VwGH 2000/16/0235

VwGH2000/16/023519.6.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Steiner und Dr. Fellner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Valenta, über die Beschwerde des W in W, vertreten durch Dr. Heinz Stöger, Rechtsanwalt in Wien I, Seilerstätte 28, gegen den Bescheid der Abgabenberufungskommission Wien vom 22. Juni 1999, Zl. MD-VfR-D 1/99, betreffend Haftung für Getränkesteuer für die Zeit von September 1992 bis Dezember 1997, zu Recht erkannt:

Normen

61997CJ0437 Evangelischer Krankenhausverein Wien VORAB;
BAO §248;
EURallg;
LAO Wr 1962 §193 Abs3;
VwRallg;
61997CJ0437 Evangelischer Krankenhausverein Wien VORAB;
BAO §248;
EURallg;
LAO Wr 1962 §193 Abs3;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Stadt Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Einem Schreiben des seit 22. Jänner 1991 im Firmenbuch eingetragenen Geschäftsführers der Gertraude Duschlbauer GmbH Anton Kramer an die MA 4/7 vom 29. Juni 1998 ist Folgendes zu entnehmen:

"In Beantwortung Ihres Schreibens vom 24.6.1998 betreff der Geschäftsführerhaftung in o.a. GesmbH möchte ich Ihnen mitteilen, dass ich diese Geschäftsführung nur proforma und unentgeltlich aus Gefälligkeit übernommen habe. Die tatsächliche Geschäftsführung erfolgt durch Frau Gertraude Duschlbauer sowie Herren Walter Duschlbauer, beide wohnhaft in Wien 20, Nordbahnstr.

Ich bin 80% Invalide (rechter Arm amputiert) und mußte auf Grund meines hohen Alters sowie Parkinsons'scher Erkrankung im Mai 1996 in ein Pensionistenheim einziehen. Nach einem Schlaganfall liege ich nunmehr in einer betreuten Station, da ich seither nicht mehr mobil bin.

Deshalb habe ich bereits im April 1996 den Gesellschaftern mitgeteilt, dass ich die Geschäftsführung auch nicht mehr proforma bestehen lassen kann. Durch das Schreiben mußte ich feststellen, dass die Löschung im Firmenbuch nicht erfolgt ist.

Ich teile hiemit mit, dass ich nur eine Mindestrente beziehe und auch über keinerlei Vermögen verfüge, aus diesem Grund erhalte ich einen Zuschuß von der MA 47 zur Deckung der Heimkosten. Es ist mir daher unmöglich eine Zahlung zu leisten."

Mit Schreiben vom 15. Juli 1998 forderte daraufhin die MA 4/7 den Beschwerdeführer unter Bekanntgabe eines Getränkesteuerrückstandes für die Zeit von 1/92 bis 12/97 von S 54.673 (zuzüglich Verspätungszuschlag 1/95 bis 12/96 S 2.234,--, Säumniszuschlag 1/92 bis 12/97 von S 1.131,-- und Pfändungsgebühr in Höhe von S 554,--) zur Stellungnahme auf.

Da keine Stellungnahme erfolgte, erließ die Abgabenbehörde erster Instanz am 17. August 1998 gegen den Beschwerdeführer einen Haftungsbescheid über die Gesamtsumme von S 58.592,--, wobei sie den Beschwerdeführer als "faktischen Geschäftsführer" der Gertraud Duschlbauer GmbH bezeichnete.

Dagegen berief der Beschwerdeführer mit der Behauptung, er sei in der Zeit zwischen 1991 und 1997 nie Geschäftsführer gewesen; er habe seiner Frau nur geholfen, wenn sie in der Wohnung gewesen sei oder dienstliche Wege gehabt hätte.

Mit Berufungsvorentscheidung vom 27. November 1998 wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen, wobei die Abgabenbehörde erster Instanz dem Beschwerdeführer unter Hinweis auf die §§ 54 Abs. 1 und 7 Abs. 1 WAO vorwarf, er hätte seinen Einfluss in der Gesellschaft nicht dahingehend ausgeübt, dass die Abgaben entrichtet wurden. Insbesondere hätte er als Gesellschafter die Bestellung eines Strohmannes als Geschäftsführer veranlasst.

Dagegen richtete der Beschwerdeführer fristgerecht eine Eingabe vom 28. Dezember 1998, in der er Folgendes vorbrachte:

"Ich Walter Duschlbauer geb. 3.9.40 in Wien, Wohnhaft in 1200 Wien Nordbahnstr. 8A/2/1/6 war in der Zeit zwischen 1991 bis 1997 nie Geschäftsführer, außerdem hatte meine Frau Gertraude Duschbauer, von der ich seit 20.10.97 geschieden bin seit 12.12.94 Ihren eigenen Gewerbeschein.

1.) Es liegt eine Anzeige beim EU-Gerichtshof vor, dass diese Getränkesteuer nicht EU gerecht ist.

2.) Sollten Sie weiters die Sa. von 58.592 S fordern, sehe ich mich gezwungen meinen Rechtsanwalt und die Medien einzuschalten."

Dazu legte der Beschwerdeführer das Scheidungsurteil des BG Floridsdorf vom 3. Dezember 1997, 1C 42/97z-10 vor.

Die Abgabenbehörde erster Instanz legte daraufhin die Berufung der belangten Behörde zur Entscheidung vor. Diese veranlasste eine neue Ermittlung des Rückstandes für die Zeit ab September 1992, worauf ihr die Abgabenbehörde erster Instanz folgende Rückstände ab September 1992 mitteilte:

"Getränkesteuer Rest9/92-12/97 S 53.312,--

Verspätungszuschlag1/95-12/96 S 2.234,--

Säumniszuschlag9/92-12/97 S 1.104,--

Pfändungsgebühr S 554,--

S 57.204,--"

Die belangte Behörde fällte über die Berufung folgenden Spruch:

"Gemäß § 224 Abs. 2 der Wiener Abgabenordnung - WAO, LBGl. für Wien Nr. 21/1962, in der geltenden Fassung, wird der angefochtene Bescheid dahingehend geändert, dass die Haftungsinanspruchnahme auf den Betrag von S 57.204,-- (zur Serviceinformation: Dies entspricht: 4.157,18 Euro) für den Zeitraum von September 1992 bis Dezember 1997 eingeschränkt wird. Weiters hat an der Stelle der Bezeichnung "als faktischer Geschäftsführer der Getraude Duschlbauer GesmbH die Bezeichnung "als auf die Erfüllung der Pflichten der Getraude Duschlbauer GesmbH tatsächlich Einfluß Nehmender" zu treten."

Die belangte Behörde wirft dem Beschwerdeführer vor, er habe auf die Erfüllung der Pflichten der GmbH tatsächlich Einfluss genommen, wobei sie sich auf das Schreiben des Anton Kramer vom 29. Juni 1998 stützte. Außerdem lastet die belangte Behörde dem Beschwerdeführer an, er sei dem Argument der Berufungsvorentscheidung (die Bestellung eines Strohmannes veranlasst zu haben) nur mit der Wiederholung seines Berufungsvorbringens entgegengetreten. Es sei daher davon auszugehen, dass er im verfahrensgegenständlichen Zeitraum die Geschäftsführung der Primärschuldnerin maßgeblich bestimmt und auf die Erfüllung der Pflichten der GmbH tatsächlich Einfluss genommen habe.

Dem im Vorlageantrag enthaltenen Hinweis auf die EU-Widrigkeit der Getränkesteuer hielt die belangte Behörde entgegen, der Beschwerdeführer habe innerhalb der Berufungsfrist keine Berichtigung der Getränkesteuer vorgenommen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Verwaltungsgerichtshofbeschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes bzw. Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht darauf verletzt, nicht für Getränkesteuerschulden der Gertraud Duschlbauer GmbH zur Haftung herangezogen zu werden.

Die belangte Behörde machte von der ihr gebotenen Möglichkeit einer Klaglosstellung keinen Gebrauch, legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet begehrt wird.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Wer zur Berufung gegen einen Haftungsbescheid (§ 171 WAO) befugt ist, kann nach § 193 Abs. 1 WAO innerhalb der für die Einbringung der Berufung gegen den Haftungsbescheid offen stehenden Frist auch gegen den Abgabenbescheid (§ 146 WAO) berufen, wenn ein solcher bereits ergangen ist oder die Abgabe erstmals durch den Haftungsbescheid festgesetzt wurde.

Wurde die Abgabe durch Selbstbemessung (§§ 149 und 150 WAO) festgesetzt, so steht gemäß § 193 Abs. 3 WAO auch dann, wenn die Verjährungsfrist bereits abgelaufen ist, dem zur Berufung gegen den Haftungsbescheid Befugten noch innerhalb der Berufungspflicht das Recht zur Berichtigung der Abgabenerklärung zu. Durch eine solche Berichtigungserklärung wird die Verjährung neu in Lauf gesetzt.

§ 191 Abs. 2 und 4 WAO gilt sinngemäß.

Wenn der Gesetzgeber normiert, der Haftungspflichtige habe im Fall der Selbstbemessungsabgabe das Recht zur Berichtigung der Abgabenerklärung, dann ist ihm auch in einer Weise Kenntnis von den Abgabenerklärungen, den Revisionsberichten und den erforderlichen Unterlagen zu verschaffen, um ihn in die Position des Steuerschuldners zu versetzen und ihm die Möglichkeit der Abgabe einer Berichtigung der vom damaligen Steuerschuldner abgegebenen Abgabenerklärung zu geben. Ist er auf Grund der ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen nicht in der Lage eine solche Berichtigung vorzunehmen, dann kann ihm nicht mit Recht der Vorwurf der Unterlassung einer solchen Berichtigung gemacht werden (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 11. Mai 2000, Zl. 99/16/0284 und das vom heutigen Tag, Zl. 2000/16/0199).

Im abgabenbehördlichen Berufungsverfahren besteht kein Neuerungsverbot.

Da der Beschwerdeführer jedenfalls in der als Vorlageantrag anzusehenden Eingabe vom 28. Dezember 1998 die Gemeinschaftswidrigkeit der Getränkesteuer ausdrücklich geltend gemacht (und damit mangels einer ihm zuvor konkret gebotenen Möglichkeit jedenfalls eine Berichtigungserklärung abgegeben) hat, hat er vor Ergehen des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 9. März 2000 in der Rechtssache C-437/97 einen Rechtsbehelf eingelegt und darf sich daher auf das genannte Urteil berufen. Zum Begriff "Rechtsbehelf" wird auf die Entscheidungsgründe des hg. Erkenntnisses vom heutigen Tag, Zl. 2000/16/0296, verwiesen.

Mit Rücksicht darauf, dass die belangte Behörde in ihren Bescheid auch Zeiträume miteinbezogen hat, die nach dem Beitritt Österreichs zu den Europäischen Gemeinschaften liegen, sowie unter Bedachtnahme darauf, dass sowohl betreffend die Getränkesteuer als auch die vorgeschriebenen Verspätungs- und Säumniszuschläge sowie die Pfändungsgebühr eine spruchmäßige Trennung (weder zeitraummäßig noch in Bezug auf alkoholische und nichtalkoholische Getränke) nicht möglich ist, war der angefochtene Bescheid daher schon mit Rücksicht auf das oben zitierte Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zur Gänze wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom 30. März 2000, Zlen. 2000/16/0116 und 0117).

Für das fortzusetzende Verfahren betreffend die vor dem Beitritt Österreichs zu den Europäischen Gemeinschaften gelegenen Zeiträume wird aus verfahrensökonomischen Gründen auf Folgendes hingewiesen:

Dem Beschwerdeführer wurde das Schreiben des Anton Kramer vom 29. Juni 1998 im Abgabenverfahren nie im Detail vorgehalten, wodurch sein rechtliches Gehör verletzt wurde. Mit Rücksicht auf das Vorbringen des Beschwerdeführers, er habe seiner Frau nur gelegentlich geholfen, sowie unter Bedachtnahme auf das vom Beschwerdeführer vorgelegte Scheidungsurteil wird die belangte Behörde die tatsächliche Mitarbeit des Beschwerdeführers und den Einfluss, den er in der Gesellschaft tatsächlich ausübte, durch geeignete Ermittlungen, insbesondere im Wege einer Befragung der geschiedenen Ehefrau des Beschwerdeführers zu klären haben.

Mit Rücksicht auf die durch die zitierte hg. Judikatur klargestellte Rechtslage konnte die Entscheidung in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat getroffen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VO BGBl. 416/1994; die Abweisung des Kostenmehrbegehrens betrifft die Höhe des angesprochenen Schriftsatzaufwandes, der in der zitierten Verordnung mit S 12.500,-- pauschaliert ist.

Wien, am 19. Juni 2000

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