VwGH 99/04/0172

VwGH99/04/01722.2.2000

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte DDr. Jakusch, Dr. Stöberl, Dr. Blaschek und Dr. Baur als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Martschin, über die Beschwerde des Ing. T G und der H G, beide in M, vertreten durch Dr. F, Rechtsanwalt in G, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Kärnten vom 9. Juli 1999, Zl. Gew-2601/1/98, betreffend Zurückweisung einer Berufung in einem Verfahren gemäß § 77 GewO 1994 (mitbeteiligte Partei: P S in M, vertreten durch H & P, Rechtsanwälte in M), zu Recht erkannt:

Normen

GewO 1973 §356 Abs3;
GewO 1994 §356 Abs3;
GewO 1994 §74 Abs2;
GewO 1973 §356 Abs3;
GewO 1994 §356 Abs3;
GewO 1994 §74 Abs2;

 

Spruch:

1.) Auf Grund der Beschwerde des Erstbeschwerdeführers wird der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Erstbeschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

2.) Die Beschwerde der Zweitbeschwerdeführerin wird als unbegründet abgewiesen.

Die Zweitbeschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- und der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem Bescheid des Landeshauptmannes von Kärnten vom 9. Juli 1999 wurde die Berufung der Beschwerdeführer gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft St. Veit/Glan vom 10. November 1998, mit welchem der mitbeteiligten Partei die Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer näher bezeichneten Betriebsanlage unter Vorschreibung von Auflagen erteilt wurde, gemäß §§ 8 und 63 Abs. 3 AVG in Verbindung mit §§ 356 Abs. 3 und 359 Abs. 4 GewO 1994 als unzulässig zurückgewiesen. Zur Begründung führte der Landeshauptmann im Wesentlichen aus, die von den Beschwerdeführern in der mündlichen Augenscheinsverhandlung erster Instanz abgegebenen Erklärungen seien keine geeigneten Einwendungen im Sinne des § 356 Abs. 3 GewO 1994, weil diese zwar die gegenständliche Betriebsanlage und deren Emissionsverhalten beträfen, es komme ihnen jedoch eher der Charakter eines Quasi-Gutachtens zu. Die Einwendungen wiesen zwar auf schädliche Umwelteinwirkungen für die Anrainer durch die mit dem Betrieb verbundenen Schallimmissionen und Geruchsimmissionen sowie durch Staubentwicklung hin, sie gäben jedoch keinerlei Auskunft darüber, wodurch diese konkret hervorgerufen würden. Dieses Vorbringen stelle keine Verletzung eines eigenen subjektiv-öffentlichen Rechtes dar und sei daher nicht geeignet, eine Parteistellung der Beschwerdeführer zu begründen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen. Die mitbeteiligte Partei stellte in ihrer Gegenschrift einen gleichartigen Antrag

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachten sich die Beschwerdeführer nach ihrem gesamten Vorbringen in dem Recht auf meritorische Erledigung ihrer Berufung verletzt. In Ausführung des so zu verstehenden Beschwerdepunktes machen sie geltend, die Annahme der belangten Behörde, die bei der Ortsaugenscheinsverhandlung am 28. Mai 1998 gemachten Einwendungen seien nicht konkret genug gewesen, sei nicht begründet. Beim gegenständlichen Projekt gehe es um die Errichtung und den Betrieb einer Tischlereiwerkstätte, die im Anschluss an das Grundstück der Beschwerdeführer niveaumäßig 6 m tiefer errichtet werden solle. Wenn die Beschwerdeführer dazu vorgebracht haben, dass gesundheitsschädliche Schallemissionen, Geruchsimmissionen und Staubentwicklungen befürchtet würden und ihr Grundstück betroffen sei und dazu die Einholung eines Gutachtens eines schalltechnischen Sachverständigen beantragt und auf das amtsärztliche Sachverständigengutachten verwiesen hätten, sei doch mit ausreichender Deutlichkeit dargetan, dass sie Gesundheitsgefährdungen durch Schall bzw. Lärm, Geruch und Staub befürchteten und das subjektiv-öffentliche Recht auf Schutz vor Gesundheitsgefährdungen und auf Schutz des Eigentums geltend machten. Eine weitere Begründung für die Einwendungen sei nach der Rechtsprechung nicht erforderlich. Es sei daher davon auszugehen, dass die Beschwerdeführer konkret vorgebracht hätten, gesundheitliche Beeinträchtigungen durch Schall, Geruch und Staub und eine Beeinträchtigung ihrer Liegenschaft zu befürchten. Damit hätten sie Parteistellung erlangt. Dazu komme, dass bei der Ortsaugenscheinsverhandlung am 28. Mai 1998 weder ein schalltechnischer Sachverständiger noch ein ärztlicher Sachverständiger anwesend gewesen seien. Derartige Gutachten seien in der Folge eingeholt worden. Zu diesen Gutachten hätten die Beschwerdeführer eine eingehende 15 Seiten umfassende Stellungnahme abgegeben und wieder auf die Gesundheitsgefährdung sowie auf die Beeinträchtigung durch Lärm, Geruch und Staub hingewiesen. Dadurch hätten die Beschwerdeführer ganz konkret zum Projekt hingeordnet ihre Einwendungen vorgebracht und erläutert. Von einer Präklusion der Parteirechte der Beschwerdeführer könne überhaupt keine Rede sein. Die Erklärungen der Nachbarn seien nämlich nicht nur ihrem Wortlaut nach, sondern auch ihrem Sinn nach zu beurteilen. Im Übrigen führen die Beschwerdeführer aus, warum ihrer Meinung nach die mit dem erstbehördlichen Bescheid erteilte Genehmigung zu Unrecht ergangen sei.

Gemäß § 356 Abs. 3 GewO 1994 in der im Hinblick auf den Zeitpunkt der mündlichen Augenscheinsverhandlung erster Instanz hier anzuwendenden Fassung vor der Verwaltungsverfahrensnovelle 1998, BGBl. I Nr. 158/1998, sind im Verfahren unter anderem zur Genehmigung der Änderung einer gewerblichen Betriebsanlage nur jene Nachbarn Parteien, die spätestens bei der Augenscheinsverhandlung Einwendungen gegen die Anlage im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 1, 2, 3 oder 5 GewO 1994 erheben, und zwar vom Zeitpunkt ihrer Einwendungen an.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung dargelegt hat, liegt eine Einwendung im Sinne des § 356 Abs. 3 GewO 1994 nur dann vor, wenn der Nachbar die Verletzung eines subjektiven Rechtes geltend macht. Dem betreffenden Vorbringen muss jedenfalls entnommen werden können, dass überhaupt die Verletzung eines subjektiven Rechtes behauptet wird, und ferner, welcher Art dieses Recht ist. Das heißt, es muss auf einen oder mehrere der im § 74 Abs. 2 Z. 1, 2, 3 oder 5 GewO 1994, im Falle des § 74 Abs. 2 Z. 2 leg. cit. auf einen oder mehrere der dort vorgesehenen Alternativtatbestände (Geruch, Lärm, Rauch, Staub, Erschütterung oder eine "in anderer Weise" auftretende Einwirkung) abgestellt sein. Die Erlangung einer Parteistellung durch Nachbarn im Sinn des § 356 Abs. 3 GewO 1994 setzt daher das Vorliegen derart qualifizierter Einwendungen voraus. Ein lediglich allgemein gehaltenes, nicht auf die konkreten Verhältnisse des Beteiligten abgestelltes Vorbringen stellt schon begrifflich keine Behauptung der Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Rechtes im Sinne des Rechtsbegriffes einer Einwendung dar (vgl. z. B. das hg. Erkenntnis vom 16. Juli 1996, Zl. 95/04/0241).

Wie die Beschwerdeführer zutreffend hervorheben, sind bei der Beurteilung, ob ein Vorbringen als geeignete Einwendungen im genannten Sinn zu werten sind, die Erklärungen eines Nachbarn nicht nur ihrem Wortlaut, sondern auch nach ihrem Sinn zu beurteilen (vgl. z. B. das hg. Erkenntnis vom 19. Oktober 1993, Zl. 92/04/0267).

Im vorliegenden Fall enthält die Niederschrift über die Ortsaugenscheinsverhandlung erster Instanz vom 28. Mai 1998 über die Erklärung des Erstbeschwerdeführers folgende Ausführungen:

"Stellungnahme des Herrn Rechtsanwalt Dr. H für den Anrainer

Herrn T G:

Der Anrainer erhebt gegen das gegenständliche Projekt

Einwendungen wie folgt:

Das gegenständliche Projekt ist nicht spruchreif, zumal an Ort und Stelle nicht einmal die Baulinien ausgesteckt waren und eine endgültige Beurteilung schon deshalb aus diesem Grunde nicht erfolgen kann. Im Übrigen ist zu befürchten, dass durch das gegenständliche Projekt schädliche Umwelteinwirkungen für die Anrainer entstehen, insbesondere durch die mit dem Betrieb verbundenen Schallimmissionen und Geruchsimmissionen sowie durch die Staubentwicklung. Hinsichtlich der Schallemissionen ist zu befürchten, dass der äquivalente Dauerschallpegel um mehr als 1 dB überschritten werden wird, weshalb ausdrücklich die Einholung eines schalltechnischen Gutachtens beantragt wird. Das gegenständliche Projekt liegt mitten im Siedlungsgebiet und ist zumindest von 7 Bauparzellen umgeben. Hinsichtlich der Immissionen ist nicht nur auf die vorhandenen Objekte sondern auch auf die zukünftige Bebauung Rücksicht zu nehmen. Im Übrigen sind auch gesundheitsschädigende Einwirkungen zu befürchten, wobei nach Vorliegen des amtsärztlichen Gutachtens allfällige weitere Einwendungen erhoben werden."

Auch wenn diese Erklärung, soweit sie die Befürchtung von "schädlichen Umwelteinwirkungen" durch Schallimmissionen und Geruchsimmissionen sowie durch die Staubentwicklung betrifft, allgemein auf "die Anrainer" Bezug nimmt, so kann doch kein Zweifel bestehen, dass damit der Erstbeschwerdeführer eine derartige Befürchtung auch für sich persönlich ausgesprochen hat, wird er doch einleitend ausdrücklich auch als Anrainer bezeichnet. Bei der, wie oben dargestellt, gebotenen Beurteilung ihrem Sinne nach enthält sie somit die Befürchtung des Erstbeschwerdeführers, persönlich durch von der in Rede stehenden Betriebsanlage ausgehenden Schall, Geruch und Staub belästigt und in seiner Gesundheit gefährdet zu werden. Damit entspricht diese Erklärung allen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entwickelten, oben dargestellten Anforderungen an eine geeignete Einwendung im Sinne des § 356 Abs. 3 GewO 1994, sodass der Erstbeschwerdeführer durch diese Erklärung im gegenständlichen Verwaltungsverfahren als Nachbar Parteistellung im Rahmen der erhobenen Einwendungen erlangte. Daran vermag der von der belangten Behörde hervorgehobene Umstand, die Erklärung des Erstbeschwerdeführers gebe keine Auskunft darüber, wodurch die genannten Immissionen hervorgerufen würden, nichts zu ändern, weil eine Verpflichtung des Nachbarn, seine Einwendungen auch zu begründen, aus dem Gesetz nicht zu entnehmen ist.

Hatte aber solcherart der Erstbeschwerdeführer Parteistellung im Verwaltungsverfahren erlangt, so begründet es eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides, wenn die belangte Behörde dessen Berufung gegen den erstbehördlichen Bescheid aus dem Grunde der mangelnden Parteistellung zurückgewiesen hat.

Die Niederschrift über die mündliche Augenscheinsverhandlung erster Instanz vom 28. Mai 1998 enthält keine Erklärung der Zweitbeschwerdeführerin, sodass davon auszugehen ist, dass sie keine Einwendungen im Sinne des § 356 Abs. 3 GewO 1994 erhoben und damit auch Parteistellung im Verwaltungsverfahren nicht erlangt hat. Ob und welche Erklärungen die Zweitbeschwerdeführerin im Anschluss an die mündliche Augenscheinsverhandlung erster Instanz abgegeben hat, ist in diesem Zusammenhang ohne rechtliche Bedeutung, weil, wie sich aus dem Wortlaut der Bestimmung des § 356 Abs. 3 GewO 1994 zweifelsfrei ergibt, die zur Erlangung der Parteistellung erforderlichen Einwendungen spätestens bei der Augenscheinsverhandlung zu erheben sind und ein Sachverhalt im Sinn des § 356 Abs. 3 zweiter Satz leg. cit. auch in der Beschwerde nicht behauptet wird.

Damit erweist sich die Zurückweisung der von der Zweitbeschwerdeführerin gegen den erstbehördlichen Bescheid erhobenen Berufung durch die belangte Behörde als frei von Rechtsirrtum, weil gemäß § 359 Abs. 4 GewO 1994 das Recht der Berufung nur solchen Nachbarn zusteht, die Parteien sind.

Aus diesen Gründen war der angefochtene Bescheid über die Beschwerde des Erstbeschwerdeführers gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben und die Beschwerde der Zweitbeschwerdeführerin gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994 (vgl. auch den hg. Beschluss eines verstärkten Senates vom 18. September 1967, Slg. N. F. Nr. 7175/A).

Wien, am 2. Februar 2000

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