Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundeskanzleramt) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsbürger Indiens, betrat am 6. Juni 1998 unter Umgehung der Grenzkontrolle das Bundesgebiet und stellte am 10. Juni 1998 einen Asylantrag.
Bei seiner Befragung durch das Bundesasylamt am 24. August 1998 gab der Beschwerdeführer an, er habe im April 1998 vom Passamt in Neu Delhi problemlos einen Reisepass erhalten, mit dem er Indien verlassen habe.
Zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer an:
"Im November oder Dezember 1997 kam ein Verwandter namens Chinda, den ganzen Namen weiß ich nicht, zu uns und fragte, ob er einige Tage bei wohnen kann. Nach einer Woche kam die Polizei und verhaftete ihn. Die Polizei sagte uns bei der Festnahme, dass er bei einer Untergrundorganisation tätig ist. Die Polizei sagte nicht bei welcher Organisation er tätig ist und wir wussten es nicht.
Anfang Dezember 1997, wann genau, weiß ich nicht, kam die Polizei erneut und nahm mich fest. Es gab keinen Haftbefehl für mich.
F.: Sind Sie bei einer Organisation Mitglied?
A.: Nein, ich sympathisiere auch mit keiner politischen Organisation.
Ich war in Punjab, wobei ich nicht angeben kann, wo dies genau war, eine Woche in Haft. Meine Eltern intervenierten für mich und wurde ich nach einer Woche ohne weitere Auflagen wieder freigelassen. Nach der Freilassung bin ich wieder nach Neu Delhi in mein Haus zurückgekehrt.
Im Jänner 1998 kam die Polizei erneut zu mir, sprach mit meinen Eltern und sagten diese, dass ich nichts mit der Sache zu tun habe, worauf die Polizei wieder ging. Wann dies genau war, kann ich nicht angeben.
Ende Jänner 1998 habe ich erfahren, dass die Polizei meinen Verwandten Chinda erschossen hat. Dies erfuhr ich von einem Dorfbewohner aus Punjab, der bei uns zu Besuch war. Der Dorfbewohner hat dies in einer Zeitung in Punjab gelesen. Ich weiß nicht, welche Zeitung dies war.
Meine Eltern bekamen Angst, dass wenn mich die Polizei wieder verhaftet, mir das selbe passieren kann, und bin ich deshalb geflüchtet.
F.: Habe Sie alles zur Begründung Ihres Asylantrages angegeben?
A.: Ja, ich habe alles angegeben."
Die problemlose Ausreise aus Indien erklärte der Beschwerdeführer damit, dass es gegen ihn keine Anzeige gegeben habe und die Polizei nur Informationen über "die Organisation" von ihm erhalten wollte.
Am Ende seiner Vernehmung durch das Bundesasylamt bekräftigte der Beschwerdeführer, dass er den Dolmetscher einwandfrei habe verstehen können.
Das Bundesasylamt wies den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 25. August 1998 ab und sprach aus, dass dessen Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Indien gemäß § 8 AsylG zulässig sei.
Das Bundesasylamt hielt die Angaben des Beschwerdeführers für unglaubwürdig und begründete dies insbesondere mit dem "kaum engagierten, zögernden und unsicheren Eindruck" den der Beschwerdeführer hinterlassen habe.
In seiner gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung bekräftigte der Beschwerdeführer die Richtigkeit seines bisherigen Vorbringens und brachte zusätzlich Folgendes vor:
"Tatsache ist jedoch, dass ich in meinem Heimatland von der Polizei gesucht werde, weil ich unter dem Verdacht stehe einer Untergrundorganisation anzugehören. Ich habe bereits klar dargelegt, daß mich die Polizei deswegen zwei mal verhaftet hatte. Mir wird vorgeworfen, ein Mitglied einer Untergrundorganisation zu sein, weil ich einen Freund beherbergte, der angeblich für eine Untergrundorganisation arbeitete. Im Dezember kam die Polizei zu mir nach Hause und wurde ich für eine Woche in Haft genommen. In den ständigen Verhören, wurde ich zu dieser Untergrundorganisation befragt. So wurde ich auch schwerstens misshandelt. Mit gezielten Schlägen mit dem Schlagstock, der Hand und dem Fuß gegen mein Gesicht und auf meinen gesamten Körper wollte man mich zwingen, Namen und Informationen der Untergrundorganisation bekannt zu geben. Ich wurde nur durch Bezahlung von Bestechungsgelder durch meine Familie aus der Haft entlassen. Ende Jänner wurde ich erneut festgenommen und diesmal 4 Tage in Haft gehalten. Neuerlich wurde ich schwer mißhandelt und konnte ich einer längeren Haft nur mittels Bezahlung von Bestechungsgelder entgehen. In der Folge lebte ich bis zu meiner Ausreise versteckt.
Daß meine Angaben in einer dermaßen verkürzten Form wiedergegeben werden, ist darauf zurückzuführen, daß ich zu all dem nicht befragt wurde.
...
Daß alle meine diesbezüglichen Angaben nicht oder nur zum Teil sinngemäß entstellt im angefochtenen Bescheid wiedergegeben werden, kann ich nur auf das Walten des Dolmetsch bei meiner Einvernahme zurückführen. Die Behörde hat dadurch das Verfahren durch einen groben Mangel belastet, indem sie ihre Entscheidung auf die Beiziehung eines offensichtlich ungeeigneten Dolmetschers stützte.
Bei Einhaltung der Vorgangsweise gem. leg. cit. wäre ich in der Lage gewesen meine Angaben wie folgt zu ergänzen. Die erkennende Behörde geht davon aus, dass ich Indien mit meinem Reisepaß verlassen hätte. Dies ist jedoch nicht ganz richtig. Vielmehr wurde meine gesamte Ausreise von meinem Schlepper organisiert, der auch die Grenzformalitäten für mich abwickelte."
Die belangte Behörde führte eine mündliche Berufungsverhandlung durch, in der sie den Beschwerdeführer lediglich dazu befragte, ob er sich nun durch die Polizei Neu Delhis oder durch die Polizei des Punjab verfolgt fühle. Sie zog einen "Sachverständigen für die aktuelle politische Lage in Indien" bei und beauftragte diesen mit einem "Gutachten zu der Frage, ob überhaupt und diesfalls mit welcher Wahrscheinlichkeit eine unionsweite Gefährdung" des Beschwerdeführers zu befürchten sei.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß §§ 7 und 8 AsylG ab und stellte zunächst "auf Grund der Aktenlage" fest, dass der Beschwerdeführer bei seiner erwähnten Einvernahme vor dem Bundesasylamt angegeben habe, im April 1998 problemlos einen Reisepass erhalten zu haben, mit welchem er Indien verlassen habe.
Der angefochtene Bescheid gibt sodann die Niederschrift über die Vernehmung des Beschwerdeführers vor dem Bundesasylamt vom 24. August 1998 und die den Beschwerdeführer betreffenden Teile des Verhandlungsprotokolls über die mündliche Berufungsverhandlung vom 2. Mai 2000 samt dem dort erstatteten Sachverständigengutachten wieder.
Ohne Feststellungen zu treffen und ohne sich mit dem in der Berufung erstatteten neuen Vorbringen des Beschwerdeführers auseinander zu setzen begründet die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid im Wesentlichen wie folgt:
"Im gegenständlichen Fall hat das vom unabhängigen Bundesasylsenat geführte ergänzende Ermittlungsverfahren selbst unter Zugrundelegung der Richtigkeit des Vorbringens des Berufungswerbers keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass dieser jedenfalls nunmehr, das heißt zum Zeitpunkt dieser Entscheidung, in Indien Gefahr liefe, 'von staatlichen Behörden' (gleichgültig, welchen Bundesstaates) verfolgt zu werden, hat doch der Sachverständige, geradewegs mit Blick auf das Vorbringen des Berufungswerbers dieses Verfahrens, ausdrücklich festgehalten, dass 'Personen, für die nur lockerer Kontakt zu militanten Gruppierungen angenommen wird, z.B. Familienangehörige oder Menschen, die Terroristen Unterkunft gewährt haben, ... nicht zu diesem Personenkreis' (dh der nach wie vor von staatlichen Behörden verfolgten, 'hochrangigen Führungspersonen bzw. Funktionären militanter Organisationen') zählen.
Ausgehend davon - Anhaltspunkte für sonstige Gefährdungen ergaben sich weder aus dem Vorbringen des Berufungswerbers noch von Amts wegen (dies gilt insbesondere für die Frage, ob die wirtschaftlichen Perspektiven des Berufungswerbers in Indien asyl- bzw. refoulementschutzrelevante 'Ausweglosigkeit' erreichten; vgl. hiezu näher UBAS, jeweils vom heutigen Tage, Zlen. 203.605/9- II/04/00, bzw. 215.494/10-II/04/00) - vermag aber der unabhängige Bundesasylsenat zu keinem anderen Ergebnis als bereits das Bundesasylamt zu gelangen; die Berufung war daher im vollen Umfang abzuweisen."
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Die belangte Behörde beantragte, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Nach dem gemäß § 67 AVG auch von der Berufungsbehörde anzuwendenden § 60 AVG muss in der Bescheidbegründung in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugänglichen Weise dargetan werden, welcher Sachverhalt der Entscheidung zu Grunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zu der Ansicht gelangte, dass gerade dieser Sachverhalt vorliege, und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einem bestimmten Tatbestand als zutreffend bzw. nicht zutreffend erachtete (vgl. dazu etwa die hg. Erkenntnisse vom 30. Mai 1985, Zl. 84/08/0047, und vom 26. Juli 1995, Zl. 94/20/0722).
Diesen Anforderungen wird der angefochtene Bescheid nicht gerecht, weil er zwar "unter Zugrundelegung der Richtigkeit des Vorbringens" des Berufungswerbers eine rechtliche Beurteilung vornimmt, dabei aber weder das in der Berufung erstattete neue Vorbringen des Beschwerdeführers berücksichtigt noch Feststellungen über die vom Sachverständigengutachten behandelten, allenfalls für die Refoulementprüfung relevanten allgemeinen wirtschaftlichen oder politischen Verhältnisse im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers trifft. Die bloße wörtliche Wiedergabe der Ausführungen des Sachverständigen und der dazu abgegebenen Stellungnahmen des Beschwerdeführers vermögen eine beweiswürdigende Auseinandersetzung mit den Ermittlungsergebnissen und daraus abzuleitende Feststellungen nicht zu ersetzen.
Die Beschwerde hebt zutreffend hervor, dass sich die belangte Behörde mit dem in der Berufung erstatteten neuen Vorbringen des Beschwerdeführers überhaupt nicht auseinander gesetzt hat. Dieser Verfahrensmangel ist auch relevant, denn träfe zu, dass der Beschwerdeführer von der indischen Polizei bereits zweimal verhaftet worden ist, um ihn durch gezielte Schläge mit dem Schlagstock auf die Hand, den Fuß, das Gesicht und den gesamten Körper des Beschwerdeführers dazu zu zwingen, Namen und Informationen jener Untergrundorganisation bekannt zu geben, der anzugehören der Beschwerdeführer von der Polizei verdächtigt wird, so kann das Vorliegen einer asylrelevanten Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention nicht ohne Auseinandersetzung mit diesen Vorfällen ausgeschlossen werden. Im Zusammenhang mit der Überprüfung der Glaubhaftigkeit des in der Berufung erstatteten Vorbringens könnte auch die Berufungsbehauptung des Beschwerdeführers Bedeutung erlangen, wonach asylrelevante Angaben vor dem Bundesasylamt in der Niederschrift über die Vernehmung des Beschwerdeführers unrichtig bzw. unvollständig wiedergegeben werden.
Da somit der Verwaltungsgerichtshof nicht zu überprüfen vermag, wie die belangte Behörde zur Abweisung der Berufung gelangte, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 14. Dezember 2000
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)