VwGH 99/11/0254

VwGH99/11/025414.3.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leukauf und die Hofräte Dr. Bernard, Dr. Graf, Dr. Gall und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Lenhart, über die Beschwerde des R in E, vertreten durch Dr. Klaus Hirtler, Rechtsanwalt in Leoben, Hauptplatz 10/II, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 20. Mai 1999, Zl. 11 - 39 - 603/99 - 3, betreffend Befristung der Lenkberechtigung, zu Recht erkannt:

Normen

FSG 1997 §24 Abs1;
FSG 1997 §24 Abs4;
FSG 1997 §3 Abs1 Z3;
FSG 1997 §8 Abs3 Z2;
FSG-GV 1997 §10 Abs3;
FSG-GV 1997 §8;
FSG 1997 §24 Abs1;
FSG 1997 §24 Abs4;
FSG 1997 §3 Abs1 Z3;
FSG 1997 §8 Abs3 Z2;
FSG-GV 1997 §10 Abs3;
FSG-GV 1997 §8;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der im Jahr 1940 geborene Beschwerdeführer besitzt nach der Aktenlage seit 1961 eine Lenkerberechtigung für Kraftfahrzeuge der Gruppen A, B, C, F und G.

Mit Antrag vom 21. Dezember 1998 begehrte der Beschwerdeführer die Ausstellung eines Führerscheinduplikates wegen "C-laut FS-Gesetz" (gemeint offenbar § 40 Abs. 4 in Verbindung mit Abs. 5 Führerscheingesetz - FSG).

Bei der ärztlichen Untersuchung nach § 8 FSG über die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Gruppe 2 stellte der ärztliche Sachverständige einen Blutdruck von 170/80 und einen Visus von 0,7 links und 0,8 rechts fest. Unter der Rubrik "Klinischer Gesamteindruck" findet sich die Eintragung "Visusveränderung, Hypertonie". Das ärztliche Gutachten vom 16. Dezember 1998 lautet dahin, dass der Beschwerdeführer gemäß § 8 FSG zum Lenken eines Kraftfahrzeuges der Gruppe 2 "C" befristet auf fünf Jahre geeignet sei. Die Nachuntersuchung durch den Amtsarzt habe in fünf Jahren zu erfolgen. Kontrolluntersuchungen auf "Visus, Hypertonie" seien durch fünf Jahre durchzuführen.

Mit Bescheid vom 22. Jänner 1999 befristete die Bezirkshauptmannschaft Leoben gemäß § 3 Abs. 1 Z. 3 FSG die Lenkberechtigung des Beschwerdeführers für die Klassen A, B, C, F und G bis 16. Dezember 2003.

In der dagegen erhobenen Berufung bekämpfte der Beschwerdeführer die Befristung mit der Begründung, bei Anlegung des von der belangten Behörde verwendeten Maßstabes müsste "jeder österreichische Führerscheinbesitzer eine Befristung bekommen".

In dem von der belangten Behörde eingeholten amtsärztlichen Gutachten vom 19. April 1999 wird Folgendes ausgeführt:

"Wegen der beginnenden Verminderung der Sehschärfe bei Alterssichtigkeit und der bestehenden Hochdruckerkrankung, die sich neben den Auswirkungen auf das Herzkreislaufsystem auch auf das Sehvermögen negativ auswirken kann (sogenannte Retinopathia hypertonica), ist die 5-jährige Befristung aus medizinischer Sicht notwendig, um rechtzeitig eine Verschlechterung der genannten Erkrankungen erkennen zu können, womit die gesundheitliche Eignung zum Lenken von KFZ der Gruppe 2 wegfallen würde. Außerdem wird darauf hingewiesen, dass wegen der erhöhten Anforderungen für Lenker von KFZ der Gruppe 2 vom Gesetz her ab dem 45. Lebensjahr für jeden österreichischen Staatsbürger regelmäßige Nachuntersuchungen vorgesehen sind."

Die belangte Behörde übermittelte dem Beschwerdeführer mit Verfügung vom 29. April 1999 (zugestellt am 4. Mai 1999) eine Ablichtung dieses Gutachtens und räumte ihm die Gelegenheit ein, binnen zwei Wochen, längstens jedoch bis 20. Mai 1999 dazu Stellung zu nehmen.

Mit der am 17. Mai 1999 bei der belangten Behörde eingelangten Eingabe, der ein Bericht eines praktischen Arztes vom 5. Mai 1999, ein augenfachärztlicher Befund vom 11. März 1999 und ein Laborbefund vom 11. Februar 1999 angeschlossen waren, ersuchte der Beschwerdeführer, von der Befristung Abstand zu nehmen, weil sich sein gesundheitlicher Zustand (Bluthochdruck) wieder normalisiert habe. Den vorübergehenden Bluthochdruck führte er auf eine gerichtliche Auseinandersetzung mit seiner Tochter zurück.

Mit dem angefochtenen Bescheid (vom 20. Mai 1999) wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab, ohne auf das am 17. Mai 1999 eingelangte Schreiben des Beschwerdeführers und die angeschlossenen ärztlichen Befunde einzugehen. In der Begründung führte die belangte Behörde nach Wiedergabe des von ihr eingeholten amtsärztlichen Gutachtens aus, beim Beschwerdeführer seien objektive Anzeichen einer Krankheit, die eine Verschlechterung mit sich bringen könne, festgestellt worden, nämlich die Verminderung der Sehschärfe und eine Hochdruckerkrankung. Es sei daher nicht richtig, "dass jeder österreichische Führerscheinbesitzer eine Befristung bekommen müsste", weil nicht bei jedem Inhaber einer Lenkberechtigung solche objektiven Anzeichen einer Krankheit bestünden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und beantragt die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 24 Abs. 4 FSG ist vor der Entziehung oder Einschränkung der Gültigkeit der Lenkberechtigung wegen mangelnder gesundheitlicher Eignung ein von einem Amtsarzt erstelltes Gutachten gemäß § 8 einzuholen.

Gemäß § 8 Abs. 3 Z. 2 FSG hat u.a. bei Personen, deren Eignung nur für eine bestimmte Zeit angenommen werden kann und bei denen amtsärztliche Nachuntersuchungen erforderlich sind, das ärztliche Gutachten "bedingt geeignet" zu lauten und Befristungen, Bedingungen oder zeitliche, örtliche oder sachliche Beschränkungen der Gültigkeit anzuführen, unter denen eine Lenkberechtigung ohne Gefährdung der Verkehrssicherheit erteilt werden kann.

Ob einer Person, die unter Blutdruckanomalien leidet, eine Lenkberechtigung erteilt oder belassen werden kann, ist zufolge § 10 Abs. 3 Führerscheingesetz-Gesundheitsverordnung - FSG-GV nach den übrigen Ergebnissen der ärztlichen Untersuchung, den möglichen Komplikationen und der daraus gegebenenfalls für die Sicherheit im Straßenverkehr erwachsenden Gefahr zu beurteilen.

Die Notwendigkeit von Nachuntersuchungen im Sinne des § 8 Abs. 3 Z. 2 FSG ist dann gegeben, wenn eine "Krankheit" festgestellt wurde, bei der ihrer Natur nach mit einer zum Verlust oder zur Einschränkung der Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen führenden Verschlechterung gerechnet werden muss (siehe dazu das hg. Erkenntnis vom 18. Jänner 2000, Zl. 99/11/0266, mwN). Um eine bloß bedingte Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen im Sinne des zuletzt Gesagten anzunehmen, bedarf es auf einem ärztlichen Sachverständigengutachten beruhender konkreter Sachverhaltsfeststellungen darüber, dass die gesundheitliche Eignung zwar noch in ausreichendem Maß für eine bestimmte Zeit vorhanden ist, dass aber eine gesundheitliche Beeinträchtigung besteht, nach deren Art in Zukunft mit einer die Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen ausschließenden oder einschränkenden Verschlechterung gerechnet werden muss.

Ausführungen im dargelegten Sinn fehlen im amtsärztlichen Gutachten vom 19. April 1999. Diesem Gutachten, auf das sich die belangte Behörde stützt, liegt allein die ärztliche Untersuchung vom 16. Dezember 1998 zugrunde. Die Tatsache, dass bei dieser Untersuchung ein Blutdruck von 170/80 gemessen wurde, lässt noch nicht erkennen, dass der Beschwerdeführer unter Hypertonie leidet und deshalb nach Ablauf von fünf Jahren mit einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes im beschriebenen Sinne gerechnet werden muss. Im Hinblick darauf, dass der Blutdruck in weiten Grenzen schwankt, kann Hypertonie erst dann diagnostiziert werden, wenn wiederholte Messungen pathologische Werte ergeben. Schon deshalb ist das Gutachten, dessen Richtigkeit der Beschwerdeführer unter Vorlage eines ärztlichen Berichtes vom 5. Mai 1999, wonach der Blutdruck des Beschwerdeführers in letzter Zeit immer im Normbereich gelegen sei, keine geeignete Grundlage, um eine Befristung wegen Hypertonie auszusprechen. Diesbezüglich bedürfte es einer entsprechenden Untersuchung des Beschwerdeführers und einer Auseinandersetzung mit seinem Vorbringen sowie einer abschließenden Beurteilung im Sinne des § 10 Abs. 3 FSG-GV.

Soweit sich die belangte Behörde auf die im amtsärztlichen Gutachten genannte "beginnende Verminderung der Sehschärfe bei Alterssichtigkeit" stützt, ist nicht nachvollziehbar, warum es sich dabei um eine "Krankheit" im oben beschriebenen Sinne handeln soll. Unter Alterssichtigkeit (Presbyopie) ist die altersbedingte Weitsichtigkeit, d.h. die Erschwerung des Nahesehens infolge Elastizitätsverlustes der Linse und Nachlassen der Akkomodation zu verstehen. Die Alterssichtigkeit ist eine weit verbreitete Erscheinung und kann ohne Weiteres durch Sammelgläser ausgeglichen werden, ohne dass deshalb mit einer die Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen ausschließenden oder einschränkenden Verschlechterung gerechnet werden muss.

Die Begründung des angefochtenen Bescheides reicht demnach nicht aus, um die mit ihm verfügte Befristung der Lenkberechtigung des Beschwerdeführers schlüssig zu begründen.

Soweit die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift vorbringt, auch unter Berücksichtigung der vom Beschwerdeführer vorgelegten ärztlichen Befunde hätte sich an der Beurteilung durch die Sachverständige nichts geändert, ist ihr zunächst zu erwidern, dass die Gegenschrift nicht dazu dient, die mangelhafte Begründung eines Bescheides zu ergänzen. Der sich aus dem vom Beschwerdeführer vorgelegten augenfachärztlichen Befund vom 11. März 1999 ergebende Hinweis auf "Cataracta incipiens" (d.i. beginnender grauer Star) wird vom ärztlichen Sachverständigen und der belangten Behörde im fortzusetzenden Verfahren unter Gewährung des Parteiengehörs zu beachten sein. Dabei wird - allenfalls nach Untersuchung durch einen Facharzt für Augenheilkunde und Optometrie (§ 7 Abs. 1 FSG-GV) - zu beurteilen sein, ob beim Beschwerdeführer eine fortschreitende Augenkrankheit besteht (§ 8 Abs. 2 FSG-GV) und aus diesem Grund eine Maßnahme i.S.d. § 24 Abs. 1 FSG gesetzt werden muss.

Aus den dargelegten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 14. März 2000

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