verhandlung entweder zu verlassen oder gar nicht zu besuchen, zieht sich wie ein roter Faden durch sein Verhalten (am 13. November 1992 und am 17. Februar 1998 verließ er eine Verhandlung; am 21. April 1993 und am 26. September 1994 blieb er Verhandlungen fern).

Die belangte Behörde und der medizinische Sachverständige haben nicht berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer mit Bescheid vom 2. April 1992 gemäß § 112 Abs. 1 BDG 1979 mit sofortiger Wirkung vorläufig vom Dienst suspendiert wurde und diese Suspendierung vom Dienst mit Bescheid vom 13. August 1992 gemäß § 112 Abs. 3 BDG 1979 aufrecht erhalten wurde (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 8. September 1993, Zl. 93/09/0252). Das Verhalten des Beschwerdeführers lässt erkennen, dass er ab dem Zeitpunkt seiner Suspendierung vom Dienst (2. April 1992) gegen diese - aus seiner Sicht - "rechtswidrige Vorgangsweise gegen einen pflichtgetreuen Gendarmeriebeamten" mit gleich bleibendem Eifer und Fanatismus "angekämpft" hat, wobei die Handlungsweise des Beschwerdeführers von der Art und Intensität des "gegen ihn gerichteten Angriffs oder Zugriffs" abhängig war. Im Hinblick auf die aktenkundigen Indizien im Verhalten des Beschwerdeführers und nach den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens (insbesondere auch nach den Ergebnissen des medizinischen Sachverständigengutachtens) hätte die belangte Behörde unter Beachtung des Grundsatzes "in dubio pro reo" die Schuldfähigkeit des Beschwerdeführers beginnend ab dem Zeitpunkt seiner Suspendierung nicht mehr als gegeben ansehen dürfen.

Der Verwaltungsgerichtshof vermag daher die Beweiswürdigung und rechtliche Beurteilung der belangten Behörde, der Beschwerdeführer sei - anders als am 21. April 1993 und am 26. September 1994 - bei Begehung der im Zeitraum 28. April 1992 bis einschließlich 31. März 1993 begangenen Dienstpflichtverletzungen nach den glaubwürdigen und nachvollziehbaren Ausführungen des medizinischen Sachverständigen noch schuldfähig gewesen, nicht als schlüssig bzw. rechtmäßig zu erkennen.

Schon aus diesen Erwägungen belastete die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid im Umfang seines Schuld-, Straf- und Kostenausspruches mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

Selbst auf der Grundlage ihrer Entscheidung hat die belangte Behörde überdies nicht beachtet, dass bei Durchführung eines Disziplinarverfahrens gegen einen Disziplinarbeschuldigten, dessen Schuldfähigkeit ab dem Tatzeitpunkt 21. April 1993 im Zweifel als nicht mehr gegeben erachtet bzw. verneint wurde, schon wegen der damit verbundenen Zweifel an der Prozessfähigkeit dieses Disziplinarbeschuldigten die Frage der Notwendigkeit der Bestellung eines Sachwalters (Kurators) als Rechtsbeistand hätte geprüft werden müssen (vgl. § 11 AVG; zum fairen Verfahren allgemein etwa die hg. Erkenntnisse vom 13. Dezember 1990, Zl. 90/09/0152, und vom 8. November 1995, Zlen. 95/12/0175 und 95/12/0192; sowie Kucsko-Stadlmayer, a.a.O., Seiten 331f und 336f). Das gesamte Disziplinarverfahren (in erster und zweiter Instanz) wurde jedoch ohne Beiziehung eines Sachwalters als Rechtsbeistand gegen den unvertretenen Beschwerdeführer durchgeführt, sodass einem Schuldspruch des Beschwerdeführers - wäre dieser nicht bereits aus den dargelegten Erwägungen aufzuheben - zudem auch der Mangel anhaften würde, nicht in einem fairen Verfahren und unter wesentlicher Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte des Disziplinarbeschuldigten zustande gekommen zu sein.

Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Hingewiesen wird darauf, dass der Beschwerdeführer mit Zustellung des vorliegenden Erkenntnisses wieder Beamter ist (vgl. § 42 Abs. 3 VwGG).

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 4. April 2001

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