VwGH 99/18/0416

VwGH99/18/041610.5.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Bayjones und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Paal, über die Beschwerde des S P in Steyr, geboren am 28. März 1967, vertreten durch Dr. Alois Heigl, Rechtsanwalt in 4690 Schwanenstadt, Linzerstraße 10, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 5. Oktober 1999, Zl. St 104/99, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1997 §36 Abs1 Z1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrG 1997 §48 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs1 Z1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrG 1997 §48 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 5. Oktober 1999 wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 36 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 iVm §§ 37 und 39 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.

Der Beschwerdeführer halte sich seit Juli 1991 im Bundesgebiet auf und verfüge derzeit über eine bis zum 8. Oktober 1999 gültige Niederlassungsbewilligung. Seit 17. Dezember 1992 sei er mit einer österreichischen Staatsangehörigen verheiratet. Aus dieser Ehe entstamme ein 1994 geborenes Kind.

Der Beschwerdeführer sei am 17. September 1993 wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer auf eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Geldstrafe von 50 Tagessätzen rechtskräftig verurteilt worden. Die bedingte Strafnachsicht sei in der Folge widerrufen worden. Am 4. März 1996 sei er wegen Nötigung zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen rechtskräftig verurteilt worden.

Am 2. April 1997 sei der Beschwerdeführer niederschriftlich ermahnt worden und ihm für den Fall der Begehung weiterer Straftaten die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes angedroht worden.

Am 8. Oktober 1998 sei der Beschwerdeführer wegen schweren gewerbsmäßigen Betruges und Vortäuschung einer mit Strafe bedrohten Handlung zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von 15 Monaten rechtskräftig verurteilt worden.

Weiters schienen gegen den Beschwerdeführer sieben verwaltungsrechtliche Bestrafungen auf.

Ein Ansuchen des Beschwerdeführers um Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft sei abgewiesen worden.

Der Beschwerdeführer habe vorgebracht, nicht nur für seinen Familie in Österreich, sondern auch für seine allein stehende, kranke Mutter in Bosnien sorgepflichtig zu sein. Seine Frau wäre aufgrund eines Wirbelsäulenschadens nur bedingt arbeitsfähig. Er wäre von Beruf Kraftfahrer und im Besitz sämtlicher Befähigungsnachweise für das Bedienen von Kränen und Staplern. Überdies wäre er gelernter Parkettbodenleger. Er wäre bisher als Leasingarbeiter beschäftigt gewesen, derzeit jedoch aufgrund einer Sportverletzung im Krankenstand. Er wäre Mitglied eines österreichischen Judo-Vereines und würde als Spitzensportler in der österreichischen Nationalliga kämpfen.

Aufgrund der Verurteilungen des Beschwerdeführers sei der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG erfüllt.

Dem Beschwerdeführer sei eine der Aufenthaltsdauer entsprechende Integration zuzubilligen. In beruflicher Hinsicht sei ihm die Integration jedoch keinesfalls gelungen, weil er nur sporadisch einer Arbeit nachgegangen sei. Insgesamt habe er während seines Aufenthaltes nur 40 Wochen lang an acht verschiedenen Arbeitsstellen gearbeitet. Die längste Beschäftigungsdauer habe fünfeinhalb Monate betragen.

Dem gegenüber sei er dreimal rechtskräftig verurteilt worden. Er habe sich somit trotz rechtskräftiger Verurteilung von weiteren strafbaren Handlungen nicht abhalten lassen. Die Schwere seiner Vergehen habe sich gesteigert, weil er zunächst wegen Körperverletzung, dann wegen Nötigung und schließlich sogar wegen schweren gewerbsmäßigen Betruges verurteilt worden sei. Aus der hohen (bedingten) Freiheitsstrafe von 15 Monaten sei zu ersehen, dass der Unwert der strafbaren Handlungen des Beschwerdeführers vom Gericht hoch eingeschätzt worden sei. Als erschwerend sei die Häufigkeit der Tathandlungen bzw. "die Planung" gewertet worden. Dem aufgrund der drückenden Beweislage abgelegten Geständnis sei hingegen kein all zu großer Stellenwert beigemessen worden.

Es sei daher die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt und die Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Grund des § 37 Abs. 1 leg. cit. zulässig. Zudem sei das Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers "doch schwerwiegenderer Art, weshalb nicht mehr nur mit einer bloßen niederschriftlichen Ermahnungen das Auslangen gefunden werden konnte, sondern von der Ermessensbestimmung des § 36 Abs. 1 FrG Gebrauch gemacht werden musste". Unter Abwägung aller genannten Umstände wögen die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes wesentlich schwerer als die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Nach § 49 Abs. 1 erster Satz FrG genießen Angehörige von Österreichern gemäß § 47 Abs. 3 leg. cit., die Staatsangehörige eines Drittstaates sind, Niederlassungsfreiheit. Für sie gelten, sofern im Folgenden nicht anderes gesagt wird, die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach dem 1. Abschnitt des 4. Hauptstückes. Im vorliegenden Fall findet daher auf den Beschwerdeführer, der unstrittig Ehegatte einer österreichischen Staatsbürgerin ist, die Bestimmung des § 48 Abs. 1 erster Satz FrG Anwendung, derzufolge die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige nur zulässig ist, wenn aufgrund ihres Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist.

Die belangte Behörde hat daher insoweit die Rechtslage verkannt, als sie das Aufenthaltsverbot im Spruch ihres Bescheides allein auf § 36 FrG und nicht auf § 48 Abs. 1 leg. cit. gestützt hat. Dies stellt jedoch für sich gesehen keine Verletzung subjektiver Rechte des Beschwerdeführers dar, zumal § 36 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 FrG bei der Frage, ob gegen einen EWR-Bürger oder begünstigten Drittstaatsangehörigen ein Aufenthaltsverbot zu erlassen ist, weiterhin insofern von Bedeutung ist, als ein Aufenthaltsverbot nur bei Vorliegen der in § 36 Abs. 1 Z. 1 leg. cit. genannten Voraussetzungen erlassen werden darf und auf den Katalog des § 36 Abs. 2 leg. cit. als "Orientierungsmaßstab" zurückgegriffen werden kann (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 19. Oktober 1999, Zl. 99/18/0155).

1.2. Da der Beschwerdeführer unstrittig zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von 15 (somit mehr als sechs) Monaten verurteilt worden ist, erfüllt er entgegen der Beschwerdemeinung den - wie dargestellt als "Orientierungsmaßstab" heranzuziehenden - Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 (dritter Fall) FrG.

2. Bei der Beurteilung der Frage, ob die in § 48 Abs. 1 iVm § 36 Abs. 1 Z. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist, ist zu prüfen, ob sich aus dem gesamten Fehlverhalten des Fremden ableiten lässt, dass sein weiterer Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet. Dabei ist - anders als bei der Frage, ob der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG erfüllt ist - nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild des Fremden abzustellen.

Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid hinsichtlich der Verurteilungen des Beschwerdeführers jeweils nur den vom Beschwerdeführer erfüllten Tatbestand des Strafgesetzbuches, die Höhe der verhängten Strafe und zum Teil die Erwägungen des Gerichtes bei der Strafbemessung festgestellt. Hinsichtlich der verwaltungsbehördlichen Bestrafungen hat sie überhaupt nur auf das Vorliegen von sieben solchen Bestrafungen hingewiesen. Feststellungen über die vom Beschwerdeführer begangenen strafbaren Handlungen fehlen zur Gänze. Dies bewirkt, dass die Ansicht der belangten Behörde, es sei die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt, vom Verwaltungsgerichtshof nicht - nach den obigen Kriterien - überprüft werden kann (vgl. etwa das zu § 18 Abs. 1 Fremdengesetz, BGBl. Nr. 838/1992, ergangene, auch hier maßgebliche hg. Erkenntnis vom 28. November 1996, Zl. 96/18/0128).

3. Soweit der Beschwerdeführer meint, der Erlassung des Aufenthaltsverbotes stehe § 38 Abs. 1 Z. 3 FrG entgegen, weil ihm bereits vor der Verurteilung vom 8. Oktober 1998 gemäß § 11a Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 die Staatsbürgerschaft hätte verliehen werden können, ist ihm zu entgegnen, dass die genannte fremdengesetzliche Bestimmung die Unzulässigkeit eines Aufenthaltsverbotes ausschließlich daran knüpft, dass dem Fremden vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 hätte verliehen werden können (vgl. das zu § 20 Abs. 2 Fremdengesetz, BGBl. Nr. 838/1992, ergangene, auch hier maßgebliche hg. Erkenntnis vom 21. Februar 1997, Zl. 96/18/0606). Da sich der Beschwerdeführer unstrittig erst seit Juli 1991 im Bundesgebiet aufhält, erfüllt er die Voraussetzung des mindestens zehnjährigen ununterbrochenen Hauptwohnsitzes im Bundesgebiet gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 nicht.

4. Aus den oben 2. dargestellten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

5. Von der beantragten Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.

6. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 10. Mai 2000

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