VwGH 2000/17/0111

VwGH2000/17/011123.10.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hnatek und die Hofräte Dr. Höfinger, Dr. Holeschofsky, Dr. Köhler und Dr. Zens als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Keller, über die Beschwerde des R, vertreten durch Dr. A Rechtsanwalts-Kommandit-Partnerschaft in W, gegen die Abgabenberufungskommission der Stadt Wien wegen Verletzung der Entscheidungspflicht in einer Angelegenheit der Ankündigungsabgabe, den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §38;
B-VG Art132;
VwGG §27 Abs1;
AVG §38;
B-VG Art132;
VwGG §27 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung

Die beschwerdeführende Partei macht mit ihrer am 29. Mai 2000 beim Verwaltungsgerichtshof eingelangten Säumnisbeschwerde die Verletzung der Entscheidungspflicht durch die belangte Behörde geltend. Sie habe sich (vergeblich) bemüht, Abgabenfestsetzung und Rückerstattung hinsichtlich der Ankündigungsabgabe für Wien betreffend den Zeitraum Jänner 1991 bis Februar 1998 zu erlangen. Mit Bescheid vom 28. Februar 1999 habe die belangte Behörde den Devolutionsantrag der beschwerdeführenden Partei vom 8. September 1998 als unzulässig zurückgewiesen. Dieser Bescheid sei mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. November 1999, Zl. 99/17/0174, zugestellt am 16. Dezember 1999, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben worden. Eine Entscheidung durch die belangte Behörde sei noch nicht getroffen worden, obwohl seit dem Devolutionsantrag vom 8. September 1998 bereits mehr als sechs Monate verstrichen seien.

Es stehe nunmehr unbestritten (auf Grund des angeführten Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes) fest, dass die Zurückweisung des Devolutionsantrages zu Unrecht erfolgt sei. Nach einer derartigen Entscheidung beginne aber die sechsmonatige Sperrfrist nicht neu zu laufen. Entscheidend sei die Frage, ob und wie lange die Behörde unterer Rechtsstufe die Entscheidungspflicht verletzt habe; ein von der Oberbehörde aus welchen Gründen auch immer nicht akzeptierter Devolutionsantrag könne die vorangegangene Verletzung der Entscheidungspflicht nicht ungeschehen machen und führe zur Verletzung der eigenen Entscheidungspflicht. "Alles andere liefe Rechtsschutzerfordernissen diametral entgegen." Die belangte Behörde könne sich also nicht darauf berufen, dass ihr mit der Zustellung des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes am 16. Dezember 1999 eine neue Frist eingeräumt worden wäre. Dies würde (auch) in einem allfälligen Amtshaftungsprozess, in dem der Verzögerungsschaden geltend gemacht werde, zu unlösbaren Widersprüchen führen.

Die "Widersinnigkeit" einer auf den Beginn eines neuen Fristenlaufs hinauslaufenden Argumentation ergebe sich auch aus der Zweijahresfrist des § 243 Abs. 3 WAO. Danach könne erst nach zwei Jahren Säumnis ein Devolutionsantrag gestellt werden; die Oberbehörde hätte es somit in der Hand, durch dessen Ablehnung (auch durch dessen Zurückweisung) während der gesamten Dauer des höchstgerichtlichen Beschwerdeverfahrens und während weiterer zwei (neu zu laufen beginnender Jahre) "das Recht zu nehmen, Verletzung der Entscheidungspflicht geltend zu machen". So würde die Devolution für mehr als die Hälfte eines Jahrzehnts jeder Rechtsschutzfunktion entkleidet. Das rechtsstaatliche Prinzip fordere, dass Rechtsschutzeinrichtungen ein bestimmtes Mindestmaß an faktischer Effizienz aufwiesen; Rechtsschutz bedeute nicht nur Schutz vor behördlicher Aktivität, sondern auch Schutz vor behördlicher Inaktivität. Es sei keine sachliche Rechtfertigung dafür gegeben, "für Verfahren nach § 185 WAO" im Vergleich zu anderen Verfahren hinsichtlich der Länge der Entscheidungsfrist zu differenzieren. Im Verfahren über einen Rückzahlungsantrag sei nämlich gar kein Platz für die Erörterung von Fragen und Entscheidungen darüber, welche (und in welchem Ausmaß) Lastschriften und Gutschriften hätten durchgeführt oder unterlassen werden müssen und welche (berechtigten oder unzutreffenden) Gründe dazu führten, dass ein einmal bestandenes Abgabenguthaben im Zeitpunkt der Verfügung der Rückzahlung nicht mehr vorhanden sei. Es dürfe auch nicht übersehen werden, dass es im Verfahren nach § 185 WAO um die Rückzahlung eines Guthabens der Partei gehe, das dieser zustehe und das diese zurückerhalten solle. Dadurch liege auch eine sachlich nicht gerechtfertigte Differenzierung auf der Hand, die sich daraus ergebe, dass für die Abgabenfestsetzung eine Sechsmonatefrist gelte, für die Ansprüche der Partei auf Rückzahlung jedoch eine 24-Monatsfrist. Es werde daher angeregt, an den Verfassungsgerichtshof den Antrag zu stellen, § 243 Abs. 3 WAO allenfalls auch im § 27 Abs. 1 Satz 1 VwGG idF BGBl. I Nr. 158/1998 die Wortfolge "oder längere" als verfassungswidrig aufzuheben.

Mit Schriftsatz vom 28. Juli 2000 nahm die belangte Behörde zur Zulässigkeit der vorliegenden Säumnisbeschwerde Stellung. Sie führte aus, dass der belangten Behörde das aufhebende Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. November 1999, Zl. 99/17/0174, am 16. Dezember 1999 zugestellt worden sei. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (verwiesen wird auf das hg. Erkenntnis vom 17. Dezember 1998, Zl. 97/06/0265) setze die Entscheidungspflicht einer Behörde im Falle der Aufhebung eines Bescheides durch den Verwaltungsgerichtshof erst mit der Zustellung des aufhebenden Erkenntnisses neuerlich ein und sei die Entscheidungsfrist ab dem Tag der Zustellung des aufhebenden Erkenntnisses zu berechnen. Die Entscheidungsfrist der belangten Behörde ende somit am 16. Juni 2000. Daraus folge, dass die gegenständliche Säumnisbeschwerde (eingebracht am 29. Mai 2000) verfrüht erhoben sei.

Mit Schriftsatz vom 13. September 2000 (eingelangt beim Verwaltungsgerichtshof am 14. September 2000) erklärte die beschwerdeführende Partei durch den Bescheid der belangten Behörde vom 6. September 2000, Zl. MD-VfR-O 29/99, (zugestellt am 7. September 2000) klaglos gestellt zu sein. Sie teile diesen Umstand dem Verwaltungsgerichtshof mit dem Bemerken mit, dass die von ihr in der Säumnisbeschwerde aufgezeigten Bedenken deshalb weiter relevant seien, da diese eine Vorfrage bei der Entscheidung über den (aufrecht erhaltenen) Antrag bildeten, dem Rechtsträger der belangten Behörde den Kostenersatz aufzuerlegen.

Die Säumnisbeschwerde ist - abgesehen davon, dass nach dem eigenen Vorbringen der beschwerdeführenden Partei derzeit eine Sachentscheidung über ihre Berufung vorliegt, die sie mit Beschwerde bekämpfen kann - deshalb unzulässig, weil im Zeitpunkt ihrer Erhebung die Frist nach § 27 VwGG noch nicht abgelaufen war.

Gemäß § 27 Abs. 1 VwGG kann Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht (Säumnisbeschwerde) nach Art. 132 B-VG erst erhoben werden, wenn die oberste Behörde, die im Verwaltungsverfahren, sei es im Instanzenzug, sei es im Wege eines Antrages auf Übergang der Entscheidungspflicht, oder der Unabhängige Verwaltungssenat, der nach Erschöpfung des Instanzenzuges, sei es durch Berufung oder im Wege eines Antrages auf Übergang der Entscheidungspflicht, angerufen werden konnte, von einer Partei angerufen worden ist und nicht binnen sechs Monaten, wenn aber das das einzelne Gebiet der Verwaltung regelnde Gesetz für den Übergang der Entscheidungspflicht eine kürzere oder längere Frist vorsieht, nicht binnen dieser in der Sache entschieden hat. Die Frist läuft von dem Tag, an dem der Antrag auf Sachentscheidung bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war.

Die §§ 185 und 243 der Wiener Abgabenordnung, LGBl. Nr. 21/1962 idF LGBl. Nr. 9/2000 lauten (auszugsweise) wie folgt:

"§ 185. (1) Der Abgabepflichtige kann die Rückzahlung vom Guthaben (§ 162 Abs. 2) beantragen. Die Rückzahlung kann auch von Amts wegen erfolgen.

(2) ...

(3) Ein Rückzahlungsanspruch steht insoweit nicht zu, als die Abgabe wirtschaftlich von einem anderen als dem Abgabepflichtigen getragen wurde. Soweit eine derart überwälzte Abgabe noch nicht entrichtet wurde, hat die Abgabenbehörde diese mit gesondertem Bescheid vorzuschreiben.

(4) Abs. 3 ist nicht anzuwenden auf Abgabepflichtige, soweit ihnen die Anlassfallwirkung für eine vom Verfassungsgerichtshof als rechtswidrig erkannte Abgabenvorschrift zukommt.

§ 243. (1) Die Abgabenbehörden sind verpflichtet, über die in Abgabenvorschriften vorgesehenen Anbringen (§ 59) der Parteien ohne unnötigen Aufschub zu entscheiden.

(2) Werden Bescheide der Abgabenbehörden erster Instanz mit Ausnahme solcher Bescheide, die auf Grund von Abgabenerklärungen zu erlassen sind, der Partei nicht innerhalb von sechs Monaten nach Einlangen der Anbringen zugestellt, so geht auf schriftliches Verlangen der Partei die Zuständigkeit zur Entscheidung an die Abgabenbehörde zweiter Instanz über. Ein solcher Antrag ist unmittelbar bei der Abgabenbehörde zweiter Instanz einzubringen; er ist abzuweisen, wenn die Verspätung nicht ausschließlich auf ein Verschulden der Abgabenbehörde erster Instanz zurückzuführen ist.

(3) Für Verfahren nach § 185 verlängert sich der in Abs. 2 genannte Zeitraum von sechs Monaten auf zwei Jahre."

Gegenstand des in erster Instanz gestellten Antrages der beschwerdeführenden Partei vom 4. März 1998 war die Neufestsetzung und die Rückerstattung von Ankündigungsabgaben, die auf Grund von Selbstbemessungserklärungen der beschwerdeführenden Partei entrichtet worden waren (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 22. November 1999, Zl. 99/17/0174).

Im Beschwerdefall ist unbestritten, dass das eben erwähnte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes, mit dem der Bescheid der belangten Behörde über die Zurückweisung des Devolutionsantrages als rechtswidrig aufgehoben worden war, am 16. Dezember 1999 der belangten Behörde zugestellt wurde. Die beschwerdeführende Partei vertritt - wie erwähnt - den Standpunkt, mit diesem Zeitpunkt habe die Frist zur Entscheidung nicht neu zu laufen begonnen; seit Stellung ihres Devolutionsantrages vom 8. September 1998 seien bereits mehr als sechs Monate verstrichen.

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt dem entgegen in ständiger Rechtsprechung (vgl. nur den hg. Beschluss vom 16. September 1997, Zl. 97/05/0226, mwN) die Ansicht, dass die im § 27 VwGG vorgesehene Frist mit der Behebung eines Bescheides, durch die der Weg zu einer Sachentscheidung über das anhängige Rechtsmittel eröffnet wird, erneut zu laufen beginnt. Dies gilt auch dann, wenn ein "die Entscheidungspflicht vorübergehend zum Wegfall bringender" Aussetzungsbeschluss nach § 38 AVG aufgehoben wird (vgl. den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. April 1992, Zl. 92/10/0082, mit Hinweis auf den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 7. Oktober 1983, Zl. 83/17/0189).

Auch im Beschwerdefall wurde der Bescheid der belangten Behörde über die Zurückweisung des Devolutionsantrages durch das erwähnte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. November 1999 behoben und somit der Weg zu einer Sachentscheidung eröffnet. Der Verwaltungsgerichtshof sieht zumindest im Beschwerdefall keinen Anlass, die vorhin dargestellte Rechtsprechung nicht auch auf die Zurückweisung von Devolutionsanträgen anzuwenden.

Der Verwaltungsgerichtshof sieht sich daher auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der beschwerdeführenden Partei nicht zu einem Abgehen von seiner oben angeführten Rechtsprechung veranlasst, würde dies doch bedeuten, dass der betreffenden Behörde in vielen Fällen für eine Entscheidung wegen Ablaufes der ursprünglichen sechs Monate überhaupt keine, in jedem Fall aber nur eine verkürzte Frist zur neuerlichen Bescheiderlassung zur Verfügung stünde. Im vorliegenden Beschwerdefall hat die belangte Behörde überdies nach dem eigenen Vorbringen der beschwerdeführenden Partei bereits eine Sachentscheidung erlassen, deren Anfechtung bei den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts nichts im Wege steht. Einem allfälligen Missbrauch durch die Behörde dahingehend, dass sie die Frist zur Erhebung einer Säumnisbeschwerde etwa durch rechtlich unzutreffende Zurückweisungen (oder im Falle einer Berufung etwa durch Aussetzungsbeschlüsse) auf Dauer verhindert, müsste auf andere Weise als durch Erhebung einer Säumnisbeschwerde vor dem im Gesetz vorgesehenen Fristenablauf begegnet werden (vgl. etwa den hg. Beschluss vom 25. September 1992, Zl. 92/09/0207).

Da im Beschwerdefall aber unbestritten die ab Zustellung des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. November 1999 mit 16. Dezember 1999 laufende Sechsmonatsfrist zum Zeitpunkt der Einbringung der vorliegenden Säumnisbeschwerde am 29. Mai 2000 noch nicht abgelaufen war, war diese daher wegen des Mangels der Berechtigung zu ihrer Erhebung gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nicht öffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

Einer Auseinandersetzung mit dem Vorbringen der beschwerdeführenden Partei zu § 243 Abs. 3 WAO bedurfte es dabei nicht, da hier nicht die Devolutionsfrist maßgebend ist, sondern die für die Entscheidung der Behörde zweiter Instanz vorgesehene Frist (vgl. den hg. Beschluss vom 22. März 1996, Zl. 95/17/0450).

Wien, am 23. Oktober 2000

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